Rezension: Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen

16. Februar 2024

Boch, Lukas; Falke, Anna Klara; Püttmann, Yvonne; Steinbach, Sebastian (Hg.): Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer. 2023. 257 S. 67 farb. Abb. Paperback. 28 EUR (D). ISBN: 978-3-17-042666-5 (Print); 78-3-17-042667-2 (ePDF; 24,99 EUR).

 

Wer dem Alltagsstress entkommen möchte, kann per Mausklick als Mönch in sein selbst gebautes mittelalterliches Kloster eintreten, Felder bewirtschaften, Bier brauen, sich dem Wort Gottes widmen und seinen Tagesablauf ganz nach dem Lebensmotto ora et labora gestalten. Dies verspricht zumindest die Beschreibung des Computerspiels Monastery Builder, das derzeit entwickelt wird. Es ist keinesfalls überraschend, dass eine solche Simulation verschiedene Aspekte der Klosterkultur thematisieren möchte, sondern Konsequenz der in der zeitgenössischen Popkultur vorherrschenden Konstruktionen des Mittelalters (Mediävalismen). Dabei scheint das bestimmende Bild von Klöstern maßgeblich von Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ beeinflusst zu sein und sich nahtlos in die Wahrnehmung eines barbarisch dunklen oder romantisiert verklärten Mittelalters einzufügen, das als religiöses Zeitalter eine Kontrastfolie zur aufgeklärten Neuzeit darstellt.1

Entlang von 15 Beiträgen, die sowohl von Theoretiker:innen als auch Praktiker:innen stammen, befasst sich der vorliegende Sammelband mit den in analogen und digitalen Spielen transportierten Vorstellungen einer als hauptsächlich mittelalterlich wahrgenommenen Klosterkultur. Der Band ist aus der vom 28.09–20.11.2022 im Museum der Abtei Liesborn gezeigten Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht. Kriegerische Nonnen, trinkfeste Brüder und geheimnisvolle Klöster im Spiel“2 hervorgegangen und in vier thematische Abschnitte gegliedert, an denen sich auch diese Rezension orientiert. Obwohl der klare Schwerpunkt des Bandes auf analogen Spielen liegt, wird auch dem digitalen Spiel ein ganzer Abschnitt eingeräumt. Überdies verschwimmen die Grenzen zwischen analogem und digitalem Spiel im Zuge der Medienkonvergenz immer mehr, sodass etwa auch die Abschnitte zu „Das Schwarze Auge (DSA)“, „Dungeons and Dragons (D&D)“ oder „Magic – The Gathering (MTG)“ für die Computerspielforschung interessant sein können.

Theorie: Games und (Kirchen-)Geschichtskulturen

Anstelle einer Einleitung stecken die ersten vier Beiträge die jüngere Forschungslandschaft der ‚(Kirchen-)Geschichtskultur‘ aus einer museums- und religionsdidaktischen Perspektive ab. Norbert Köster befasst sich mit der Frage, wie Klostermuseen im Sinne des shared heritage die Erfahrung der (einst) gelebten Klosterkultur als spezifische Form von Reenactment gestalten können. Dabei betont er, dass Brettspiele zwar ähnliche Themen behandeln, wie sie auch in Ausstellungen aufgegriffen werden, es aber darüber hinaus schaffen, eine Verbindung zum Lebensalltag der Spieler:innen herzustellen, indem sie nicht das historische Klosterleben vermitteln, sondern kulturell relevante Aspekte wie den Wissenserwerb (Bibliotheken), den Lebensgenuss (Bierbrauen & Brotbacken) oder die Erfahrung übernatürlicher Mächte (Reliquien oder Glaubenspunkte) ins Kloster projizieren (S. 16). Dies könne auch in Museen gelingen, wenn diese nicht bloß wertvolle Prachtobjekte zur Schau stellten, sondern die Klosterkultur in Spielräumen für die Besucher:innen lebensnah erfahrbar machen würden (S. 23f.). Damit skizziert Köster die notwendigen ersten Schritte, um existentielle Lebensfragen in Klostermuseen zu thematisieren, ohne aber konkrete Gestaltungsmöglichkeiten der Spielräume darzubieten.

