Tagungsbericht: QUALITY GAMES? Computerspiele zwischen Kunst und Kommerz
Computerspiele wurden im Gegensatz zu Film, Funk und Fernsehen bisher meist nicht als Kunst- und Kulturgut, sondern eher als ein banales Unterhaltungsmedium und Spielzeug angesehen. Ein Grund hierfür ist, dass das Computerspiel im Vergleich das historisch jüngste Medium ist. Zudem ist es in besonderem Maße durch seine Technik geprägt und wird daher nicht selten allein darauf reduziert. Debatten über die gesellschaftliche Relevanz des Mediums sowie über die Frage, ob Videospiele als Kunst zu bezeichnen sind, werden jedoch aktuell intensiv geführt. Vor diesem Hintergrund hatte die Tagung Quality Games? Computerspiele zwischen Kunst und Kommerz das Ziel, sich kritisch mit vorhandenen Kriterienkatalogen auseinanderzusetzen und über Kriterien nachzudenken, anhand derer Computerspiele unter Berücksichtigung ihrer Vielseitigkeit genauer abgebildet werden können. Der Gesellschaft soll so auch der Zugang zum Medium durch bessere Orientierung erleichtert werden. Wie am besten abgesteckt werden kann, was ein „gutes“ Computerspiel ausmacht, und inwieweit feste Kriterienkataloge dabei überhaupt sinnvoll sind, waren wesentliche Fragen der Tagung.
Zum Einstieg in die Thematik wurden sowohl theoretische als auch praxisnahe Ansätze durch Kurzvorträge von Benjamin Beil (Köln), Markus Rautzenberg (Essen), Thomas Hensel (Pforzheim), Angelika Beranek (München), Daniel Heinz (Köln), Andreas Lange (Berlin), Winfried Bergmeyer (Berlin), Jochen Gebauer (Griesheim) und Thomas Hawranke (Köln) vorgestellt. Anhand der verschiedenen thematischen Schwerpunkte Philosophie und Design, Kunst- und Bildwissenschaft, Pädagogik, kuratorische und journalistische Praxis sowie darstellende Kunst wurde deutlich, dass der Umgang mit dem Begriff Qualität in seiner historischen Dimension schwierig, gar problematisch ist und dass er in der Praxis in Form von festgelegten Kriterienkatalogen und den vorhandenen, teils festgefahrenen Bewertungsmodellen oft nicht erfolgreich angewendet werden kann.
Einzelvorträge
Einstieg ins Thema - Prof. Dr. Benjamin Beil, Universität zu Köln
Einleitend wurden verschiedene Arten der Auseinandersetzung mit Videospielen thematisiert, etwa die museale Ausstellung, die Bewertung durch ein 100%-Skalen-Prinzip oder durch Kriterienkataloge, die bei Preisverleihungen oder in der Qualitätsdebatte beim Fernsehen zu finden sind.
Input „Philosophie und Design“ - Prof. Dr. Markus Rautzenberg, Folkwang Universität der Künste, Essen
Dem schloss sich die Frage nach dem Vorhandensein eines überhistorischen, sich durchziehenden Kunstbegriffs an. Hierbei muss zwischen Kunst und Ästhetik unterschieden werden: Kunst ist ein Modus ästhetischer Praxis, eine ästhetische Erfahrung und eine Begegnung mit Form. Daraus resultiert eine subjektive Qualitätsempfindung, die von außen im Lauf der Zeit durch verschiedene Rezeptionskontexte hinzukommt. So ist die Qualitätsempfindung schwer zu definieren und zu vermitteln. Für die Qualitätsanalyse ist es somit wichtig, den ontologischen und den historischen Kunstbegriff voneinander zu trennen.
Input „Kunst- und Bildwissenschaft“ - Prof. Dr. Phil. Thomas Hensel, Hochschule Pforzheim
Eine Möglichkeit, Qualitätsempfindungen darzustellen und als Bewertungsschema anwendbar zu machen, könnte ein im Detail jederzeit erweiterbares Cluster-Modell sein. Dabei ist für eine positive Gesamtwertung weder eine einzelne Eigenschaft allein ausreichend, noch müssen alle Kriterien erfüllt werden. Auf diese Art ermöglicht das Modell eine flexible Bewertung, die der großen Vielseitigkeit des Mediums eher gerecht wird als festgelegte Schemata.
Input „Pädagogische Praxis“ - Prof. Dr. Angelika Beranek, Hochschule für angewandte Wissenschaften München
Pädagogische Qualitäten sind dann vorhanden, wenn ein Spiel das Potential besitzt, positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung der Rezipient*innen einzuwirken. So können in diesem Rahmen Sozialverhalten, Kommunikation und Interaktion durch Selbstinszenierung, Partizipation, problemlösendes Denken, Kooperation, Selbstwirksamkeitserleben und Empathie-Empfinden trainiert werden. Darüber hinaus können Computerspiele Einblicke in andere Kulturen bieten, zum Teil komplexe Zusammenhänge der Realität abbilden, Werte und Normen hinterfragen sowie Rollenbilder vielfältig abbilden. Zu betonen sei hierbei auch, dass ein pädagogisch wertvolles Spiel Spaß machen solle und nicht nur zum Lernen, sondern auch zum Entspannen da sei.
