Queereinstiege. Zur Darstellung von Queerness in Computerspielen

15. Dezember 2014

Computerspiele 1 orientieren sich sehr strikt an einem heteronormativen System. Doch obwohl bereits 2006 in einer Studie festgestellt wurde, dass sich nur ca. ein Viertel der Gamer selbst als rein hetero­sexuell identifiziert 2, behandeln bisher nur sehr wenige wissenschaftliche Arbeiten den Umgang mit Queerness 3 in Computerspielen. Im folgenden Artikel soll nun ein kleiner Ausblick auf die Darstellung von Queerness in diesem Medium gegeben werden. Die hier in Kurzform zusammengefassten Ergebnisse, stammen überwiegend aus meiner voraussichtlich 2015 erscheinenden Dissertation zu diesem Thema.

Nur 139 Spielserien bzw. Spiele sind bisher in Deutschland veröffentlicht worden, die nicht heteronormative Charaktere zeigen. 4 In diesen Spielen sind insgesamt nur etwa 211 queere Einzelfiguren enthalten und 25 queere Figurengruppen. Die meisten der queeren Figuren in Computerspielen zeichnen sich dabei durch ein gleichgeschlechtliches sexuelles Begehren aus und nicht durch eine von ihrem biologischen Geschlecht abweichende Genderperformance. Im Gegensatz zur Geschlechtsidentität, die zu Beginn des Spieles bereits festgelegt ist – oder wird – und ab diesem Zeitpunkt unveränderlich bestehen bleibt, kann das sexuelle Begehren der Figuren stets neu verhandelt werden, sofern das Spiel nicht-heteronormative Flirtoptionen zulässt. Rein homosexuelle Spielerfiguren sind jedoch quasi nicht möglich, da bei den meisten bereits gegengeschlechtliche Beziehungen in der Hintergrundgeschichte verankert sind. Erst durch die Entscheidungen des Gamers während der eigentlichen Spielhandlung kann ein nicht hetero­sexuelles Begehren dargestellt werden.

Anders als in anderen Medien bewirkt die Interaktivität der Games, dass neben Homo-, Hetero, Bi- oder Asexualität eine weitere Kategorie eingeführt werden muss, die hier als Protagosexualität 5 bezeichnet wird.

Diese Form des sexuellen Begehrens ist unter den Nicht-Spieler-Charak­teren 6 am weitesten verbreitet (Abb.1) und kann am ehesten mit Bi- oder Pansexualität verglichen werden. Die Programmierung der Figuren besagt, dass sie potentiell an jedem Geschlecht sexuell interessiert sind. Jedoch beschränkt sich ihr Interesse ausschließlich auf die Spielerfigur. Der Gamer entscheidet demnach bei der Wahl des biologischen Geschlechts der Figur, ob die Figuren, die als potentielle Liebesbeziehung vorgesehen sind, an gleichgeschlechtlichen oder gegengeschlechtlichen Beziehungen interessiert sind. Andere romantische Beziehungen als die zur Spielerfigur sind im Spiel häufig nicht angelegt. Vor allem unwichtige NSCs, die als reine Staffage-Figuren fungieren werden protagosexuell gestaltet und besitzen darüber hinaus keine einzigartigen Hintergrundinformationen. Diese Figuren können bei einem erneuten Spielen eine andere sexuelle Objektpräferenz besitzen als bei dem vorangegangenen Spielerlebnis, auch wenn sich der Gamer in stets der gleichen Situation wiederfindet. Protagosexuelle Figuren erscheinen daher je nach Spielsituation als homo-, bi- oder heterosexuelle Figuren. Das sexuelle Begehren gilt somit eher als Handlung, denn als festgelegter Aspekt von Identität. Wie Consalvo angibt kann diese Einbindung von Nicht-Heterosexualität je nach Standpunkt als fortschrittlich oder als rückschrittlich gesehen werden.

„For many gay right activists, for example, the implication that sexuality is ‘merely’ a choice gives credibility to arguments that if homosexuality is optional, then individuals can opt ‘out’ of that activity. For this group, seeing difference in sexuality as ‘innate’ is politically necessary. By contrast, some might applaud the choice, as to suggest that any body is ‘innately’ sexualized (or gendered) is essentialist and reductionist, and the product of social, cultural and historical conditioning, rather than biological structure.” 7

Warum nicht einfach mal ganz ohne?

