Warum Blindheit mehr ist als ‚-4 auf Wahrnehmung‘. Über ‚Normalität‘, ‚Beeinträchtigung‘ und ‚Verbesserung‘ in den Fallout-Spielen

27. März 2025
Abstract: In Rollenspielen wie den Spielen der ‚Fallout‘-Reihe wird häufig zwischen ‚behinderten‘ und ‚nicht-behinderten‘ Charakteren unterschieden, ohne die Möglichkeit, den eigenen Avatar als ‚behindert‘ zu gestalten. Die Charaktererstellung folgt einem normalistischen Modell, das sich auf graduelle Abstufungen von Eigenschaften und Fähigkeiten beschränkt, jedoch kategoriale Differenzen wie dauerhafte ‚Behinderungen‘ fast vollständig ausschließt. So fungiert ‚Blindheit‘ lediglich als kurzzeitige, simulative Modifikation von Fähigkeitswerten, ohne als eigenständige Form der Weltwahrnehmung oder als Ausdruck von Identität und Kultur zu thematisieren. Zugleich wird in den Spielen die technowissenschaftliche Optimierung des eigenen Körpers als Normalität konstruiert.

„Ein Mädchen? Ein Mädchen! Wir haben eine Tochter, Catherine! Ein wunderschönes, gesundes Mädchen!“
(Der Vater des Avatars in der ersten Szene von Fallout 3) 

Einleitung 

Das Leben im Ödland der dystopischen Fallout-Reihe ist von Härte und zahlreichen Gefahren geprägt, die das spielende Subjekt am virtuellen Körper erleben kann: Der Avatar kann vergiftet, geblendet oder durch eine Gehirnerschütterung beeinträchtigt werden. Darüber hinaus können Sucht und Entzugserscheinungen auftreten, und der Avatar ist Bedrohungen durch Kugeln, Laserwaffen und Strahlung ausgesetzt, die zum virtuellen Tod führen können. Gleichzeitig bietet die Anwendung sogenannter „Chems“ die Möglichkeit, den virtuellen Körper gegen diese Gefahren zu stärken und zu optimieren. Für die Erkundung und das Bewältigen der dystopischen, offenen Welt stehen den Spielenden umfangreiche Charaktergestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. 

Abb. 1: Fallout 3: Die von thermonuklearen Bomben zerklüftete Landschaft im Umkreis des früheren Washington, D.C. ist durchzogen von Ruinen und an vielen Stellen radioaktiv verseucht.

 Die Fallout-Reihe ist ein bedeutendes kulturelles Produkt, das von Millionen Menschen gespielt wird. Die Spiele vermitteln spezifische Verständnisse von Körper, Fähigkeiten und Nicht_Behinderungen.1 Die Art und Weise, wie die Spiele mit diesen Themen umgehen, trägt zu den gesellschaftlichen Diskursen über Normalität, Behinderung und Technologie bei. Der vorliegende Artikel eruiert diese Themen in den verschiedenen Fallout-Spielen aus einer diskursanalytischen Disability-Studies-Perspektive und untersucht, wie Normen von Gesundheit, Funktionsfähigkeit und Fähigkeiten vermittelt werden. Dabei wird besonders darauf eingegangen, welche physischen, psychischen und kognitiven Eigenschaften als ‚normal‘, ‚defizitär‘ oder ‚verbessert‘ dargestellt werden und welche Subjektpositionen dadurch konstruiert werden. Als Ausgangspunkt dienen dabei die spezifischen medialen Eigenschaften digitaler Spiele. Im weiteren Verlauf wird die Quantifizierung des Avatars anhand von Eigenschaften wie Stärke und Ausdauer im Rahmen der Normalismustheorie analysiert. Anschließend werden kurzzeitige Zustände wie ‚Blindheit‘ und ‚Verkrüppelungen‘ thematisiert, um die Nicht-Konstruktion von Beeinträchtigung und die Limitierung der Subjektpositionen zu analysieren. Schließlich wird die Bedeutung technologischer Körpermodifikationen für den Spielgewinn erörtert.  

(Nicht-)Behinderung, (Nicht-)Beeinträchtigung und Normalität 

Beim Thema ‚Behinderung‘ ausgerechnet bei den Fallout-Spielen anzusetzen, mag seltsam erscheinen, schließlich sind die verschiedenen Avatare allesamt nicht behindert – oder? 

Genau genommen ist ‚Behinderung‘ nur ein Teilthema des vorliegenden Artikels; es geht um ‚Nicht_Behinderung‘. Mit dieser Vokabel wird ausgedrückt, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen von dem, was als ‚behindert‘ gilt und was ‚nicht‘, nicht streng fixiert sind, sondern immer wieder Veränderungen unterworfen sind. Die Bandbreite von Aussagen über Gesundheit, Fähigkeiten und Funktionsfähigkeit von Menschen variiert historisch und geografisch stark; diese Begriffe werden unterschiedlich relevant gemacht, mit anderen Inhalten gefüllt und haben andere Konsequenzen. Gegenwärtig leben acht Milliarden Menschen auf der Erde, d.h. es gibt acht Milliarden individuelle Variationen physischer, psychischer und kognitiver Eigenschaften. Unter den sich historisch wandelnden Verhältnissen werden einige dieser Variationen in manchen Teilen der Welt als ‚beeinträchtigt‘ beurteilt, andere hingegen als ‚nicht-beeinträchtigt.‘ Zu früheren Zeiten und an anderen Orten gelten andere Eigenschaften als defizitär als heute. 

In den deutschsprachigen Disability Studies wird zwischen ‚Beeinträchtigungen‘ und ‚Behinderungen‘ differenziert, analog zu den englischen Begriffen ‚impairments‘ und ‚disabilities‘.2 Als ‚Beeinträchtigungen‘ werden jene körperlichen, geistigen oder seelischen Eigenschaften eines Individuums bezeichnet, die in den aktuellen gesellschaftlichen Zuständen als defizitär gelten. Als ‚Behinderungen‘ werden jene Barrieren bezeichnet, die Menschen mit bestimmten körperlichen, geistigen oder seelischen Eigenschaften die Teilhabe an der Gesellschaft verwehren.3 

Einer eher dekonstruktivistisch orientierte Perspektive fragt danach, wie Begriffe wie ‚Behinderung‘ bzw. ‚Beeinträchtigung‘ definiert werden, mit welchen z.B. sprachlichen, diagnostischen oder organisatorischen Mitteln eine Grenze zwischen ‚beeinträchtigt‘ und ‚nicht-beeinträchtigt‘ gezogen wird.4 Ein Begriff wie ‚Behinderung‘ funktioniert nur über einen Gegenbegriff, von dem er abgegrenzt wird. ‚Nicht-Behinderung‘ wäre ein möglicher Gegenbegriff; in dieser Gesellschaft wird jedoch häufig ‚normal‘ als Gegenbegriff zu ‚behindert‘ verwendet.5 Um deutlich zu machen, dass im vorliegenden Text die verschiedenen Grenzziehungen von Erkenntnisinteresse sind, wird hier der Oberbegriff der Nicht_Behinderung gewählt. Der Begriff der Nicht_Behinderung dient hier als „erkenntnisleitendes Motiv6 für die Analyse. 

