Was hätte wohl Adam Smith zu Anno 1602 zu sagen gehabt? Von der spielerischen Vermittlung ökonomischer Theorie

6. Juli 2023
Abstract: Der Beitrag erschließt die Diskussion zum wirtschaftlichen Gehalt der Anno-Spielereihe von Seiten der ökonomischen Theoriegeschichte. Zu diesem Zweck stellt er die Art und Weise, wie gesellschaftliche Entwicklung in Anno 1602 gedacht wird, der Fortschrittstheorie Adam Smiths gegenüber. Dabei lassen sich nicht bloß erstaunliche Parallelen feststellen lassen. Es zeigt sich auch rasch, dass der Wachstumszwang kapitalistischer Gesellschaften, den auch schon Smith beschreibt, für den*die Spieler*in in Anno 1602 direkt erfahrbar wird. Anno 1602 vermittelt deswegen nicht nur spielerisch, sondern auch anschaulich ökonomische Theorie. Schließlich kann es noch als Simulationsraum für die ökonomische Theorie Smiths interpretiert werden.

Einleitung

Im Jahr 2019 erschien Anno 1800. Für ein Aufbauspiel bzw. eine Wirtschaftssimulation hat es mit 1,7 Millionen Spieler*innen mittlerweile beeindruckende Verkaufszahlen erreicht. Darüber hinaus konnte es beim Deutschen Computerspielpreis 2020 in den Kategorien ‚Bestes Deutsches Spiel‘ und ‚Bestes Gamedesign‘ einen Doppelsieg erringen. Damit vermochte es, den Trend fortzusetzen, der die Anno-Spielreihe, welche mittlerweile aus sieben Titeln besteht, zu einem der größten Verkaufsschlager der deutschen Computerspielbranche macht. Die Erfolgsgeschichte begann dabei vor 25 Jahren mit dem im Jahr 1998 erschienen Anno 1602, das lange Zeit in Deutschland das meistverkaufte Computerspiel überhaupt war.
Computerspiele konstruieren anhand von festgelegten Prinzipien eine künstliche Welt, in der sich der*die Spieler*in gemäß vordefinierter Möglichkeiten frei bewegen kann. Diese Spielprinzipien werden häufig, freilich ohne, dass es beabsichtigt wäre oder überhaupt bewusst geschähe, aus dem wissenschaftlichen Diskurs übernommen. So bemühen sich beispielsweise die Anno-Teile unter anderem wirtschaftliche Zusammenhänge abzubilden. Dabei entlehnen sie die der Spielmechanik zugrundeliegenden, ökonomischen Gesetzmäßigkeiten den Wirtschaftswissenschaften. Die Anno-Spiele verkörpern insofern implizit ökonomisches Wissen. Im Folgenden soll es darum gehen, auf diesen in der Forschungsliteratur noch nicht ausreichend gewürdigten Umstand hinzuweisen. Über den aktuellen Forschungsstand zum ökonomischen Gehalt der Anno-Spielreihe soll hinausgeschritten werden, indem gezeigt wird, dass sich deren Lernpotenzial nicht auf den bloßen ökonomischen Kompetenzerwerb beschränkt. Die Anno-Spiele vermitteln auch spielerisch ökonomische Theorie. So ähnelt die für die Spielmechanik essentielle Modellierung gesellschaftlicher Entwicklung in erstaunlichem Maße der Fortschrittstheorie Adam Smiths, der vielen als der Begründer der Ökonomik als einer eigenständigen Wissenschaft gilt.
Zentral für die Anno-Spiele ist die Art und Weise, wie in ihnen gesellschaftliche Entwicklung gedacht wird. Konzeptualisiert wird diese durch eine Dialektik von Bedürfnissen und der Produktion der Mittel, welche für ihre Befriedigung nötig sind. Der dialektische Dreischritt lässt sich dabei wie folgt formulieren: Dem Bedürfnis als „These“ treten die zu dessen Befriedigung nötigen Produktionsmittel als „Gegenthese“ gegenüber, was schließlich neue höhere Bedürfnisse in einer „Synthese“ entstehen lässt. Die Bedürfnisse wiederum werden unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsstufen zugeordnet. Dadurch, dass ihre Bedürfnisse befriedigt werden, entwickeln sich die Einwohner einer Siedlung von einem Anfangsstadium über verschiedene Zwischenstadien bis hin zu einem Endstadium. Diese Vorstellung von gesellschaftlicher Entwicklung erinnert stark an Überlegungen Smiths.
Smith hat eine materiale Geschichtsphilosophie vorgelegt, die als Fortschrittstheorie die historische Genese der Gesellschaft über mehrere Stufen nachbildet. Unterteilt wird die Geschichte dabei von Smith anhand der Subsistenzweise. Sie dient ihm als Abgrenzungsmerkmal der Epochen. Smith erklärt den Übergang von einer Subsistenzweise zur nächsten durch das Zusammenspiel von Bedürfnisentstehung und -befriedigung. Unaufhörlich lässt dieses die gesamtgesellschaftliche Produktion ausweiten. Selbstverständlich ist die ökonomische Wachstums- und Entwicklungstheorie nicht bei der Diagnose Smiths stehen geblieben und hat mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Erklärungsansätze hervorgebracht. Smiths Gedankengänge haben aber deswegen keineswegs an Aktualität verloren. Der von ihm behauptete Zusammenhang von Bedürfnisentstehung und -befriedigung wird in dem zeitgenössischen Diskurs der Volkswirtschaftslehre – selbstverständlich wesentlich ausgefeilter – als ein möglicher Grund für einen im Kapitalismus am Werke vermuteten ‚Wachstumszwang‘ oder ‚Wachstumsimperativ‘ gehandelt.1
Die Anno-Spiele lassen sich insofern aus Sicht der ökonomischen Theoriegeschichte interpretieren.2 Zu diesem Zweck gilt es, deren wirtschaftstheoretischen Gehalt herauszuarbeiten. Exemplarisch kann dies am Beispiel von Anno 1602 geschehen, weil sich bereits dort die Idee von Entwicklung als einer Stufenfolge menschlicher Gesellschaftsformationen findet, welche für die Spielreihe charakteristisch ist. Anno 1602 soll auf diese Weise ökonomisch decodiert werden. Ziel ist es, einen Beitrag zum Verständnis darüber zu leisten, wie ökonomisches Wissen populärkulturell – in diesem Fall durch ein Computerspiel – rezipiert wird. All dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich gerade Computerspiele eignen, um ökonomische Theorien außerhalb eines klassischen Lernumfeldes spielerisch zu vermitteln. Dabei soll es aber nicht bei einer bloßen Beschreibung belassen werden. Darüber hinaus soll auch die Wirkung geschildert werden, welche die Spielmechanik auf den*die Spieler*in entfaltet und welche sich im Rahmen eines Close Playing erfahren lässt, denn Anno 1602 – so soll weiter argumentiert werden –, macht wahrnehmbar, was sich auf Grund seines systemimmanenten Charakters eigentlich nicht erleben lässt, nämlich: wie sich wohl der Wachstumszwang kapitalistischer Gesellschaften für einen Menschen anfühlen muss. So findet sich der*die Spieler*in in einem situativen Spielumfeld wieder, das sie unablässig nötigt, die Besiedlung der Inselwelt stetig voranzutreiben, wofür er*sie die volkswirtschaftliche Produktion seiner*ihrer Siedlungen unaufhörlich ausweiten muss. Das Spielen artet dabei für den*die Spieler*in im wahrsten Sinne des Wortes in Freizeitstress aus, der es ihm*ihr unmöglich macht, sich auch nur für kurze Zeit der bereits erreichten Ausdehnung seines*ihres Inselreichs zu erfreuen. Insofern lässt sich auch an Anno 1602 der Trend zur Workification beobachten, nach dem Computerspiele immer mehr zur Arbeit werden. Auf Grund dieses Spielerlebnisses kann Anno 1602 im Anschluss an Edgar Salin als ‚anschauliche‘ Darstellung einer „anschauliche[n] Theorie“3 betrachtet werden. Doch damit nicht genug: Anno 1602 kann nicht nur als besonders plastischer Rekonstruktionsversuch der ökonomischen Theorie Smiths verstanden werden, sondern bietet auch einen Simulationsraum für diese, mit dem sich argumentative Schwach- und Leerstellen identifizieren lassen.
Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt wird die Spielmechanik von Anno 1602 beschrieben. Anschließend wird in einem zweiten Schritt der aktuelle Forschungsstand zum ökonomischen Gehalt der Anno-Spielreihe zusammengefasst. Dieser wird dann in einem dritten Schritt hinter sich gelassen. Dafür soll zunächst die Fortschrittstheorie Smiths rekonstruiert werden. Sodann kann gezeigt werden, dass Anno 1602 gesellschaftliche Entwicklung ähnlich wie Smith denkt und dass der dort implementierte Wachstumszwang für den*die Spieler*in direkt erfahrbar wird. Dadurch lassen sich die der Spielmechanik zugrundliegenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht nur spielerisch, sondern auch anschaulich vermitteln. Die Ausführungen enden dann mit einigen Gedanken dazu, wie Computerspiele als Simulationsraum für Wirtschaftstheorien genutzt werden können.

