Rezension: Prepare to Die

17. März 2022

Zurschmitten, Christof; Inderst, Rudolf; Wagner, Pascal (Hg.): Prepare to Die. Interdisziplinäre Perspektiven auf Demon’s Souls, Dark Souls und Bloodborne (= Game Studies). Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch. 2019. ISBN: 978-3864881565

 

Auch wenn die Welten der sogenannten Soulsborne-Spiele – ein Kompositum aus den Titeln Dark Souls (2011–2017) bzw. Demon’s Souls (2009) und Bloodborne (2015) – im ewigen Niedergang gefangen zu sein scheinen: Das Spielkonzept floriert und entwickelt sich sogar immer noch weiter. So hat die Reihe beispielsweise mit Elden Ring (2022) erst kürzlich ihren ersten ‚echten‘ Open-World-Titel hervorgebracht.1

Das Interesse der Game Studies haben die Spiele jedoch schon früher erregt. Sicherlich nicht die erste, aber auf jeden Fall die bisher umfangreichste Publikation in deutscher Sprache war der Sammelband mit dem klingenden Titel Prepare to Die (2019), mit dem sich die Herausgeber Christof Zurschmitten, Rudolf Inderst und Pascal Wagner bewusst in die Tradition von „See? I'm real“ (2004), des wegweisenden Silent Hill-Sammelbandes von Britta Neitzel, Matthias Bopp und Rolf Nohr, stellten (S. 8). Dass den Herausgebern diese Einordnung nötig erschien, zeigt symptomatisch, dass Sammelbände zu einem bestimmten Spiel oder einer Spielreihe – zumindest im deutschsprachigen Raum – kein Selbstverständlichkeit und nach wie vor selten sind.2 Der Band trägt somit dazu bei, eine Lücke zu schließen.

Eine solche gegenstandszentrierte Konzeption erlaubt es, ein(e) Computerspiel(-Reihe) aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und analytisch in die Tiefe zu gehen, birgt jedoch auch die Gefahr repetitiv zu werden, sofern sich die Rezipient*innen tatsächlich entschließen, den gesamten Band zu lesen – ein Problem, das ich teilweise bei „The cake is a lie“ (2015), dem Nachfolgeband von „See? I'm real…“ beobachte. Das legt die Vermutung nahe, dass das Spielkonzept des Puzzle-Shooters mit speziellem Humor trotz seiner Originalität möglicherweise doch nicht genug Stoff für einen ganzen Sammelband bietet – und wirft die Frage auf, ob die Soulsborne-Spiele sich besser als Korpus eignen.

Auch im Fall von Prepare to Die ziehen sich zentrale Aspekte wie der vielbeschworene Schwierigkeitsgrad oder die zyklische Struktur der Soulsborne-Spiele durch den ganzen Band, aber die Beobachtungen der verschiedenen Autor*innen setzen sich zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen ohne sich einfach nur zu wiederholen. So widmen sich beispielsweise sowohl Nils Gelker als auch Felix Schniz der fragmentierten Narration der Soulsborne-Titel, jedoch behandelt ersterer  Dark Souls und letzterer  Bloodborne. Auch wählt Gelker einen philologischen, Schniz einen marxistischen Zugang. Mit Überschneidungen zwischen anderen Aufsätzen verhält es sich ähnlich - die Auswahl der Beiträge durch die Herausgeber darf daher als gelungen bezeichnet werden.

Dabei profitiert der Band auch davon, dass die Soulsborne-Reihe den Portal-Spielen eine lebendige Online-Community voraushat, welche den Diskurs prägt und den Sammelband für weitere Fachrichtungen öffnet. Zwar ist auch „The cake is a lie!” als Meme fester Bestandteil der Populärkultur, jedoch leben die Soulsborne-Spiele durch ihren Sportcharakter mehr vom sozialen Mit- und Gegeneinander. Mit diesem Aspekt beschäftigen sich vor allem Dejan Lukovic (Speedrunning) und Lisa Zumblick (Fight Clubs). Doch auch Dark Souls-Memes wie das gemeinschaftsstiftende „Praise the sun!“ (S. 142) oder das exklusivere „Giant Dad“-Meme (S. 145) werden untersucht (Peter Mühleder, Armin Becker und Martin Roth).