Obwohl gerade in dem Medium Computerspiel auch von einem dualen Geschlechtersystem abweichende Formen darstellbar wären, orientieren sich die Figuren aus den Games überwiegend an den klassischen Rollen­bildern. Auf Grund ihrer Virtualität könnten viele Computerspiele gänzlich ohne Genderzuweisung funktionieren oder Figuren zeigen, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen. Doch auch in Spielen mit fantastischen Settings, in denen beispielsweise insektenhafte außerirdische Lebensformen oder magische Drachenwesen gespielt werden können, wird ein binäres Geschlechtersystem zu Grunde gelegt. Selbst Games, die eine Personalisierung der Spielercharaktere ermöglichen, beschränken die zur Verfügung stehenden Modifikationsmöglichkeiten in Abhängigkeit vom biologischen Geschlecht der Figur. Sofern man in Computerspielen von biologischem und sozialem Geschlecht sprechen kann, bedeutet die häufig zu Beginn eines Spieles erforderliche Festlegung auf ein biologisches Geschlecht auch die Wahl einer traditionell damit verbundenen Genderperformance. Eine Darstellung von Transcharakteren ist aufgrund der zur Verfügung stehenden Vorauswahlen in der Regel daher nicht möglich. Die Festlegung des Geschlechts bestimmt neben möglichen Romanzenoptionen oder dem Verhalten der NSCs gegenüber der Spielerfigur vor allen Dingen die optische Erscheinung im Spiel. Männliche Figuren erhalten andere Erscheinungsmodifikatoren als weibliche Figuren, wie beispielsweise die Möglichkeit eine Bartform zu bestimmen. Auffällig ist, dass weibliche Figuren häufig den zusätzlichen Modifikationsbereich Makeup erhalten, um die Attraktivität der Figur künstlich zu steigern. Die unterschiedlichen Rassemodifikatoren 8 stellen zwar unterschiedliche Körperschemata als Ausgangsformen bereit, jedoch werden selbst animalische Rassen in stereotyp gegenderte Körperformen unterteilt. Die Modifikationsmöglichkeiten orientieren sich in der Regel an gängigen genderbezogenen Schönheitsidealen, so dass sich die personalisierten Spielerfiguren letztendlich optisch in die Reihe der vordesignten Figuren eingliedern. „Während die realen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Körpern hinsichtlich ihrer Größe, ihres Umfangs etc. fließend sind, sind die medial übermittelten Körperideale dagegen komplementär angelegt.“ 9 Im Allgemeinen werden in Computerspielen die männlichen Figuren deutlich größer, stärker und muskulöser dargestellt als die weiblichen Figuren. Den weiblichen Figuren stehen überwiegend Langhaarfrisuren zur Verfügung (nur 12% der untersuchten Figuren hatten Kurzhaarfrisuren, 24% Kinnlange Haare und 62% hatten mindestens Schulterlanges Haar) und sie werden standardmäßig mit Brüsten und schmaler Taille versehen. 10 Die Bewegung der weiblichen Figuren wird häufig weicher dargestellt und der Hüftschwung wird stärker als bei den männlichen Figuren betont. Kleidungs- und Rüstungsteile werden an das gewählte biologische Geschlecht angepasst und betonen in der Regel zusätzlich die deutlich gegenderten Körperformen der Figuren. Im Gegens­atz zu anderen Optionen besteht im Verlaufe eines Spiels nicht die Möglichkeit, die Wahl des Geschlechts nachträglich zu verändern oder zu modifizieren.

Fast allen Computerspielen liegt ein Verständnis von biologischem und sozialem Geschlecht als untrennbare Einheit zu Grunde, so dass nur sehr wenige Ausnahmen abweichende Konzepte zeigen. Obwohl Gamer das Bedürfnis äußern auch nicht Cisgender-Figuren zu gestalten, bewirkt die voreingestellte Limitierung der Gestaltungsoptionen quasi eine Un­er­füll­bar­keit dieses Wunsches. Eine Gestaltung androgyner Figuren scheint eher mit männlichen als weiblichen Ausgangsfiguren möglich. Die Rassen der Elfen oder Vampire, die generell bereits häufig als eher androgyne Figuren beschrieben werden, scheinen sich dabei eher als andere zu eigenen. Widerstände sind jedoch auch bei diesen Rassen üblich, da sich auch hier beispielsweise die Kleidung an das zugrundeliegende Geschlecht automatisch anpasst. Betrachtet man die vordesignten Figuren, so fallen deutliche Unterschiede zwischen biologisch männlichen und biologisch weiblichen Figuren auf.