Die Spielmechanik von Anno 1602

Anno 1602 führt den*die Spieler*in – nomen est omen – in das Jahr 1602 zurück. Seine*ihre Aufgabe ist es, eine bislang unbekannte Inselwelt zu entdecken und zu besiedeln. Als historisches Vorbild könnten dabei die Unternehmungen der Virginia Company gedient haben, welche als öffentliche Gesellschaft 1606 gegründet wurde, um die Besiedlung der Neuen Welt im Namen der britischen Krone voranzutreiben.
Anno 1602 kann in unterschiedlichen Modi gespielt werden. So können Szenarios mit vorgegebenen Zielen im Rahmen einer Art Kampagne oder das sogenannte ‚Endlosspiel‘ gespielt werden; letzteres stellt aber das eigentliche Herzstück von Anno 1602 dar, weswegen dessen Spielmechanik an dieser Stelle ausschließlich an ihm illustriert werden soll.
Das Endlosspiel zeichnet sich dadurch aus, dass es keine internen Siegesbedingungen kennt; es endet erst, wenn es durch den*die Spieler*in verloren oder beendet wird. Der*Die Spieler*in beweget sich dabei nicht allein durch die von ihm*ihr zu entdeckende und zu besiedelnde Inselwelt. Er*Sie befindet sich in der Gesellschaft von drei Computergegnern, den sogenannten Konkurrenten.
Ein Endlosspiel beginnt damit, dass sich vier Segelschiffe – jeweils eines für den*die Spieler*in und die Konkurrenten – an einer zentralen Stelle der Inselwelt versammelt sehen, um dann möglichst rasch mit deren Entdeckung zu beginnen. Bei den Schiffen handelt es sich um zwei kleine und zwei große Handelsschiffe. Eines der kleinen Handelsschiffe gehört dem*der Spieler*in, die übrigen den vom Computer generierten Gegnern. Da große Handelsschiffe über mehr Kanonen verfügen als kleine und der Ausbau der eigenen Flotte – sowie ihre Ausstattung mit Kanonen – erst im späteren Spielverlauf möglich ist, sieht sich der*die Spieler*in genötigt, militärische Auseinandersetzungen mit den Konkurrenten zu Beginn des Spiels tunlichst zu vermeiden. Ansonsten droht der Verlust des einzigen Schiffes, ohne das der*die Spieler*in nur noch dabei zuschauen kann, wie die Konkurrenten eine Insel nach der anderen in Besitz nehmen.
Um die Inseln zu besiedeln, müssen auf ihnen Gebäude – beginnend mit einem Kontor – gebaut werden. Hierfür bedarf es zweierlei Dinge: Geld und bestimmter Waren, den sogenannten Baumaterialien. Aus diesem Grund ist der*die Spieler*in anfänglich mit einem kleinen Grundkapital ausgestattet. Außerdem verfügt er*sie über einen begrenzten Vorrat des Bedarfsguts ‚Nahrungsmittel‘ sowie der Baumaterialien ‚Holz‘ und ‚Werkzeuge‘.
Das kleine Handelsschiff kann der*die Spieler*in nun über die Karte steuern, um die erste Insel für sich zu beanspruchen. Dabei muss er*sie abwägen, welche der Inseln ihm*ihr als Ausgangspunkt für die weitere Besiedlung besonders geeignet erscheint. Die Inseln unterscheiden sich nämlich – hauptsächlich durch zwei Merkmale, welche unterschiedlich ausgeprägt sein können. Erstens lassen sich auf ihnen verschiedene Rohstoffe anbauen. Manche Rohstoffe – wie etwa Wolle, Schlachtvieh und Korn – können auf allen Inseln angebaut werden. Viele – gerade die, welche für den weiteren Spielverlauf entscheidend sind – lassen sich jedoch auf einer Insel nur dann anbauen, sofern diese eine Eignung hierzu aufweist. Zu diesen zählen Zucker, Wein, Tabak, Gewürze, Kakao und Baumwolle. Auf jeder Insel können – in unterschiedlichen Kombinationen – drei von diesen Rohstoffen angebaut werden. Dabei ist es aber nicht so, dass sich auch alle gleich gut anbauen ließen. Während eine Insel für bestimmte Rohstoffe zu 100 % geeignet ist, kann sie es für andere bloß zu 50 % sein. Diese Eignung spiegelt wider, wie gut die Felder eines Rohstoffs auf der betreffenden Insel wachsen – oder eben auch nicht. Während bei einer Eignung von 100 % alle Felder, welche sich im Einzugsbereich einer Plantage befinden, von Dürre verschont bleiben, ist es bei einer Eignung von 50 % lediglich die Hälfte. Ist eine Insel für den Anbau eines Rohstoffs gar nicht geeignet, kann auf ihr kein Feld des jeweiligen Rohstoffs wachsen. Zweitens können auf den Inseln Erz- und Gold-Vorkommen vorhanden sein, welche durch Minen zu erschließen sind.
Hat der*die Spieler*in strategisch eine erste Insel gewählt, muss er*sie von dieser ausgehend weitere besiedeln. Ziel ist es dabei, dass sich die Siedlungen hinsichtlich der Bevölkerungszahl und der Zivilisationsstufe rasch entwickeln, weil nämlich von beiden nicht nur abhängt, welche Gebäude zur Verfügung stehen, sondern auch in welchem Maße Steuern von der Bevölkerung erhoben werden können. Die Bewohner einer Siedlung können fünf Stufen durchlaufen: Pioniere, Siedler, Bürger, Kaufleute und Aristokraten. Je erreichte Zivilisationsstufe fragen sie unterschiedliche Waren nach. Außerdem wünschen sie sich die Errichtung bestimmter, öffentlicher Bauwerke. Daraus ergibt sich folgender Zusammenhang von Bedarf und Zivilisationsstufe:

1. Pioniere haben das Grundbedürfnis nach Nahrung. Um zu Siedlern aufzusteigen, müssen sie mit Stoffen, einem Marktplatz und einer Kapelle versorgt werden.
2. Siedler haben als Grundbedürfnis Nahrung und Stoffe. Um zu Bürgern aufzusteigen, müssen sie mit zwei der folgenden Güter versorgt werden: Alkohol, Tabakwaren und Gewürze. Außerdem ist ein Wirtshaus und eine Schule zu errichten.
3. Bürger haben als Grundbedürfnis Nahrung und Stoffe. Um zu Kaufleuten aufzusteigen, müssen sie mit Alkohol, Tabakwaren und Gewürzen sowie einer Kirche und einem Badehaus versorgt werden.
4. Kaufleute steigen schließlich zu Aristokraten auf, wenn sie zusätzlich mit Kakao, Kleidung und Schmuck sowie einem Theater und einer Hochschule versorgt werden.

Die bedürfnisentsprechende Versorgung der Einwohner ist für den weiteren Spielverlauf maßgebend. Werden deren Bedürfnisse vollends befriedigt, nehmen sie zahlenmäßig zu und steigen in der Zivilisationsstufe auf. Außerdem nimmt ihre Zufriedenheit zu, was einen höheren Steuersatz ermöglicht. Werden die Grundbedürfnisse hingegen nicht befriedigt, sinkt die Zufriedenheit der Einwohner und sie beginnen die Siedlung zu verlassen. Dauert die Unzufriedenheit längere Zeit an, können sich die Einwohner sogar zu vorangegangenen Zivilisationsstufen zurückentwickeln.
Für die Errichtung von Gebäuden fallen einmalig Kosten an und es werden Baumaterialien verbraucht. Danach verursachen sie regelmäßig Betriebskosten. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Warenproduktion. Diese können nämlich zum Teil auf unterschiedliche Arten hergestellt werden, wobei die Anzahl an Gliedern in der Produktionskette variiert. Deswegen lässt sich ein und dieselbe Ware zu verschiedenen Produktionskosten herstellen. Die Produktionsketten arbeiten in der Regel mit mehreren Vorprodukten, die stets in einem festen Verhältnis miteinander kombiniert werden müssen – im ökonomischen Fachjargon würde man in Bezug hierauf von limitationalen Produktionsfunktionen sprechen.
In der Versorgung seiner*ihrer Bevölkerung wird der*die Spieler*in – wie bereits angedeutet – durch die Computergegner beeinträchtigt: Diese besiedeln schließlich auch das Inselreich. Sie sind dem*der Spieler*in zunächst neutral eingestellt. Mit ihnen können Friedens- und Handelsverträge abgeschlossen werden. Dabei befindet sich der*die Spieler*in konstant mit diesen in einer Wettbewerbssituation: Schreitet er*sie mit der Besiedlung zu langsam voran, können wichtige Inseln von den Konkurrenten zuerst in Beschlag genommen werden. Diese können dann nur kriegerisch erobert werden, was aber erst im späteren Verlauf des Spiels eine echte Option ist, weil der*die Spieler*in bis dahin militärisch hoffnungslos unterlegen ist, und sich auch dann noch recht kostspielig gestaltet. Geht der*die Spieler*in in der Besiedlung jedoch zu forsch vor, d.h. nimmt er*sie schon Inseln in Beschlag, deren Rohstoffe er*sie noch gar nicht benötigt, provoziert er*sie auf diese Weise Aggressionen seitens der Konkurrenten, denen er*sie im frühen Spielverlauf, wie bereits gesagt, nichts entgegenzusetzen hat. Mit den Konkurrenten kann er*sie aber auch Handel betreiben, um seine*ihre Bedarfe zu decken. Auf diese Weise können die Konkurrenten dem*der Spieler*in auch helfen. Handel kann darüber hinaus noch mit sogenannten freien Händlern betrieben werden, welche ebenfalls computergeneriert sind.
Für den Spielerfolg ist nun ausschlaggebend, dass der*die Spieler*in die Einnahmen- und Ausgabenseite seiner*ihrer ‚Virgina Company‘ im Auge behält: Auf der Kostenseite fallen Ausgaben für den Betrieb der Gebäude, für gekaufte Waren und für das stehende Heer an. Auf der Einnahmenseite können Steuern und Erlöse für verkaufte Waren verbucht werden. Das Steueraufkommen ist wiederum abhängig von der Zufriedenheit der Einwohner, von der Bevölkerungszahl und der erreichten Zivilisationsstufe.
Nachdem die Spielmechanik von Anno 1602 in ihren Grundzügen beschrieben wurde, soll es nun darum gehen, den aktuellen Forschungsstand zum ökonomischen Gehalt der Anno-Spielreihe zu beschreiben.

Der aktuelle Forschungsstand zum ökonomischen Gehalt der Anno-Spielreihe

Man muss nicht lange nach Belegen suchen, dass Anno 1602 wirtschaftliche Sachverhalte verarbeitet. Beispielsweise lohnt sich der Handel mit Waren mit den Konkurrenten für den*die Spieler*in vor allem deshalb, weil die Rohstoffe auf den Inseln zu unterschiedlichen Kosten angebaut werden können. Manche Inseln besitzen also einen absoluten Kostenvorteil beim Herstellen eines Gutes gegenüber den anderen – um nur ein volkswirtschaftlich relevantes Beispiel zu nennen. Insofern ist es durchaus berechtigt, zu fragen, ob dem ökonomischen Gehalt der Anno-Spielreihe schon nachgegangen wurde.
Wenn man sich daran macht, sich einen Überblick über den Forschungsstand hierzu zu verschaffen, bietet es sich zunächst an, einen Blick in die Games Studies zu werfen. Den wirtschaftlichen Aspekten von Computerspielen wird dort vermehrt Aufmerksamkeit zuteil.4 Viele Arbeiten sind dabei ideologiekritisch motiviert.5 Diesen liegt ein materialistisches Weltbild zugrunde, nach dem im Anschluss an Karl Marx und sein Basis-Überbau-Modell der Kultur eine den gesellschaftlichen Status quo präservierende Aufgabe zugedacht wird. Als Bestandteil der Populärkultur können Computerspiele dann – so zumindest in ideologiekritischen Arbeiten angenommen – eine die herrschenden Gesellschaftsstrukturen bewahrende Rolle übernehmen. Dies vermögen sie – so die Annahme weiter –, indem sie kapitalistische Praktiken „naturalisieren“, d.h. sie als Naturzustand des Menschen darstellen. Indem sie die aktuelle Gesellschaftsformation als nicht veränderbar beschreiben, lenken sie von dem Umstand ab, dass sie historisch gewachsen und damit grundsätzlich auch veränderbar sind. Computerspiele würden insofern – in dieser Schlussfolgerung gipfeln die Annahmen – falsches Bewusstsein darstellen, das es in einer Kritik – der Ideologiekritik – als solches auszuweisen gilt. Bezogen auf die Anno-Spielreihe muss allerdings festgestellt werden, dass zu diesen noch keine ideologiekritischen Arbeiten vorhanden sind. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren. Geschuldet mag dies womöglich dem Umstand sein, dass die Anno-Spiele recht offensichtlich kapitalistische Zusammenhänge verarbeiten. Aber auch andere Zugänge zum wirtschaftlichen Gehalt der Anno-Spielreihe aus der Perspektive der Games Studies fehlen bislang.6
Weitgehend losgelöst von den Games Studies entsteht gerade in der Wirtschaftspädagogik ein Diskurs zur Möglichkeit ökonomischen Kompetenzgewinns durch Computerspiele. Eine für diesen grundlegende Arbeit, welche auch die Anno-Spielreihe auszugsweise behandelt, wurde von Marco Rehm vorgelegt. Rehm fasst das, was es ihm zufolge in den Anno-Spielen über Wirtschaft zu lernen gibt, anhand mehrerer Dimensionen zusammen. Diese gewinnt er in Auseinandersetzung mit dem ‚Wirtschaftskundlichen Bildungstest‘ (WBT), um sie dann als „Analyseraster“7 zu nutzen. Sie lassen sich der folgenden Tabelle entnehmen:8

