CfP: Monsters, Magic, Mediality - Das Pen-&-Paper-Rollenspiel als Bindeglied zwischen analoger und digitaler Spieleforschung
Das Pen-&-Paper-Rollenspiel wirkt auf den ersten Blick wie das analoge Medium schlechthin, denn auch wenn Stift und Papier das Pen-&-Paper-Rollenspiel in seiner Medialität und Materialität nur unvollständig repräsentieren, sind sie doch eindeutige Symbole des Analogen.
Eine Gruppe von meist drei bis sechs Spieler*innen, die gemeinsam um einen Tisch sitzen, vor sich ihre Charakterbögen und ein paar Würfel, am Kopfende die Spielleitung hinter einem ‚Meisterschirm‘ genannten Pappaufsteller, in der Mitte des Tisches ein Bodenplan mit Miniaturen, welche die Position der Charaktere im Raum markieren, beschwert von einigen Büchern – so stellt man sich eine Rollenspielgruppe wohl in der Regel vor (siehe z. B. die Fernsehserie Stranger Things). Dieser Art von archetypischen Tischrunden versetzte der Auftakt der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 einen harten Schlag, weil Kontaktbeschränkungen und freiwillige Selbstisolation das Zusammenkommen von Rollenspielrunden verunmöglichten oder zumindest nicht ratsam erscheinen ließen. Nach einem kurzen Einbruch der Spielaktivitäten verlagerte sich das Pen-&-Paper-Rollenspiel als Hobby wie so viele andere Lebensbereiche ins Virtuelle, wobei die Digitalisierung bereits zuvor begonnen hatte – Plattformen wie Roll20 (2012) oder Foundry VTT (2020) standen 2020 bereits zur Verfügung. Auch endete diese Entwicklung nicht mit dem Abklingen der Lockdowns: Weiterhin entstehen neue Plattformen (z. B. Alchemy (2023)) und etablieren sich neue mediale Konventionen.
In seiner einfachsten Form nutzt Pen-&-Paper-Rollenspiel online einen Voice Chat oder Videomeetingsoftware, um die übliche Face-to-Face-Kommunikation zu ersetzen, wobei materielle Komponenten wie Charakterbögen und Würfel erhalten bleiben. Die benötigten Spielkomponenten können aber auch nach Belieben digital substituiert werden. Sogenannte Virtual Tabletops (VTTs) stellen eine vollumfänglich virtuelle Spielumgebung zur Verfügung, die alles bietet, was am Tisch zum Spielen benötigt wird. VTTs offerieren darüber hinaus auch Funktionen, die keine Entsprechung mehr im Analogen haben – wohl aber im Computer(-rollen-)spiel. In diesen Bereich fallen audiovisuelle Elemente wie animierte Battlemaps, Hintergrundmusik oder Soundeffekte, vor allem aber auch ‚Convenience Features‘, die beispielsweise Würfelproben automatisieren und somit die Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Spielsystems in Teilen an den Computer delegieren. Durch die Überführung der Präsenzkommunikation am Spieltisch in eine Fernkommunikation, vor allem aber durch die angesprochene Automatisierung, nähert sich die Medialität des ‚klassischen‘ Pen-&-Paper-Rollenspiels also einerseits der Medialität des Computerspiels an, andererseits entstehen auch genuin digitale Formate, die ganz explizit die digitale Kommunikationssituation aufgreifen und zum Spielprinzip erheben (z. B. Alice is Missing (2020)).
Eine weitere Parallele ist im Bereich der sekundären Rezeption zu beobachten: Jemandem beim Spielen zuzusehen besitzt offensichtlich nicht nur im Computerspielbereich einen gewissen Reiz – Let’s Plays, die hier mitunter Actual Plays genannt werden, florieren auch in der Pen-&-Paper-Rollenspiel-Szene (z. B. Critical Role), und zwar auch in ähnlicher Funktion. Einerseits dienen sie Rezipient*innen zur Unterhaltung, andererseits aber auch dazu, noch unbekannte Spiele kennenzulernen und die eigenen (schau-)spielerischen Fähigkeiten durch Beobachtungslernen zu verbessern. Sie überlagen oder erweitern dabei die Kommunikationssituation des Rollenspiels, die wir als ‚medialisierte Imagination‘ charakterisieren möchten, um eine weitere Ebene, wobei Rückkopplungseffekte zwischen den verschiedenen Ebenen entstehen.
