Wallis, John; Newbery, Elizabeth: New Game of Human Life. 1790.

Spielförmige Emergenz: Für eine Neubestimmung der Spielwissenschaften

15. Oktober 2021
Erstkorrektur: Franziska Ascher / Zweitkorrektur: Florian Nieser
Abstract: Markus Rautzenberg, Rolf F. Nohr, Claus Pias und Gabriele Gramelsberger stellen in ihrem Beitrag die häufige Assoziation der Handlungsform Spiel/Spielen mit dem Computerspiel sowie den Begriff des Spielens selbst in Frage und erweitern die Perspektive des CfPs auf „spielförmige Wissensprozesse“ hin.

Markus Rautzenberg / Rolf F. Nohr / Claus Pias / Gabriele Gramelsberger

 

Die Jubiläumsausgabe der PAIDIA fragt nach den Entwicklungen in den Game Studies in den letzten zehn Jahren, nach Veränderungen in Methodik, Zugängen und Forschungsinteressen. Zudem fragt sie nach dem Status Quo der Disziplin Game Studies. Unser Beitrag zum Jubiläum wäre nunmehr eine provokante Zurückweisung all dieser Grundannahmen. Erstens erscheint uns die Zeitspanne von 10 Jahren obsolet, da sich zu konstatierende Strömungen der Game Studies nunmehr schon wesentlich länger mehr oder weniger unverändert entfalten. Zweitens scheinen uns die Game Studies in Methodik, Zugriff und Interesse orthodox und atomisiert, und drittens scheint uns ihr Status als (homogen angenommene) Disziplin problematisch. Nachdem nun der (offensive) Ton gesetzt ist, sei jedoch bereits hier zweierlei betont: Zum einen bitten wird unsere folgenden Ideen als produktiven Vorschlag und als konstruktive Kritik zu lesen und nicht als ‹Nestbeschmutzung› (oder gar als verbittertes Granteln ältlicher VeteranInnen). Und zum zweiten gilt es an dieser Stelle natürlich auch zu gratulieren: der PAIDIA zu 10 Jahren hervorragender Veröffentlichungen – und den Game Studies zu ihrer bisherigen Karriere.

Im Folgenden sollen zwei Dinge in Frage gestellt werden: einerseits die spontane Assoziation der Handlungsform Spiel/Spielen mit dem (Consumer-) Computerspiel und die damit einhergehende ›Verdinglichung‹ ‒ und andererseits der Begriff des Spielens selbst. Im Sinne einer Ausweitung epistemologischer Perspektiven scheint es an dieser Stelle vielmehr angebracht, von spielförmigen Wissensprozessen auszugehen. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, diese Wissensprozesse vorrangig unter den Prämissen von beispielsweise Emergenz(bearbeitung), Erfahrung(sformen) und Erkenntnis(produktivität) zu betrachten.1 Aus dieser Perspektive resultiert: 1. eine Auflösung des engen Bezugs der Game Studies 2 auf den Computer (und seine Geschichte), 2. eine Erweiterung des epistemologischen Rahmens des Erkenntnisansatzes der Game Studies sowie 3. eine Neubestimmung der epistemischen, produktiven und funktionalen Dimension der Kulturtechnik Spiel.

Aktuelle Ansätze der Spielforschung werden weniger durch verbindliche und grundlegende Paradigmen zu Begriff und Praxis des Spiels als vielmehr durch einen vagen ›Objektbezug‹ zum Computer zusammengehalten. Obwohl von Immanuel Kant bis Ludwig Wittgenstein, von Friedrich Schiller bis Jacques Derrida, von John von Neumanns mathematischer Spieltheorie bis zu Claude Lévi-Strauss’ «wildem Denken» die enorme Bedeutung des Spiels für menschliche Existenzweisen unbestritten ist, lässt eine integrative Grundlagenforschung zum Thema Spiel bis heute auf sich warten. Und auch die enge Bindung der Game Studies an die digitale Kultur wird nur allzu oft als historisch-evolutionäre Koppelung begriffen und nicht auf ihre wechselseitigen Bedingungen hin befragt. Selbstverständlich reflektieren (auch und gerade) die historisierenden Ansätze der Game Studies, inwieweit Computerspiele als symbolische Formen und Handlungspraktiken in ihrer Genese und Ausprägung durch eine genuine Eigenlogik der Computerkultur geprägt sind. Dennoch begreifen die Game Studies den Begründungszusammenhang von Computerspielen oftmals eher unterkomplex – beziehungsweise haben nur bedingt kohärente medienhistorische oder -archäologische Herangehensweisen entwickelt, die zumeist kaum über eine eher von Innovationsnarrativen getriebene oder autorenzentrierte Ordnung von Hard- und Softwareentwicklung hinausgehen. Ansätze, die versuchen, eine ‹eigensinnige Geschichte› des Computerspiels zu schreiben, sind in der Minderzahl.3 Dieses Desiderat erscheint signifikant für eine epistemologische Reduktion, die den Game Studies seit geraumer Zeit innewohnt. Die Verdinglichung des Spiels in Technologie, Aufführung, Artefakt oder Autorenpraxis ist unseres Dafürhaltens ein Produkt einer anhaltenden Verengung des Spielbegriffs. Der Hinweis auf diese ‹verdinglichende Verengung› erfolgt hier zunächst nur zur Verdeutlichung, welchen Zugewinn die Game Studies erfahren könnten, wenn sie die Geschichte und Form des Spiels in ein eher dialektisches und sich gegenseitig evozierendes Wechselverhältnis von technischer Genese und kulturellen epistemischen Praktiken setzen würden. ‹Spielerische› Erkenntnisprozesse und spielförmige Subjektpraktiken würden dadurch enger beziehbar auf Dynamiken technischer Konstellationen, komplexer Diskursdynamiken, epistemischer Räume, Wissensordnungen und ökonomischer Bewegungen.