Queere Frauen: tot aber glücklich?

In der Gamingbranche scheinen weibliche Figuren mit einem gleich­geschlecht­lichen Begehren nach einem Prinzip konzipiert zu sein, dass de Lauretis mit „sexueller Indifferenz“ bezeichnet. 11 Diese Projektion des männlichen Begehrens auf das weibliche, gleichgeschlechtliche Begehren zeigt sich deutlich in der Darstellung der weiblichen queeren Charaktere. Diese bleiben auf einen heterosexuellen, männlichen Blick ausgerichtet und verkörpern ein heteronormatives Schönheitsideal der Frau. Gleichzeitig sind verhältnismäßig mehr weibliche Figuren sowohl für männliche als auch weibliche Figuren sexuell zugänglich, während sich das Begehren männ­licher Figuren tendenziell häufiger nur auf ein bestimmtes Geschlecht bezieht. Hana Tsu Vachel und Rain Quin aus Fear Effect 2. Retro Helix 12 zeigen dies sehr deutlich. Sie werden im Spiel in einer lesbischen Beziehung gezeigt. Beide stellen ihre weiblichen Attribute während des Spiels für einen heterosexuellen, männlichen Betrachter zur Schau. Von Herstellerseite aus wird ausdrücklich formuliert, dass es sich bei den beiden Figuren keinesfalls um rein lesbische Figuren handelt, sondern beide für das männliche Begehren definitiv zur Verfügung stehen. „Once and for all, let me set the record straight. ‚HANA IS NOT A LESBIAN!‘ She likes men... and she likes women. Who she chooses to go to bed with at the end of the day IS NOT A BIG DEAL! We are living in the 21st century, this kind of thing happens all the time! Get over it people!! The only reason I wanted Hana to have a female companion this time around is because it gives me the ability to create an extremely interesting love triangle further down the road.“ 13

Lesbische Charaktere sind zwar insgesamt wesentlich seltener als schwule Charaktere, dennoch war der früheste Charakter, der in Europa und den USA veröffentlicht wurde, die lesbische Gegnerfigur Viviane Pentreath aus dem Textadventure Moonmist 14. Im Gegensatz zu den als männlich ausgewiesenen, homosexuellen Figuren werden lesbischen Figuren wesentlich häufiger in Beziehungen dargestellt (lesbische Beziehungen 52%, schwule Beziehungen 36%). Ein weiterer Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Figuren besteht darin, dass weibliche Figuren fast nie reine Gegnerfiguren sind. Ihr Antriebsmotiv ist häufig Liebe, so entspringt ihr Antagonismus beispielsweise aus der Eifersucht nach einer gescheiterten Beziehung mit dem Spielercharakter. Ihr Antagonismus scheint weniger in Aggressivität zu bestehen als darin den Spieler nicht von selbst aktiv zu unterstützen. Diese Figuren müssen vielmehr überzeugt als bekämpft werden und stehen oder standen dem Spieler trotzdem als Sexualpartner zur Verfügung.