Tab. 1 Ökonomische Inhalte des WBT in den Spielen der Anno-Reihe

Fundamentalkonzepte
Knappheit natürliche Ressourcen und daher auch daraus hergestellte Waren in Lagern der Siedlung
Opportunitätskosten und „trade offs“ alternative Landnutzung
Produktivität Produktivitätssteigerung der Betriebe durch Ausbau möglich, keine Skaleneffekte außer bei Webereien
Marktwirtschaft
Institutionen und Leistungsanreize
Tausch, Geld und wechselseitige Abhängigkeit bedingt. automatisierter Handel, erst später im Spiel
 

Mikroökonomische Konzepte

Märkte und Preise Kauf von Waren bei anderen Völkern und Siedlungen, Verkauf an andere Siedlungen, kein Markt innerhalb der eigenen Siedlung
Wettbewerb und Marktstruktur Oligopolistische Marktstruktur, meist weniger als zehn Spieler auf einer Karte
Angebot und Nachfrage Nachfrage nach eigenen Produkten durch KI-Spieler
Einkommensverteilung
Marktversagen
Rolle des Staates Omnipotente Zentralverwaltung
 

Makroökonomische Konzepte

Bruttosozialprodukt
Gesamtangebot Es gibt ein Gesamtangebot an Waren („Weltmarkt“). Unklare Auswirkung auf die Preise und spätere Angebotsmengen
Gesamtnachfrage Es gibt eine Gesamtnachfrage an Waren („Weltmarkt“). Unklare Auswirkung auf die Preise und spätere Angebotsmengen
Arbeitslosigkeit
Inflation und Deflation
Geldpolitik
Fiskalpolitik Besteuerung der Wohnbevölkerung, Höhe der Steuereinnahmen abhängig von der Zivilisationsstufe, Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Bevölkerung
 

Konzepte zu internationalen Beziehungen

Absoluter und komparativer Kosten sowie Handelshemmnisse erst bei höheren Zivilisationsstufen möglich durch evtl. Unzugänglichkeit einiger Ressourcen
Zahlungsbilanz und Wechselkurse
Internationale Aspekte von Wachstum und Stabilität

Bei Rehm findet sich keine Wertung dahingehend, ob der ökonomische Gehalt der Anno-Spiele nun groß oder klein ausfällt. Auffällig ist aber, dass seine Inventur weite Teile des Analyserasters unausgefüllt lässt. Seine empirische Untersuchung darüber, ob das Spielen von Aufbau- und Managerspielen deren Spieler*innen etwas über volkswirtschaftliche Zusammenhänge lernen lässt, beschließt er darüber hinaus mit dem negativen Ergebnis, „dass sich das informelle Lernen beim Spielen zu Unterhaltungszwecken in Aufbau- und Managerspielen überwiegend auf den magic circle – also die Spielbeherrschung – beschränkt und es zu keinem nennenswerten Wissenstransfer in die reale Welt kommt.“9
Nach Rehm hat kürzlich Holger Arndt zwei den Stand des Forschungsfeldes zusammenfassende Bände zur ökonomischen Bildung in digitalen Spielen herausgebracht: einen Theorie- und einen Praxisband.10 Damit hat er einen veritablen Beitrag zur Etablierung und Verstetigung des Forschungsfeldes in der Wirtschaftspädagogik geleistet. Das ökonomische Lernpotenzial soll sich dabei anhand „wirtschaftlicher Kategorien“11 zusammenfassen lassen. Zu diesen zählt er:12

1. Bedürfnis – Nutzen,
2. Güter,
3. Effizienz, Nutzen-Kosten-Verhältnis, ökonomisches Prinzip, Rationalität, Homo oeconomicus,
4. Entscheidung – Opportunitätskosten – Risiko – Zielkonflikt – Denk- und Urteilsfelder,
5. Gerechtigkeit und
6. Externe Effekte, Arbeitsteilung, Koordination, Vernetzung und Interdependenz.

Dabei scheint er den Anno-Spielen zwar ein wirtschaftliches Lernpotenzial zuzubilligen, schließlich werden mehrere von ihm erwähnt,13 aber wohl kein allzu großes. Zum einen führt er keines der Spiele in seinem Praxisband auf, in dem Spiele mit großem ökonomischen Lernpotenzial versammelt und anhand der Kategorien vorgestellt werden. Zum anderen finden sich bei ihm auch mehrere kritische Bemerkungen zur Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge in der Spielreihe. So urteilt er beispielsweise in Bezug auf Anno 1701, dass dieses „ein sehr geringes wirtschaftliches Lernpotenzial aufweisen“14 würde, ohne dies näher zu begründen. Außerdem sei zu der Art Wirtschaftssimulation, zu der Arndt auch die Anno-Spiele zählt, allgemein kritisch anzumerken, „dass der Spieler sehr viel Mikromanagement betreibt beziehungsweise die meisten Entscheidungen zum Beispiel über Gründung bestimmter Fabriken selbst entscheidet. Dies kann zur Fehlvorstellung führen, dass Volkswirtschaften grundsätzlich durch eine starke zentrale Planung gesteuert werden.“15 Zumindest bei Anno 1602 wäre zunächst zu erörtern, ob das Spielsetting überhaupt den Anspruch erhebt, eine ‚echte‘ Volkswirtschaft abzubilden. Der*die Spieler*in leitet schließlich, das legen die historischen Anleihen nahe, ein öffentliches Unternehmen – so wie Virginia Company eines gewesen ist. Außerdem scheint Arndt im Rahmen seiner Formulierung Volkswirtschaften per se mit kapitalistischen Wirtschaftssystemen gleichzusetzen.
Es lässt sich somit zusammenfassen: Zu den ökonomischen Inhalten der Anno-Spielreihe liegen derzeit noch keine Untersuchungen aus den Games Studies vor. In dem separat zu betrachtenden Diskurs zum ökonomischen Kompetenzgewinn durch Computerspiele in der Wirtschaftspädagogik wurden hingegen bereits Teile der Anno-Spielreihe behandelt. Diesen wird dort ein gewisses Lernpotenzial im Hinblick auf wirtschaftliche Fragen zugestanden. Allerdings wird dieses für doch recht überschaubar erachtet.
Diesem Urteil soll nun aus dem Blickwinkel der ökonomischen Theoriegeschichte widersprochen werden.16 Ein solcher Zugang wird durch eine strukturelle Analogie möglich, welche sich über den Begriff des Gesetzes ergibt. Die Ökonomik hat in ihrer historischen Genese das Selbstverständnis einer den Naturwissenschaften nahestehenden Disziplin entwickelt.17 Als großes Vorbild fungierte dabei die Physik. Insofern betrachtet sie es heute als ihre Aufgabe, wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten aufzustellen. Angesichts des Umstandes, dass die Empirie unendlich komplex ist, arbeitet sie dabei mit Modellen. Im Rahmen von diesen wird die Empirie durch eine zielgerichtete Abstraktion und Aggregation vereinfacht und auf die für das Erkenntnisinteresse relevanten Aspekte reduziert, so dass Aussagensysteme gebildet werden können, in denen sich Gesetzmäßigkeiten in Form von Wenn-dann-Sätzen formulieren lassen. Wie diese Modelle aufgebaut werden, das hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt. Die ökonomische Theoriegeschichte hat es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, den Fortgang historischer Lehrmeinungen über wirtschaftliche Sachverhalte nachzuvollziehen. Dabei unterscheidet sie unterschiedliche Schulen und Epochen. Darstellungen der Geschichte des ökonomischen Denkens lassen diese häufig mit der Vorklassik beginnen. Unter sie werden all die theoretischen Reflexionen über wirtschaftliche Zusammenhänge gefasst, welche in die Zeit fallen, bevor sich die Ökonomik als eigenständige Disziplin im Kanon der Wissenschaften etabliert hatte. Abhängig von der betreffenden Darstellung umfasst diese Epoche die Wirtschaftsphilosophie der klassischen Antike, des Hellenismus und der Scholastik. Den Abschluss der Vorklassik bilden dann in der frühen Neuzeit und der Aufklärung für gewöhnlich der Merkantilismus (in Deutschland: Kameralismus) und die Physiokratie. Für die Mehrheit der theoriegeschichtlichen Darstellungen stellt aber die Klassik den eigentlichen Startpunkt der Ökonomik als unabhängige Wissenschaft dar. Als Gründungsfigur der Klassik wiederum gilt gemeinhin Smith. Der Klassik folgen die Neoklassik und der Keynesianismus. Insofern besteht eine Vielfalt ökonomischer Modelle, welche unterschiedliche Wirtschaftsgesetze postulieren.18
Gesetzmäßigkeiten spielen auch für das Computerspiel eine herausragende Rolle. Im Gegensatz zum Brettspiel, bei dem sie dem*der Spieler*in als bloße Spielregeln begegnen, die im Zweifelsfall auch gebrochen werden können, sind sie beim Computerspiel unhintergehbar. Sie sind nämlich für die Welt, in der sich der*die Spieler*in wiederfindet, konstitutiv. Ohne diese deterministischen Gesetzmäßigkeiten kann es keine Spielmechanik geben. Schon im Begriff der Spiel-‚Mechanik‘ zeigt sich auch beim Computerspiel eine auffällige Nähe zur Physik. Die über diese Gesetzmäßigkeiten konstruierte Spielwelt stellt darüber hinaus auch eine Vereinfachung der Realität dar. Der*die Computerspieler*in bewegt sich insofern – wenn man so will – in einer Modellwelt.
Das ermöglicht den Vergleich von ökonomischer Theorie und Computerspiel. Die von Aufbauspielen und Wirtschaftssimulationen unterstellten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten können deswegen dahingehend befragt werden, ob sie denn nicht ein entsprechendes Pendant in der ökonomischen Theoriegeschichte besitzen. Wird mit ihrer Hilfe das Wirtschaftsgeschehen so nachempfunden, wie es merkantilistische, physiokratische oder klassische Wirtschaftstheorien nahelegen? Oder werden sie eher neoklassischer oder gar keynesianischer Modelle entlehnt? Indem solche Fragen beantwortet werden, lassen sich Computerspiele auf das in ihnen implizit verkörperte, historische Wissen über Wirtschaftsabläufe hin untersuchen.
Dies soll nun am Beispiel von Smith illustriert werden, indem seine Fortschrittstheorie Anno 1602 gegenübergestellt wird.