Bevor im Folgenden ein Vorschlag zur Erforschung spielförmiger Emergenzprozesse detaillierter vorgestellt werden soll, scheint es sinnvoll, zunächst das weite Feld der unterschiedlichen epistemologischen Wege zu den aktuellen Spielbegriffen zumindest skizzenhaft nachzuvollziehen – nicht zuletzt, um damit anzudeuten, dass sich eine aktuelle Spieleforschung gerade aus ihren disparaten (und teilweise inkommensurablen) Vorbedingungen befruchten kann und weniger als ein meta-theoretisches Unifizierungsprojekt oder als disziplinäres Konkurrenzprojekt zu veranschlagen ist.

Wege zum Spielbegriff

Um das Spiel als strukturbildende prozesshafte, emergente Dynamik zu reflektieren, sollen in diesem Sinne zunächst schlagwortartig die bisherigen Ansätze im Feld beschrieben werden. Als Fokus hierbei gilt: die Pluralität der Reflexion existiert, eine Orientierung auf die epistemologische Dimension des Spiels als Prozess ist grundsätzlich – wenn auch oft eher latent – vorhanden. Allerdings gälte es noch, Disparates zu bündeln und aufeinander zu beziehen. Dazu kann eine Palette unterschiedlicher Denkstile auf ihre gegenseitige Durchdringung und Kommensurabilität überprüft und herangezogen werden. Zudem liegen bereits einige Ansätze zu einer Spielwissenschaft mit unterschiedlichem Objektbezug vor, die als epistemische (ebenso genealogisch-archäologische) Tiefendimension begriffen und dienlich gemacht werden können. Erst die Verschränkung der Perspektiven in einem interdisziplinären Denkraum verspricht aber eine substanzielle Befassung mit Begriff(-sgeschichte), historischer Dimension, Form-, Sinn- und Bedeutungskonstitution sowie kulturtechnischen Belangen.

Solche Überlegungen und Ansätze prägen das Bild der aktuell existierenden Game Studies substanziell: In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurden immer wieder (disparate und marginale) Ansätze aufgeworfen, um eine integrative Spielforschung zu etablieren. Dabei müssen sich solche (wie auch zukünftige) integrative Ansätze dahingehend befragen lassen, inwieweit sie im Rahmen der vage etablierten Game Studies verortbar sind, oder inwieweit sie über diese hinausgreifen.

Game Studies bezeichnet ein Feld von Ansätzen, die um Computerspiele (und deren wissenschaftliche Nobilitierung) entstanden sind, und das durch eine Mischung von Ad-hoc-Setzungen und interdisziplinären, meist philologischen und philosophischen Theorieimporten gekennzeichnet ist. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte konnten sich Game Studies in unterschiedlichen Wissenschaftskulturen, nationalen und kulturellen Varianten sowie fachgesellschaftlichen Organisationsstrukturen etablieren. Game Studies sind zumeist kulturwissenschaftlich orientiert und beschäftigen sich wesentlich mit ästhetischer Praxis und handlungstheoretischen Dimensionen. Die (im deutschsprachigen Raum) hohe Integration der Game Studies in die Medienwissenschaft erscheint (wie oben bereits angedeutet) angesichts der raschen, technologisch getriebenen Entwicklungsdynamik des Computer- und Videospiels zunächst sinnfällig, führt allerdings auch zu einer spezifischen Fokussierung auf Setzungen, bei denen bspw. narrationstheoretische und autorenzentrierte Betrachtungsformen, Rezeptionsstudien und die Untersuchung von Innovationsdiskursen dominant werden (Narrationstheorie, Genretheorie, Raumtheorie, Partizipations- und Immersionsforschung usf.). Darüber hinaus sind Game Studies oft auf kulturelle Aushandlungen hin ausgerichtet (etwa ‹Killerspiel›- oder ‹Sucht›-Debatten). Im internationalen Diskurs steht die 2003 gegründete Digital Games Research Association (DIGRA) prototypisch für eine solche Beschäftigung mit dem Spiel und bezieht sich auf die Untersuchung von «digital games and associated phenomena». Im deutschsprachigen Raum markiert die Gründung der AG Games in der Gesellschaft für Medienwissenschaften einen zwar interdisziplinären, letztlich aber ebenfalls auf digitale Spiele fokussierten Zugriff auf das Spielförmige. Ab etwa 2010 lässt sich (national wie international) eine Konsolidierung der Game Studies beobachten, innerhalb derer sich eine Ausdifferenzierung des Feldes mit einem latenten Rückzug in die einzelnen Fachdisziplinen verbindet. Dabei kommt es auch zur Abkoppelung von Projekten und Ansätzen, die das Spielförmige bereits mit längerem Vorlauf bearbeiten.