Ziel dieses Artikels ist es, herauszuarbeiten, wie Nicht_Behinderung in den Fallout-Spielen konstruiert wird.7 Welch ein Verständnis von Gesundheit oder Fähigkeit wird in den Spielen geäußert? Welche physischen, psychischen und kognitiven Variationen existieren im Spiel? Welche Variationen werden als ‚normal‘, welche als ‚defizitär‘, welche als ‚verbessert‘ dargestellt? Werden bestehende Stereotype fortgeführt oder werden neue Deutungen konstruiert? Bei diesen Fragen geht es nicht darum, wie ‚realistisch‘ diese Darstellung für das Leben behinderter Menschen ist, oder ob behinderte Menschen in der Darstellung abgewertet werden.8 Vielmehr geht es um das Verständnis, das überhaupt von Nicht_Behinderung produziert wird.9 

Obwohl die Fallout-Spiele vorrangig im 22. und 23. Jahrhundert angesiedelt sind, bieten sie Anknüpfungspunkte für gegenwärtige Diskurse. Nicht zuletzt, weil die Spiele des Fallout-Franchises über 46 Millionen Mal verkauft wurden, sind sie als diskursive Elemente ernst zu nehmen. Zusammen mit vielen anderen populärkulturellen Äußerungen tragen sie zur Konstruktion eines bestimmten Verständnisses von Gesundheit und erstrebenswerten Fähigkeiten bei. Die Verbreitung digitaler Spiele macht es notwendig, diese in die Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse einzubeziehen. Digitale Spiele ko-konstruieren Konzepte wie Nicht_Beeinträchtigung und Nicht_Behinderung, von Normalität und Anormalität.10 Hier kann eine durch die Disability Studies informierte Analyse ansetzen, um Stereotype zu hinterfragen und Annahmen nicht-behinderter Personen zu verunsichern. 

Die Fallout-Spiele als Untersuchungsgegenstand 

Der vorliegende Artikel orientiert sich an der Methodologie der Diskursanalyse. Bestehende diskursanalytische Ansätze sind jedoch sehr auf das Medium Text fokussiert; in vielen werden die verschiedenen Medienformen weitgehend als bloße Container für Äußerungen verhandelt.11 Damit wird unterschlagen, dass das jeweilige technologische Artefakt selbst die Art und Weise bedingt, wie Äußerungen vermittelt, produziert und rezipiert werden. Die mediale Apparatur ermöglicht bestimmte Verwendungsweisen und verhindert andere. Entsprechend stellt die Medialität die Konditionen bereit, unter denen Diskurse sich manifestieren können.12 

Im Anschluss an Diskussionen zur Medialität digitaler Spiele13 werden in der vorliegenden Analyse einzelner Spiele als Diskursfragmente vier Dimensionen unterschieden: die audiovisuelle, die narrative, die simulative und die ludische Dimension.14 Digitale Spiele nutzen zumeist eine audiovisuelle Ausgabe, mit der die Spielenden vertraut sind. Wenn die Pixel auf eine bestimmte Art und Weise angeordnet sind, können die Spielenden darin einen Menschen oder ein Auto erkennen.15 Digitale Spiele erzählen in der Regel Geschichten, wobei sich der Verlauf der Narration bei jedem einzelnen Spieldurchlauf ändern kann, entweder durch das Handeln der Spielenden oder durch zufällige Ereignisse.16 Der Begriff der Simulation wird in den Game Studies – unabhängig von der empirisch vorfindbaren Realität – für alle Variablen verwendet, die aufeinander Einfluss nehmen.17 Wenn ein Schuss aus einer fiktiven Waffe einem fiktiven Wesen Schaden zufügt, so ist dieser simulierte Schaden innerhalb der fiktiven Welt „real“.18 Durch verschiedene Eingaben können die Spieler*Innen herausfinden, was das Spiel von ihnen erwartet; das heißt, die Bedingungen des Gewinnens bzw. Verlierens erlernen. Die ludischen Elemente – von lat. „ludus“ = „Spiel, Wettkampf“ – umfassen daher die Aspekte, die das Handeln des spielenden Subjekts anleiten.19 Während der Begriff der Simulation hier einer programmierten Kausalordnung vorbehalten bleibt, skizziert der Begriff der ludischen Elemente die Möglichkeiten, aber auch die Notwendigkeiten, mit und innerhalb dieser Simulation zu handeln. Auf der ludischen Ebene wird die explizite Normativität des Spiels gegenüber der Simulation vermittelt. In den verschiedenen Dimensionen und in ihrem Zusammenspiel ergeben sich die Äußerungen eines Spiels.20 

Das erste Fallout-Spiel Fallout wurde 1996 veröffentlicht; bis 2022 folgten acht weitere digitale Spiele sowie zahlreiche Erweiterungen. Im Jahr 2024 erschien eine von Amazon produzierte Fernsehserie.21 Narrativ ist die transmediale Fallout-Welt in einer fiktionalen Zukunft angesiedelt, die aus weißer Perspektive als ‚postapokalyptisch‘ gilt.22 Ästhetisch orientiert sich das Fallout-Franchise an den Zukunftsvisionen der USA der 1950er Jahre, die satirisch überzeichnet werden. Fiktive Werbeanzeigen, die den Segen der Radioaktivität anpreisen, stehen im Kontrast zu einer simulierten Welt, in der im Jahr 2077 thermonukleare Bomben die USA verwüsteten. Die Spielenden erkunden dabei eine zu einem radioaktiv verseuchten Ödland verelendete USA, wobei die Narrationen der einzelnen Spiele 25 bis 125 Jahre nach dem fiktiven Bombenabwurf angesiedelt sind. 

Die meisten Fallout-Spiele können als digitale Rollenspiele klassifiziert werden. Hierbei steht die Ausbildung quantifizierter Eigenschaften und Fähigkeiten der gespielten Figuren im Mittelpunkt, um in einer algorithmisch definierten Welt Hindernisse zu überwinden und so die Narration voranzutreiben.23 In den Fallout-Spielen erstellen die Spielenden individuell ausgestaltete Avatare, die sie durch eine offene Spielwelt steuern, um verschiedene Quests zu erfüllen. Diese Open-World-Umgebungen zeichnen sich durch „Orthaftigkeit und kohärente Landschaften“24 aus, die von den Spieler*Innen selbstständig erkundet werden können. Die Spieler*Innen können dabei häufig selbst entscheiden, ob sie sich schleichend, mit brachialer Gewalt oder durch geschickte Verhandlungen Zugang zu verschlossenen Räumen verschaffen. 

Der fundamentale Regelmechanismus in diesen Spielen ist das sogenannte „S.P.E.C.I.A.L.“-System, das die sieben Grundattribute des Avatars festlegt: „Strength“ (dt.: „Stärke“), „Perception“ (dt.: „Wahrnehmung“), „Endurance“ (dt.: „Ausdauer“), „Charisma“ (dt.: „Charisma“), „Intelligence“ (dt.: „Intelligenz“), „Agility“ (dt.: „Beweglichkeit“) und „Luck“ (dt.: „Glück“). Bei der Charaktererstellung können die Spieler*Innen zumeist 40 Punkte auf diese Attribute verteilen, wobei in der Regel Werte zwischen 1 und 10 vergeben werden können. Je mehr Punkte einem Attribut zugewiesen werden, desto stärker ist dieses ausgeprägt, was sich wiederum auf andere Werte wie Nahkampfschaden, Giftresistenz oder Tragekapazität auswirkt. Darüber hinaus können spezielle Fertigkeiten („skills“) wie „Schleichen“ oder besondere Extras („perks“) wie „Cyborg“ gewählt werden, um bestimmte Fähigkeiten zu verbessern. 