Die in einer Einleitung zu erwartende Systematisierung des strukturierenden Themenkomplexes der „Games und (Kirchen-)Geschichtskulturen“ erfolgt im Beitrag von Lukas Boch. Dieser klassifiziert Spiele als kulturelle Artefakte, die Aufschluss darüber geben, wie theologische Fragestellungen und die kirchliche Vergangenheit abseits des Kirchenraumes und wissenschaftlichen Diskurses durch ihr historisiertes Setting und Narrativ wahrgenommen und von Spieler:innen ausgehandelt werden (S. 28). Dafür bietet er den Leser:innen einen sechs Punkte umfassenden Fragenkatalog an, mithilfe dessen Spiele im Hinblick auf die in ihnen thematisierte Klosterkultur untersucht werden können (S. 35f.). Bochs profunde kirchengeschichtskulturelle Einordnung von Spielen darf als insgeheime Einleitung des Sammelbandes betitelt werden, bei der ich lediglich die Auseinandersetzung mit dem Artefaktbegriff3, seiner transportierten epistemologischen Position und grundsätzlichen Brauchbarkeit für die Material Culture vermisse.

Anna Klara Falke liefert einen Erfahrungsbericht, wie analoge Spiele in Ausstellungen einbezogen werden können, um Meistererzählungen zu dekonstruieren und die kritische Medienkompetenz der Betrachter:innen zu fördern. Dafür muss das Spiel so präsentiert werden, dass einerseits seine Kernaussage vermittelt und andererseits das dynamische Geschehen des Ausstellungsraums eingefangen wird, wofür auf kritische Spielkommentare oder gar Spielrunden zurückgegriffen werden sollte (S. 43f.). Für die oben genannte Ausstellung erwies sich neben der Präsentation von ausgewählten Spielsituationen besonders die Gegenüberstellung der Spiele als ertragreich, um u.a. zu verdeutlichen, dass das Bild des korpulenten, freundlichen Mönchs gängig ist, wohingegen Nonnen deutlich seltener und wenn überhaupt als Heilerin oder leicht bekleidete Kriegerin vorkommen (S. 45f.). Für die Ausstellung „Turmbau von Babel“ im Bibelmuseum der Universität Münster aus dem Jahr 2020 hat es sich dagegen angeboten, die visuelle und haptische Referenzebene sowie Authentizitätsmarker und den Spielmechanismus von 7 Wonders Babel (2014) zu erörtern, um Synergien zwischen verschiedenen Exponaten der Popkultur herzustellen (S. 48f.). Falkes Verdienst liegt in der Erstellung eines leicht verständlichen, praxisbezogenen Leitfadens für Museumspädagog:innen.

Im letzten Beitrag der ersten Sektion stellt Yvonne Püttmann heraus, dass sich der Einsatz von Serious Games für die religiöse Bildungsarbeit anbietet, da sie den Spieler:innen einen ästhetischen Zugang zur Glaubenspraxis ermöglichen und vom Lehrplan abweichendes Sachwissen kontrovers aufgreifen können (S. 62f.). Ihr ist zuzustimmen, dass das besondere didaktische Potential von Spielen in der Veranschaulichung komplexer Zusammenhänge wie der Leitung einer christlichen Gemeinde in Dynamis. Das Spiel um Gott und lebendige Gemeinde (2019) liegt (S. 66), wobei der Erfolg des spielerischen Lernens meines Erachtens maßgeblich von der Kontextualisierung und Reflexion abhängt. Denn realitätsferne Spielziele wie von Monoholy (2020), in dem darum gewetteifert wird, wer zuerst sein/ihr gesamtes Spielgeld gespendet hat, werden kaum ohne eine Erklärung der verwendeten Bibelzitate und notwendige Relativierung des Spendenakts zur religiösen Mündigkeit führen.