Hier sind vor allem die im klassischen Sinne kulturwissenschaftlich orientierten und zumeist anthropologisch argumentierenden Spielwissenschaften4 zu nennen, aber auch Studien, die vorrangig operationale und funktionale Aspekte des Spiels untersuchen.5 Diese im weitesten Sinne pädagogischen und psychologischen Zugriffsweisen (Spielpsychologie, Spielpädagogik, Spieldidaktik, Sportwissenschaft, Spielsoziologie) begründen sich zumeist in den 1970er-Jahren und beziehen sich dabei vorrangig auf Ansätze, wie sie in der Spielpädagogik,6 der Theaterwissenschaft oder der Psychologie7 etabliert wurden. Ansätze, die sich im weitesten Sinne unter dem von Clark C. Abt8 geprägten Begriff serious gaming subsumieren lassen, berühren sich nur punktuell. An dieser Stelle scheint – vereinfacht gesprochen – eine unterkomplexe Einteilung in analoge und digitale Spiele die Paradigmatik der jeweiligen Herangehensweisen zu deklinieren. Darüber hinaus existieren aber auch seit den 1960er-Jahren Ansätze aus der Ingenieurswissenschaft, der jungen Informatik und der Computer Science, die ebenso spielförmige Prozesse in enger Anlehnung an das Operations Research, die mathematische Spieltheorie, sowie unter punktueller Bezugnahme auf spielpädagogische Ansätze integrieren9 und dabei vorrangig digitale Kulturen und technologische Dynamiken untersuchen.

Viele der hier verhandelten Ansätze und Begriffe sind (zuweilen eng, zuweilen eher vage bis metaphorisch) verschaltet mit Mathematik, Informatik und den Debatten um Kybernetik und Künstliche Intelligenz. John von Neumanns Theorie der Gesellschaftsspiele10 setzte nicht nur am Sozialen des Spiels an, sondern bringt erstmals Gesellschafts- und Strategiespiele als paradigmatische Experimentalsysteme für die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ins Spiel. Rationales Entscheidungsverhalten soll hierbei durch Spieltheorie untersuchbar gemacht werden, dessen Sozialität in die interdependente Entscheidungssituation des Spiels eingeschrieben ist. Seither lässt sich die Geschichte der KI entlang der Geschichte der durch die KI in Angriff genommenen Spiele erzählen:11 klassisch orientiert in den 1940er- und 1950er-Jahren an Strategiespielen wie Schach oder Checkers, pragmatisch orientiert ab den 1980er-Jahren durch maschinelle Lernverfahren (ML) gestützte Lösungen für die Schach- und Go-Algorithmen eines Deep Blue von IBM oder Alpha Go von Google.12 Mathematische Spieltheorie hat sich aber auch als zentrale Basis ökonomischer Theorie herausgebildet und als Operations Research zur Steuerung von Unternehmen und Finanzmärkten beigetragen.13 Insofern zählt die mathematische Spieltheorie zu den einflussreichsten Metatheorien des digitalen Zeitalters, die gemeinsam mit Probabilistik, Stochastik und Risikomanagement den epistemischen Rahmen der postindustriellen Gesellschaft bildet. Die Fragen, die sich hier stellen, sind solche nach dem Verhältnis der unterschiedlichen Spielkonzepte und nach dem Potenzial einer integrativen Spielforschung als Perspektivierung zentraler Fragen der Gegenwart und Zukunft.

Die in den 1960er-Jahren entstehende experimentelle Ökonomik etabliert einen eigenen Begriff von Modellen als Experimentalsituationen, die als Labore begriffen werden. Inspiriert durch die mathematische Spieltheorie begannen Theoretiker wie Heinz Sauermann und Reinhard Selten, (im weitesten Sinne) ökonomische Theorien experimentell zu evaluieren. In der Quintessenz versteht die Ökonomik hier das Simulationsspiel als ein Verhaltensexperiment, das ökonomisches Verhalten in Relation zu einer mathematischen Modellierung setzt und insofern als experimenteller Beweis für die ‹Naturhaftigkeit› marktförmigen Verhaltens Geltung sucht.14 Experimente überprüfen dabei in der Regel psychologische Grundlagen individuellen Handelns in ökonomisch relevanten Entscheidungssituationen.15 Die experimentelle Ökonomik steht für eine Empirisierung der Ökonomie und eines spezifischen Spielbegriffs, die bis heute geltungsmächtig und in ihrer Naturalisierungstendenz nicht unumstritten ist.16 Hier entsteht ein eigeständiger spielförmiger ‹Handlungsbegriff›.

Spielförmige Strukturierungs- und Handlungsprozesse prägen auch das Bild der Soziologie. Seit Max Webers Analysen zum Geist des Kapitalismus17 steht die Aushandlung von Ungewissheit sowohl theoretisch als auch methodisch im Zentrum der Soziologie. Insbesondere die Systemtheorie Niklas Luhmanns (1987) ist auf Konzepte wie Kontingenz, Grenze, Differenz und Paradoxie hin ausgerichtet, während Erving Goffmans Rahmenanalyse ebenfalls auf den Beobachter zweiter Ordnung angewiesen ist. Bei beiden stand Gregory Bateson18 (1955) Pate, der mit Luhmann und Goffman zwei bedeutende soziologische Theorieangebote angeregt hat. In zunehmend komplexer werdenden Gesellschaften, in denen eine Lenkung immer unmöglicher zu sein scheint, ist demzufolge das Spiel als Medium zu begreifen, in dem Soziales ausgehandelt wird.