Abb. 2: Fallout – Der Charakterbogen umfasst u.a. die sieben Grundattribute des Avatars, die Fähigkeiten sowie eventuelle Wunden wie z.B. eine „Augenverletzung.“ 

Diese Mechaniken kommen beispielsweise zum Tragen, wenn der Avatar an Gegnern vorbeischleichen muss. In Fallout 3 wird der Schleichen-Wert durch die Attribute Beweglichkeit und Glück bestimmt, und das Spiel prüft, ob der Avatar von einer gegnerischen Figur wahrgenommen wird. Der Wert der Schleichen-Fertigkeit bildet die Grundlage, die durch weitere Faktoren, wie etwa verursachte Geräusche, modifiziert werden kann. Je höher der Schleichen-Wert, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der Avatar entdeckt wird. Die Logik des S.P.E.C.I.A.L.-Systems durchzieht sämtliche Spielmechaniken und beeinflusst die Interaktionen im Spiel. 

Eine signifikante Veränderung innerhalb der Fallout-Reihe fand ab Fallout 3 statt: Während Fallout und Fallout 2 in isometrischer Perspektive und mit rundenbasierten Kämpfen stattfanden, wechselte Fallout 3 zu einer First-Person-Perspektive mit Echtzeitkämpfen. Dennoch wurde die sogenannte V.A.T.S.-Mechanik („Vault-Tec Assisted Targeting System“) integriert, die es ermöglicht, die Kämpfe massiv zu verlangsamen und gezielt bestimmte Körperzonen gegnerischer Figuren zu attackieren, wobei die Trefferwahrscheinlichkeiten angezeigt werden. 

Die normalistische Konstruktion des Avatars 

Die Charaktererstellung besteht im Wesentlichen darin, durch die Wahl des Aussehens und die Verteilung von Punkten auf Attribute und Fertigkeiten einen individuellen Avatar zu erstellen, mit dem die ersten Quests begonnen werden. Innerhalb der Spielmechanik werden damit sehr unterschiedliche Phänomene – so ließen sich Aspekte wie emotionale, soziale etc. Intelligenz zumindest analytisch unterscheiden – auf einen einzigen Wert reduziert und vergleichbar gemacht. Dies spiegelt eine ‚normalistische‘ Sichtweise auf den Menschen wider.25 

Der vom Literaturwissenschaftler Link geprägte Begriff des „Normalismus“26 beschreibt einen „‚Archipel‘ von Diskursen und Dispositiven“27, der im 18. Jahrhundert in ‚westlichen‘ Gesellschaften entstand. Link betont, dass ‚Normalität‘ kein ‚natürlicher‘ Zustand ist, sondern in spezifischen Diskursen, zunächst in der Medizin und der Demografie, hergestellt wird. Dabei wird ein „Normalfeld“28 eröffnet, in dem unterschiedliche Phänomene homogenisiert und damit vergleichbar gemacht werden. Dieser Vergleich basiert auf graduellen Abstufungen, die statistische Streuungen, Durchschnittswerte und Normalspektren erzeugen, was symbolisch durch die Gauß’sche Glockenkurve dargestellt wird. Die Mehrheit der Phänomene wird im mittleren Bereich situiert, während Randlagen als ‚anormal‘ gelten. Die Abgrenzung zwischen der „Zone der Anormalität“ und jener „der „Normalität“29 erfordert jedoch semantische Zuschreibungen, da die Mathematik keine qualitativen Grenzen definiert. In diesem Prozess werden die Kurvenverläufe mit einer „semantisch-qualitativen Schwelle“30 verknüpft, die wiederum bestimmte soziale Praktiken legitimiert. 

In den Fallout-Spielen legt das S.P.E.C.I.A.L.-System die Grundstruktur für diese Normalität fest. Hier wird algorithmisch bestimmt, welche Eigenschaften wie skaliert werden und welche Werte als ‚normal‘ oder ‚anormal‘ gelten. Diese Grenzziehungen sind bereits vor Spielbeginn festgelegt und bestimmen, wie Normalität im Spiel konstruiert wird.31) Die S.P.E.C.I.A.L.-Eigenschaften, die auf einer Skala von eins bis zehn bewertet werden, erhalten in den Spielen unterschiedliche Bezeichnungen. 

Generell führt die Ausprägung von 1 bis 10 Punkten zu den Wahrscheinlichkeiten, mit denen der Avatar bestimmte Vergleichsproben gewinnt. Bei einem Avatar mit sehr hohen Werten in bestimmten Eigenschaften sind die Wahrscheinlichkeiten höher, jene Vergleichsproben zu gewinnen, die auf diesen Eigenschaften basieren. Innerhalb der simulativen Dimension zeigt sich keine eindeutige Grenze zwischen Normalität und Anormalität. So liefert auch ein Wert von 10 keine Garantie, sämtliche Proben zu gewinnen; es gibt stets die Wahrscheinlichkeit eines randomisierten kritischen Fehlschlags. Ebenso führt ein Wert in Beweglichkeit von 1 nicht dazu, dass der Avatar unbeweglich wäre. Avatare mit einer Ausdauer oder Beweglichkeit von 1 können sich ohne Hilfsmittel fortbewegen, springen und all die anderen Aktivitäten, die Avatare mit höheren Werten ausführen können. Die Differenzen sind graduell und nicht kategorisch. 

Anders ist dies in der Beschreibung jener Wert durch das Spiel gelagert. In Fallout etwa reichen die Bezeichnungen von „übel“ bei einem Wert von 1 über „mittel“ bei einem Wert von 5 bis „spitze“ bei einem Wert von 10. Die Beschreibungen der Klassifizierungen sind nicht eindeutig darin, ob die Grenzen zwischen ‚anormal‘ und ‚normal‘ zwischen 1 und 2 oder zwischen 2 und 3 bzw. 8 und 9 oder 9 und 10 verläuft. Aber sie nutzen hier Begrifflichkeiten, die einen Umschlag von Quantität in Qualität vermuten lassen. In Fallout: New Vegas kommentiert ein ärztlicher non player character (NPC) die Werte des Avatars entsprechend: Bei einem Ausdauer-Wert von 1 empfiehlt er Rehabilitation, während er bei einer Ausdauer von 10 die außergewöhnliche Genesung des Charakters lobt. Diese beiden Werte werden hier besondert. Ein weiteres Beispiel in diesem Spiel liefert der NPC Hadrian, ein Stand-up-Comedian, der Witze über Eigenschaften des Avatars macht, die nicht dem Mittelwert von 5 entsprechen. Alles, was von diesem Wert abweicht, wird zum Anlass für Spott. In Bezug auf diesen NPC wird Normalität sehr eng gefasst. 

Noch stärker zeigen sich diese Bewertungen in einer Maschine in Fallout: New Vegas, die bestimmte Werte mit teilweise problematischen sozialen Zuschreibungen bezeichnet. Eine Person mit einer 1 in Intelligenz wird als „Sub-Brick“ bezeichnet, mit einer 2 als „Vegetable,“ mit einer 3 als „Cretin.“ Diese Bezeichnungen greifen auf abwertende Stereotype zurück, die in unserer physischen Realität als Beleidigungen für behinderte Menschen verwendet werden. Auf der anderen Seite des Spektrums werden Avatare mit extrem hohen Werten durch Begriffe wie „Hercules‘ Bigger Cousin“ (Stärke 10) oder „Omniscient“ (Intelligenz 10) beschrieben, was übermenschliche Fähigkeiten impliziert. 