Brettspiele

Der zweite Abschnitt befasst sich mit Brettspielen. In einem zweiten Beitrag schlägt Boch ein anwendungsorientiertes Analyseraster für Brettspiele vor, dem die drei sich gegenseitig bedingenden Sphären Setting (Wahrnehmung), Material (physische Bestandteile) und Regelwerk (System & Mechanismus) zugrunde liegen, die jeweils eine sprachliche, ästhetische und ludische Referenzebene aufweisen (S. 73f.). Die Nützlichkeit dieses sinnvollen Ansatzes zeigt sich in dem exemplarisch für The King’s Abbey (2016) analysierten Geschichtsbild: Dieses vermischt auf der ästhetischen Referenzebene Elemente eines finsteren mit denen eines romantisierten Mittelalters, wobei diese Atmosphäre insbesondere über fotorealistisches Material, lateinische Gebäudenamen sowie das über die ludische Referenzebene vermittelte Standesdenken erzeugt wird (S. 76–86).

Darauf folgt ein von Boch und Miriam Görtz geführtes Interview mit dem Spieleautor Uwe Rosenberg über den Entwicklungsprozess des Wirtschaftsspiels Ora et Labora (2011). Interessanterweise war der Besuch einer Ausstellung über zisterziensische Wirtschaftsformen im Klostermuseum Walkenried ausschlaggebend für die Spielidee, auch wenn sich die weitere Recherche nicht auf wissenschaftliche Literatur stützte, sondern sich in der Bestimmung von Klosterräumen und ihren lateinischen Bezeichnungen erschöpfte (S. 91, 95).

Abschließend geht Björn Reich in seinem kursorischen Überblick der Spielkultur in vormodernen Klöstern nach, bei denen es sich, entgegen gängiger Vorstellungen, um Produktionsstätten handelte, in denen auch Lernspiele zur monastischen Unterweisung erfunden und allegorisch gedeutet wurden (S. 97–101). Bilder von Geistlichen wurden im historischen Spielemedium, mit der Ausnahme des Bischofs im Lewis-Schachspiel, erst mit der Erfindung von Spielkarten wie dem Ambraser Hofämterspiel von 1450/1455 popularisiert und im Zuge der Papierherstellung und des Buchdrucks massenhaft vervielfältigt (S. 102). Obwohl die protestantische Seite während der Reformationszeit Kartenblätter mit spielsüchtigen Mönchen und Nonnen entwarf, um dem traditionellen monastischen Leben der katholischen Kirche Scheinheiligkeit vorzuwerfen, blieben Spiele trotz aller vehement geführter Kritik bis zur Säkularisation Bestandteil des Klosteralltags (S. 104). Gerade die Fokussierung auf historische Spiele ist eine gelungene Abwechslung und eröffnet einen sonst eher nebensächlichen Blickwinkel auf vormoderne Klöster.

Tabletops, Sammelkartenspiele und Pen-and-Paper Rollenspiele

Die dritte Sektion thematisiert verschiedene Genres analoger Spiele. Den Auftakt macht Jonas Renz umfassender Überblick zum Mönchtum in den Pen-and-Paper-Rollenspielen Das schwarze Auge (DSA) (2015 [5. Edition, 2. Aufl.]), Cthulhu – Schwerter gegen den Mythos (2021) und Fata Mundi. Die Schicksale der Welt – Geschichten aus der Geschichte (2022). Dieser stellt heraus, dass die in den „high fantasy“ bzw. horrororientierten-Regelwerken DSA/Cthulhu nachweisbaren differenzierten, teils auf historischen Vorbildern beruhenden, monastischen Elemente sich zwangsläufig verschiedener Stereotype bedienen. Dies stützt sich darauf, dass neben der temporalen Abstraktion auch eine auf der Ebene der Hintergrundgeschichten erfolgt, die fantastische Kulturen oder eine überirdische Bedrohung glaubhaft machen müssen (S. 118–127). Im Gegensatz dazu weisen die historisch verorteten Kampagnen von Fata Mundi nur eine temporale Abstraktionsebene auf, was in einer Simulation des Aufeinandertreffens frühchristlicher Missionare und einheimischer Kelten zur Reproduktion des Forschungsstandes führte, der Konflikte nicht mit religiösen Differenzen, sondern der politischen Expansion begründet (S. 131). Als einleuchtendes Ergebnis ist festzuhalten, dass die Häufigkeit von Topoi mit der Anzahl der in den Regelwerken verwendeten Abstraktionsebenen korreliert (S. 132).