Einen weiteren wichtigen Strang bildet die Beschäftigung mit dem Spiel unter den Prämissen von Kunst, Kunsttheorie oder Ästhetik. Nicht zuletzt seit Immanuel Kants Diktum vom Geschmacksurteil als freiem «Spiele der Erkenntniskräfte» in der Kritik der Urteilskraft steht das Spiel im Zentrum von Erkenntnistheorie, philosophischer Ästhetik und Kunsttheorie. Nach Friedrich Schiller,19 den Romantikern und vor allem Friedrich Nietzsche20 haben im zwanzigsten Jahrhundert in dessen Nachfolge Georges Bataille,21 Jacques Derrida22 und Hans-Georg Gadamer23 auf die Rolle des Spiels nicht nur für die ästhetische Erfahrung aufmerksam gemacht. Spiel als Seinsmodus kommt hier genauso zur Sprache wie in der Kunst, die von Mallarmés Würfelwurf24 über Aleatorik in der Musik (John Cage, Pierre Boulez) bis hin zu den absurden algorithmischen Bühnenverfahren Samuel Becketts Spiel in vielen Facetten nicht nur thematisiert, sondern immer auch zum Agens ihrer Verfahren gemacht hat. Ludwig Wittgensteins «Sprachspiel»25 nimmt hier eine Sonderrolle ein, kann dessen Spätphilosophie doch geradezu als Paradigma einer Philosophie der Kontingenzbewältigung im Medium der Sprache begriffen werden. Heute steht etwa im Spekulativen Realismus26 die Frage nach Kontingenz wieder im Mittelpunkt, und es wäre zu fragen, ob in der Integration des Spiels ein Missing Link dieser Philosophierichtung zu finden sein könnte.

Die großen Grundlagentexte zur kulturwissenschaftlichen Spieltheorie sind im Kontext von Anthropologie, Ethnologie und Religionswissenschaft entstanden. Marcel Mauss27 entdeckte im Potlatsch eine Form ökonomischen Handelns auf Basis des Spiels. Die große Bedeutung des Spiels für die Ökonomie hat sich bis heute – allerdings unter völlig anderen Vorzeichen als bei Mauss – erhalten (mathematische Spieltheorie). Johan Huizinga28 betonte angesichts der Katastrophe des zweiten Weltkrieges die Rolle des Spiels nicht als das ‹Andere› des Ernstes, sondern als Residuum des «heiligen Ernstes» selbst. Seine oft missverstandene These lautet nicht, dass alle Kultur Spiel ist, sondern dass Kultur spielförmig ist. Im Bannkreis des Surrealismus und George Batailles entwirft Roger Caillois29 eine Typologie der Spielformen, und Claude Lévi-Strauss’ Begriff der «Bricolage»30 koppelt Epistemologien des «wilden Denkens» an spielförmige Handlungen. Spiel gilt hier fast durchweg als «anthropologische Konstante»: Wie ist das zu historisieren, welche historischen Diskursformationen führen zu einer solchen Verabsolutierung?

Eine andere Verabsolutierung erfährt der Spielbegriff wiederum in Psychoanalyse, Psychologie und Pädagogik. Siegmund Freuds ‹Fort-Da›-Spiel31 gilt ihm als ein Quellpunkt der Sprachgenese und gleichzeitig Subjektwerdung. In der psychoanalytischen Tradition wird fortan in diesem Sinne auf das Spiel zurückgegriffen, sobald es um grundlegende Aspekte des psychischen Lebens geht. Freuds Spur folgend ist zum Beispiel auch die Urszene der Subjektkonstitution des Kleinkindes im Spiegelstadium als ein spielförmiger Emergenzprozess bereits in der Beschreibung Lacans32 angelegt. Der Wittgenstein- und Austin-Schüler Gregory Bateson, der für die Entwicklung der Antipsychiatrie ebenso wichtig war wie für die Kybernetik, kommt über eine Theorie der Schizophrenie zu seiner Theorie des Spiels33 und sucht auf dem Weg dorthin nach dem Anfang der Sprache bei den Primaten, wobei er auf das Spiel als Quellpunkt der Sprache im Tierreich stößt. In diesem Zusammenhang ersinnt Bateson die Kategorie des Framing, die, insbesondere in der Ausformulierung seines Schülers Erving Goffman,34 zu einer Theorie des Sozialen als spielerische Performanz ausmodelliert wird. «Framing»35 ist dabei bis heute ein zutiefst spieltheoretischer Terminus geblieben, wobei jedoch genau dieser Hintergrund in den diesbezüglichen theoretischen Diskussionen nicht mehr präsent ist. Die Pädagogik zuletzt hat seit jeher ein intrinsisches Interesse am Spiel als Medium des Lernens. Diese Disziplin hat sich auch als erste grundlegend mit Computerspielen beschäftigt.

Spiel ist kein ‹Ding›, sondern ein Modus, der prozesshaft gedacht werden muss. Mit vielen der genannten Positionen kann argumentiert werden, dass es sich beim Spiel um einen Modus zur Aushandlung von Ungewissheit handelt, in dem Spieler, gesellschaftliche Gruppen sowie epistemische, psychische oder logische Ebenen auf besondere Weise aufeinander bezogen werden und in Relation zueinander treten. Auf dieser Grundlage kann man vom Spiel auch als Kulturtechnik sprechen, in der Kontingenzerfahrung zu Ungewissheitsaushandlung quasi abgemildert oder reduziert wird. Es besteht hier nicht zuletzt die Aussicht auf einen Medienbegriff, der sich ein Stück weit vom Erbe der Informationstheorie löst, also nicht auf Transfer oder Übertragung gemünzt ist.36 Der Witz am Spiel ist seine Fähigkeit, auch ansonsten inkompatible, sich ausschließende Ebenen miteinander in Beziehung zu setzen, also Relationen zwischen konstitutiv Unverbundenem herzustellen und somit ein Modell von Interdependenz bei gleichwohl bestehender Differenz zu liefern.