Diese Grenzziehung in den Beschreibungen wird jedoch nicht übersetzt auf die simulative Ebene. Der Avatar mit derart hohen Werten ist weder allwissend noch unaufhaltsam; er liegt nur bei vielen Vergleichsproben klar im Vorteil. Narrative Übertreibungen, wie ein Avatar, der in Fallout mit einer Intelligenz von 10 eine Künstliche Intelligenz im Schach besiegt oder in Fallout 2 mit einer Stärke von 9 einen Supermutanten im Armdrücken schlägt, sind die Ausnahme. 

Die Grenzziehungen zwischen ‚normal‘ und ‚anormal‘ finden primär auf der narrativen Ebene statt, während die Spielmechanik graduelle Unterschiede beibehält. Während extreme Werte durch narrative Elemente als außergewöhnlich oder anormal dargestellt werden, offenbaren die spielmechanischen Auswirkungen keine derart absoluten Konsequenzen. Eine Ausnahme liegt bei geringen Werten für Intelligenz vor. 

Der Spezialfall der Eigenschaft „Intelligenz“ 

Eine fundamental andere Situation für sehr niedrige Werte gib es ausschließlich in Bezug auf einen sehr niedrigen Intelligenz-Wert. Dabei gibt es einige Unterschiede im Verlaufe der Fallout-Spielreihe. Wie Ledder32 herausgearbeitet hat, kann der Avatar mit einem niedrigen Intelligenz-Wert in Fallout und Fallout 2 kaum ein verständliches Wort sprechen. Dieser Mangel an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit führt oft dazu, dass fremde NPCs den Dialog beenden. Infolgedessen sind viele Quests, mit Ausnahme der Haupt-Quest, für einen Avatar mit niedriger Intelligenz nicht zugänglich. Dies führt zu eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten und damit zu einer anderen Vermittlung der storyworld. Die Spielweise mit einem geringeren Intelligenzwert führt zu einem grundlegend anderen Charakter, der durch eine deutliche Alterität gekennzeichnet ist. Die Tatsache, dass in beiden Spielen einige Quests gar nicht erst zur Verfügung stehen, ist eine dem Medium des Spiels angemessene Darstellung von Ableismus: Das Urteil über die kognitiven Fähigkeiten des Avatars verhindert dessen Teilhabe an Möglichkeiten, die anderen offenstehen. 

Im Gegensatz zu Fallout und Fallout 2 haben Avatare mit geringer Intelligenz in den neueren Spielen mehr Entscheidungsfreiheit. Sie können kurze Sätze mit simplen Vokabeln bilden, ihnen wird keine Quest vorenthalten, und das spielende Subjekt kann sich immer noch entscheiden, wie es mit bestimmten Situationen umgeht. Darüber hinaus stehen gegenüber Avataren mit mittleren der hohen Intelligenzwerten andere Antwortmöglichkeiten in Dialogen und andere Lösungsansätze für Quests zur Verfügung. Die Handlungsfähigkeit des Avatars wird somit nicht eingeschränkt, sondern lediglich anders strukturiert als bei Avataren mit höheren Intelligenzwerten. 

Der minimale Wert für Intelligenz in Fallout und Fallout 2 hat eine andere Bedeutung als derselbe Wert in Fallout 4 oder Fallout 76. Es entsteht jedoch nicht der Eindruck, dass spätere Spiele Avataren mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten gleiche Zugänge bietet, sondern dass Menschen mit bestimmten kognitiven Variationen, die in Fallout und Fallout 2 noch konstruiert wurden, in Fallout 4 oder Fallout 76 völlig fehlen. Es ist nicht mehr möglich, einen Charakter zu spielen, dem der Großteil des Ödlands nur mit Unverständnis begegnet. In Fallout und Fallout 2 wird ein Charakter mit niedrigem Intelligenzwert zwar von fast allen anderen abgelehnt, ist aber generell spielbar und steuerbar. Das Spiel setzt keine ‚normale‘ Kommunikation als Voraussetzung für den Fortschritt voraus; selbst ein Avatar, der hegemonial als ‚anormal‘ gilt, kann die Haupt-Quest bewältigen. In den späteren Fallout-Spielen variieren Avatare mit unterschiedlichen Intelligenz-Werten hingegen nur minimal. Im Laufe der Fallout-Reihe ist die Spannbreite der ‚normalen‘ menschlichen Eigenschaften stärker eingeschränkt worden. „Das ‚Normalfeld Intelligenz‘ wird damit verengt.33 

Von „Blindheit“ und „Verkrüppelungen“ 

Die Werte der Eigenschaften, Fertigkeiten und Extras eines Avatars in Fallout sind fixierte Werte, auch wenn einige unter bestimmten Bedingungen erhöht werden können. Zusätzlich können diese Werte kurzfristig modifiziert werden, insbesondere wenn sich der „Zustand“ des Avatars ändert. So haben „Verletzungen“ und „Wunden“ negative Auswirkungen. Diese Verletzungen beeinträchtigen eine Spielfigur. Beispielsweise kann der Avatar in Fallout 3 durch einen Schuss auf den Kopf eine „Gehirnerschütterung“ erleiden. Dies drückt sich simulativ dadurch aus, dass der Wert der Eigenschaft Wahrnehmung um 4 Punkte gesenkt wird. Zusätzlich wird die Umgebung visuell verzerrt dargestellt, als wäre die Sicht des Avatars beeinträchtigt und er könnte keine Konturen mehr fokussieren. Der verringerte Wert in Wahrnehmung führt dazu, dass gegnerische Einheiten auf der Mini-Karte erst später angezeigt werden. Fertigkeiten wie „Energiewaffen“, „Sprengstoff“ und „Dietrich,“ die vom Wahrnehmungs-Wert abhängen, sind während einer Gehirnerschütterung ebenfalls schlechter ausführbar.34 

Abb. 3: Fallout 3 – Eine Gehirnerschütterung verzerrt kurzzeitig die audiovisuelle Darstellung und senkt simulativ den Wert der Wahrnehmung um 4 Punkte. 

Ebenso kann der Avatar in Fallout und Fallout 2 durch gegnerische Attacken in den Zustand „verkrüppelte Arme“ versetzt werden. Solange die Arme verkrüppelt sind, hat der Charakter schlechtere Werte in „Nahkampfwaffen“ und „Unbewaffnet“; sind beide Arme ‚verkrüppelt‘, ist es zudem unmöglich, beidhändig geführte Waffen zu nutzen. Der Zustand „verkrüppelte Beine“ führt in Fallout und Fallout 2 zu einer Verringerung der Eigenschaft Beweglichkeit, was wiederum zu einer Verringerung der „Aktionspunkte“ und damit zu einer Verringerung der möglichen Handlungen pro Runde führt. In Fallout, Fallout 2 und Fallout Tactics kann ein kritischer Treffer gegen die Augen den Avatar in den Zustand „blind“ versetzen. In diesem Fall sinkt der Wahrnehmungswert; außerdem sinkt die Treffergenauigkeit jeder einzelnen Waffe. 