Michael Blume stellt die Mythenentwicklung des Jediordens in der Space-Opera Star Wars dem Kontinent Faerun und der Dunkelelfen-Saga um Drizzt Do’Urden in Dungeons and Dragons: Vergessene Reiche Kampagnenset Faerun (D&D) (2003) gegenüber. Dabei hält er fest, dass die frühen Star Wars Filme dem von Joseph Campbell beschriebenen Monomythos entsprechen, wohingegen die Heldenreisen in D&D linear aufgebaut sind und ihren Fokus weniger auf einen zentralen Helden als auf die Spielwelt legen. Mönche und Nonnen in Faerun wurden zwar wie die Jedi aus der christlichen Mythenwelt in fernöstliche Traditionen entrückt, stehen aber nicht im Zentrum eines Gut-Böse-Dualismus, der den Star Wars-Charakteren seit dem Franchiseverkauf an Disney und der Pseudobiologisierung der ‚Macht‘ zugrunde liegt (S. 140–144). Fraglich ist, ob sich die Deutung der Jedi als zölibatärer Mönchsorden (S. 140) infolge der Veröffentlichung von Star Wars: Die Hohe Republik (Phase 1: Light of the Jedi 2021–2022) und der dort erfolgten Rehabilitation ihrer Sexualität aufrechterhalten lässt.4

Eugen Pfister und Tobias Winnerling eruieren die historischen Ideen, die den Mönchen und Klöstern in Magic – The Gathering (MTG) (1993–2024) zugrunde liegen. Mit der Ausrichtung auf den japanischen Absatzmarkt ist eine Verlagerung des kulturellen Schwerpunkts weg von einer christlich-mittelalterlichen hin zu einer fernöstlich-frühneuzeitlichen Klosterkultur nachweisbar, die ein Gefühl von Japanizität vermittelt (S. 152–156). Auch wenn Bezüge zu realweltlichen und populärkulturellen Vorbildern bestehen, vermischen die Karten diverse religiöse Strömungen Asiens und bedienen sich dabei einer orientalisierten Darstellung des exotischen Mönches, der nicht durch sein Weltbild, sondern ihm attestierter Attribute charakterisiert wird (S. 162f.). Die sinnvolle Vorgehensweise der Verfasser einen Themenblock chronologisch unter Berücksichtigung von Lore, Flavour-Texten, Spielmechanismen und historischen Versatzstücken bzw. Anachronismen aufzuarbeiten, bietet fruchtbare Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen.

Jens Reiffersberger bietet einen detailgenauen und zugleich umfangreichen Überblick über die Rolle der Glaubenskrieger und Glaubensakte im Tabletop Saga – Ära der Kreuzzüge (2015 [1. Edition], 2018 [2. Edition]) (S. 166–181). Auch wenn der Beitrag auf einer deskriptiven Ebene verbleibt, kann dieser aufgrund der minutiösen Beschreibung und Analyse des Verfassers, schon fast als ‚Nachschlagewerk‘ zu dem behandelten Spielaspekt bezeichnet werden.

Im abschließenden Werkstattbericht protokolliert das Hobbykollektiv um Daniel Klages-Saxler, Tobias Hees und Jonas Alexander den Entwicklungsprozess ihres Dioramas Dies Irae 795. Dieses rückt, die in Tabletop-Systemen eher als Randerscheinung vorkommenden, Mönche und Nonnen in den Mittelpunkt und versucht, einen Wikingerüberfall auf ein frühmittelalterliches irisches Kloster möglichst historisch akkurat zu visualisieren (S. 183–194). Auch dieser Beitrag verbleibt auf einer deskriptiven Ebene, wobei es löblich ist, der hobbymäßigen Auseinandersetzung mit Spielen Platz in einem wissenschaftlichen Band einzuräumen.