Input „Kuratorische Praxis“ - Andreas Lange, EFGAMP e.V. und Winfried Bergmeyer, Stiftung digitale Spielekultur, Berlin
Vor dem Hintergrund der kuratorischen Praxis ist die Relevanz eines Spiels für ein übergeordnetes Thema als besondere Qualität festzuhalten. Hiermit verbunden ist auch der Wunsch, Datenbanken durch aussagekräftige Kriterien so zu gestalten, dass Recherchen zu Spielen mit den jeweils relevanten Qualitäten möglichst effektiv durchgeführt werden können. Somit sind Qualitätskriterien in beiden dieser Anwendungsbereiche dann sinnvoll, wenn sie innerhalb eines definierten Kontextes angewendet werden .
Input „Journalistische Praxis“ - Jochen Gebauer, gamespodcast.de, Griesheim
Im Journalismus sind mathematische Bewertungssysteme, -skalen, -statistiken und -listen beliebt, aus denen sich möglichst kleinteilig und genau – und somit scheinbar objektiv – Qualitäten beschreiben lassen. Da aber Kategorien wie beispielsweise Spielspaß äußerst subjektiv sind, kann ein Spiel mit einem solchen System im Gesamten letztlich nicht adäquat beschrieben werden.
Input „Quality-TV“ - Dr. Tanja Weber, Universität zu Köln
So wie die Diskussion um die Qualität von Videospielen, wurde und wird auch die Qualitätsdebatte um das Fernsehen über mehrere Phasen hinweg von Fachpersonal und Rezipient*innen unter wechselnden inhaltlichen Schwerpunkten, Maßstäben und Verfahren zur Messung geführt. Im Vergleich der beiden Medien Fernsehen und Computerspiel kann beobachtet werden, dass bei neu aufkommenden Medien zuerst eine Phase der Bewunderung auftritt, darauf folgt die Phase der Selbstverständlichkeit und zuletzt die Phase der Selbstreflexion. An dieser Stelle stand die Frage im Raum, in welcher der drei Phasen sich das Videospiel zurzeit befindet (Hensel).
Die Vorträge und Diskussionen haben gezeigt, wie unterschiedlich Schwerpunktsetzungen und Erfahrungen mit und Bewertungen von Qualitätskriterien und -systemen sind. Die Ansprüche an ein Konzept, in das all diese Bereiche einfließen sollen, damit es von möglichst universellem Nutzen ist, sind äußerst vielfältig und kompliziert umzusetzen.
Ausarbeitung in Arbeitsgruppen
Unter den Eindrücken der unterschiedlichen Inputs wurde in drei Gruppen anhand der Schlagworte Kontexte, Zielgruppen, Relevanz, Kriterien, Kategorien und Messbarkeit über konkretere Vorstellungen zu einem Bewertungsschema der Qualität von Computerspielen diskutiert.
Arbeitsgruppe I (Benjamin Beil, Angelika Beranek, Denise Gühnemann, Thomas Hensel, Torben Kohring, Britta Neitzel):
Kategorien für einen Qualitätsdiskurs sollen von gesellschaftlicher Relevanz sein und in einem Katalog festgehalten werden. Die dort beschriebenen Kategorien müssen stets aktuell gehalten werden, sodass der Katalog nicht veraltet und Schritt hält mit dem sich schnell weiterentwickelnden Medium. Hierfür werden zunächst eher unkonventionelle, bislang teils negativ besetzte und häufig gemiedene Themen als Kategorien vorgeschlagen, um diese zu enttabuisieren. So wurde hier an Begriffe wie Glücksspiel, Sex/Gender, Sucht, Gewalt und Rassismus gedacht, aber auch weniger kontroverse Kategorien wie Humor sind vorgesehen. Als herausragend gelten im Rahmen eines solchen Bewertungssystems Spiele, die in besonderem Maße reflektiert mit problematischen Themen umgehen oder sich im Rahmen der spezifischen Möglichkeiten des Mediums Computerspiel hervortun. Ein Beispiel für Letzteres wäre der Titel Octodad (2010) in der Kategorie Humor, da hier die Spielsteuerung ad absurdum geführt wird.