Zustände wie „blind“ oder „verkrüppelte Arme“ entsprechen, so scheint es, zunächst dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als ‚Beeinträchtigung‘ oder ‚Behinderung‘ bezeichnet wird. Allerdings simulieren diese Zustände in Fallout keine Beeinträchtigungen. 

Wenn wir in Fallout 3 die Mechanismen der „verkrüppelten Arme“ analysieren, stellen wir fest, dass diese hinsichtlich der Spielziele – insbesondere das Überleben im konfliktgeladenen Ödland – negative Auswirkungen haben. Da der Avatar in Kämpfen erfolgreich agieren muss, um zu überleben, stellt der Zustand einen klaren Nachteil dar. Der „verkrüppelte Arm“ wird dabei als defizitäre, individuelle Eigenschaft dargestellt, was zunächst den Anschein erweckt, dass es sich um eine Simulation einer ‚Beeinträchtigung‘ handelt. 

Gegen einen solchen Begriff spricht die Einfachheit, mit der der Avatar diesen Zustand wieder verliert. Ein Besuch beim Arzt, die Anwendung eines „Stimpaks“ oder eine Stunde Schlaf genügen, um die Verkrüppelung vollständig zu heilen. Dieser Zustand ist also von kurzer Dauer und kann schnell wieder behoben werden. Im Unterschied dazu wird ‚Behinderung‘ in der physischen Realität als eine permanente Eigenschaft beschrieben. So definiert z.B. in Deutschland das Neunte Sozialgesetzbuch „Menschen mit Behinderungen“ als jene Personen, deren Beeinträchtigung „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“35 vorliegt. Eine vorübergehende Einschränkung, wie ein gebrochener Arm, der nach vier Wochen heilt, wird weder rechtlich noch umgangssprachlich als ‚Behinderung‘ bezeichnet. Erst sofern eine pathologisierte Eigenschaft dauerhaft vorhanden ist, wird von einer ‚Behinderung‘ gesprochen. Sowohl die umgangssprachliche als auch die rechtliche Perspektive reduzieren das komplexe Phänomen ‚Behinderung‘ jedoch auf eine individuelle, medizinische Eigenschaft, die als Defizit wahrgenommen und überwunden werden soll. 

Entgegen dieser reduktiven Perspektiven auf ‚Beeinträchtigung‘ und ‚Behinderung‘ stehen jene Perspektiven, die die Vielfalt menschlicher Individuen zelebrieren. Denn es ist eine diskriminierende Annahme, dass jede Person, die aktuell als ‚Mensch mit Behinderung‘ kategorisiert wird, sich eine Veränderung ihrer Eigenschaften wünschen würde. Um dies zu verstehen, müssen wir begreifen, dass ‚Behinderung‘ weitaus mehr als eine medizinische Kategorie ist. 

Ein Beispiel dafür ist das Phänomen ‚Blindheit‘. In der medizinischen Klassifikation wie die ICF wird die „Funktionen des Sehens (Sehsinn)“ als „Wahrnehmung von Licht sowie von Form, Größe, Gestalt und Farbe36 definiert. Diese Perspektive vernachlässigt jedoch den relationellen Charakter von Sinnesorganen, die es ermöglichen, eine Verbindung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt herzustellen. Die Nutzung von Sinnesorganen wird biografisch geprägt und hängt von subjektiven Erfahrungen sowie konkreten Situationen ab. 

Der blinde Soziologe Saerberg beschreibt die sinnliche Wahrnehmung für die Praktik des Gehens wie folgt: „Der Wahrnehmungsstil eines Blinden ist […] geprägt von einem hochgradig komplexen Ineinandergreifen verschiedener Sinnesfelder, in dem sich die Aufmerksamkeit des navigierenden Subjekts ständig anderen Elementen des wahrnehmbaren Raums zuwendet“.37 Im Gegensatz dazu verlassen sich sehende Menschen beim Gehen hauptsächlich auf ihren Sehsinn, während andere Sinne kaum genutzt werden. In einer okularzentrischen Gesellschaft wird das Nicht-Sehen jedoch pathologisiert und stigmatisiert. Der Soziologe Schillmeier stellt mit Bezug auf die Akteur-Netzwerk-Theorie heraus, dass Blindheit historisch oft nur als das Andere des Sehens begriffen wird, als eine Negation des Sehens, aber nicht als etwas, das selbst generative Eigenschaften hat. Noch in der Aufklärung wird Blindheit mit epistemologischer Ignoranz assoziiert, während rationale Erkenntnis den Sehenden vorbehalten scheint.38 

In modernen Diskursen wird Blindheit weiterhin als eine Form reduzierter oder fehlender Sicht verstanden, was die Vielfalt der Erfahrungen und Praktiken blinder Menschen ignoriert. Diese Menschen interagieren in vielfältigen Beziehungen mit anderen Menschen, Tieren wie Blindenführhunden oder Gegenständen wie weißen Langstöcken und schaffen dadurch ihre eigenen Bewegungsräume. Diese Interaktionen zeigen, dass die Grenze zwischen ‚Behinderung‘ und ‚Nicht-Behinderung‘ erst durch das Zusammenspiel von Körpern, Objekten und Technologien ausgehandelt wird. Weder individuelle Fähigkeiten noch Objekte noch Technologien sind bereits determinierend hinsichtlich der Existenz einer (Nicht-)Behinderung.39 

Weder die Konzepte von Sinneswahrnehmungen noch der alltägliche Umgang mit ihnen sind fixiert. Sie sind selbst Produkte und Produzierende von Diskursen und Dispositiven. Blindheit ist folglich keine ahistorische Konstante, sondern mannigfaltigen gesellschaftlichen Faktoren unterworfen. 

Wenn in Fallout ‚Blindheit‘ lediglich als negativer Modifikator auf die Wahrnehmungsproben und Treffgenauigkeit dargestellt wird, wird eine verkürzte, medizinische Perspektive fortgeschrieben. Die Vielfalt möglicher Welterlebnisse, die sich aus unterschiedlichen sensorischen Variationen wie ‚Sehend-sein‘ und ‚Blind-sein‘ und all den Zwischenstufen ergeben, wird hier reduziert auf die hegemoniale Annahme, dass Blindheit immer mit schlechter Wahrnehmung gleichzusetzen sei. 

Es ist jedoch fraglich, ob die Fallout-Reihe überhaupt den Anspruch erhebt, ‚Behinderung‘ darzustellen. Der Zustand ‚blind‘ ist in den frühen Fallout-Spielen lediglich eine vorübergehende Modifikation; die Spiele sind nicht darauf ausgelegt, dass der Avatar lernt, mit einer veränderten Sinneswahrnehmung zu leben. Der Avatar ist definiert durch Eigenschaften, Fertigkeiten und Extras. ‚Blindheit‘ steht nicht als dauerhafte Eigenschaft zur Auswahl, sondern nur als ein Zustand, der aus ludischen Gründen schnell wieder behoben werden sollte. Die volle Funktionalität des Charakters ist eine Selbstverständlichkeit, und die Wiederherstellung dieser Funktionalität hilft bei Gewinnen. 

Behinderung ist jedoch weitaus mehr als ein körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand, es ist eine Erfahrung, eine Identität, eine Kultur, eine Gemeinschaft. Diese vielfältigen Facetten lassen sich nicht in einem Mechanismus abbilden, der einen Wert kurzfristig reduziert, wie die -4 auf Wahrnehmung infolge einer Gehirnerschütterung. 