Der Prozess der Remediation zwischen Pen-&-Paper-Rollenspiel und Computerspiel hat sich umgekehrt: Die Medialität des Pen-&-Paper-Rollenspiels übernimmt Eigenheiten des Computerspiels; gleichzeitig grenzt es aber auch an die Medialität des Gesellschaftsspiels, das inzwischen ebenfalls regelmäßig seine Analogizität überschreitet – man denke etwa an unterstützende Apps oder Programme wie den Tabletop Simulator (2015), der sowohl bei Brett- als auch bei Pen-&-Paper-Rollenspielen als virtuelle Spielumgebung Anwendung findet. Als eng verwandt sehen wir beispielsweise komplexe Brettspiele mit starker narrativer Komponente an, wie Eldritch Horror (2013) oder Tainted Grail (2019). Diese Spiele erlauben Handeln in character und befördern es bis zu einem gewissen Grad sogar, funktionieren aber auch ganz ohne diese schauspielerische Komponente. Doch auch minimalistische Spiele wie das ‚Lagerfeuer‘-Spiel Die Werwölfe von Düsterwald (2001), das mit sehr wenig Spielmaterialien auskommt, können in der Performanz sehr rollenspielerisch werden. Ebenfalls zu erwähnen sind Legacy-Spiele (z. B. Pandemic Legacy (2016)), bei denen sich die Ergebnisse eine Spielpartie ähnlich wie bei einer Rollenspiel-Kampagne auf künftige Spieldurchläufe auswirken.
Wir möchten daher mit diesem Call for Papers dazu einladen, den Begriff der ‚Game Studies‘ im Wortsinn ernst zu nehmen, inklusiv zu verstehen und somit all diese verschiedenen Manifestationen von ‚Rollenspiel‘ als ein einziges, mediales Kontinuum zu begreifen. Es erscheint uns nicht zielführend, essentialistisch zu bestimmen, was ‚noch‘ ein Pen-&-Paper-Rollenspiel ist und was ‚schon‘ ein Gesellschafts- oder Computerspiel, sondern die fließenden Übergänge als solche zu akzeptieren. Wir begrüßen dementsprechend sowohl Perspektiven aus den Computer Game Studies als auch aus den Board Game Studies, aber auch aus allen anderen Disziplinen, die dazu beitragen können, die spezifische(n) Medialität(en) des Pen-&-Paper-Rollenspiels und seine aktuellen Entwicklungen näher zu bestimmen und aus verschiedenen Winkeln zu beleuchten.
Mögliche Themen könnten sein:
- Einfluss der Digitalisierung des Pen-&-Paper-Rollenspiels (Medium, Erzählformen, Spielpraxis)
- Einfluss von Actual-Play-Videos (Medium, Rollenspieldiskurs, Spielpraxis)
- Einfluss auf die Rollenspielpraxis durch Audio-/Videoaufzeichnung
- Exploration von methodischen Zugängen (Hybridität, Performativität/Performanz, Medialität)
- Charakteristika semi-oralen Erzählen (z. B. Proto-, Para- und Transtextualität)
- Auswirkungen unterschiedlicher Medialitäten auf Kommunikationspraktiken im Spielkontext
- Medienkonvergenz von Computerrollenspiel und Pen-&-Paper-Rollenspiel
- historische Entwicklung medialer Konventionen
- Rezeptionsstudien
- Fallstudien zu in ihrer Medialität besonders interessanten Titeln
- Untersuchung und Vergleich verschiedener Actual-Play-Formate
Informationen zum Ablauf
Die Beiträge sollen einen Umfang von maximal 35.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) nicht überschreiten.
Bei Interesse senden Sie bitte ein Abstract mit maximal 300 Wörtern bis zum 5.2.2024 an paidia@germanistik.uni-muenchen.de. Bitte verwenden Sie dabei ein gängiges Dateiformat (.doc, .docx, .odt). Da alle Vorschläge im Blind-Peer-Review-Verfahren gesichtet werden, achten Sie bitte darauf, dass Ihr Textdokument anonymisiert ist.
Sie erhalten von uns voraussichtlich Rückmeldung bis Ende Februar 2024.
Einsendeschluss für die vollständigen Beiträge ist der 30.6.2024.
Die Veröffentlichung der Ausgabe ist für das vierte Quartal 2024 in PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung (paidia.de) geplant.
Für Rückfragen stehen Ihnen die Herausgebenden der Sonderausgabe gerne zur Verfügung. E-Mails bitte ebenfalls an paidia@germanistik.uni-muenchen.de.
Franziska Ascher (Universität Innsbruck) – franziska.ascher@uibk.ac.at
Lukas Daniel Klausner (FH St. Pölten) – lukas.daniel.klausner@fhstp.ac.at
Tobias Unterhuber (Universität Innsbruck) – tobias.unterhuber@uibk.ac.at