Anno 1602 aus dem Blick der ökonomischen Theoriegeschichte

Adam Smiths Fortschrittstheorie19

Ideenhistorisch kam in der Aufklärung das Interesse daran auf, wie sich Gesellschaften verändern. Unterschiedliche Gründe lassen sich hierfür anführen. Einerseits legten Berichte über fremde Kulturen aus den europäischen Kolonien die Historizität und damit die Relativität menschlicher Gesellschaften nahe.20 Andererseits konnte infolge der Religionskritik der Aufklärung die Behauptung, der Aufbau der Gesellschaft sei Gott gewollt, nicht mehr überzeugen.21 All dies bildete ein Motiv dafür, das Entstehen und die Veränderung von Gesellschaften verstehen zu wollen. Dieser Aufgabe nahm sich die Geschichtsphilosophie an, welche während der Aufklärung entstand.22
Geschichtsphilosophien sind daher für das Zeitalter der Aufklärung charakteristisch. Das Besondere an der Geschichtsphilosophie von Smith ist, dass sie zu den ersten Entwürfen einer Fortschrittstheorie gehört, die in der Geschichte einen stetigen Prozess zum Besseren vonstattengehen sieht.23 Smith hat seine geschichtsphilosophischen Überlegungen sowohl in seinen Vorlesungen über Rechts- und Staatswissenschaften, die zwischen den Jahren 1761 und 1762 gehalten wurden, als auch in seinem Wohlstand der Nationen aus dem Jahr 1776 entwickelt. Unterteilt wird die Geschichte der Menschheit von ihm in verschiedene Stufen, wobei er die Subsistenzweise als Abgrenzungsmerkmal der Epochen heranzieht. So unterscheidet er auf der ersten Stufe Jäger-, auf der zweiten Hirten-, auf der dritten Bauern- und auf der vierten Handelsgesellschaften voneinander. Die vierte und letzte Stufe – das Zeitalter der Handwerker und Kaufleute – bezeichnet Smith schließlich auch als ‚kommerzielle Gesellschaft‘.
Smiths Stufentheorie der Subsistenzweisen dient aber nicht allein dem Zweck, die Geschichte in Epochen einzuteilen. Vielmehr will er mit Hilfe ihrer auch die Fortschritte der menschlichen Zivilisation erklären. So ordnet Smith jeder Subsistenzstufe ein unterschiedliches Maß an Fortschritt zu. Der Fortschritt beschränkt sich aber nicht allein auf den Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnisse und deren technische Verwertung. Mit ‚dem‘ Fortschritt (im Kollektivsingular) ist ein gesamtgesellschaftlicher Verbesserungsprozess gemeint, der alle Sphären des zwischenmenschlichen Miteinanders umfasst: von der Wirtschaftsordnung, über das Rechtssystem und die politischen Institutionen, bis hin zur Moral.
Den Ursprung für den Fortschritt sieht Smith in dem Anstieg der Arbeitsproduktivität begründet, der mit dem Übergang von einer Stufe zur nächsthöheren einhergeht. Dieser Anstieg in der Arbeitsproduktivität ermöglicht es einem Teil der Bevölkerung, sich aus der materiellen Reproduktion zurückzuziehen. In Folge des Übergangs von einer Stufe zu nächsten müssen nicht mehr alle Mitglieder einer Gesellschaft arbeiten, um diese zu ernähren. Der arbeitende Teil der Bevölkerung kann im Zuge der gestiegenen Arbeitsproduktivität den nicht arbeitenden mühelos ernähren, da nicht mehr so viel Arbeit nötig ist, um den gleichen Überschuss zu produzieren. Da nun Teile der Bevölkerung Zeit und Muße finden, um sich den Künsten und Wissenschaften zu widmen, werden Fortschritte in allen Arealen des gesellschaftlichen Lebens möglich.24
Tatsächlich geht Smith nicht nur davon aus, dass mit dem Übergang von einer Stufe zur nächsten gesamtgesellschaftlicher Fortschritt einhergeht. Vielmehr entscheidet bei ihm auch die gesellschaftliche Form der materiellen Reproduktion, d. h. die Subsistenzweise, über die restlichen Teile der Gesellschaftsordnung. Von der auf einer Stufe bereits erreichten Subsistenzweise hängt auch die Eigentumsordnung, die Regierungs- und Staatsform, das Rechtssystem sowie die Organisation des Militärs ab. Von der Wirtschaftsordnung leiten sich insofern alle übrigen Teile der Gesellschaftsordnung ab.25 Es sind die materiellen Faktoren, die Smith zufolge den ideellen vorangehen – eine Gesellschaftskonzeption, die Smith zu einem Vordenker des von Karl Marx formulierten Historischen Materialismus macht. So kann auch bei ihm von einer ökonomischen Interpretation der Geschichte gesprochen werden.
Nun stellt sich aber unweigerlich die Frage, wie Smith den Übergang von einer Stufe zur nächsten erklärt. Warum bleiben die Menschen nicht auf einer bereits erreichten Stufe stehen, sondern schreiten unentwegt voran? Warum begnügen sie sich nicht mit dem Wohlstandsniveau, das sie schon erlangt haben?
Smith erklärt die gesellschaftliche Transformation mit Hilfe einer ahistorischen Triebfeder, die er anthropologisch in dem Wesen des Menschen verankert sieht.26 Dabei handelt es sich um das Streben des Menschen danach, stets seine materiellen Lebensumstände zu verbessern.27 Dieses anthropologische Grundprinzip wird von Smith durch eine nie enden wollende Dialektik von Bedürfnisentstehung und -befriedigung konkretisiert. Am Anfang stehen bei ihm die „natürlichen Bedürfnisse“28, bei denen es sich um den Wunsch nach Nahrung, Kleidung und Obdach handelt, die der Mensch mit dem Tier gemein hat. Was den Menschen nun aber vom Tier unterscheidet, ist, dass er seine Bedürfnisse immer weiter verfeinert. Er entwickelt neben den natürlichen Bedürfnissen auch noch solche, die über das bloß Lebensnotwendige hinausgehen:29

Die Natur liefert für jedes Lebewesen alles, was ihm ohne Veredelung des ursprünglichen Erzeugnisses zu seinem Unterhalt genügt. Nahrung, Kleidung und Behausung sind die Bedürfnisse eines jeden Lebewesens, und der größte Teil der Lebewesen ist von der Natur genügend für alle Notwendigkeiten ausgerüstet, in die sie aufgrund ihrer Bedürfnisse geraten können. Einzig die delikate Konstitution des Menschen ist so beschaffen, daß nichts auf seine Wünsche zugeschnitten ist. Der Mensch hat von der Natur Vernunft und Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, Erfindungsgeist und Verbesserungsfähigkeit erhalten, die weit über das hinausgehen, was sie einem jeden anderen Lebewesen gegeben hat. Gleichzeitig aber ist er sehr viel hilfloser und bedürftiger bezüglich Unterhalt und Komfort in seinem Leben. Alle anderen Tiere finden ihre Nahrung im gewünschten Zustand und so, daß diese ihren natürlichen Gegebenheiten angepaßt sind; und sie brauchen wenig andere Dinge. – Aber der Mensch, von zarter Bauart und schwächlicherer Konstitution, trifft auf nichts, was seinem Gebrauch ohne Verbesserung und Zubereitung angepaßt wäre. Er stellt fest, daß alles Veredelung braucht. […] Der ganze Fleiß des menschlichen Lebens wird nicht darauf verwendet, die Befriedigung unserer drei elementaren Bedürfnisse Nahrung, Kleidung, und Wohnung zu erlangen, sondern um deren Annehmlichkeit gemäß der Feinheit und der Empfindlichkeit unseres Geschmackes zu erhöhen. Die Verbesserung und die Vermehrung jener Elemente, welche den hauptsächlichen Bestand unseres Bedarfs ausmachen, gibt Anlaß zu all den verschiedenen Betätigungen.30

Die menschliche Bedürfnisstruktur ist also keineswegs für alle Zeiten unabänderlich in Stein gemeißelt. Sie ist nicht von statischer Natur. Ganz im Gegenteil: Es lässt sich kein Sättigungspunkt ausmachen, ab dem die Begierden des Menschen ganz und gar gestillt wären. Kam es zur Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die der Mensch gegenwärtig verspürte, treten sogleich neue auf den Plan, die ihn unermüdlich weiter streben lassen. Durch diese Dynamisierung verselbstständigen sich die Bedürfnisse. Hierin ist der Grund dafür zu sehen, dass die Menschheit unermüdlich die Stufenleiter der Subsistenzweisen Sprosse für Sprosse weiter erklimmt.
Smith historisiert auf diese Weise auch die menschlichen Bedürfnisse. Jeder Epoche ordnet er dabei verschiedene Bedürfnisse zu, die auf der nachfolgenden Stufe neuen Platz gemacht haben, weil sie bereits gestillt wurden und insofern nicht mehr zeitgemäß sind:

Unter lebenswichtigen Gütern verstehe ich nicht nur solche, die unerläßlich zum Erhalt des Lebens sind, sondern auch Dinge, ohne die achtbaren Leuten, selbst der untersten Schicht, ein Auskommen nach den Gewohnheiten des Landes nicht zugemutet werden sollte. Ein Leinenhemd ist beispielsweise, genau genommen, nicht unbedingt zum Leben notwendig. Griechen und Römer lebten, wie ich glaube, sehr bequem und behaglich, obwohl sie Leinen noch nicht kannten. Doch heutzutage würde sich weithin in Europa jeder achtbare Tagelöhner schämen, wenn er in der Öffentlichkeit ohne Leinenhemd erscheinen müßte.31

Dieser Verfeinerung der Bedürfnisse ist es zu verdanken, dass der Mensch nicht mehr auf einer Subsistenzstufe den Prozess unterbrechen kann. Treten nämlich neben die kürzlich befriedigten Bedürfnisse immer neue, kann der gegenwärtige Stand der Mittel, die zur Bedürfnisbefriedigung vorhanden sind, nicht mehr ausreichen. Diese Vergrößerung der Bedürfnisse wiederum stimuliert den Anreiz dafür, die Mittel zu vermehren, durch die die neuen Bedürfnisse befriedigt werden können. In dieser Dialektik von Bedürfnisentstehung und -befriedigung manifestiert sich schließlich das eben erwähnte anthropologische Grundprinzip, nach dem die Menschen stets ihre materielle Lebenssituation verbessern wollen.32
Der von Smith behauptete Zusammenhang von Bedürfnisentstehung und -befriedigung wird heute – selbstverständlich in theoretisch überarbeiteter Form – als ein möglicher Erklärungsansatz für einen ‚Wachstumszwang‘ gehandelt, von dem vermutet wird, dass er für kapitalistische Gesellschaften charakteristisch sei.
Nachdem Smiths Fortschrittstheorie in ihren Grundzügen rekonstruiert wurde, kann nun dazu übergangen werden, von ihr ausgehend Anno 1602 zu interpretieren.