Die Soulsborne-Reihe erweist sich also als abwechslungsreicher Untersuchungsgegenstand, wobei ich ein wenig über die Zielsetzung der Herausgeber stolpere, „beweisen“ zu wollen, „[d]ass kaum ein aktuelles Franchise“ einen Sammelband „mehr verdient“ (S. 8) habe. Diese kurz durchschimmernde Fanperspektive schlägt sich allerdings an keiner anderen Stelle des Bandes nieder: Der Ton ist durchgängig sachlich, wenn die Sprache auch gelegentlich etwas ornamental gerät – bezeichnenderweise gerade bei jenen Beiträgen, die sich mit dem Tod beschäftigen.

Erwähnenswert ist, dass der Schwerpunkt des Bandes – wie vielleicht vorhersehbar – recht deutlich auf dem ersten Dark Souls-Spiel liegt, dessen große Popularität, die Demon’s Souls noch verwehrt blieb, den Grundstein für die weiteren Titel der Reihe sowie das Genre der sogenannten ‚Soulslikes‘ legte. Diese Feststellung soll keine Wertung implizieren, sondern lediglich als Information für Leser*innen dienen, die ein vertieftes Interesse an Bloodborne haben.

Dark Souls 2 und 3 werden meist in der stillschweigenden Annahme, dass sie mehr oder weniger wie Dark Souls seien, in der Argumentation mitgeführt. Das ist nachvollziehbar, wobei Abweichungen (z.B. im Leveldesign) gerade bei Dark Souls 2 vielleicht einer gesonderten Betrachtung wert gewesen wären.

Dark Souls‘ Vorgänger Demon’s Souls findet gelegentlich Erwähnung, steht aber selbst nie im Mittelpunkt. Am ausführlichsten behandelt wird er bei Lukovic unter dem Aspekt Speedrunning, wo ihm ein ganzer Abschnitt gewidmet ist, der gleichberechtig neben denen zu Dark Souls 1-3 und Bloodborne steht.

Bloodborne erfährt aufgrund seiner Andersartigkeit (vor allem der seines Settings) etwas mehr Aufmerksamkeit – häufiger wird erwähnt, inwiefern etwas in Bloodborne anders ist als soeben beschrieben. Exklusiv widmet sich Schniz diesem jüngsten der behandelten Soulsborne-Titel.

Auch wenn sich die Beiträge überwiegend um Dark Souls drehen, sind viele Erkenntnisse jedoch ohne großen Aufwand (wenn auch nicht unreflektiert) auf andere Reihentitel übertragbar, da alle vorliegenden Aufsätze auf ihre je eigene Art eine gewisse ‚Flughöhe‘ aufweisen. Die einzige Analyse, die weit genug ‚hineinzoomt‘, dass eine einzelne Figur (Gravelord Nito) in den Fokus rückt, findet sich bei Philipp Söchtig im Kontext einer Ästhetik des Todes. Prepare to Die ist somit auch für die jüngeren Titel des Entwicklers FromSoftware wie Sekiro – Shadows Die Twice (2019) und Elden Ring (2022) anschlussfähig, was den Band für Forschung auf diesem Gebiet zum ‚Must Have‘ macht. Gerade die Beiträge zum Thema Genre-Taxonomie von Michael Hebel, Guido Kühn und Sebastian de Andrade und von Peter Mühleder, Armin Becker und Martin Roth zu Mechanismen der Inklusion- und Exklusion durch Memes weisen auch über die Soulsborne-Reihe oder gar das Medium Computerspiel hinaus. Ersterer könnte zudem im Kontext des Open-World-Aspektes von Elden Ring interessant sein.