Die Körper aller weiblichen Figuren sind zumeist bipolar angelegt und weisen sowohl männliche als auch weibliche Versatzstücke auf. Dennoch achten die Spieldesigner darauf, dass sie eine eindeutige Weiblichkeit ausstrahlen und gestalten weibliche, queere Figuren zumeist nicht maskuliner als ihre heterosexuellen Äquivalente. In der Darstellung des weiblichen Heldinnen-Körpers wird, wie Richard angibt, im Sinne des Vorurteils verfahren, dass eindeutig belegbare Parameter, wie der Waist-to-Hip-Ratio, existieren würden, welche die Attraktivität eines Frauenkörpers für Männer ausmache. 15 Wie bei fast allen virtuellen weiblichen Prota­go­nis­tin­nen findet sich bei Hana eine phantasmatische Überformung von riesigem Busen, extremer Wespentaille und ultralangen Beinen. Diese Merkmale werden, obwohl sie in der Realität nicht in dieser Ausprägung anzutreffen sind als typisch weiblich wahrgenommen. Die meisten Heldinnen, Teammitglieder und weiblichen NPCs, die in Computerspielen anzutreffen sind, entsprechen somit einer stereotyp weiblichen Darstellung. Während queere männliche Figuren entlang einer Linie zwischen den Gegenpolen von Männlichkeit- Unmännlichkeit oder Schönheit- pervertierte Schönheit breitgefächert aufgestellt werden können, scheinen die queeren, weiblichen Charaktere vielmehr zwischen den Gegenpolen Leben und Tod zu schwanken. Unter den weiblichen queeren Figuren findet sich so eine verhältnismäßig große Zahl untoter Figuren, wie Vampire, Ghule oder Geister.

Eine Maskulinisierung von queeren, weiblichen Figuren erfolgt kaum, so dass auch die bei als männlich gekennzeichneten Figuren mögliche Darstellung von Transidentität stets mit einer Rückführung zur Weiblichkeit verknüpft wird. Dies ist besonders ausdrucksvoll bei Darcelle aus Rise of the Dragon 16 zeigen. Die Besitzerin des Nachtclubs ‚Pleasure Dom‘ wird in einem Infotext so als „A woman posing as a man posing as a woman“ 17 bezeichnet.

Die pervertierte Schönheit von Männern

Die heterosexuelle Männlichkeit kann in Computerspielen als Norm identifiziert werden, an der die Darstellungen von Weiblichkeit und homosexueller Männlichkeit ausgerichtet werden. Da die meisten Spiele immer noch auf eine Zielgruppe aus weißen, heterosexuellen, jugendlichen Männern ausgerichtet sind, entsprechen auch die Identifikationsfiguren diesem Muster. 18 und bieten einem männlichen Publikum eher Möglich­keiten zur Identifikation. Die Bandbreite an männlichen Heldenfiguren ist zudem wesentlich größer als die der weiblichen. Frauen mussten lernen mit dem Mann als Norm zu leben und die männlichen Identifikationsfiguren umzukodieren, um sie für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Männer hingegen haben wie Ponocny-Seliger und Ponocny in Bezug auf Filme angeben, größere Schwierigkeiten sich mit weiblichen Figuren zu identifizieren. 19

Die männlichen Figuren können in die Typen androgyn, feminin und hypermaskulin eingeteilt werden. Ponocny gibt an, dass man sich allgemein einig sei, dass der Durchschnittsmann fehle, dies jedoch daraus resultiere, dass dieser dramaturgisch völlig uninteressant sei und man in den fiktionalen Medien eben nicht die Realität sondern eine Zuspitzung der Realität vermitteln würde. 20 Diese Typisierung erscheint auch in der Darstellung von homosexuellen, männlichen Figuren in Computerspielen, jedoch stellt der feminine Mann den Hauptteil der Figuren dar. Auffällig bei queeren männlichen Figuren ist auch eine explizite Darstellung von entstellten Männerfiguren, die sich außerhalb vom gängigen Schönheitsideal befinden. Während die queeren, männlichen Figuren häufig eine starke Abgrenzung gegenüber den heterosexuellen, männlichen Figuren erfahren, scheint diese Abgrenzung bei den weiblichen Figuren nicht speziell hervorgehoben zu werden.

Die meisten vordesignten queeren Figuren orientieren sich eher an weiblichen als an stereotyp männlichen Idealen. Betrachtet man vor allen Dingen die als männlich ausgezeichneten queeren Figuren so bemerkt man, dass diese überwiegend zierlicher als andere Figuren des Spiels dargestellt werden, wenig bis keine Körperbehaarung aufweisen und häufig geschminkt sind. Wie Mühlen Achs angibt, haben sowohl die absolute Körpergröße als auch die relativen Größenunterschiede zwischen Menschen machtpolitische Bedeutung und werden entsprechend inszeniert, um soziale Rangordnungen zum Ausdruck zu bringen. 21 Überträgt man diese Aussage auf Gamefiguren scheint es, als würden queere Figuren eine generelle Entmachtung erfahren. Dieses Phänomen zeigt sich neben der visuellen Gestaltung auch in den sozialen Rollen, die queere Figuren im Spiel einnehmen. Die meisten queeren Figuren treten als unwichtige NSCs in Erscheinung, während nur wenige positiv besetzte Figuren wichtige Rollen einnehmen. Körperlich massivere, dominante, queere Figuren, wie Yevgeny Borisovitch Volgin aus Metal Gear Solid 3: Sneak Eater 22, die mehr Macht im Spieluniversum besitzen, finden sich quasi ausschließlich als feindliche Figuren.