Diese Erkenntnis scheint auch in der Entwicklung der Fallout-Reihe eingeflossen zu sein. Während in den ersten Fallout-Spielen ‚blind‘ ein – wenn auch kurzer – möglicher Zustand von Avataren ist, findet sich dieser Zustand in späteren Spielen nicht länger. Obwohl Fallout 3 eine visuell verzerrte Wahrnehmung in Folge der Gehirnerschütterung liefert, gibt es hier nicht mehr einen explizit ‚blinden‘ Zustand. Erst recht nicht wird einem Avatar die Gelegenheit gegeben, eine blinde Identität zu entwickeln. 

Ebenso wenig gibt es Avatare, die sich im Rollstuhl fortbewegen. Diese Möglichkeiten existieren in den Spielen nicht. Die Avatare in den Fallout-Spielen sind stark limitiert. Es werden nur diejenigen Avatare erschaffen, die vollständig funktionsfähig sind. Eine Konstruktion von Beeinträchtigung findet nicht statt. Die Möglichkeit, eine behinderte Person als Subjektposition zu spielen, wird den Spieler*Innen verwehrt. 

Zur ‚Verbesserung‘ des Avatars durch technologische Körpermodifikationen 

Die Eigenschaften und Zustände des Avatars werden nicht nur negativ modifiziert. Durch die Auswahl von Extras können einige Fertigkeiten und Attribute des Charakters signifikant gesteigert werden. Ein Extra kann bei einem Stufenaufstieg gewählt werden, oder unter bestimmten anderen Bedingungen. Während dies ludisch vor allem die Chancen auf erfolgreiche Proben erhöht, werden auf narrativer Ebene tiefgreifendere Aussagen getroffen. 

In Fallout 3 steigert das Extra „Cyborg“ die Schadensresistenz, die Giftresistenz und die Strahlungsresistenz um je 10% und die Fertigkeit „Energiewaffen“ um 10 Punkte. Entscheidet sich das spielende Subjekt bei einem Stufenanstieg für das Extra „Cyborg“, erhöhen sich die Chancen, mit der Energiewaffe Gegner*Innen zu treffen und Kämpfe zu überleben. Simulativ und ludisch funktioniert dieses Extra sehr ähnlich zum Extra „Abbruchexperte“, das bis zu dreimal gewählt werden kann und den Schaden durch Explosionswaffen jeweils um 20% steigert. In beiden Fällen handelt es sich um eine Steigerung der simulativen Variablen des Avatars und damit um eine Verbesserung hinsichtlich der ludischen Herausforderungen. Auf narrativer Ebene wird das Extra „Cyborg“ jedoch als tiefgreifender Eingriff in den Körper beschrieben: „Sie haben dauerhafte Verbesserungen an Ihrem Körper vorgenommen!“. Ein derartig invasiver Eingriff in den eigenen Körper wird weder im Extra „Abbruchexperte“ noch in irgendeinem anderen Extra expliziert. 

Dieser Eingriff wird in Fallout 3 als eine Selbstverständlichkeit postuliert wie die diversen anderen Extras. Tiefgehende Manipulationen des Körpers, die dazu dienen, die Siegbedingungen zu erreichen, werden hier als gleichwertige Werkzeuge angeboten. Eventuelle Bedenken über die Unverfügbarkeit des Körpers, wie sie seit den 1990er Jahren in der Bioethik im Zusammenhang mit sogenannten „Human Enhancement Technologies“ diskutiert werden, werden hier nicht thematisiert. 

Neben den langfristigen Änderungen durch Extras kann der Avatar durch den Einsatz von „Chems“ kurzfristig gestärkt werden. „Chem“ ist die Slang-Bezeichnung für Drogen in der Fallout-Reihe, und mit jedem neuen Spiel wird die Liste der verfügbaren Chems und ihrer Effekte erweitert. In Fallout 4 und Fallout 76 können Spieler*Innen verschiedene Zutaten kombinieren, um zusätzliche Chems herzustellen. 

Chems können eingesetzt werden, um bestimmte Attribute des Avatars für einen begrenzten Zeitraum zu verbessern. Sie bergen jedoch auch das Risiko der Abhängigkeit und können Entzugserscheinungen auslösen. Zusätzlich führen sie oft zu Veränderungen in der audiovisuellen Darstellung. So steigert in den frühen, rundenbasierten Spielen Fallout und Fallout 2 die Einnahme von „Buffout“ die Attribute Stärke und Geschicklichkeit um 2 Punkte und Ausdauer um 3 Punkte für 6 Stunden. Nach Ablauf der Wirkung sinken die Werte: Stärke und Geschicklichkeit um 2, Ausdauer um 1 Punkt, und dieser Zustand hält 18 Stunden an. 

In allen Spielen erhöht der Einsatz von Chems die Chancen, die Herausforderungen der direkten Zukunft zu überstehen. Innerhalb des S.P.E.C.I.A.L.-Systems können Chems temporäre Vorteile verschaffen. Das gesamte Spielsystem stellt den Chem-Einsatz als berechenbare Strategie dar. Das V.A.T.S.-System zeigt die Trefferwahrscheinlichkeiten bei einem Angriff an, und diese Wahrscheinlichkeiten können durch Chems erhöht werden. Es handelt sich also nicht um Glück, sondern um eine kalkulierbare Risikoplanung.40 Auch wenn auf narrativer und audiovisueller Ebene gelegentlich die Gefahren technologischer Körpermodifikationen thematisiert werden, wird auf simulativer und ludischer Ebene die kalkulierbare Optimierung des Körpers als Vorteil konstruiert.

 Abb. 4: Fallout 3 – Die Effekte der Chems „Med-X,“ „Mentat“ und „Psycho“ sind ebenso berechenbare Objekte wie die Panzerungselemente „Teslarüstung“ und „Teslasrüstungshelm.“ 

Das Thema der Körperoptimierung zieht sich durch viele digitale Spiele. Neben der Fallout-Reihe finden sich ähnliche Motive z.B. in Deus Ex: Human Revolution41, Mass Effect 242 oder BioShock43.44 Wie Castrodale am Beispiel der Mega Man-Reihe45 festhält, erlauben uns derartige Spiele, über posthumane Subjektivierungen nachzudenken.46 Während Castrodale eine ambivalente Perspektive vertritt, soll hier der herrschaftsstabilisierende Impetus dieser Spiele in den Fokus gerückt werden. In den Fallout-Spielen wird auf eine spezifische Weise eine Logik der Optimierung von den Subjekten eingefordert, die sie spielen. Der Körper wird dezidiert als eine veränderbare Entität konstruiert; die Quantifizierung des Körpers wird direkt gekoppelt mit spielmechanischen Elementen, die das Erreichen bestimmter Werte belohnen. Die technowissenschaftliche Optimierung des eigenen Körpers wird als Normalität konstruiert. 