Historisch lässt sich vor allem im 20. Jahrhundert bis heute eine Y-förmige Ausdifferenzierung der Beschäftigung mit dem Spiel ausmachen: zum einen die philosophisch-kulturwissenschaftliche und zum anderen die kybernetisch-mathematische Perspektive, beide auf ältere ideengeschichtliche Wurzeln der Beschäftigung mit Kontingenz zurückgehend. Im Spiel wird Kontingenz nicht als (möglichst zu vermeidender) Störfaktor betrachtet, sondern ist Bedingung seiner Möglichkeit. Hier können im logischen Sinne paradoxe Zustände prozessiert werden, ohne dass sie dadurch aufgehoben werden, wie Gregory Bateson gezeigt hat. Es ist daher kein Zufall, dass Bateson neben George Spence-Brown einer der wichtigsten Stichwortgeber von Niklas Luhmanns Systemtheorie ist – einer Theorie, die Kontingenz und Paradoxie nicht als Störung, sondern als konstitutives Agens sozialer Systeme betont. An dieser Stelle setzt die Idee spielförmiger Emergenzprozesse ein. Vor allem die mathematisch-kybernetische Seite der Beschäftigung mit diesen hatte in der Vergangenheit nur wenig Veranlassung, sich den philosophisch-kulturwissenschaftlichen Bemühungen zu nähern.

Spielförmige Emergenzprozesse

‹Herumspielen› oder «tinkering»,37 um zu kreativen, ingeniösen oder pragmatischen Problemlösungen zu kommen, ist eine etablierte, wenn auch als solche wenig erforschte Kulturtechnik. Tinkering charakterisiert eine spielförmige, explorative Epistemologie im Unterschied zu den strategischen Ansätzen einer Operativen Epistemologie des rationalen Durchsuchens und Abarbeitens des Möglichkeitsraumes.38 Spielförmige Erkenntnismethoden zeichnen sich zwar durch eine gewisse epistemische Fragilität aus, gehören aber zur szientifischen Abkürzungskultur, um sich gegebenenfalls langwierige induktive Anstrengungen zu ersparen.39 Traditionell scheint die Kulturtechnik der spielförmigen Problembearbeitung aber zunächst eher dem ästhetischen oder gestalterischen Aspekt der Kultur zugeschlagen zu sein, auch als ein ‹Gegenüber› zu vorgeblich rationaler, regelhafter, paradigmatischer oder theoriegetriebener Erkenntnis. Dabei ist bei genauerer Betrachtung ersichtlich, dass spielförmige Emergenzprozesse in weitaus umfangreicherer Weise kulturell wirksam sind: Die mathematische Spieltheorie, die KI-Forschung, ausgewählte Bereiche der Computersimulation oder generell Experimentalsysteme können ebenso als spielförmig charakterisiert werden wie soziale Dynamiken oder Sprechakte. Ähnliches gilt für moderne Szenarien- und Vorhersagetechniken. All dies folgt damit ein Stück weit der kantischen These, dass ‹Spiel› zwar vielleicht noch keine Erkenntniskraft ist, Letztere allerdings dynamisiert und ‹in Bewegung› bringt. Ist in der Kritik der Urteilskraft das Spiel noch Ermöglichungsbedingung für Letztere, so könnte eine Forschung zu spielförmigen Emergenzprozessen auch danach fragen, ob Spiel als Medium und Kulturtechnik auch für andere ‹Erkenntniskräfte› von Belang ist. Dazu gilt es aber die oft konstatierte Probehandlungsdimension der Spielhandlung (etwa dem «magic circle» Huizingas40) latent zu suspendieren. Erst dadurch wird es möglich, bestimmte Handlungspraktiken und emergente Prozesse als ‹spielförmig› zu charakterisieren. Solche ‹spielförmigen› Handlungspraktiken und emergente Prozesse treten in Feldern der kulturellen (und subjektiven) Kontingenzbewältigung (Stichwort: Spiel als epistemisches Modell), der Beherrschbarmachung von Zukünften (Stichwort: Spiel als Prognosesystem und als Werkzeug der Kontingenzminimierung) oder der Herstellung interdependenter Erfahrungsräume auf (Stichwort: Spiel und Experimentalsystem in den Wissenschaften) zutage.

Der Begriff der ‹spielförmigen Emergenzprozesse› wird aus folgenden Gründen vorgeschlagen: Er betont, aufgrund seiner eher formalistischen Natur die «Genese der Form» und abstrahiert damit Spielforschung von rein ästhetischen oder inhaltsanalytischen Dimensionen. Zudem wird über den Prozessbegriff auf die Notwendigkeit eines Spielbegriffs als Handlung, Vollzug oder Dynamik verwiesen und damit von vornherein ein genuiner Objektbezug des Spiels verworfen. Es geht also nicht in erster Linie um Spielartefakte, sondern um Spiel als Prinzip. Ein weiterer Gewinn, den der Ansatz der Untersuchung spielförmiger Emergenzprozesse verspricht, ist die Offenheit des Konzeptes: Unter dem Begriff lassen sich produktiv eine Reihe disparater, inkommensurabler oder systematisch getrennter Phänomene subsumieren, wobei der Begriff des Spiels im Zuge dessen selbst zur Disposition steht. Begreift man Emergenz zunächst als die Herausbildung neuer Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente, ohne dass sich die emergenten Eigenschaften auf die Eigenschaften der Elemente zurückführen lassen, so wären im Sinne des oben vertretenen methodischen Ansatzes unter spielförmigen Emergenzprozessen mehr als nur nichtintendierte Effekte kultureller Komplexitätssteigerung zu verstehen. Im Rückgriff auf den Begriff der Kulturtechnik (im Sinne eines artefakt- und symbolbasierten Handelns auf der Basis von Werkzeugen wie Medien41) lässt sich Spielen als wichtige Triebfeder von Komplexitätssteigerung, Kontingenzbeherrschung, Steuerung oder Strukturbildung begreifen. Spielen, so die These, stellt sich gerade unter digitalen Bedingungen als ein wichtiger Faktor der Emergenzbildung heraus. In einem so gewendeten Verständnis der spielförmigen Emergenz wird insbesondere der Prozesscharakter derselben betont: Emergenz – als strukturelles Phänomen – kann nur als eine Ausdifferenzierung vorangehender Prozessbedingungen verstanden werden und muss daher per se dynamisch verlaufen. Damit wären aber spielförmige Prozesse grundsätzlich von ihrer Gegenstandsorientierung zu lösen und in eine zeitliche Dynamik einzubetten bzw. vorrangig unter Berücksichtigung ihres Prozesscharakters zu analysieren. Kurz gesagt: Spielförmige Emergenzprozesse existieren vor allem als zeitliche und geschichtliche Dimension.