Digitale Spiele

Der vierte Abschnitt zu digitalen Spielen ist vermutlich für viele Paidia-Leser:innen am relevantesten, weswegen diesem Teil etwas mehr Raum in der Rezension gegeben wird. Nicole Hanisch befasst sich mit der Simulation des Klosterlebens im Rollenspiel bzw. Action-Adventure La Abadía del Crimen (1987) sowie dem Point-and-Click-Adventure The Abbey (2008) und ihrer Umsetzung der Roman- bzw. Filmvorlage „Der Name der Rose“. Das Setting beider Spiele orientiert sich zwar an dem Klosterplan, der dem Roman beigefügt ist, bildet aber nur die für die Story relevanten Gebäude und Räume ab, zumal die Interaktion mit dem ummauerten Klosterareal in The Abbey durch die Schnellreisefunktion geringgehalten werden kann (S. 199–202). Die Mönchsrollen sind in ihrem Charakterdesign stereotyp und vor allem durch ihren Habit sowie äußerliche Körpermerkmale unterscheidbar. Im Gegensatz dazu waren die Möglichkeiten des verpixelten Charakterdesigns in dem für den ZX-Spectrum entwickelten La Abadía del Crimen begrenzt: der Mönch wird durch seine Tonsur und Gewandung als Geistlicher identifiziert (S. 205). Überraschenderweise weist aber das ältere Spiel eine höhere erzählerische Tiefe auf als The Abbey, da es zentrale Aspekte des Klosterlebens in den Spielmechanismus integriert: Der Spielverlauf erstreckt sich auf sieben zeitlich untergliederte Tage, die sich an den acht täglichen Horen des Stundengebets orientieren. Zudem wurde mit dem Gehorsamkeitsbarometer eine losing condition eingebaut: Wer sich nicht der Regel des heiligen Benedikts fügt, wird aus dem Kloster ausgeschlossen (S. 199, 203). Mit der gelungenen Gegenüberstellung der differenzierenden Rezeptionsmechanismen lädt der Beitrag dazu ein, sich selbst als William von Baskerville zu versuchen und das digitale Pendant zu Ecos Benediktinerabtei im ligurischen Apennin (un-)sicher zu machen.

Aurelia Brandenburg widmet sich aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive dem Spannungsfeld der geistlichen Frau im digitalen Spiel, deren normabweichendes Verhalten als Gefahr der wiederherzustellenden patriarchalischen Struktur gedeutet wird (S. 211). Die Figur der Nonne wird dabei maßgeblich über die Erkennungsmerkmale Disziplin, Glauben, Keuschheit und Passivität charakterisiert und als Gegenstück zum Ritter, welcher das Sinnbild der Maskulinität darstellt, gestaltet. Hitman: Absolution (2012) setzt stark sexualisierte und fetischisierte Nonnen als Attentäterinnen in Szene (S. 212). Die Dragon Age-Reihe (Dragon Age: Origins 2009; Dragon Age II 2011; Dragon Age: Inquisition 2015) zeichnet sich dagegen durch die Inversion der mittelalterlichen Universalkirche aus, die weiblich dominiert ist und von einer ‚Divine‘ geleitet wird. Geistliche Frauen werden als bedrohlich und häretisch – aber immerhin moralisch wandelbar – dargestellt; passive Charaktere erscheinen in der Regel moralisch positiv  (S. 213–217). Abschließend wird an der Nonne Fulke aus Assassin`s Creed: Valhalla (2020) aufgezeigt, dass die Devianz von stereotypischen weiblichen Attributen eine Grenzüberschreitung und Bedrohung der patriarchalen Logik darstelle; ganz im Unterschied zu positiv wahrgenommenen devianten männlichen Charakteren (S. 217–222). Die Verfasserin legt überzeugend dar, dass geistliche Frauen in digitalen Spielen meist innerhalb des Spannungsfelds von Unverfügbarkeit, Fürsorge und Klausur entweder als heilig überhöhte Norm oder antagonistisches Zerrbild konstruiert werden (S. 228).

Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag von Peter Färberböck, der den moralischen Zusammenhang zwischen der normierenden Instanz der Religion und der als deviant bewerteten Magie nachgeht (S. 232). Zur Überprüfung seiner These werden drei kurze Fallstudien präsentiert. In A Plague Tale: Innocence (2019) fungiert die antagonistische Inquisition als moralisch wertende Instanz, welche die Magieausübung ihrem Großinquisitor Vitalis vorbehalten will. Auch wenn die Kirche seine bösen Machenschaften nicht stoppt, stempelt sie zumindest die schwarze Magie als nicht gottgewollt ab (S. 236–238). Divinity: Original Sin II (2017) verbindet Religion und Magie untrennbar miteinander: Die „Macht der Quelle“, mithilfe derer Zauber gewirkt werden können, wird vom heiligen Orden als göttliches Prärogativ verstanden, was zur Verfolgung von machtbegabten Humanoiden führt. Jedoch sind es nicht die Götter selbst, sondern Spieler:innen und die religiöse Instanz, welche über die Normalität von Magie im Spielverlauf entscheiden (S. 238–240). Zuletzt werden Magie und Religion in Elden Ring (2022) als eins wahrgenommen, wobei die neue Ordnung des Erdenbaums bestimmt, welche Magieschule rechtgläubig (die Goldene Ordnung) und welche deviant (das Haus des Mondes) ist (S. 240–242). Schlüssig hält der Verfasser fest, dass sich die drei Spiele mit Mittelalterbezug einer normgebenden Instanz bedienen, die über Normativität und Devianz entscheidet. Jedoch hätten bei der Beurteilung von Elden Ring meines Erachtens die von Spieler:innen erlernbaren Beschwörungsformeln aufgegriffen werden müssen, die keine Verbindung zum ‚Höheren Willen‘ oder der ‚Goldenen Ordnung‘ haben. Ihre Bewertung durch geistliche NPCs erweist sich nämlich für die Wahrnehmung der Devianz als äußerst aufschlussreich: Während ‚Bruder Corhyn‘ diese als Häresie betitelt, betont die ‚Papstschildkröte‘ ‚Miriel Pastor der Kirche der Gelübde‘, dass Häresie in dieser Welt nicht heimisch, sondern eine Erfindung sei, da alle Dinge miteinander verbunden werden könnten.5

Schlussbetrachtung

Am Ende des Buches wäre ein zusammenfassendes Resümee im Sinne der Leser:innenfreundlichkeit wünschenswert gewesen, da ihm ja zu Beginn statt einer klassischen Einleitung ein Abschnitt über die Notwendigkeit zur Erforschung von (Kirchen-)Geschichtskulturen vorangestellt wurde. Hinsichtlich der äußeren Form stechen die herausragende Qualität der Abbildungen und die einfache Erschließbarkeit über das umfangreiche Personen-, Sach- und Spieleregister hervor.

Der Sammelband punktet besonders durch überzeugende Fallstudien, leistet aber auch auf einer höheren Abstraktionsebene einen Beitrag zu den Game Studies im deutschsprachigen Raum. So zeigt er u.a., warum die in den englischsprachigen Game Studies viel selbstverständlichere Anwendung des ‚Games‘-Begriffes auf analoge Spiele auch im deutschsprachigen Raum notwendig ist, um dem Untersuchungsgegenstand ‚Spiel‘ gerecht werden zu können: So sei etwa die Darstellung (kirchen-)historischer Themen in analogen und digitalen Spielen gar nicht so verschieden, wie man vielleicht meinen könnte. Zwar gäbe es Unterschiede, die durch die spezifische Medialität bedingt seien,6 aber letztlich würden die Gemeinsamkeiten überwiegen, z.B. dass Klöster medienübergreifend als geheimnisvolle Orte arkanen Wissens dargestellt werden.