Anno 1602 aus Sicht von Smiths Fortschrittstheorie

Zunächst gilt es einleitend, zwei bedeutende Einschränkungen bezüglich des Erkenntnisanspruches zu machen.
Erstens soll im Folgenden nicht behauptet werden, dass die Anno-Teile als einzige Aufbauspiele bzw. Wirtschaftssimulationen gesellschaftlichen Fortschritt so abbilden, wie Smith ihn begreift. Die Anno-Reihe kann hier sicher kein Alleinstellungsmerkmal für sich behaupten. Parallelen an dieser Stelle lassen sich auch noch zu weiteren Spielen ziehen. Man denke nur etwa an Die Siedler – Aufstieg eines Königreiches aus dem Jahr 2007, wo der*die Spieler*in auch vor der Aufgabe steht, die sich entwickelnde Bedürfnisse seiner*ihrer Siedler befriedigen zu müssen. Während die Verknüpfung von Zivilisationsstufen und Bedürfnissen von Beginn an jedoch die Anno-Reihe auszeichnete, wurde sie in bei den Siedler-Spielen erst nachträglich und deutlich später eingeführt.
Zweitens soll nicht die These aufgestellt werden, dass sich die Spielentwickler*innen von Anno 1602 bewusst durch die Ideen von Smith haben leiten lassen. Ökonomische Theorien können auch unbewusst wirken, wie John Maynard Keynes einmal feststellte. So beschließt er sein Hauptwerk, die Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes aus dem Jahr 1936 bekanntlich mit Gedanken darüber, wie wirkmächtig ökonomische und philosophische Ideen werden können. Im Allgemeinen seien nämlich

die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, einflußreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes regiert. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Verrückte in hoher Stellung, die Stimmen in der Luft hören, zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Schreiberling ein paar Jahre vorher verfaßte.33

Vorstellungen von kausalen Zusammenhängen in Wirtschaftsabläufen – seien sie noch so basal – müssen irgendwann im Rahmen wirtschaftswissenschaftlicher Reflexion entwickelt worden sein. Auch wenn sich also Spielerentwickler*innen bei ihrer Arbeit nicht bewusst und intentional von einer konkreten Wirtschaftstheorie haben inspirieren lassen, ist es dennoch möglich zu fragen, ob sich die in dem Computerspiel verarbeiteten Gesetzmäßigkeiten nicht einer Wirtschaftstheorie zuordnen lassen und unter welchen historischen Umständen diese wiederum das erste Mal formuliert wurde.
Für den Vergleich mit Anno 1602 bietet sich Smith nun nicht nur einfach an, sondern er drängt sich fast schon auf, weil er zu den ersten gehörte, welche eine Fortschrittstheorie in Form einer Stufenabfolge menschlicher Gesellschaften überhaupt beschrieben, und dessen Überlegungen auf Grund seiner ideenhistorischen Stellung so wirkmächtig geworden sind, dass sie anschließend zum Gemeinplatz wurden.34 Macht man sich daran, Anno 1602 der Fortschrittstheorie Smiths gegenüberzustellen, lassen sich erstaunliche Parallelen konstatieren, wobei sich selbstverständlich auch bedeutende Unterschiede feststellen lassen.
Nicht zu übersehen, ist zunächst, dass Anno 1602 die gesellschaftliche Entwicklung anhand von Stufen konzeptualisiert, so wie es Smith auch getan hat. Den Stufen der Pioniere, Siedler, Bürger, Kaufleute und Aristokraten stehen bei Smith die der Jäger, Hirten, Bauern sowie der Handwerker und Kaufleute gegenüber. Hier kann aber auch gleich auf einen gewichtigen Unterschied hingewiesen werden: Während Smith mit seiner Stufeneinteilung anhand der Subsistenzweise einen universal- und welthistorischen Ansatz verfolgt, indem er alle geographischen und zeitlichen Räume mit Hilfe seines geschichtsphilosophischen Schemas integriert, spiegeln die Zivilisationsstufen bei Anno 1602 eher die Stratifikation einer bestehenden Gesellschaft in Form unterschiedlicher Schichten zu Beginn des 17. Jahrhunderts wider. Es ist also nicht nur so, dass die Kriterien zur Stufeneinteilung bei Anno 1602 und Smith differieren, sondern auch, dass sich der mit ihnen einhergehende, historische Geltungsanspruch unterscheidet.
Darüber hinaus bilden die Stufenfolgen in Anno 1602 und bei Smith beide einen gesellschaftlichen Fortschritt ab. So gehen bei Smith mit jeder Stufe Fortschritte in allen Sozialbereichen einher, welche sich dann zu einem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt im Kollektivsingular aggregieren lassen. In Anno 1602 fehlen zwar diese Subsysteme komplett, dennoch operiert es auch mit einer – wenngleich weniger offensichtlichen – Vorstellung von Fortschritt. So lässt sich hierfür anführen, dass die mit den Zivilisationsstufen freigespielten Gebäude, wie ‚Arzt‘, ‚Badehaus‘ und ‚Kathedrale‘, um nur ein paar Beispiele zu nennen, unterschiedliche Formen von Fortschritt – sei es nun ein medizinischer oder architektonischer – repräsentieren. Außerdem wird eine Verfeinerung der Geschmäcker beschrieben, welche sich in der Güterpyramide niederschlägt; auch dies ein Indiz für die Vorstellung einer voranschreitenden Kultivierung des Menschen.
Offensichtlich ist auch, dass Anno 1602 dem Menschen eine Bedürfnisstruktur unterstellt, welche der Anthropologie Smiths recht nahekommt. Bei Anno 1602 kommen mit jeder Zivilisationsstufe neue Bedürfnisse hinzu. Smith schreibt zwar nicht jeder Stufe je eigene Bedürfnisse zu, meint aber auch, dass sie sich im Rahmen des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses verändern.
Damit gehen eine Reihe von Implikationen einher, welche Anno 1602 und die Fortschrittstheorie von Smith ebenfalls teilen. Zunächst einmal kommt es in beiden zur Historisierung der Bedürfnisse: Die Bedürfnisse können sich mit der Zeit – sei es nun der Spielverlauf oder die Geschichte – verändern. Gleichzeitig kommt es auch zu deren Dynamisierung: Was einmal ein Luxusbedürfnis war, kann später zu einem Grundbedürfnis werden. Es wird somit von einem Gewöhnungseffekt ausgegangen. Wurden die Grundbedürfnisse erst einmal gestillt, kommen sogleich neue auf. Was ein ‚echtes‘ Grundbedürfnis und was ein ‚echtes‘ Luxusbedürfnis ist, lässt sich bei Anno 1602 erst sagen, wenn alle Stufen durchlaufen wurden. Bei Smith lässt sich das gar nicht abschließend beurteilen.
Die Einteilung der Bedürfnisse bei Anno 1602 korrespondiert darüber hinaus mit einer entsprechenden Einteilung des gesamtgesellschaftlichen Warenkorbs: So gilt es, Güter des Grundbedarfs von Luxusgütern zu unterscheiden. Diese Einteilung lässt sich auch in der gesamten ökonomischen Klassik finden, deren Begründer Smith schließlich ist. Dort ist die Einteilung der Güterrangordnung in ‚Necessities‘, ‚Convenience‘ und ‚Luxuries‘ üblich geworden.
Eine Gemeinsamkeit ist schließlich besonders augenfällig. Diese besteht darin, dass es sowohl bei Anno 1602 – man denke nur an die Aufstiegsbedingungen für die Zivilisationsstufen – und bei Smith zur Verschränkung der Bedürfnisse mit den zu ihrer Befriedigung nötigen Produktionsmittel kommt. Sobald das eine steigt, steigt sogleich das andere. Was die Gesellschaft voranbringt – gleich einem Motor im Spielverlauf bzw. in der Geschichte –, ist eine Dialektik von Bedürfnisentstehung und -befriedigung. Diese führt unentwegt zur Ausweitung der wirtschaftlichen Produktion.
Es lässt sich somit als Zwischenfazit festhalten: Mit vielen ökonomische Konzepte, die aus der Fortschrittstheorie Smiths bekannt sind, kann sich der*die Spieler*in in Anno 1602 vertraut machen; und zwar fernab von einer klassischen Lernsituation. Anno 1602 vermittelt diese insofern dem*der Spieler*in spielerisch.
Das Spannende an Anno 1602 ist nun aber, dass die systemimmanenten Zwänge, welche in einem ‚Wachstumszwang‘ kulminieren, für den*die Spieler*in direkt erlebbar werden. Diese lassen sich im Rahmen eines Close Playing erfahren. Das Close Playing als methodischer Ansatz in den Game Studies fußt auf der Annahme, dass man „sich gezielt auf das Forschungsobjekt einlassen“ sollte – d.h. auf das Computerspiel –, wofür sich Computerspielforscher*innen „auf Augenhöhe mit dem Untersuchungsgegenstand begeben und selbst spielen“ müssen.35 Folgt man diesem methodischen Aufruf und spielt Anno 1602, fällt auf, dass sich der*die Spieler*in während des Spiels in einer unaufhörlichen Wachstumsspirale gefangen sieht, die ihn*sie einfach nicht nur zur Ruhe kommen und die Wirtschaftsproduktion seines*ihres Inselreichs unaufhörlich ausweiten lässt: Sind die Bedürfnisse der Einwohner nur für eine kurze Zeit gestillt, steigen diese sogleich in der Zivilisationsstufe auf, wodurch neue Bedürfnisse zu stillen sind. Gleichzeitig besteht das Problem, das auf Grund des damit einhergehenden Bevölkerungswachstums die Produktionsanlagen für die bisherigen Bedürfnisse nicht mehr ausreichen können. Ständig ertönt eine Computerspielstimme, die den*die Spieler*in warnt – vielleicht aber auch ermahnt –, dass es an bestimmten Waren mangelt. Die für die Bedürfnisbefriedigung notwendigen Produktionsanlagen und öffentlichen Gebäude kosten aber Geld. Gerät der*die Spieler*in dadurch in die Miesen, hat er*sie einen Anreiz, die Steuereinnahmen zu erhöhen. Die Steuereinnahmen fallen jedoch umso höher aus, desto größer die erreichte Zivilisationsstufe und umso zahlreicher die Bevölkerung ist. An dieser Stelle schließt sich die Wachstumsspirale. All das schlägt sich für den*die Spieler*in in Freizeitstress nieder. Das Spielen von Anno 1602 wird so zur Arbeit.36
Um sich eine ungefähre Vorstellung von dem Gameplay zu machen, stelle man sich folgende, typische Spielsituation vor: Der*die Spieler*in stellt fest, dass er*sie ein bestimmtes Gebäude errichten möchte; sagen wir eine Kakaoplantage. Da Kakao im Spielverlauf erst recht spät benötigt wird, ist es durchaus denkbar, dass alle Inseln, auf denen Kakao angebaut werden kann, bereits von den Konkurrenten besiedelt wurden. Um in dieser Situation eine Insel zu erobern, kommt der*die Spieler*in nicht umhin, eine Flotte auszustatten und eine Armee auszuheben. Für die Schiffe werden ‚Holz‘ und ‚Stoffe‘ sowie ‚Kanonen‘ benötigt. Zur Ausbildung der Soldaten sind neben ‚Kanonen‘ auch noch ‚Musketen‘ und ‚Schwerter‘ aufzuwenden. Da der*die Spieler*in, um gut zu haushalten, in der Regel nur so viele Produktionskapazitäten vorhält, wie aktuell auch nötig sind, kann es sein, dass er*sie jetzt erst neue schaffen muss. So sind vielleicht weitere Schafsfarmen, Baumwollplantagen und Webereien für zusätzliche ‚Stoffe‘ vonnöten. Auch müssen womöglich weitere Forsthäuser gebaut werden, die ‚Holz‘ liefern, nicht nur für die Schiffe, sondern auch für die Gewinnung von Eisenerz, was in die Produktion der Waffen eingeht. Für diese sind schließlich noch eine Kanonengießerei, eine Schwertschmiede und ein Musketenbauer zu errichten. Wie sich an diesem Beispiel zeigt, kann dem Bau einer einzigen Kakaoplantage zahllose Schritte vorrausgehen. Das bleibt nicht ohne Folgen für das Gameplay: Auf Dauer wirkt das Spielen von Anno 1602 ermüdend. Hat der*die Spieler*in schließlich genug von der Managementarbeit, aus dem das Spielen eigentlich besteht, speichert er*sie das Endlosspiel und beendet es. In der Regel ist das der Fall, nachdem es wieder hieß, dass es an einer Ware mangelt.
Letztendlich steigert aber der Arbeitscharakter von Anno 1602 nur die Plastizität der durch es spielerisch vonstattengehenden Vermittlung der ökonomischen Theorie. Um diesen Aspekt im Folgenden methodisch genauer zu fassen, soll auf einen alten, kulturwissenschaftlichen Zugang aus den Wirtschaftswissenschaften zurückgegriffen werden. In ihrer Geschichte hat die Volkswirtschaftslehre – wie bereits gesagt – eine Transformation durchgemacht, bei dem sie das Selbstverständnis einer der Naturwissenschaften nahestehenden Disziplin entwickelt hat. Was heutigen Vertreter*innen der Zunft häufig gar nicht bewusst ist: Es ist noch gar nicht so lange her, dass Ökonom*innen diesem disziplinären Selbstverständnis nicht umstandslos zugestimmt hätten. Lange Konflikte wurden über die Frage ausgefochten, ob es sich bei der Ökonomik um eine Natur- oder eine Geisteswissenschaft handelt. Insofern sind theoriegeschichtlich auch eine Vielzahl kulturwissenschaftlicher Zugänge aus den Wirtschaftswissenschaften überliefert, welche heute leider in Vergessenheit geraten sind, die sich aber für die Auseinandersetzung mit Computerspielen eignen und sich deswegen wieder revitalisieren lassen. Ein solcher Zugang wurde von Edgar Salin entwickelt, der in seinen methodologischen Schriften zwischen einer rationalen Theorie und einer anschaulichen Theorie unterschied. Unter rationale Theorien wollte er solche verstanden wissen, welche auf Teilerkenntnisse aus sind, während er unter die anschaulichen Theorien solche fassen wollte, welche auf eine Gesamterkenntnis abzielen.37 Zu den anschaulichen Theoretikern lässt sich auch Smith zählen. Anno 1602 verarbeitet deswegen – so lässt sich mit Salin argumentieren – Zusammenhänge, welche sich als anschauliche Theorie verstehen lassen. Anno 1602 tut dies – um jetzt über Salin hinauszugehen – wiederum auf eine anschauliche Art und Weise. Die anschauliche Theorie Smiths kann Anno 1602 selbst plastisch vermitteln, indem es dem*der Spieler*in eine Welt vorsetzt, die sich kausal genauso verhält, dass es möglich wird, den Wachstumszwang kapitalistischer Wirtschaftssysteme hautnahe zu erleben.