Beispiele für solche spielförmige Emergenzprozesse, die so richtungsweisend untersuchbar, reflektierbar und vor allem integrierbar wären, reichen von ästhetischer Praxis, dem kommunikativem Handeln, der Abduktion,42 über das Prinzip der «guten Nachbarschaft»,43 den Wittgensteinschen Begriff des Sprachspiels bis hin zu Epistemologien des Experiments,44 der Bricolage,45 der Improvisation sowie der Innovation, kurz in alle Bereichen, die sich mit dem Problem beschäftigen, wie Neues in die Welt kommt. Zentrale Paradigmen spätmoderner Regierungsformen (wie monitoring, empowerment oder nudging46) sind dabei ebenso zu adressieren wie eine Reihe bis dato nicht integrierter Ansätze (mathematische Spieltheorie, Ökonomie, KI-Forschung oder Sprachwissenschaft). Die These lautet, dass sich diese disparaten Felder und Einsätze des Spiels unter dem Begriff der Emergenz zusammendenken lassen.

Eine solche Fokussierung ist erkennbar auch eine Abkehr von ontologischen Fragestellungen (Was ist das Spiel?), die in dem hier skizzierten Vorschlag bereits im Begriff ‹spielförmig› angelegt ist. Dieser signalisiert zudem, dass perspektivisch keineswegs entschieden ist, ob die Forschung sich letztlich überhaupt des Spielbegriffs bedienen muss. Dies ist ebenfalls Ergebnis der noch jungen Geschichte der Spielforschung, die in der Vergangenheit vor allem auf Artefakte oder Regelwerke (Computerspiele, Brettspiele, Rituale usw.) bezogen war. Diese Ausrichtung hatte Definitionsversuche zur Folge, die den Anspruch auf Allgemeingültigkeit durchaus verfolgten, durch ihre Herkunft aus Einzelbeschreibungen und der Komplexität des Themas diesen Anspruch jedoch stets verfehlen mussten. Insofern werden auch die einschlägigen Theorien des Spiels darauf zu befragen sein, auf welche historisch spezifischen Problemlagen (etwa sozialer, politischer, ökonomischer oder erkenntnistheoretischer Art) sie jeweils mit Lösungsvorschlägen im Namen des Spiels reagierten. In diesem Sinne sollte zunächst nicht Spiel aus seinen Äußerungen heraus erklärt werden, sondern den Umstand in den Blick nehmen, dass das Spiel selbst ein Konzept ist, um das herum sich geradezu magnetisch Fragen aus den verschiedensten Disziplinen und Forschungsperspektiven heraus angelagert haben. Oder kürzer: Die Ausgangsperspektive ist nicht induktiv, sondern deduktiv und abduktiv ausgerichtet.

Ein solchermaßen perspektiviertes Forschen begreift ‹spielförmige Handlungsformen› dann als Kulturtechnik und setzt sich in die Tradition einer Beschäftigung mit dem Spiel als kulturkonstitutive Praxis. Es grenzt sich jedoch entschieden sowohl vom Spiel als ‹anthropologischer Konstante› (einer Grundthese von Kant bis Caillois) als auch von der Funktionalisierung des Homo ludens zum Homo oeconomicus ab. Diese Transformation des Menschenbildes lässt sich aktuell in der Operationalisierung das Spielens als Steuerungselement neoliberaler, gouvernementaler oder subjektpolitischer Handlungsfelder beobachten (Stichwort: Gamification). Im Unterschied dazu ist uns die bereits angesprochene epistemische und prozessuale Dimension des Spiels zur Bewältigung komplexer Situationen und deren Kontingenz wichtig. Dazu scheint es unabdingbar, historisch und (diskurs-)archäologisch neue Bezüge in all jenen Disziplinen auszumachen, für die im Zentrum spielerischen Handelns ein spezifischer Umgang mit Zukünften als Bewältigungsstrategie von Kontingenz steht. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass dem Spiel als solchem keine anthropologische Qualität inhärent ist, da es humanistischen Kategorien wie ‹wahr/falsch› oder ‹gut/böse› gegenüber indifferent ist. Spielen bedeutet jedoch nicht, sich der Indifferenz zu ergeben. Im Gegenteil, es handelt sich um eine aktive Begegnung mit Differenz und Kontingenz – um einen praktischen Umgang mit Ungewissheit.