Besonders zu empfehlen sind daneben die zum Teil schon erwähnten Beiträge von Nils Gelker, Andreas Meier-Inderwildi und Felix Schniz, aber auch der von Maximilian Haffelder und Patrick Maisenhölder, der Dark Souls unter lern- bzw. motivationspsychologischen Gesichtspunkten beleuchtet.

Schniz ist kurioserweise nicht der einzige Autor des Bandes, der eine Form der Utopie im Umgang mit den eher dystopischen Welten des Soulsborne-Franchises findet. Daniel Illger teilt diese Perspektive (S. 71-88), allerdings geht sie bei Schniz mit Kritischer Theorie und Skeptizismus Hand in Hand. So sieht er im hilfs- statt gewinnorientierten Wissensaustausch zwischen Spieler*innen angesichts der „erratischen Wissens- und Machtkomplexe“ (S. 153) von Bloodborne den Ansatz einer Überwindung kapitalistischer Logik, wie sie im Spiel vor allem durch die „Healing Church“ repräsentiert werde.

Meier-Inderwildi entlarvt indessen die vermeintlich mythische Zeitstruktur von Dark Souls als politisch motiviertes Narrativ und unterscheidet mit Shlomith Rimmon-Kenan zwischen konstruktiver und destruktiver Wiederholung, wobei konstruktive Wiederholung Variation bedeutet – destruktive hingegen das Immer-Gleiche, also die unendliche Wiederholung des Scheiterns. Ziel sei somit letztlich die (paradoxerweise wiederholte) Überwindung des Zyklischen durch das Besiegen von Bossgegnern bis hin zum Abschluss des Spiels, das durch den NG+ Modus jedoch immer noch nicht zwingend das Ende darstellt.

Gelker hingegen demonstriert das Potenzial eines literaturwissenschaftlichen Ansatzes, wenn er analysiert, wie Dark Souls narrativ interessierte Spieler*innen durch die gezielte Ausstreichung konventioneller Erzählweisen zu Laien-Philolog*innen mache, wobei Gelker die Rekonstruktion der Erzählung klar auch als Konstruktion ausweist. Durch die Arbeit von Expert*innen werde die Narration des Spiels einer breiteren Spieler*innenschaft zugänglich gemacht, durch die ‚Heilung‘ des Textes (emendatio) aber auch – so die Pointe des Aufsatzes – ihr avantgardistischer Ansatz zerstört.

Als Ausblick hätte ich mir zu guter Letzt noch einen Beitrag zu jenen Spielen gewünscht, die nicht ‚soulsborn(e)‘, sondern ‚nur‘ ‚soulslike‘ sind, wie z.B. Lords of the Fallen (2014) oder Hollow Knight (2017). Denn das stärkste Argument für die Relevanz von Dark Souls scheint mir zu sein, dass das Spiel, selbst noch als ‚Metroidvanialike‘ (ein Kompositum aus Metroid (1986–2021) und Castlevania (1986–2021) ) gehandelt, wie im Beitrag von Michael Hebel, Guido Kühn und Sebastian de Andrade nachzulesen (S. 61; 64), ein ganzes neues Genre hervorgebracht hat. Der Erfolg der Reihe hat also in großem Maßstab produktive Rezeption inspiriert – auf Spieler*innnenseite, wie im Band an diversen Stellen zu lesen, aber eben auch auf Entwickler*innenseite.

Dies stellt jedoch eher ein Desiderat als eine Kritik an der Konzeption des Sammelbands dar und bestätigt im Grunde die Relevanz des Buches für die Computerspielforschung. Ausgehend von der Beschreibung der Soulsborne-Spiele durch die Autor*innen kann in den kommenden Jahren nicht nur die Arbeit des Studios FromSoftware und seines Präsidenten Hidetaka Miyazakis, sondern die Entwicklung eines neuen Genres (wenn das denn der geeignetste Begriff ist) mitverfolgt werden.