Die Darstellung von Transfiguren erfolgt überwiegend als humoristisches Element und wird häufig genutzt, um ein gleichgeschlechtliches sexuelles Begehren zu signalisieren. Während homo- oder bisexuelles Begehren primär aufgrund von Handlungen der Gamer im Spiel sichtbar wird, scheint Transidentität dagegen primär bei vordesignten Figuren im Spiel gezeigt zu werden. Transidentität wird dabei häufig mit negativen Assoziationen verknüpft. Generell scheinen alternative Genderperformances nicht intrinsisch motiviert, sondern auf Grund eines äußeren Zwangs notwendig zu sein, wie beispielsweise bei Bridget aus Guilty Gear XX 23 zu sehen. Diese Figur ist männlich als Teil eines gleichgeschlechtlichen Zwillingspärchens geboren. Da dies jedoch Unglück bringen sollte, wurde die Figur als Mädchen erzogen.

Obwohl eine Darstellung von Geschlechtsumwandlungen in Computerspielen eigentlich problemlos möglich wäre, wird dies nur sehr selten gezeigt oder thematisiert. Eines der wenigen Spiele, die eine Geschlechtsumwandlung thematisieren, ist Rex Nebular and the Cosmic Gender Bender 24. Der Gamer ist während des Spiels gezwungen eine Geschlechtsumwandlung durchzuführen, um seine Mission auf einem Planeten zu erfüllen, der von einem rein weiblichen Volk regiert wird. Die titelgebende Maschine wurde erschaffen, um den Fortbestand des monogeschlechtlichen Volkes zu sichern. Die temporäre Geschlechtsumwandlung bringt für die betroffenen Mitglieder des Volkes einen Achtungsverlust mit sich und auch der Spielercharakter äußert sich entsetzt, als er zur Frau wird. Die Geschlechtsumwandlung des Spielercharakters beschränkt sich dabei jedoch primär auf visuelle Merkmale, so erhält er Brüste, eine Wespentaille, eine Langhaarfrisur und ein hektischeres Bewegungsmuster mit tippelnden Schritten und ausladendem Hüftschwung.

Ungegendert ist auch irgendwie weiblich, oder?

Ungegenderte Figuren kommen, wie eingangs erwähnt, nahezu nicht vor. Sennewald beschreibt bereits in Bezug auf Fernsehserien, dass alle Geschlechter, die nicht in das binäre Schema Mann und Frau passen als nicht existent oder nicht menschlich definiert werden. 25 In Bezug auf Computerspiele ist es ähnlich. Die wenigen Figuren, denen Genderkonzepte jenseits des binären Modells zugesprochen werden, sind bis auf eine nicht menschlich, sie sind wahlweise Aliens oder Engel. Anders als beispielweise homosexuelle oder bisexuelle Charaktere, werden diese Figuren auf andere Planeten verbannt und werden selbst auf einer fantastischen Erde nicht dargestellt. Die Möglichkeit einer geschlechtslosen oder polygeschlechtlichen Identität auf der Erde scheint somit gänzlich ausgeschlossen zu werden. Figuren, die auf diese Weise beschrieben werden, entsprechen stets einem weiblichen Schönheitsideal. Ein Beispiel für eine als Neutrum bezeichnete Figur ist Guillo aus Baten Kaitos 26. Die Figur ist eine Art hohle Puppe, die von einem männlichen und einem weiblichen Zauberer gemeinsam erschaffen wurde. In offiziellen Beschreibungen wird Guillo als Neutrum referenziert, während Fans die Figur als „Er“ bezeichnen. Im Spiel wird die Zwei­ge­schlecht­lich­keit noch dadurch betont, dass die Figur mit einer weiblichen und einer männlichen Stimme gleichzeitig spricht. Guillo hat eine überwiegend weibliche Körperform mit langen Beinen, stark ausgeprägter Taille und Busen. Während der Körper an sich eher zierliche, weibliche Formen besitzt, scheinen Unterarme und Waden im Verhältnis überproportioniert und wuchtig. Durch die Kleidung scheint selbst bei dieser Figur durch eine Betonung des Brustansatzes und überkniehohe Pfennigabsatzstiefel mit Strapsen eine Sexualisierung stattzufinden, die bei einem als geschlechtsneutral beschriebenem Wesen eher als unpassend erscheint.