Fazit 

Die Fallout-Spiele bieten eine Grundlage für die Analyse von Nicht_Behinderung und Normalität, indem sie spezifische Vorstellungen von körperlicher, geistiger und kognitiver Funktionsfähigkeit in einer postapokalyptischen Welt konstruieren. Die Charaktererstellung und das S.P.E.C.I.A.L.-System versprechen viele individuelle Freiheiten der Spielenden, doch eine Analyse offenbart die eingeschränkte Auswahl auf Individuen, die in der zeitgenössischen Gesellschaft als ‚nicht-behindert‘, ‚gesund‘ und ‚normal‘ gelten. Dem entgegen ist der Mangel an jenen physischen, psychischen und kognitiven Variationen zu benennen, die derzeit als ‚Beeinträchtigung‘ gelten. ‚Blindheit‘ taucht hier nur als kurzzeitiger Zustand auf, der einen negativen Modifikator auf Wahrnehmung bedeutet, aber nicht die Voraussetzung für eine andere Welterfahrung, Identität und Gemeinschaft bildet. Die Analyse zeigt, dass die Fallout-Reihe vor allem auf eine Logik der Optimierung und technologischen Verbesserung der Avatare setzt. Diese Normalisierung der Körperoptimierung durch mechanische oder chemische Eingriffe spiegelt einen gesellschaftlichen Diskurs wider, der Behinderung und Beeinträchtigung als zu überwindende Defizite versteht. 

Die Beschränkung der Analyse auf den Avatar ist stark limitiert. Die storyworld der Fallout-Spiele hat erheblich mehr zu bieten, als in einem Artikel darstellbar ist. So vermitteln die Spiele in der Verhandlung von Ghulen, Mutant*Innen und Robo-Brains ebenfalls spezifische Aussagen über Nicht_Behinderung und die Betrachtung der Charaktere Master in Fallout sowie Dog/God und Caesar in Fallout: New Vegas wären aus einer Mad Studies-informierten Perspektive sicherlich aufschlussreich.47 

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Fallout-Spiele nicht die Möglichkeit bieten, eine behinderte Figur zu spielen. Stattdessen zieht sich durch die gesamte Spielreihe der Imperativ zur Optimierung des Avatars. Dabei gerinnt die technologische Körpermodifikation zu einer Selbstverständlichkeit und der Körper erscheint als beliebig manipulierbares Objekt. In diesem Sinne sind Fallout-Spiele Medien des Optimierungsdiskurses, der Subjektpositionen des technologisch modifizierten, aber nicht des behinderten Menschen anbietet.

 

Medienverzeichnis 

Spiele 

2K Australia/ 2K Boston: BioShock (Win). USA/AUS: 2K Games 2007. 

Bethsesda Game Studios: Fallout 3 (Win). USA: Bethesda Softworks. 2008. 

Bethesda Game Studios: Fallout 4 (Win). USA: Bethesda Softworks 2015. 

Bethesda Game Studios: Fallout 76 (Win). USA: Bethesda Softworks 2018. 

BioWare Corporation: Mass Effect 2 (Win) USA: Electronic Arts 2010. 

Black Isle Studios: Fallout 2: A Post Nuclear Role Playing Game (Win) USA: Interplay Productions 1998. 

Capcom: Mega Man (NES). JP: Capcom 1987. 

Capcom: Mega Man 11 (Switch). JP: Capcom 2018. 

Eidos Montréal: Deus Ex: Human Revolution (Win). CAN: Square Enix 2011. 

Interplay Productions: Fallout: A Post Nuclear Role Playing Game. USA: Interplay Productions 1997. 

Micro Forté: Fallout Tactics: Brotherhood of Steel (Win). USA: 14° East 2001. 

Obsidian Entertainment: Fallout: New Vegas (Win). USA: Bethesda Softworks 2010. 

Bilder 

Artikelbild: Fallout 3 – Statusanzeige mit als “Crippled” bezeichneten Körperteilen (eigener Screenshot) 

Abb. 1: Fallout 3 – die von thermonuklearen Bomben zerklüftete Landschaft im Umkreis des früheren Washington, D.C. (eigener Screenshot) 

Abb. 2: Fallout – Charakterbogen inklusive der sieben Grundattribute des Avatars, der Fähigkeiten sowie eventuelle Wunden wie z.B. eine „Augenverletzung“ (eigener Screenshot) 

Abb. 3: Fallout 3 – verzerrte audiovisuelle Darstellung aufgrund einer Gehirnerschütterung (eigener Screenshot) 

Abb. 4: Fallout 3 – berechenbare Effekte der Chems „Med-X,“ „Mentat“ und „Psycho“ sowie der Panzerungselemente „Teslarüstung“ und „Teslasrüstungshelm“ (eigener Screenshot) 