Mögliche Fragestellungen wären hier etwa: Welche Charakteristika der Soulsborne-Spiele werden weitergetragen und warum? Wo fangen die Soulslikes an, sich vom ‚Original‘ zu emanzipieren? Welche Aspekte finden möglicherweise Eingang in Spiele mit ganz anderem Schwerpunkt und welche Funktion erfüllen sie dort? Für solche und weitere Überlegungen bietet Prepare to Die einen guten Ausgangspunkt, weswegen ich davon ausgehe, dass sich der Band nicht so schnell überleben wird.

 

Quellenverzeichnis

Computerspiele

Deck 13: LORDS OF THE FALLEN. City Interactive. 2014.

FromSoftware: DEMON’S SOULS. Bandai Namco Games. 2010.

—: DARK SOULS. Bandai Namco Games. 2011.

—: DARK SOULS 2. Bandai Namco Games. 2014.

—: BLOODBORNE. Sony Computer Entertainment. 2015.

—: DARK SOULS 3. FromSoftware; Bandai Namco Entertainment. 2016.

—: SEKIRO. Shadows Die Twice. Activision. 2019.

—: ELDEN RING. FromSoftware; Bandai Namco Entertainment; Bandai Namco Games. 2022.

Team Cherry: HOLLOW KNIGHT. Team Cherry. 2017.

Valve: PORTAL. Valve; Electronic Arts. 2007.

—: PORTAL 2. Valve; Electronic Arts. 2011.

Sekundärliteratur

Hensel, Thomas/Neitzel, Britta/Nohr, Rolf (Hg.): "The cake is a lie!". Polyperspektivische Betrachtungen des Computerspiels am Beispiel von "Portal" (= Medien'Welten, Band 26), Münster. Lit Verlag. 2015.

Neitzel, Britta/Bopp, Matthias/Nohr, Rolf (Hg.): "See? I'm real…". Multidisziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von 'Silent Hill' (= Medien'Welten, Band 4), Münster. Lit Verlag. 2004.

Schellong, Marcel/Schlicker, Alexander/Unterhuber, Tobias (Hg.): Nach dem Kino - vor dem Spiel. Das Computerspielwerk von David Cage und die Medienkultur (= Medienwissenschaft, Band 6), Berlin. Lit Verlag. 2020.

Zurschmitten, Christof/Inderst, Rudolf/Wagner, Pascal (Hg.): Prepare to Die. Interdisziplinäre Perspektiven auf Demon’s Souls, Dark Souls und Bloodborne (= Game Studies), Glückstadt. Verlag Werner Hülsbusch. 2019.

Artikelbild

Screenshot aus FormSoftware: DARK SOULS 3. FromSoftware; Bandai Namco Entertainment. 2016.

  1. Im Fall von Dark Souls (2011) war diese Zuschreibung noch eher fragwürdig, wie im Beitrag von Michael Hebel, Guido Kühn und Sebastian de Andrade auf S. 62ff nachzulesen ist.[]
  2. Eine der wenigen Ausnahmen ist neben Prepare to Die auch:  Marcel Schellong/Alexander Schlicker/Tobias Unterhuber (Hg.): Nach dem Kino - vor dem Spiel. Das Computerspielwerk von David Cage und die Medienkultur (= Medienwissenschaft, Band 6), Berlin. Lit Verlag. 2020.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Ascher, Franziska: "Rezension: Prepare to Die". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 17.03.2022, https://paidia.de/rezension-prepare-to-die/. [16.04.2024 - 13:09]

Autor*innen:

Franziska Ascher

Dr. Franziska Ascher studierte von 2008 – 2014 Sprache und Literatur des Mittelalters, Neuere Deutsche Literatur sowie Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und promovierte 2020 in der Germanistischen Mediävistik bei Prof. Dr. Michael Waltenberger zum Thema „Erzählen im Imperativ – Zur strukturellen Agonalität von Rollenspielen und mittelhochdeutschen Epen“. Seit 2021 ist sie Mitherausgeberin von PAIDIA und Post-Doc in der Germanistischen Mediävistik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Dissertation: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5811-8/erzaehlen-im-imperativ/?c=310000018&number=978-3-8394-5811-2