Zusammenführung(en)

Um sich mit einer solchen Analyse tiefer gehend zu befassen, fehlt es freilich an einem strukturierten, genealogisch wie archäologisch rückgekoppelten, epistemologisch fundierten und den Kanon der Fachdisziplinen übergreifenden Begriff des Spiels. Spielforschung findet aktuell (wenn überhaupt) entweder unter den Vorzeichen und Methoden spezifischer Fachkulturen oder strikt objektgebunden (Computer Game Studies, Board Game Studies) im Rahmen sich entwickelnder Forschungsfelder statt. Das vielfältige und ungebrochene Interesse am Spiel und seiner Beforschung ist in diesem Sinne zumeist geprägt von Spezialperspektiven, die nicht miteinander im Gespräch sind. Der hier unterbreitete Vorschlag ist ein anderer: zum einen soll er zu einer übergreifenden Reflexion spielförmiger Emergenzprozesse anregen und zum anderen zu einer verstärkten Integration der unterschiedlichen Zugriffsweisen aus fachdisziplinärer und gegenstandsbezogener Forschung führen. So könnte der Versuch unternommen werden, die disparaten Ansätze der Befassung mit Prozessen des Spiels zusammenzuführen und durch einen engen Austausch beteiligter Akteure, Felder und Instanzen eine grundsätzliche Verständigung über spielförmige Emergenzprozesse zu ermöglichen. Für eine zukünftige Spielforschung können so die dringend notwendigen epistemologischen Grundlagen etabliert werden.

Dabei kann es nicht mehr das Ziel sein, Game Studies als Ansatz, Disziplin, Perspektive, Fach oder Methode zu nobilitieren und zu verfestigen, sondern – ganz im Gegenteil – Spiel(en) als Formation oder Ensemble heterogener, dynamischer Praktiken zu bestimmen, die eine Querschnittskategorie zur (Kultur-) Analyse darstellen. Es geht darum, spielförmige Emergenzprozesse so aufzuarbeiten, dass sie als spezifische Perspektive von möglichst vielen Disziplinen auf je eigene Weise in Anspruch genommen werden können. Die These lautet insofern, dass Spiel eine Art Gravitationsfeld bildet, um das herum sich viele Disziplinen anlagern, was Vergleiche und Beziehungen möglich macht, die sonst nicht möglich oder mindestens verdeckt sind. Im Rahmen einer solchen Exploration spielförmiger Emergenzprozesse wird allerdings auch deutlich, dass ein Ensemble von Reflexionsmethoden und Erkenntnisinteressen im Zentrum zukünftiger Forschung stehen könnte: einerseits die Untersuchung der genealogischen und archäologischen Herstellung der kulturellen Möglichkeitsbedingungen. Zum anderen wären vor allem gegenstandsübergreifende Zugriffsweisen auf spielförmige Emergenzprozesse wünschenswert, die weniger auf die materielle Verfasstheit als vielmehr auf die zeichenhafte Dimension, die handlungstheoretischen Dimensionen, die Performanz und Diskursivität dieser Prozesse abheben. Speziell im Zugriff auf die Handlungsdimension spielförmiger Emergenzprozesse wäre vor allem auf die (Neu-)Konstitution der Konzepte von bspw. Partizipation, Immersion oder Interaktion abzuzielen. Diese werden aktuell teilweise als technologisch-apparativ-zeichenhafte Prozesse begriffen und nicht als paradigmatisch-epistemische Dynamiken, in denen (Computer-) Spiele nur einen Bestandteil bilden.

Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Verfahren der Prognostik, Simulation, Modellierung und Szenarioanalyse als wissenschaftliche Werkzeuge der Kontingenzbewältigung entwickelt und die Gesellschaft dadurch zunehmend in eine «predictive society» transformiert. Die Suchrichtung, die hier vorgeschlagen und zur Forschung empfohlen wird, richtet sich auf Dynamiken des spielförmigen Erfahrens und Erkennens. Ziel ist es Spiel – im offensten Sinn – als ein Handeln und Denken zu begreifen, das Zugang zu heterogenen, epistemischen Bereichen eröffnet, diese als Emergenzerfahrung zusammenbringt und so Einblicke in komplexe Phänomene und Zusammenhänge ermöglicht. Diese Spiele, so unsere These, sind Einübungsräume im Umgang mit kontingenten (virtuellen) Welten, die von Probehandlungsszenarien strategischer Aufbausimulationen wie Civilization bis zu komplexen Experimentalsystemen in den Naturwissenschaften reichen. Der Fokus unseres Vorschlags liegt dabei weniger auf individuellen Erscheinungsweisen von Spielen, sondern vielmehr auf der interdisziplinären Erforschung spielförmiger Emergenzprozesse als Werkzeuge der Kontingenzbewältigung in drei Schritten: Der erste Schritt besteht darin, sich von der Idee zu lösen, dass Spiele reine Unterhaltungsartefakte sind. Der zweite Schritt fordert auf, über die rein ästhetische oder inhaltsanalytische Dimension der Erscheinungsweisen von Spielen hinauszudenken, um Spiele als Einübungsräume von Verhaltens- und Interaktionsweisen zu verstehen. Der dritte Schritt subsumiert eine Reihe disparater und systematisch getrennter Phänomene unter den Begriff der spielförmigen Emergenzprozesse und weist auf die Notwendigkeit hin, den Handlungs- und Vollzugscharakter des Spiels genauer in den Blick zu nehmen. Spiel ist als tertium comparationis ernst zu nehmen, das in der Lage ist, ansonsten inkommensurable Wissens- und Praxisfelder vor dem Hintergrund der Kontingenzbewältigung aufeinander zu beziehen.

 

Medienverzeichnis

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Titelbild

Wallis, John; Newbery, Elizabeth: New Game of Human Life. 1790.