Abschließend lässt sich feststellen, dass zwar ein deutlicher Wandel in Computerspielen in Bezug auf die Akzeptanz von nicht heteronormativen Rollenbildern stattgefunden hat, jedoch auch heute noch eine starke Verbindung zwischen Queerness und negativ besetzen Inhalten zu spüren ist. Viel stärker noch als sexuelles Begehren scheinen Transinhalte stig­ma­tisiert zu werden. Obwohl queeren Gamern, trotz ihrer häufig unterschätzten Zahl, bisher nur sehr wenig Identifikationsangebote in Computerspielen gemacht werden, finden sich Charaktere, die trotz ihrer immer wieder betonten Heterosexualität eine Anschlussmöglichkeiten für queere Identifikationen ermöglichen. Überraschenderweise scheinen gerade vordesignte Figuren in diesem Bereich viel mehr Möglichkeiten zu bieten als die personalisierbaren Spielerfiguren. Eine Analyse der von queeren Spielern präferierten und umkodierten heterosexuellen Spielfiguren wäre ein notwendiger nächster Schritt in der Untersuchung von Genderaspekten in Games. Außerdem scheint sich gerade in MMORPGs ein großes Potential für die Erprobung alternativer Rollenbilder zu bieten.

Verwendete Literatur und Medien

Spiele

Arc System Works: Guilty Gear XX. 2002.
Dynamix: Rise of the Dragon. 1990.
Infocom: Moonmist. 1986.
Konami: Metal Gear Solid 3: Sneak Eater. 2005.
Kronos Digital Entertainment: Fear Effect 2. Retro Helix. 2001.
MicroProse Software: Rex Nebular and the Cosmic Gender Bender. 1992.
Monolith Software: Baten Kaitos. 2006.

Literatur

Chi Kong Lui: Interview with Stan Liu - Part 2. <http://www.gamecritics.com/interview-stan-liu-part-2> [01.11.2014]
Consalvo, Mia: Hot Dates and Fairy-Tale Romances – Studying Sexuality in Video Games. In: Hrsg. Mark J. P. Wolf, Bernard Perron: The Video Game Theory Reader. New York , London: Routledge 2003.
Lauretis, Teresa de: Sexuelle Indifferenz und lesbische Repräsentation. In: Hrsg. Andreas Kraß: Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. S. 80–113.
Mühlen Achs, Gitta: Wer führt? Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter. München: Frauenoffensive 2003.
Ponocny-Seliger, Elisabeth u. Ivo Ponocny: Männer in den Medien. Wie werden Männer in Film, Serie und Werbung dargestellt und rezipiert? Wien: BMSG 2006.
Richard, Birgit: Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Bielefeld: Transcript 2004.
Sennewald, N.: Alien Gender: Die Inszenierung von Geschlecht in Science-Fiction-Serien. Bielefeld: Transcript 2007.
Sliwinski, Alexander : Gay gamer survey results with large hetero inclusion. 2007. In <http://www.joystiq.com/2007/02/26/gay-gamer-survey-results-with-large-hetero-inclusion/>. [01.11.2014].
Williams, Dmitri, Nicole Martins u. a.: The virtual census: representation of gender, race and age in video games. In: Media & Society V. 11. H. 5. S. 815–834. 2009.