Arbeitsgruppe II (Jochen Gebauer, Sonja Klann, Daniela Kortebusch, Andreas Lange, Hanns Christian Schmidt, Linda Scholz, Benjamin Strobel):
Im Hinblick auf die Beurteilung der Qualität von Computerspielen müssen diese zunächst als Bedingung für eine weitere multiperspektivische Betrachtung nach den folgenden ludischen Aspekten als „gute Spiele“ eingestuft werden: Interaktivität, Involviertheit, Usability, Unterhaltungswert, Zugänglichkeit, Design. Erfüllt ein Spiel diese Voraussetzungen, können in einem nächsten Schritt weitere, den erstgenannten unterzuordnende Kriterien in die Qualitätsdebatte einfließen: Gesellschaftliche/kulturelle Relevanz, Cultural Diversity, Politik, Pädagogisches Potential, Selbstreflexibilität, Originalität/Innovation, Ästhetik, Musik, Kunst, Soziale Angebote/Teilhabe, Anknüpfungspunkte jenseits des Spiels (Fanart, Modding, Cosplay), Denkanstöße und Motivation zum tatsächlichen Handeln.
Arbeitsgruppe III (Winfried Bergmeyer, Daniel Heinz, Heiko Kirschner, Markus Rautzenberg, Tanja Weber, Wolfgang Zielinski):
Eine objektive Bewertung scheint weder messbar noch sinnvoll zu sein. Stattdessen liegt der Fokus auf einer aktuellen, gesellschaftlichen Perspektive, aus der sich momentan relevante Kriterien entwickeln. Darüber hinaus soll die Aneignung eines Spiels in der Gesellschaft berücksichtigt werden, die deutlich wird anhand von Let’s Plays, Veränderungen durch die Community (Mods), Memes, öffentlichen und privaten Diskursen sowie sonstigen gesellschaftlichen Phänomenen oder Transformationsprozessen, die durch das Computerspiel ausgelöst oder gefördert werden. Auf diese Art kann die gesellschaftliche Relevanz eines Spiels untersucht werden. Im Fokus steht somit die periodische Abbildung der Beschäftigung mit den Wirkungsdimensionen eines Spiels. Konkret bedeutet dies, dass für diese Qualitätsdebatte ein aktuelles Thema und dazu passende, wandelbare, für den jeweiligen Zeitpunkt anwendbare Kriterien festlegt werden. Die darauffolgenden Bewertungsprozesse werden transparent und nachvollziehbar gestaltet und sorgfältig dokumentiert. Begleitend sind eine Publikation und/oder eine zugehörige Ausstellung denkbar.
Abschlussdiskussion und Fazit
In der Abschlussdiskussion waren sich alle drei Gruppen darüber einig, dass Kategorien und Kriterien zur Qualitätsbewertung von Computerspielen als wandelbar, intersubjektiv aushandelbar und offen gehandhabt werden müssen. Ein Qualitätsbewertungssystem soll unbedingt auf Aktualität und gesellschaftlicher Relevanz basieren. So werden sowohl der Entstehungsprozess als auch der gesellschaftliche Aneignungsprozess berücksichtigt und es wird als wichtig empfunden, diese Varianz transparent zu machen.
Die Tagung gab einen guten Überblick über die verschiedenen Bedürfnisse, Anwendungsbereiche und Zielgruppen, die in der Qualitätsdebatte um das Computerspiel mitzudenken sind. Erste Schritte auf dem Weg zu einem Bewertungsschema sind dadurch getan, dass die Teilnehmer*innen gemeinsam wichtige Eckpunkte für ein im Kontext der qualitativen Bewertung von Computerspielen neuartiges Modell abstecken konnten. Ebenso ist deutlich geworden, wovon man sich in der Entwicklung dieses Modells abgrenzen möchte; nämlich von den bislang gängigen Methoden wie festen Kriterienkatalogen und mathematischen Punktesystemen, die nur scheinbar objektiv sind. Stattdessen stehen Transparenz, Offenheit und somit letztlich eine dem Spiel gerecht werdende Bewertung im Fokus.
Programm
1. Oktober 2018
Einstieg ins Thema
Prof. Dr. Benjamin Beil, Universität zu Köln
Input „Philosophie und Design“
Prof. Dr. Markus Rautzenberg, Folkwang Universität der Künste, Essen
Input „Kunst- und Bildwissenschaft“
Prof. Dr. Phil. Thomas Hensel, Hochschule Pforzheim
Input „Pädagogische Praxis“
Prof. Dr. Angelika Beranek, Hochschule für angewandte Wissenschaften München
Input „Gütesiegel - Pädagogisch Wertvoll“
Daniel Heinz, Spieleratgeber-NRW, Köln
Input „Kuratorische Praxis“
Andreas Lange, EFGAMP e.V. und Winfried Bergmeyer, Stiftung digitale Spielekultur, Berlin
Input „Journalistische Praxis“
Jochen Gebauer, gamespodcast.de, Griesheim
Performance Lecture
Thomas Hawranke, Kunsthochschule für Medien Köln
2. Oktober 2018
Input „Quality-TV“
Dr. Tanja Weber, Universität zu Köln
Arbeitsphase I
Arbeitsphase II
Ergebnisvorstellung
Abschlussdiskussion im Plenum