CfP Vom ‚Wigalois‘ zum ‚Witcher‘ - Mediävistische Zugänge zum Computerspiel (28.1.2018)
In the great majority of cases the central theme of poetry and literature generally is strife – i.e. the task that the hero has to perform, the trials he has to undergo, the obstacles he has to surmount. The very word ‚hero‘ for the chief protagonist is telling enough. The task will be extraordinarily difficult, seemingly impossible.
(Johan Huizinga, Homo Ludens, S. 133)
Der Kulturhistoriker Johan Huizinga beschreibt in Homo Ludens (1938) nach unserem Verständnis nicht nur im Allgemeinen "the central theme of poetry and literature". Vielmehr scheint die obige Aussage gleichermaßen auf einen literarischen Text des Mittelalters und – in hellsichtiger Schärfe – auf so manches Computerspiel der Gegenwart zugeschnitten. Eine Verbindungslinie zwischen älteren Texten und neueren Spielen scheint in Huizingas Postulat vom Ursprung der Kultur im Spiel bereits angelegt. Wie diese historisch und medial disparaten Gegenstände zueinander in Beziehung zu setzen sind, ist in der analytischen Praxis jedoch noch weitgehend unreflektiert geblieben.
Bereits ein flüchtiger Blick auf aktuelle ‚Mittelalterspiele‘ fördert diverse Motive zu Tage, welche aus der mittelalterlichen Literatur nur allzu vertraut sind. Bemerkenswert ist zudem, dass das, was am Erzählen in unterschiedlichsten Computerspielgenres heute bisweilen alteritär anmutet, sich vielfach mit Charakteristiken mittelalterlichen Erzählens in Verbindung bringen lässt.
Der ‚Wigalois‘ Wirnts von Grafenberg z.B. folgt einem Strukturprinzip, das außerhalb der germanistischen Mediävistik wohl eher durch Computerspiele Bekanntheit erlangt haben dürfte: Eine Abfolge von jeweils ähnlich ablaufenden Episoden, die über eine Aneignung des Raumes durch das Besiegen von Gegnern schließlich im Kampf mit einem ‚Endgegner‘ kulminieren, wobei meist eine ‚Hauptquest‘ verfolgt wird, die jedoch um zusätzliche ‚Nebenquests‘ angereichert sein kann. Im ‚Witcher‘ mögen zwar andere Problemstellungen verhandelt werden als im ‚Wigalois‘, dies ändert jedoch lediglich etwas an der Semantik, nicht aber an der Struktur der Erzählung. Wir möchten mit dem exemplarischen Titel der Sonderausgabe insofern nicht nur eine Figurentypologie in den Fokus rücken, sondern stets auch das Inbezugsetzen von Werken – mit allen Ebenen und Optionen, die sich dadurch eröffnen.
Dass bestimmte Elemente von Computerspielen direkt auf literarischen Texten des Mittelalters basieren, ist in den wenigsten Fällen zu belegen und wohl eher die Ausnahme. Dass man Computerspiele aus einer Beschäftigung mit älteren Texten heraus besser verstehen kann – und auch umgekehrt: ältere Texte aus einer Beschäftigung mit Computerspielen – möchten wir in dieser Sonderausgabe als Grundidee verfolgen. Vom ‚Wigalois‘ zum ‚Witcher‘ wäre insofern nicht nur als Formel für eine historische und mediale Entwicklung zu verstehen, sondern in erster Linie als ein Modus der methodischen Perspektivierung. Es wäre zu zeigen, wie ältere Texte und Computerspiele sich gegenseitig beleuchten und im Dialog miteinander je neu lesbar werden.
Eine Auseinandersetzung mit Mittelalterdarstellungen in Computerspielen von Seiten der Geschichtswissenschaft darf als mittlerweile etablierter Teilbereich der Game Studies gelten. Ein literaturwissenschaftlicher (um nicht zu sagen: narratologischer) Zugang zu Computerspielen kann bekanntlich auf eine sogar noch längere Tradition zurückblicken. Selten wurde bisher aber beides im Rahmen eines literarhistorischen Blickwinkels zusammengedacht.