 

  1. Die in diesem Artikel vertretenen Positionen gehen zurück auf einen aktuell der DFG vorliegenden Projektantrag von Gabriele Gramelsberger, Rolf F. Nohr, Claus Pias und Markus Rautzenberg mit dem Titel «Allgemeine Spielwissenschaft. Praxeologie – Epistemologie – Ästhetik».[]
  2. Mit ‹den› Game Studies sollen eng am Gegenstandsbereich und der Gegenstandsgeschichte des Videospiels gefasste akademische Ansätze begriffen werden, die sich maßgeblich an (im weitesten Sinne) objektorientierten Ontologien abarbeiten (exemplarisch: Bogost: Videogames are a Mess. 2009). []
  3. Exemplarisch: Pias: Computer – Spiel – Welten. 2007; Huhtamo: Slots of Fun, Slots of Trouble. 2005; Kocurek: Coin-operated Americans. 2015.[]
  4. Strouhal: Acht x acht. 1996.[]
  5. Duke: Gaming: The Futures Language. 1974.[]
  6. Buytendijk: Wesen und Sinn des Spiels. 1933.[]
  7. Moreno: Gruppenpsychotherapie und Psychodrama. 1959.[]
  8. Abt: Serious Games. 1970.[]
  9. Shubik: Games for society, business and war. 1975.[]
  10. Von Neumann: Theorie der Gesellschaftsspiele. 1928.[]
  11. Nohr: The Development of Decision Support Systems. 2019.[]
  12. Gramesberger / Rautzenberg/ Wiemer / Fuchs: Mind the Game!›. 2019.[]
  13. Von Neumann / Morgenstern: Theory of Games and Economic Behavior. 1944; Durlauf / Blume: Game Theory. 2010.[]
  14. Selten: Investitionsverhalten im Oligopolexperiment. 1962.[]
  15. Sauermann / Selten: Ein Oligopolexperiment. 1959.[]
  16. Mirowski: Machine Dreams. 2002; Nohr: Unternehmensplanspiele 1955–1975‹. 2019.[]
  17. Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. 1904/05.[]
  18. Bateson: A theory of play and fantasy. 1955.[]
  19. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. 1966.[]
  20. Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. 2015[]
  21. Bataille: Der Fluch der Ökonomie. 2020.[]
  22. Derrida: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel. 1976.[]
  23. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 1990[]
  24. Mallarmé: Un coup de dés jamais n’abolira le hasard. 1993.[]
  25. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. 2001.[]
  26. Meillassoux: Nach der Endlichkeit. 2014.[]
  27. Mauss: Die Gabe. 1968.[]
  28. Huizinga: Homo Ludens. 1949.[]
  29. Callois: Die Spiele und die Menschen. 1958.[]
  30. Lévi-Strauss: The savage mind. 1966.[]
  31. Freud: Jenseits des Lustprinzips. 2000.[]
  32. Lacan: Das Spiegelstadium. 1986.[]
  33. Bateson: A theory of play and fantasy. 1955.[]
  34. Goffman: Rahmenanalyse. 1977.[]
  35. Butler: Frames of War: When is Life grievable?. 2016.[]
  36. exemplarisch: Weitere theoretische Positionen, die vorrangig die Emergenz als strukturbildendes Prinzip des Medialen begreifen finden sich vorrangig bspw. bei Friedrich Kittler (Die Wahrheit der technischen Welt. 2013), Michael Giesecke (Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft. 2002) oder Hartmut Winkler (Thesenbaukasten zu Eigenschaften, Funktionsweisen und Funktionen von Automatismen. 2010).[]
  37. Bronwyn / Petrich / Wilkinson: Tinkering is serious play. 2014.[]
  38. Gramelsberger: Operative Epistemologie. 2020.[]
  39. Hogrebe: Ahnung und Erkenntnis. 1996.[]
  40. Huizinga: Homo Ludens. 1949.[]
  41. Vgl. Maye: Was ist eine Kulturtechnik. 2010.[]
  42. Kapitan Peirce and the Autonomy of Abductive Reasoning. 1992.[]
  43. Saxl: Die Geschichte der Bibliothek Warburg. 1981.[]
  44. Rheinberger / Hagner: Experimentalsysteme. 1993.[]
  45. Lévi-Strauss: The savage mind. 1966.[]
  46. Bröckling: Das unternehmerische Selbst 2007; Thaler / Sunstein: Nudge. 2009.[]

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Rautzenberg, MarkusNohr, Rolf F.Pias, ClausGramelsberger, Gabriele: "Spielförmige Emergenz: Für eine Neubestimmung der Spielwissenschaften". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 15.10.2021, https://paidia.de/spielfoermige-emergenz-fuer-eine-neubestimmung-der-spielwissenschaften/. [09.12.2024 - 22:55]

Autor*innen:

Markus Rautzenberg

Markus Rautzenberg ist Professor für Philosophie am Fachbereich Gestaltung der Folkwang Universität der Künste, Essen. Schwerpunkte: Bildtheorie, Ästhetik, Medienphilosophie

Rolf F. Nohr

Rolf F. Nohr ist Professor für Medienästhetik/Medienkultur an der HBK Braunschweig und External Affiliate am College of Humanities der University of Arizona. Forschungsschwerpunkte sind – neben Game Studies – Evidenzverfahren, instantane Bilder, Medientopografien und Metal Studies (http://nuetzliche-bilder.de/).

Claus Pias

Claus Pias ist Professor für Mediengeschichte und Medientheorie an der Leuphana Universität Lüneburg, wo er das «Centre for Digital Cultures» sowie die DFG Kollegforscher-Gruppe «Medienkulturen der Computersimulation» leitet. Schwerpunkte: Geschichte des Medien-Denkens, Digitale Kulturen, Technikgeschichte.

Gabriele Gramelsberger

Gabriele Gramelsberger ist Professorin für Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie an der RWTH Aachen. Sie leitet das Käte Hamburger Kolleg «Kulturen des Forschens», Forschungsschwerpunkte ist die Philosophie der digitalen Wissenschaften. https://www.css-lab.rwth-aachen.de