Top

Sonderausgabe "Gender in Games and Gaming"

„Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ (Chinesisches Sprichwort der Scheibenwelt)

Ausgangspunkt dieser Sonderausgabe ist die Beobachtung, dass das Computerspiel in eine Phase der Selbstreflexion eingetreten ist, was sich vor allem darin zeigt, dass es vermehrt seine eigenen Darstellungs­konventionen und seine eigene mediale Verfasstheit verhandelt und dass sich die sozialen Rahmenbedingungen ändern. Das gilt insbesondere auch für die Aspekte, die üblicherweise unter den Vorzeichen „Gender“ diskutiert werden. Bis vor wenigen Jahren gab es vor allem drei Formen der Darstellung von bzw. des Umgangs mit Geschlecht(lichkeit): Hypersexualisierung (z.B. Lara Croft, Duke Nukem), Ausblendung (z.B. in diversen Ego-Shootern) oder die - meist folgenlose - Festlegung und visuelle Repräsentation des Geschlechts, welche ganz der Spielerin/ dem Spieler überlassen wurde. Veränderungen können nun an einigen Spielen gut beobachtet werden. Tomb Raider (2013) versucht sich zum Beispiel eindeutig von der durch die Vorgänger aufgebauten Hypersexualisierung der Spielfigur Lara Croft abzusetzen und auf inhaltlicher Ebene die Autarkie des weiblichen Subjekts zu verhandeln. Gone home (2013) widmet sich insgesamt der weiblichen Identitäts- und Sexualitätsfindung – etwas, das man von einem Computerspiel bis dahin kaum erwarten durfte. Bioshock Infinite (2013) verhandelt den männlichen Blick und patriarchale Familienverhältnisse. Und Dragon Age II (2011) bemüht sich um das Konzept der Herosexualität der NPC-Companions.

Lindsay Lohan’s ‚The Price Of Fame‘ (Eigener Screenshot)

Im sozialen Kontext der Spiele entstehen immer mehr Blogs/Vlogs wie Anita Sarkeesians Tropes vs. Women in Videogames  oder Ashley und Anthony Burchs Hey Ash, whatcha playin’? oder Community-Seiten wie Misscliks  oder Fat, Ugly, Slutty, die sich gezielt mit der Gender-Thematik auseinandersetzen.

Wie notwendig die Intensivierung solcher Beobachtungen ist, das zeigt sich anhand der jüngsten Diskussionen: Die letzten Monate, wohl das ganze Jahr 2014, sahen einen Aufruhr in der Computerspielkultur, wie wir ihn, selbst zu Hochzeiten der Killerspiel-Debatte, noch nicht erlebt hatten. Die Diskussionen um Assassins Creed: Unity (2014) (Vgl. http://kotaku.com/ubisoft-responds-to-assassins-creed-female-character-co-1589413130 ) und Rainbow Six: Siege (2014) (Vgl. http://kotaku.com/ubisoft-in-trouble-over-comments-about-female-character-1589611410 ) nach ihrer jeweiligen E3-Präsentation waren nur ein Vorgeschmack auf die Sprengkraft, die gendersensible Kritik zur Folge haben kann - in positiver wie in negativer Weise. Vor allem zweitere zeigte sich in den Reaktionen derer, die unter der Bezeichnung #Gamergate firmieren: (Angeblich) ausgelöst durch (angeblich) unethisches Verhalten im Spiele-Journalismus (aufgebracht durch den Ex-Freund der für Depression Quest bekannten Entwicklerin Zoe Quinn) entwickelte sich eine Auseinandersetzung, die unter anderem die Bedrohung und Belästigung von Anita Sarkessian, Brianna Wu und Felicia Day und anderer als „Social Justice Warriors“-Diffamierten zur Folge hatte. Als wir im Frühjahr dieses Jahres mit der Konzeption einer Sonderausgabe zum Thema „Gender in Games and Gaming“ begannen, waren uns zwar die Probleme um die Verhandlung von Gender-Konzeptionen im Zusammenhang mit Computerspielen bewusst. Die Vehemenz der aktuell geführten Debatte und auch die sich manifestierenden Formen dieser Debatte überraschte und erschreckte uns dann aber doch.

In der Genderforschung begegnen sich seit langem wissenschaftliche Beobachtungen und kritische Reflexionen, Analysen und Haltungen. Diese treffen nun ganz aktuell auf eine emotional überhitzte Debatte. Dieser Gemengelage wollen wir unaufgeregt und wissenschaftlich fundiert sowie transparent argumentierend begegnen. Die Beobachtungen, die hier angestellt werden, sind unser konstruktiver Beitrag zum Diskurs - und dadurch werden sie zu engagierten Beobachtungen, die die Relevanz des Beobachteten allein schon durch ihre Beobachtungen unterstreichen.

Das Echo auf den Aufruf war überwältigend groß und die Beiträge zeigen deutlich, wie unterschiedlich, mit welch unterschiedlichen Methoden und aus welch unterschiedlichen Disziplinen über Computerspiele und Gender geforscht werden kann. Wir freuen uns sehr, dass  wir somit 14 Beiträge präsentieren können und wünschen erkenntnisreiche Lektüren.

Beiträge in alphabetischer Reihenfolge

Wir möchten noch auf unsere nächsten Unternehmungen hinweisen:

Das Problem mit dem Toilettenschild: Zu Repräsentation und Simulation von Geschlecht im Computerspiel

15. Dezember 2014 ·
Die Darstellungen von Frauen und Männern im Computerspiel erfüllt eine ähnliche Aufgabe wie die anthropomorphe Darstellung von Alien-Charak­teren im Science-Fiction: Sie stiften Ordnung in den Kontingenzen einer erzählten Welt, die deutlich mehr denkbare Darstellungen von Handelnden zulassen würde als Frauen und Männer. Dass für die zentralen Figuren eines Spiels trotzdem...
Weiterlesen

Queereinstiege. Zur Darstellung von Queerness in Computerspielen

15. Dezember 2014 ·
Computerspiele 1 orientieren sich sehr strikt an einem heteronormativen System. Doch obwohl bereits 2006 in einer Studie festgestellt wurde, dass sich nur ca. ein Viertel der Gamer selbst als rein hetero­sexuell identifiziert 2, behandeln bisher nur sehr wenige wissenschaftliche Arbeiten den Umgang mit Queerness 3 in Computerspielen. Im folgenden Artikel...
Weiterlesen

Posthuman = Postgender? (De)stabilising Binary Oppositions in 'Mass Effect'

15. Dezember 2014 ·
As literary critic Adam Roberts observes, Science Fiction, despite being generally regarded as a popular entertainment genre, offers quite a unique set of opportunities. On the one hand, it can be used to symbolically reaffirm the conservative status quo through its storyline: the system is disturbed by an intruding Other...
Weiterlesen

MELTING POT: Zum emanzipatorischen Potential von Gender & Games bei der Identitätsarbeit

15. Dezember 2014 ·
Games gehören heutzutage fast zum Alltag eines jeden Jugendlichen 1 und werden auch immer mehr von Frauen gespielt. Das Dogma eines Mediums rein zum Entertainment einer speziellen Zielgruppe bricht immer mehr zu­sammen. Doch wie sieht die Computerspiellandschaft momentan aus? Welche Bilder von Geschlecht und Identität werden gezeigt? Können Com­puter­spiele Heranwachsenden...
Weiterlesen
© 2024 Paidia - Zeitschrift für Computerspielforschung (ISSN: 2363-5630)
crossmenu