Computerspiele und literarische Texte des Mittelalters können dabei wechselweise als analytisch konstituierter Gegenstand wie auch als leitendes Paradigma der Analyse zur Geltung kommen. In diesem Sinn kann eine interdisziplinäre Forschung einen zweifachen Beitrag leisten: Indem nämlich die Game Studies zu Gewissheiten geronnene Annahmen der germanistischen Mediävistik ebenso in Frage stellen, wie auch die historische Narratologie vermeintliche Alleinstellungsmerkmale digitaler Spiele relativiert.
Mögliche Fragen, die im Rahmen der Sonderausgabe interessieren:
- Welche Bezüge lassen sich zwischen der Literatur des Mittelalters und Computerspielen herstellen? Welche analytischen Herangehensweisen sind dabei produktiv?
- Welche Spiele, Sequenzen und Elemente lassen sich exemplarisch in den Blick nehmen, um ludo-narrative Verfahren deutlich zu machen, die in Bezug zu Literaturen des Mittelalters besonders aussagekräftig sind?
- Welche Motive erweisen sich als analytisch anschlussfähig? Wie sind diese zu historisieren?
- Welche Rolle kommt der unterschiedlichen Medialität beider Gegenstände zu? Wie ist mit ihr umzugehen? Stellt sie eher ein Hindernis oder eine Chance dar?
- Worin ist das Ludische in/an der mittelalterlichen Literatur zu verorten und welche Konsequenzen hat dies für die Computerspielforschung?
- Wie konstruieren literarischer Text und Computerspiel auf ihre je eigene Weise Alternativität? Was sind die narrativen Möglichkeiten, um jeweils unterschiedliche Verläufe, die Potentialität des Geschehens oder sogar das Scheitern des Helden vorstellbar zu machen?
Mögliche Aspekte, die dabei in den Blick geraten:
- Stoffe und Motive
- Narrative Muster und Verfahren
- Räume und Zeiten
- Diskursive Schwerpunkte und theoretische Potentiale
- Performativität und Medialität
Als Untersuchungsgegenstände bieten sich zunächst natürlich Spiele an, die in einer mittelalterlich anmutenden Optik erscheinen und daher häufig in diesem Kontext untersucht wurden und werden. In Frage kommen hier also sowohl konkret historisch verortete wie auch fantastisch orientierte Spiele, da in beiden Fällen mit einer (pseudo-)mittelalterlichen Rezeption zu rechnen ist.
Wir möchten die AutorInnen allerdings ermutigen, auch und gerade solche Spiele in den Blick zu nehmen, die nicht bereits durch ein entsprechendes Setting ins Auge fallen, sondern subtiler mit Erzählweisen und -schemata operieren, die für die Literatur des Mittelalters als konstitutiv erscheinen, und so in sehr unterschiedlichen Szenarien und Genres situiert sein können.
Wir verzichten bewusst auf eine Liste kanonischer Spiele oder Texte, um die Bandbreite an möglichen Versuchsanordnungen nicht von Vornherein zu limitieren.
Konzeptuelle Beiträge wie auch konkrete Fallstudien sind gleichermaßen willkommen.
Informationen zum Ablauf
Die Beiträge sollen einen Umfang von maximal 35.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) nicht überschreiten.
Bei Interesse senden Sie bitte ein Abstract mit maximal 300 Wörtern bis zum 28.1.2018 an redaktion@paidia.de. Bitte verwenden Sie dabei ein gängiges Dateiformat (.doc, .docx). Da alle Vorschläge im Blind-Peer-Review-Verfahren gesichtet werden, achten Sie bitte darauf, dass Ihr Textdokument anonymisiert ist.
Sie erhalten von uns Rückmeldung bis zum 11.2.2018.
Einsendeschluss für die vollständigen Beiträge ist der 29.4.2018.
Die Veröffentlichung der Ausgabe ist für Juni 2018 auf PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung (www.paidia.de) geplant.
Für Rückfragen stehen Ihnen die beiden Herausgeber der Sonderausgabe gerne zur Verfügung:
Franziska Ascher, M.A. (LMU München) / franziska.ascher@paidia.de
Thomas Müller, M.A. (Universität Zürich) / thomas.mueller@ds.uzh.ch