Das Computerspiel als Simulationstest für die Wirtschaftstheorie

Bislang war einzig und allein die Rede davon, dass in der Spielmechanik von Anno 1602 Vorstellungen von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten verarbeitet wurden, die sich bis auf Smith zurückführen lassen, und dass diese dem*der Spieler*in dort spielerisch und anschaulich vermittelt werden. Die Richtung der Übertragung war dabei eindeutig: von der Wirtschaftstheorie zum Computerspiel.
Nun ist es aber auch so, dass sich aus Computerspielen durchaus Rückschlüsse für die Wirtschaftstheorie ziehen lassen. Indem sie eine Welt erschaffen, die sich genau so verhält, wie es die Wirtschaftstheorie behauptet, können sie als Simulationsräume dienen. Das Computerspiel wird so zum Feldexperiment für die Theorie. Auf diese Weise können argumentative Leer- und Schwachstellen identifiziert werden. Auch das lässt sich an Anno 1602 zeigen, und zwar anhand der Frage: Wann kommt eigentlich der Wachstumszwang zu seinem Ende?
Diese Frage drängt sich auf, weil Wirtschaftswachstum als übergeordnetes Ziel der Wirtschaftspolitik heute nicht mehr unangefochten ist, ganz im Gegenteil: So hat sich vor noch gar nicht so langer Zeit eine hitzig geführte Debatte an ihm entzündet. Zeitgenössische Postwachstumsdenker*innen kritisieren etwa an ihm, dass es unmöglich innerhalb von ökologischen Grenzen ablaufen könne.38
Wie sich schnell zeigt, kann Smith nicht Pate dafür gestanden haben, wie das Ende des Wachstumszwangs in Anno 1602 gedacht wird. So meinte er, dass die Kapitalakkumulation nicht unendlich vonstattengehen kann. Irgendwann hat jedes Land den „Zenit des Reichtums“39 erreicht. Das liege an zwei Gründen. Einerseits sei es so, dass mit dem Anstieg des Kapitalstocks die Konkurrenz unter den potenziellen Kreditgebern eines Investitionsprojektes steigt. Andererseits würden aber gleichzeitig im Zuge des zunehmenden Wohlstandes die Investitionsmöglichkeiten sinken. Die Profitrate beginne also zu sinken,40 weil das Angebot an Ersparnis die Nachfrage danach übersteige. Smith behauptete also – wie Marx nach ihm – ein Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate.41 Sei der Tag schließlich gekommen, an dem die Profitrate des Kapitals derart gesunken ist, dass es sich nicht mehr lohnt, zu investieren, komme die Kapitalakkumulation abrupt zu ihrem Ende.
Da es in Anno 1602 keine Profitrate gibt, kann ein stationärer Wirtschaftszustand nicht auf Grund von systeminternen Faktoren eintreten. Nur externe Faktoren wie die Knappheit von Landflächen, welche zur Bebauung zur Verfügung stehen, zeigen dem Wachstum Grenzen auf. Tatsächlich gibt es einen anderen Vertreter der ökonomischen Klassik, bei dem sich eine Passage finden lässt, die besser zu erklären vermag, wie wohl das Ende des Wachstums in Anno 1602 zu denken ist. Auch John Stuart Mill gehört – wie Smith – zu den Ökonomen*Ökonominnen der Klassik, welche vor einem stationären Zustand warnten:

Eine Welt, aus der die Einsamkeit verbannt wäre, wäre ein sehr armes Ideal. Es liegt auch nicht viel befriedigendes darin, wenn man sich die Welt so denkt, dass für die freie Tätigkeit der Natur nichts übrig bliebe, dass jeder Streifen Landes, welcher fähig ist, Nahrungsmittel für menschliche Wesen hervorzubringen, auch in Kultur genommen sei, dass jedes blumige Feld und jeder natürliche Wiesengrund beackert werde, dass alle Tiere, die sich nicht zum Nutzen des Menschen zähmen lassen, als seine Rivalen in Bezug auf Ernährung getilgt, jede Baumhecke und jeder überflüssige Baum ausgerottet werde und dass kaum ein Platz übrig sei, wo ein wilder Strauch oder eine Blume wachsen könnte, ohne sofort im Namen der vervollkommneten Landwirtschaft als Unkraut ausgerissen zu werden. Wenn die Erde jenen großen Bestandteil ihrer Lieblichkeit verlieren müsste, den sie jetzt Dingen verdankt, welche die unbegrenzte Vermehrung des Vermögens und der Bevölkerung ihr entziehen würde, lediglich zu dem Zwecke, um eine zahlreichere, nicht aber auch eine bessere und glücklichere Bevölkerung ernähren zu können, so hoffe ich von ganzem Herzen im Interesse der Nachwelt, dass man schon viel früher, als die Notwendigkeit dazu treibt, mit einem stationären Zustand sich zufrieden gibt.42

Erst wenn das letzte Fleckchen Erde auf der letzten Insel besiedelt wurde, ist Schluss mit dem Wachstum in Anno 1602.
Nun ist es so, dass die Geschichte Smith zumindest in einem Punkt widerlegen sollte: Historisch ist es zu keinem Fall der Profitrate gekommen. Anno 1602 zeigt deswegen, welche katastrophalen Auswirkungen eine ungehemmte Dialektik von Bedürfnisentstehung und -befriedigung in einer endlichen Welt entfalten kann, eine Frage mit der sich Smith nicht beschäftigte.

Schluss

Der vorliegende Aufsatz bemühte sich, einen Beitrag zur Computerspielforschung aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften zu leisten, indem er Anno 1602 untersuchte. Dabei sollte über den Forschungsstand zu den wirtschaftlichen Aspekten der Anno-Spielreihe hinausgeschritten werden, indem Anno 1602 von der ökonomischen Theoriegeschichte herkommend erschlossen wird. Dieser Zugang wird dadurch möglich, dass es die Volkswirtschaftslehre als ihre Aufgabe betrachtet, wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen, und Computerspiele notwendigerweise mit deterministischen Spielregeln – Gesetzen gewissermaßen – programmiert werden müssen. Im Hinblick auf Anno 1602 wurde dann gefragt, welches ideenhistorisches Pendant Pate für die Konzeptualisierung gesellschaftlicher Entwicklung gestanden haben könnte. Ein möglicher Pate wurde dann in Smiths Fortschrittstheorie identifiziert. Diese wird im Rahmen von Anno 1602 fernab von einem klassischen Lernumfeld spielerisch vermittelt. Bei der Behauptung, dass sich erstaunliche Parallelen zwischen Anno 1602 und Smith finden lassen, wenn es um die Frage geht, wie gesellschaftliche Entwicklung gedacht wird, wurde nicht verweilt. So wurde weiterführend argumentiert, dass sich der in der Spielmechanik von Anno 1602 implementierte Wachstumszwang in Form von Freizeitstress für den*die Spieler*in bemerkbar macht, was die Plastizität der spielerischen Vermittlung noch steigert. Deswegen lässt sich Anno 1602 mit Edgar Salin als anschauliche Darstellung einer anschaulichen Theorie verstehen. Schließlich wurde noch dafür argumentiert, dass Anno 1602 als Simulationsraum für die Wirtschaftstheorie Smiths fungieren und dabei helfen kann, argumentative Leer- und Schwachstellen zu identifizieren. So zeigt Anno 1602, dass die von Smith beschriebene Dialektik von Bedürfnisentstehung und -befriedigung – zu Ende gedacht – erst endet, wenn die Erde vollständig urbanisiert wurde. Eine Schlussfolgerung, die vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Klimakatstrophe erschrickt.
Was hätte wohl Adam Smith zu Anno 1602 zu sagen gehabt? Er wäre sicherlich begeistert darüber gewesen, wie es einem Computerspiel gelingt, seine ökonomische Theorie spielerisch und anschaulich zu vermitteln. Beim Spielen wäre er aber auf Grund des Freizeitstresses alsbald ins Schwitzen geraten.