  1. Anm.: Dieser Artikel bezieht sich auf Boxgames, die in Deutschland veröffentlich wurden und bezieht keine MMORPGs mit ein. Die Interaktion mit anderen Spielenden bietet Gamern in Onlinespielen voraussichtlich eine weitausgrößere Bandbreite an Möglichkeiten alternative Identitätskonzepte und sexuelles Begehren darzustellen als dies in anderen Computerspielen der Fall ist.[]
  2. Vgl.: Sliwinski: Gay gamer survey results with large hetero inclusion. 2007. In http://www.joystiq.com/2007/02/26/gay-gamer-survey-results-with-large-hetero-inclusion/. [01.11.2014].[]
  3. Anm.: Queerness wird hier als Sammelbegriff in Abgrenzung zu Heteronormativität verwendet.[]
  4. Anm.: Diese Zahlenangaben beziehen sich auf einen Zeitraum von 1980 bis einschließlich 2013.[]
  5. Anm.: Häufig wird in diesem Zusammenhang von „playersexual“ gesprochen, jedoch halte ich diese Bezeichnung für ungenau, da sich das Begehren der Figuren nicht auf den Player an sich, sondern auf die von diesem zum aktuellen Zeitpunkt gespielte Figur, also den Protagonisten, bezieht.[]
  6. Anm.: Nichtspielercharaktere werden im Folgenden mit NSC abgekürzt.[]
  7. Mia Consalvo: Hot Dates and Fairy-Tale Romances. Studying Sexuality in Video Games. In: Hrsg. Mark J. P. Wolf, Bernard Perron: The Video Game Theory Reader. New York, London: Routledge 2003, S. 186.[]
  8. Anm.: In diesem Artikel wird bewusst zwischen Race und Rasse unterschieden, da einerseits der Begriff Rasse in den Auswahloptionen der Spiele verwendet wird und andererseits unter dem Begriff Rasse sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Rassen, wie Elfen, Zwerge, Dämonen oder Tiere zusammengefasst werden.[]
  9. Nadja Sennewald: Alien Gender. Die Inszenierung von Geschlecht in Science-Fiction-Serien. Bielefeld: Transcript 2007, S. 46.[]
  10. Vgl.: Birgit Richard: Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Bielefeld: transcript 2004, S. 91.[]
  11. Vgl.: Teresa de Laureti: Sexuelle Indifferenz und lesbische Repräsentation. In: Hrsg. Andreas Kraß: Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005. S. 80–113, S. 80ff.[]
  12. Kronos Digital Entertainment: Fear Effect 2. Retro Helix. 2001.[]
  13. Chi Kong Lui: Interview with Stan Liu - Part 2. Gamecritics: 2001 http://www.gamecritics.com/interview-stan-liu-part-2 (Zuletzt aufgerufen: 1.11.2014) []
  14. Infocom: Moonmist. 1986.[]
  15. Vgl.: Richard: Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. 2004, S. 13.[]
  16. Dynamix: Rise of the Dragon. 1990.[]
  17. Dynamix: Rise of the Dragon. 1990.[]
  18. Vgl.: Williams, Martins u. a.: The Virtual Census. 2009, S. 834.[]
  19. Vgl.: Ponocny-Seliger, Ponocny: Männer in den Medien. 2006, S. 12.[]
  20. Vgl.: Ponocny-Seliger, Ponocny: Männer in den Medien, S.199[]
  21. Mühlen Achs: Wer führt. Körpersprache und die Ordnung der Geschlechter. 2003, S. 73.[]
  22. Konami: Metal Gear Solid 3: Sneak Eater. 2005.[]
  23. Arc System Works: Guilty Gear XX. 2002.[]
  24. MicroProse Software: Rex Nebular and the Cosmic Gender Bender. 1992.[]
  25. Vgl.: Sennewald.: Alien Gender, S. 205.[]
  26. Monolith Software: Baten Kaitos. 2006.[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Haertel, Laura: "Queereinstiege. Zur Darstellung von Queerness in Computerspielen". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 15.12.2014, https://paidia.de/queereinstiege-zur-darstellung-von-queerness-in-computerspielen/. [13.12.2024 - 03:42]

Autor*innen:

Laura Haertel

Laura Haertel ist Doktorandin der Kunstpädagogik an der Goethe - Universität Frankfurt am Main. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Staatsexamens für das Lehramt an Gymnasien mit der Fächerkombination Italienisch und Kunstpädagogik arbeitet sie nun als angehende Lehrerin in Wiesbaden. Gleichzeitig promoviert und forscht sie zur Darstellung von Queerness in Computerspielen.