Die Beiträge stellen jedoch auch eine Empfehlung an die geschichtswissenschaftliche Forschung dar und legen nahe, dass sich diese in Zukunft stärker medienwissenschaftlichen Fragestellungen und den modernen Zugängen zur Vergangenheit im Spielemedium öffnen sollte.7

 

  1. Vgl. Stephanie-Christina Kaiser, „Die Abtei des Verbrechens“ als Lehrbuch über das Mittelalter? Die Darstellung des Mittelalters in Umberto Ecos „der Name der Rose“, in: Alles heldenhaft, grausam und schmutzig? Mittelalterrezeption in der Populärkultur, hg. von Christian Rohr (Austria. Forschung und Wissenschaft. Geschichte 7), Wien 2011, S. 27–38. Ders., Das Mittelalter als Spiel und Parallelwelt. Annäherungen und Klischeebildung in der modernen Populärkultur, in: Vom finsteren zum bunten Mittelalter, hg. von Volker Gallé, Worms 2017, S. 15–34.[]
  2. https://bghistorian.hypotheses.org/ausstellung-moench-aergere-dich-nicht-kriegerische-nonnen-trinkfeste-brueder-und-geheimnisvolle-kloester-im-spiel-im-museum-abtei-liesborn-vom-28-august-bis-zum-20-november-2022.[]
  3. Vgl. Christina Tsouparopoulou/Thomas Meier, Artefakt, in: Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken, hg. von Dems./Michael R. Ott/Rebecca Sauer (Materiale Textkulturen 1), Berlin u.a. 2015, S. 47–62.[]
  4. Siehe https://epicstream.com/article/star-wars-finally-clarifies-that-jedi-are-allowed-to-have-sex (27.12.2023). Ferner: https://screenrant.com/is-obi-wan-kenobi-bisexual-lgbtq/.[]
  5. Siehe https://eldenring.fandom.com/wiki/Brother_Corhyn?so=search; https://eldenring.fandom.com/wiki/Miriel,_Pastor_of_Vows?so=search.[]
  6. Vgl. Adam Chapman, Privileging Form over Content. Analysing Historical Videogames, in: Journal of Digital Humanities 1/2 (2012), abgerufen unter: http://journalofdigitalhumanities.org/1-2/privileging-form-over-content-by-adam-chapman/.[]
  7. Vgl. Jeremiah McCall, Playing with the Past. History and Videogames (and why it might matter), in: Journal of Geek Studies 6 (2019), S. 29–48; Eugen Pfister, Why History in Digital Games Matters. Historical Authenticity as a Language for Ideological Myths, abgerufen unter: https://gespielt.hypotheses.org/5904. Der Appel von Hans-Werner Goetz, Dossier zur Situation der Mediävistik in Deutschland, in: Das Mittelalter 12 (2007), S. 161–179, hier S. 179, dass sich die Mittelalterforschung der Populärkultur nähern solle, um der stetigen Entfremdung von Fachwissenschaft, Praktikern und Öffentlichkeit entgegenzuwirken, ist aktueller denn je.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Floßdorf, Ulf: "Rezension: Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen. Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 16.02.2024, https://paidia.de/rezension-von-bierbrauenden-moenchen-und-kriegerischen-nonnen/. [27.04.2024 - 07:21]

Autor*innen:

Ulf Floßdorf

Ulf Floßdorf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Rheinisches Urkundenbuch digital - Werden" an der Universität Bonn und promoviert zur "Repräsentation und Legitimation reichsfürstlicher Herrschaft auf Münzen und Siegeln der Erzbischöfe von Köln und Magdeburg (im Vergleich zu ihren Suffraganen) sowie der Äbtissinnen von Essen, Gandersheim und Quedlinburg bis etwa 1250". Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die historischen Grundwissenschaften, die Kirchengeschichte und Mediävalismen in analogen und digitalen Spielen.