Medienverzeichnis

Spiele

Max Design; Sunflowers: Anno 1602 (PC). Deutschland: Sunflowers 1998.
Blue Byte: Die Siedler – Aufstieg eines Königreichs. Frankreich: Ubisoft 2007.

Texte

Angehrn, E.: Geschichtsphilosophie: Eine Einführung. Basel: Schwabe 2012.
Arndt, Holger: Digitale Spiele und ökonomische Bildung – Theorieband. FAU Lehren und Lernen, Bd. 4. Erlangen: FAU University Press 2020. ‹https://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/deliver/index/docId/15482/file/Holger_Arndt_OPUS.pdf› [03.11.2022]
Arndt H.: Digitale Spiele und ökonomische Bildung – Praxisband. FAU Lehren und Lernen, Bd. 5. Erlangen: FAU University Press 2020. ‹https://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/deliver/index/docId/16877/file/Holger_Arndt_Digitale_Spiele_Praxisband_OPUS.pdf› [03.11.2022]
Baberowski, J.: Der Sinn der Geschichte von Hegel bis Foucault. München: Beck 2014.
Baumgartner, R.: Anno 2070: Jeder Weltuntergang ist ein neuer Anfang. In: Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung. 30. Juni 2012. ‹https://www.paidia.de/anno-2070-jeder-weltuntergang-ist-ein-neuer-anfang/› [03.11.2022]
Castronova, E. (2003): On Virtual Economies. In: Game Studies. Jg. 3, H. 2 (2003). ‹http://www.gamestudies.org/0302/castronova/› [03.11.2022]
Demandt, A.: Philosophie der Geschichte: Von der Antike zur Gegenwart. Köln: Böhlau 2011.
Eltis, W. A.: Adam Smith’s Theory of Economic Growth. In: Skinner, Andrew S.; Wilson, T. (Hg.): Essays on Adam Smith, Oxford: Clarendon Press 1975, S. 426-454.
Gerdes, L.; Scholz-Wäckerle, M.; Schröter, J.: Computerspiele und ökonomische Modellformen – Auf dem Weg zu transformationskritischen Medien. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Jg. 25, H. 2 (2021), S. 35-44.
Giddings, S.: Accursed Play: The Economic Imaginary of Early Game Studies. In: Games and Culture. Jg. 13, H. 7 (2018), S. 765-783.
Hollander, S.: The Economics of Adam Smith. London: Heinemann Educational Books 1973.
Holub, H.-W.: Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 1–4. Wien: Lit 2005–2010.
Holub, H.-W.: Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens, Bd. 3: Physiokraten und Klassiker. Wien: Lit 2006.
Inderst, R.: Digitale Medien und Methoden. Rudolf Inderst über Close Playing. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, ZfM Online, Open-Media-Studies-Blog, 18. Januar 2020, ‹https://zfmedienwissenschaft.de/online/open-media-studies-blog/digitale-medien-und-methoden› [03.11.2022]
Issing, O.: Geschichte der Nationalökonomie. München: Vahlen 1994.
Jackson, T.: Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, 3. Auflage. München: Oekom 2013.
Kolmer, L.: Geschichtstheorien. Paderborn: Fink 2008.
Kremser, C. E. W.: Die Historizität des Homo oeconomicus. Ein Plädoyer für die Relativität dieses Menschenbildes. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, Jg. 14, H. 2 (2013), S. 218–236.
Kremser, C. E. W.: Von Fortschritt zu Wachstum und Entwicklung. Über den ideengeschichtlichen Ursprung der ökonomischen Wachstums- und Entwicklungstheorie in der materialen Geschichtsphilosophie der französischen und schottischen Aufklärung. Marburg: Metropolis 2018.
Kremser, C. E. W.: Positive Wirtschaftsanalyse oder normativer Wirtschaftsentwurf? Adam Smiths kommerzielle Gesellschaft als wirtschaftspolitische Utopie. In: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, Jg. 67, H. 2 (2018), S. 219–245.
Kremser, C. E. W.: Ein Ende der ökonomischen Geschichte. Utopische Visionen in der Geschichte des ökonomischen Denkens. Marburg: Metropolis 2020.
Kurz, H. D.: Geschichte des ökonomischen Denkens. München: C.H. Beck 2013.
Laabs, L.: Von fleißigen Bienen und aufmüpfigen Alpakas. Aspekte der Arbeit im und am Echtzeitstrategiespiel Age of Empires II. In: Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung (2021). 21. Januar 2021. ‹https://www.paidia.de/von-fleissigen-bienen-und-aufmuepfigen-alpakas-aspekte-der-arbeit-im-und-am-echtzeitstrategiespiel-age-of-empires-ii/› [03.11.2022].
Latouche, S.: Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. München: Oekom 2015.
Lembeck, K.-H.: Geschichtsphilosophie. Freiburg: Alber 2000.
Medick, H: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Die Ursprünge der bürgerlichen Sozialtheorie als Geschichtsphilosophie und Sozialwissenschaft bei Samuel Pufendorf, John Locke und Adam Smith. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 5. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1981.
Mildenberger, C. D.: Economics and Social Conflict. Evil Actions and Evil Social Institutions in Virtual Worlds. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013.
Mildenberger, C. D.: The Constitutional Political Economy of Virtual Worlds. In: Constitutional Political Economy. Jg. 24, H. 3 (2013), S. 239-264.
Mildenberger, C. D.: Virtual World Order – The Economics and Organization of Virtual Pirates. In: Public Choice. H. 164 (2015), S. 401-421.
Mildenberger, C. D.: Das Böse aus Ökonomischer Sicht. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik. Jg. 15, H. 3 (2014), S. 435-444.
Mill, J. St.: Grundsätze der Politischen Ökonomie nebst einigen Anwendungen derselben auf die Gesellschaftswissenschaft. 3. deutsche Auflage. Leipzig: Fues s Verlag 1869 [1848].
Paech, N.: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. 9. Auflage. München: Oekom 2016.
Pfister, E.; Unterhuber, T.: „The revolution will (not) be gamified.“ – Marx und das Computerspiel. PAIDIA-Sonderausgabe. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch 2022.
Recktenwald, H. C.: Würdigung des Werkes. In: Recktenwald, H. C. (Hg.): Adam Smith – Der Wohlstand der Nationen: München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2013, S. XV-LXXIX.
Rehm, M.: Ökonomischer Kompetenzerwerb durch kommerzielle Aufbau- und Managerspiele. Dissertation Siegen (2012). ‹http://dokumentix.ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2012/680/index.html› [03.11.2022].
Rohbeck, J.: Die Fortschrittstheorie der Aufklärung. Französische und englische Geschichtsphilosophie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Frankfurt a. M.: Campus 1987.
Rohbeck, J.: Erklärende Historiographie und Teleologie in der Geschichte. In: Gabrer, J.; Thoma, H. (Hg.): Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung: Anthropologie im 18. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2004, S. 77-100.
Rohbeck, J.: Rettende Kritik der Geschichtsphilosophie. Immanuel Kant im europäischen Kontext. In: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie. Jg. 1, H. 2 (2014), S. 350-376.
Rohbeck, J.: Geschichtsphilosophie zur Einführung. Hamburg: Junius-Verlag 2015.
Richters, O.; Siemoneit, A.: Wachstumszwang – eine Übersicht. In: ZOE Discussion Papers Nr. 4 (2019). ‹https://zoe-institut.de/wp-content/uploads/2019/02/zoe-dp-richters-siemoneit-wachstumszwang.pdf› [03.11.2022].
Salin, E.: Politische Ökonomie. Geschichte der Wirtschaftspolitischen Ideen von Platon bis zur Gegenwart. 5. Auflage. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck); Zürich: Polygraphischer Verlag A.G 1967.
Samuels, W. J.; Biddle, J. E.; Davis, J. B.: A Companion to the History of Economic Thought. Hoboken: Wiley 2007.
Schaeffler, R.: Einführung in die Geschichtsphilosophie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991.
Schloßberger, M.: Geschichtsphilosophie. Berlin: Akademie-Verlag 2013.
Skidelsky, R.; Skidelsky, E.: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. München: Kunstmann 2013.
Smith, A.: Vorlesungen über Rechts- und Staatswissenschaften. Sankt Augustin: Academia 1996 [1766].
Smith, A.: Der Wohlstand der Nationen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2013 [1776].
Starbatty, J.: Klassiker des ökonomischen Denkens. München: C.H. Beck 1989.
Toth, C.; Riedschy, K.: Wie Spieler*innen die als Lebens- und Alltagssimulation getarnte Kapitalismussimulation Sims 4 revolutionieren. In: Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung. 21. Januar 2021. ‹https://www.paidia.de/wie-spielerinnen-die-als-lebens-und-alltagssimulation-getarnte-kapitalismussimulation-sims-4-revolutionieren/› [03.11.2022].
Trapp, M.: Adam Smith – Politische Philosophie und politische Ökonomie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987.
Wolloch, N.: The Idea of Historical Progress in the Transition from Enlightenment Historiography to Classical Political Economy. In: The Adam Smith Review. Bd. 9 (2016), S. 75-87.
Woodcock, J.: Marx at the Arcade. Consoles, Controllers and Class Struggle. London: Haymarket Books 2019.
Zwenger, T.: Geschichtsphilosophie. Einführung und Kritik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008.