Texte 

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  1. Zur Erläuterung des Begriffs ‚Nicht_Behinderung‘ s.u.[]
  2. Vgl. UPIAS: Fundamental Principles of Disability. 1976; Waldschmidt: Disability Studies. 2022, S. 124.[]
  3. Vgl. Lingelbach: Behindert/Nicht Behindert. 2018.[]
  4. Vgl. Garland-Thomson: Extraordinary Bodies. 1997: passim; Mitchell; Snyder: Narrative Prosthesis. 2001: passim; Schneider; Waldschmidt: Disability Studies. 2012, S. 97–100.[]
  5. Vgl. Garland-Thomson. Extraordinary Bodies. 1997, S.5–18; Hirschberg: Behinderung im internationalen Diskurs. 2009, S. 282–308.[]
  6. Schneider; Waldschmidt: Disability Studies. 2012, S. 144.[]
  7. Damit folgt dieser Artikel explizit diskurstheoretischen Ansätzen zum Verständnis von Nicht_Behinderung. Dass die Analyse leiblicher Erfahrung eventuell weiterer Ansätze bedarf, wird hier nicht ausgeschlossen (vgl. z.B. Boger: Risse in der Landschaft der Inklusionsforschung. Aktuelle Entwicklungen und offene Fragen. 2022, Maskos: Behinderte Subjekte als „Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse.“ 2022); für die Analyse der Konstruktion im Spiel ist diese Debatte jedoch nicht relevant.[]
  8. Eine solche Analyse von ‚abwertenden Darstellungen‘ wurde mit dem Begriff der ‚negative-image school of criticism‘ belegt. Mitchell; Snyder (Narrative Prosthesis. 2001, S. 20) z.B. kritisieren solche Analysen und weisen darauf hin, dass die Bewertung einer Konstruktion als positiv oder negativ vom jeweiligen eigenen kulturellen Hintergrund abhängt.[]
  9. Damit leistet dieser Artikel einen Konterpunkt zur Behauptung von Anderson: „A surprisingly small amount of formal research describes how people with disabilities are portrayed in video games“ (Anderson: Disability. 2023, S. 463). Es ist Anderson grundsätzlich zuzustimmen, aber es existieren mittlerweile einige signifikante Auseinandersetzungen mit der Konstruktion von (Nicht-)Behinderungen in digitalen Spielen. Dies sind insbesondere Carr: Ability, Disability and Dead Space. 2014; dto.: Bodies That Count. 2020, Ledder: Evolve today! 2015; dto.: On Dis/Ability within Games Studies. 2019; dto.: The Dis/ability of the Avatar. 2023; Jerreat-Poole: Sick, slow, cyborg. 2020; Rodéhn: Introducing Mad Studies and Mad Reading to Game Studies. 2022 sowie mehrere Beiträge in Görgen/Simond: Krankheiten in digitalen Spielen. 2020; Ellis et al.: Gaming Disability. 2023 und Spöhrer/Ochsner: Disability and Video Games. 2023.[]
  10. Vgl. Carr: Ability, Disability and Dead Space. 2014; Ledder: On Dis/Ability within Games Studies. 2019; Fontaine: Dis/Enabled Playing. 2024.[]
  11. Vgl. Nohr: Nützliche Bilder. 2014, S. 71-80.[]
  12. Vgl. Pias: ComputerSpielWelten. 2010.[]
  13. Vgl. z.B. Juul: Half-Real. 2005; Bogost: Persuasive Games. 2007; Nohr: Die Natürlichkeit des Spielens. 2008; dto.:Nützliche Bilder. 2014; Parisi: Game Interfaces as Disabling Infrastructures. 2024; Ledder: The Mediality of Dis/Ability. 2024a.[]
  14. Damit wird hier eine andere Methode vorgelegt, als sich bei den bisherigen diskursanalytischen Verfahren Foucaultscher Prägung für die Game Studies findet, etwa bei Nohr: Game Studies und Kritische Diskursanalyse. 2015 oder bei Pérez Latorre: The Social Discourse of Video Games Analysis. 2015.[]
  15. Vgl. Hensel: Know your paradoxes!“ 2015.[]
  16. Vgl. Neitzel: Narrativity of Computer Games. 2014.[]
  17. Vgl. Aarseth: Doors and Perception. 2007; Wardip-Fruin: Expressive Processing. 2006; zur Kritik hieran vgl. Kahrluhati: Do Videogames Simulate? 2014.[]
  18. Juul: Half-Real. 2005, S. 1.[]
  19. Vgl. Neitzel: Erlebtes Handeln in Computerspielen. 2012.[]
  20. Für eine ausführlichere Darstellung der vier Dimensionen und ihrer gemeinsamen Konstruktion von Nicht_Behinderung in digitalen Spielen vgl. Ledder: On Dis/Ability within Games Studies. 2019; dto.: The Dis/ability of the Avatar. 2023.[]
  21. Zur Entstehungsgeschichte der Fallout-Spiele s. Görgen et al.: Fallout…, Fallout bleibt immer gleich? 2024.[]
  22. Zur Einordnung von Postapokalypse als weißes Narrativ vgl. Maynard: Reading Black Resistance through Afrofuturism. 2019.[]
  23. Vgl. Apperley: Genre and game studies. 2006, S. 17.[]
  24. Vgl. Bonner: Offene-Welt-Strukturen. 2023, S. 699.[]
  25. Eine ausführlichere Erörterung des Normalismus im Rollenspiel ist ein Forschungsdesiderat; erste Überlegungen, insbesondere zu den Fallout-Spielen, finden sich bei Ledder: Limitierte Freiheit. 2024b.[]
  26. Link: Versuch über den Normalismus. 2009.[]
  27. Link: Versuch über den Normalismus. 2009, S. 50.[]
  28. Link: Versuch über den Normalismus. 2009, S. 51.[]
  29. Link: Versuch über den Normalismus. 2009, S. 46.[]
  30. Link: Versuch über den Normalismus. 2009, S. 123.[]
  31. In normalismustheoretischer Lesart sind digitale Rollenspiele folglich als ‚protonormalistisch‘ zu werten (vgl. Ledder: Limitierte Freiheit. 2024b, S. 153f.[]
  32. Vgl. Ledder: Limitierte Freiheit: 2024b.[]
  33. Ledder: Limitierte Freiheit: 2024b, S. 161.[]
  34. In Fallout New Vegas, ist es möglich, dass der Avatar den Trait „Vierauge“ erhält. Damit wird ein Avatar narrativ als ‚kurzsichtig‘ deklariert. Auf simulativer Ebene schlägt sich dies darin nieder, dass das ein Charakter -1 auf Wahrnehmung erhält; solange er eine Brille trägt, jedoch mindestens +1 auf Wahrnehmung. Damit wird die Sehkraft um maximal 10% gemindert; das ist weit entfernt von z.B. den Maßgaben zur Feststellung eines Grads der Behinderung.[]
  35. § 2 SGB IX.[]
  36. World Health Organization: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. 2005, S. 60.[]
  37. Saerberg: Über die Differenz des Geradeaus. 2007, S. 204. S.a. Dokumacı: Mikro-aktivistische Affordanzen. 2015.[]
  38. Vgl. Schillmeier, Rethinking Disability. 2010, S. 89–98.[]
  39. Vgl. Schillmeier, Rethinking Disability. 2010, S. 167.[]
  40. Diese Berechenbarkeit durchzieht sämtliche Fallout-Spiele und vermittelt deshalb eine andere Spielerfahrung, als Mayer behauptet (vgl. dto.: Technologie Krisenerfahrung. 2023). Mayer diskutiert die technologischen Katastrophen, die den narrativen Hintergrund für die Fallout-Spielen liefern und kommt zum Schluss: „Der Absturz wird somit zum erinnernden Element für die Tatsache, dass der vollständige Verlass auf die genutzten Systeme eine trügerische Sicherheit beinhaltet.“ Dem entgegen steht die Erfahrung der grundsätzlichen Planbarkeit der simulativen Verhaltensweisen. Wie Stang ausführt, rahmen diese Spiele mit ihrer kalkulatorischen Eineindeutigkeit das Phänomen der Postapokalypse neu (vgl. Stang: Irradiated Cereal and Abject Meat. 2022). Diese ist nicht länger eine Drohung mit dem Unbekannten, sondern die Spielmechaniken mit klar definierten Werten für radioaktive Verstrahlung und ihrer Bekämpfung verwandeln das Leben im nuklear verwüsteten Ödland in berechenbare Folgen. Während auf der narrativen Ebene die Technologie als Risiko präsentiert wird, wird sie auf simulativer Ebene vor allem als nützliches und optimierbares Instrument konstruiert.[]
  41. Eidos Montréal: Deus Ex: Human Revolution. 2011.[]
  42. BioWare Corporation: Mass Effect 2. 2010.[]
  43. 2K Australia; 2K Boston: BioShock. 2007.[]
  44. Vgl. Ledder: Evolve today! 2015; dto.: On Dis/Ability within Games Studies. 2019; dto.: The Dis/ability of the Avatar. 2023.[]
  45. Z.B.. Capcom: Mega Man. 1987 und Capcom: Mega Man 11. 2018.[]
  46. Vgl. Castrodale: Dis/abling Androids. 2023.[]
  47. Erste Anwendungen der Mad Studies im Bereich digitaler Spiele liefern Rodéhn: Introducing Mad Studies and Mad Reading to Game Studies. 2022 und Torabi; Preston: Echoes of Madness. 2024.[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Ledder, Simon: "Warum Blindheit mehr ist als ‚-4 auf Wahrnehmung‘. Über ‚Normalität‘, ‚Beeinträchtigung‘ und ‚Verbesserung‘ in den Fallout-Spielen". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 27.03.2025, https://paidia.de/blindheit-mehr-als-minus-4-auf-wahrnehmung-normalitaet-beeintraechtigung-fallout/. [30.03.2025 - 09:25]

Autor*innen:

Simon Ledder

Simon Ledder, Medienwissenschaftler und Soziologe, forscht an der Schnittstelle von Game Studies, Disability Studies und Gender Studies aus sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Er untersucht insbesondere die Konstruktion und Repräsentation von Behinderung, Nicht-Behinderung und Normalität sowie Fragen der Barrierefreiheit und Zugänglichkeit in digitalen Spielen. www.simonledder.net