  1. Ob sich kapitalistische Wirtschaftssysteme überhaupt durch einen Wachstumszwang auszeichnen, ist nicht unumstritten. Für einen Überblick über diese Debatte vgl. Richters; Siemoneit: Wachstumszwang – eine Übersicht. 2019.[]
  2. Zur strukturellen Analogie von Wirtschaftstheorie und Computerspiel gleich mehr.[]
  3. Salin: Politische Ökonomie. 1967, S. 181.[]
  4. Vgl. z.B. Castronova: On Virtual Economies. 2003; Giddings: Accursed Play: The Economic Imaginary of Early Game Studies. 2018; Pfister; Unterhuber: The revolution will (not) be gamified. 2022.[]
  5. Vgl. z.B. Woodcock: Marx at the Arcade. 2019; Laabs: Von fleißigen Bienen und aufmüpfigen Alpakas. 2021; Toth; Riedschy: Wie Spieler*innen Sims 4 revolutionieren. 2021.[]
  6. Was allerdings bereits Beachtung gefunden hat, ist die ästhetische Rezeption des Klimawandels in Anno 2070. Vgl. hierzu Baumgartner: Anno 2070. 2012.[]
  7. Vgl. Rehm: Ökonomischer Kompetenzerwerb durch kommerzielle Aufbau- und Managerspiele. 2012, S. 95.[]
  8. Vgl. Rehm: Ökonomischer Kompetenzerwerb durch kommerzielle Aufbau- und Managerspiele. 2012, S. 113f. Rehm untersucht hierfür Anno 1701, Anno 1404 und Anno 1503.[]
  9. Vgl. Rehm: Ökonomischer Kompetenzerwerb durch kommerzielle Aufbau- und Managerspiele. 2012, S. 175.[]
  10. Vgl. Arndt: Theorieband. 2020; Arndt: Praxisband. 2020.[]
  11. Arndt: Theorieband. 2020, S. 115.[]
  12. Vgl. Arndt: Theorieband. 2020, S. 116–144.[]
  13. Vgl. Arndt: Theorieband. 2020, S. 66; 99; 104; 156.[]
  14. Vgl. Arndt: Theorieband. 2020, S. 110.[]
  15. Vgl. Arndt: Theorieband. 2020, S. 156. Zumindest bei Anno 1602 wäre zunächst zu erörtern, ob das Spielsetting überhaupt den Anspruch erhebt, eine ‚echte‘ Volkswirtschaft abzubilden. Der*die Spieler*in leitet schließlich, das legen die historischen Anleihen nahe, ein öffentliches Unternehmen – so wie Virginia Company eines gewesen ist. Außerdem scheint Arndt im Rahmen seiner Formulierung Volkswirtschaften per se mit kapitalistischen Wirtschaftssystemen gleichzusetzen.[]
  16. Der ökonomische Gehalt von Computerspielen kann auch von anderen Teildisziplinen der Volkswirtschaftslehre her erschlossen werden. So bemühen sich beispielsweise Lena Gerdes, Manuel Scholz-Wäckerle und Jens Schröter aus Sicht der heterodoxen Ökonomik herauszuarbeiten, „wie sich ökonomische Modellformen zu bestimmten Formen von Computerspielen verhalten“, um „neuartige Perspektiven auf die mögliche Rolle von Computerspielen und Simulationen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen“ zu entwickeln (Gerdes; Scholz-Wäckerle; Schröter: Computerspiele und ökonomische Modellformen. 2021, S. 35). Es liegen auch schon erste Untersuchungen aus Sicht der Wirtschaftsethik zum ökonomisch Bösen in Computerspielen vor (vgl. Mildenberger: Economics and Social Conflict. 2013; Mildenberger: Das Böse aus Ökonomischer Sicht. 2014; Mildenberger: Virtual World Order – The Economics and Organization of Virtual Pirates. 2015). Schließlich wurden bereits konstitutionenökonomische Zugänge zu Computerspielen probiert (vgl. Mildenberger: The Constitutional Political Economy of Virtual Worlds. 2013).[]
  17. Für diesen ideengeschichtlichen Prozess vgl. auch Kremser: Die Historizität des Homo oeconomicus. 2013.[]
  18. Für einen Überblick über die Geschichte des ökonomischen Denkens und ihre Epochen vgl. beispielsweise Starbatty: Klassiker des ökonomischen Denkens. 1989; Issing: Geschichte der Nationalökonomie. 1994; Samuels; Biddle; Davis: A Companion to the History of Economic Thought. 2003; Holub: Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens. 2005–2010; Kurz: Geschichte des ökonomischen Denkens. 2013.[]
  19. Für die folgenden Ausführungen vgl. auch Kremser: Von Fortschritt zu Wachstum und Entwicklung. 2018, S. 90–107; Kremser: Positive Wirtschaftsanalyse oder normativer Wirtschaftsentwurf? 2018; Kremser: Ein Ende der ökonomischen Geschichte. 2020, S. 186–196.[]
  20. Da in den Stufentheorien die höchste Stufe stets mit dem zeitgenössischen Europa identifiziert wird, machen sie sich eines Eurozentrismus schuldig. Im 19. Jahrhundert wurden sie darüber hinaus während der imperialistischen Bestrebungen der europäischen Staaten angeführt, um die Unterdrückung fremder Kulturen zu begründen (vgl. Rohbeck: Rettende Kritik der Geschichtsphilosophie. 2014, S. 353). Deswegen wurden sie bzw. der in ihnen verarbeitete Fortschrittsbegriff im Rahmen der Postkolonialen Studien einer schonungslosen Ideologiekritik unterzogen.[]
  21. Herausgefordert wurde diese Behauptung aber bereits früher; und zwar durch die politische Gattung der Utopie, welche zu Beginn der Neuzeit entstand. Utopien enthalten neben einer Kritik der zeitgenössischen Gesellschaftsverhältnisse den Entwurf für ein neues politisches Gemeinwesen. Auf diese Weise öffneten sie erstmals den öffentlichen Diskurs für die Vorstellung, dass es eine Alternative zur mittelalterlichen Ständegesellschaft geben könnte. Verfasst sind die ersten Utopien dabei stets als Reisebericht.[]
  22. Die Geschichtsphilosophie wird damit zur ideenhistorischen Vorgängerin aller sozialwissenschaftlichen Theorien, die eine gesellschaftliche Veränderung im Zeitablauf untersuchen. Das gilt nicht nur für die ökonomische Wachstums- und Entwicklungstheorie, sondern auch für die Sozialtheorie. Für einen Überblick über die Geschichtsphilosophie vgl. etwa Schaeffler: Einführung in die Geschichtsphilosophie. 1991; Lembeck: Geschichtsphilosophie. 2000; Kolmer: Geschichtstheorien. 2008; Zwenger: Geschichtsphilosophie. 2008; Demandt: Philosophie der Geschichte. 2011; Angehrn: Geschichtsphilosophie. 2012; Schloßberger: Geschichtsphilosophie. 2013; Baberowski: Der Sinn der Geschichte von Hegel bis Foucault. 2014; Rohbeck, Geschichtsphilosophie zur Einführung. 2015.[]
  23. Bei der Idee eines allgemeinen Fortschritts, der neben dem Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnisbeständen und der Erfindung technischer Innovationen – beides zum Zwecke der Naturbeherrschung – eben auch Verbesserungen in allen Bereichen des zwischenmenschlichen Zusammenlebens umfasst, handelt es sich um den großen Topos der Aufklärung. Kaum etwas Anderes steht so sehr für diese Epoche wie sie, schließlich knüpfte sich der aufklärerische Optimismus an die Hoffnung, dass sich durch den Gebrauch von Vernunft mit Irrglaube und Ideologie alle Hindernisse aus dem Weg räumen ließen, die bisher die Menschheit bei ihrem Voranschreiten in ein goldenes Zeitalter behindert hatten.[]
  24. Vgl. Rohbeck: Erklärende Historiographie und Teleologie in der Geschichte. 2004, S. 84.[]
  25. Vgl. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. 1981, S. 259; Holub: Eine Einführung in die Geschichte des ökonomischen Denkens. 2006, S. 156; Wolloch: The Idea of Historical Progress in the Transition from Enlightenment Historiography to Classical Political Economy. 2016, S. 80.[]
  26. Vgl. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. 1981, S. 197; Recktenwald: Würdigung des Werks. 2013, S. XLIV.[]
  27. Vgl. Smith: Wohlstand der Nationen. 2013 [1776], II.iii.28; S. 28; IV.ix.28, S. 570.[]
  28. Smith: Vorlesungen. 1996 [1766], 206, S. 175.[]
  29. Vgl. Trapp: Adam Smith. 1987, S. 285.[]
  30. Smith: Vorlesungen. 1996 [1766], 206–209, S. 175–178.[]
  31. Smith: Wohlstand der Nationen. 2013 [1776], V.ii.k.3, S. 747.[]
  32. Vgl. Medick: Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft. 1981, S. 251ff.; Trapp: Adam Smith. 1987, S. 285; Rohbeck: Die Fortschrittstheorie der Aufklärung. 1987, S. 110–113.[]
  33. Keynes: Allgemeine Theorie. 2006 [1936], S. 323.[]
  34. Tatsächlich wurden Ende des 18. Jahrhunderts eine Vielzahl solcher Theorien entwickelt. Smith hat aber seine zuerst formuliert. Alle weiteren bedeutenden Formulierungen stammen von Vertretern der schottischen Aufklärung und damit aus Smiths persönlichem Umfeld. Smith kann damit sogar als Begründer dieser Form von Theorie aufgefasst werden. Nur Anne Robert Jacques Turgot – ein Vertreter der französischen Aufklärung – hat seine Stufentheorie zeitgleich und unabhängig von Smith entwickelt.[]
  35. Inderst: Digitale Medien und Methoden – Rudolf Inderst über Close Playing. 2020.[]
  36. Laabs hat kürzlich in Bezug auf die Rolle des*der Spieler*in in Age of Empires II von „unsichtbar bleibende[r] (Management-)Arbeit“(Laabs: Von fleißigen Bienen und aufmüpfigen Alpakas. 2021, S. 8) gesprochen. Die dort entwickelte Argumentation kann auch analog für Anno 1602 gebraucht werden, um dort von Arbeit für den*die Spieler*in zu sprechen.[]
  37. Vgl. Salin: Politische Ökonomie. 1967, S. 180ff.[]
  38. Für einen Überblick zur Debatte vgl. Schmelzer; Vetter: Degrowth/Postwachstum zur Einführung. 2019. Zu deren Klassikern zählen Skidelsky; Skidelsky: Wie viel ist genug? 2013; Jackson: Wohlstand ohne Wachstum. 2013; Latouche: Es reicht! 2015; Paech: Befreiung vom Überfluss. 2016.[]
  39. Smith: Wohlstand der Nationen. 2013 [1776], I.viii.43, S. 70.[]
  40. Vgl. Smith: Wohlstand der Nationen. 2013 [1776], II.iv.8, S. 291; Eltis: Adam Smith’s Theory of Economic Growth. 1975, S. 428.[]
  41. Vgl. Hollander: The Economics of Adam Smith. 1973, S. 179-187.[]
  42. Mill: Grundsätze der Politischen Ökonomie. 1869 [1848], Band 1, S. 62ff.[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Kremser, Christian E. W.: "Was hätte wohl Adam Smith zu Anno 1602 zu sagen gehabt? Von der spielerischen Vermittlung ökonomischer Theorie". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 06.07.2023, https://paidia.de/was-haette-wohl-adam-smith-zu-anno-1602-zu-sagen-gehabt-von-der-spielerischen-vermittlung-oekonomischer-theorie/. [27.04.2024 - 07:36]

Autor*innen:

Christian E. W. Kremser

Christian E. W. Kremser absolvierte ein Doppelstudium in Wirtschaftswissenschaften (M. Sc.) und Philosophie (M. A.) an der Fernuniversität in Hagen und der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main. Derzeit ist er Referent einer oberen Bundesbehörde in der Nähe von Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Goethe-Universität. Dort promovierte er 2020 bei Prof. Dr. Dres. h.c. Bertram Schefold über die Vorstellung ökonomischer Utopien in der Ideengeschichte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Wirtschaftsphilosophie, Wirtschaftsethik, Wissenschaftstheorie der Wirtschaftswissenschaften und ökonomische Theoriegeschichte.