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Sonderausgabe "Vom 'Wigalois' zum 'Witcher' - Mediävistische Zugänge zum Computerspiel"


Dass Computerspiele direkt auf literarischen Texten des Mittelalters basieren, ist in den wenigsten Fällen zu belegen und wohl eher die Ausnahme. Dass man hingegen Computerspiele im Zuge einer Beschäftigung mit älterer Literatur besser verstehen kann – und auch umgekehrt: ältere Literatur im Zuge einer Beschäftigung mit Computerspielen – wollen wir mit dieser Sonderausgabe besonders hervorheben. Vom ‚Wigalois‘ zum ‚Witcher‘ steht insofern nicht als Formel für eine historische und mediale Entwicklung, sondern für einen Modus der methodischen Perspektivierung. Es gilt zu zeigen, wie Computerspiele und ältere Literatur sich gegenseitig beleuchten und im Dialog miteinander je neu lesbar werden.

Die Verbindungslinie zwischen Computerspiel und Mittelalter war in der Forschung lange durch eine geschichtswissenschaftliche Perspektive geprägt. Eine Co-Lektüre von gegenwärtigen Computerspielen und literarischen Texten des Mittelalters bringt hingegen die Game Studies in einen Dialog mit der Germanistischen Mediävistik. Wie die historisch und medial disparaten Gegenstände zueinander in Beziehung zu setzen sind, ist allerdings in der analytischen Praxis noch weitgehend unreflektiert geblieben.

Eine Co-Lektüre von gegenwärtigen Computerspielen und literarischen Texten des Mittelalters erweist sich als umso naheliegender, wenn man ihre mediale Verortung an den Rändern der ,Gutenberg-Galaxis‘ (Marshall McLuhan) bedenkt. Was mit der Erfindung des Buchdrucks seinen Anfang nahm und über ein halbes Jahrtausend als Buchzeitalter Bestand hatte, kommt mit der fortschreitenden Digitalisierung zunehmend an ein Ende. Die Semioralität des Mittelalters manifestiert sich hingegen nach Jahrhunderten der Skripturalität nun in Form einer Semiskripturalität.

Im Zuge eines Crossmappings an den Rändern der Gutenberg-Galaxis wird die Frage virulent, inwiefern sich gerade im Computerspiel ludonarrative Möglichkeiten eröffnen, um eine ganze Reihe von Denkfiguren aufzugreifen, die bereits im Mittelalter fasziniert haben und in den zeitgenössischen literarischen Texten kondensiert sind. Welche Denkfiguren interessieren sowohl in mittelalterlichen Texten als auch in gegenwärtigen Computerspielen? Und welche historischen und medialen Eigenlogiken lassen sich dadurch in Analogie setzen, um so auch den Blick auf die Differenzen zu schärfen?

Aktualität und Relevanz des Themas unserer Sonderausgabe haben sich nicht zuletzt in der ungewöhnlich hohen Anzahl von Abstracts gezeigt, die wir in Reaktion auf unseren Call for Papers erhalten haben. Unser besonderer Dank gilt den AutorInnen für die großartige Zusammenarbeit und die vielseitigen Beiträge, die zu dieser Sonderausgabe beigesteuert wurden. Ihre individuelle Schwerpunktsetzung hat die thematische und methodische Reichweite wesentlich mitgeprägt.

Während bei den Texten die Artusepik und bei den Spielen die Third-Person-Rollenspiele dominieren, haben sich bei den theoretischen Zugriffen die Virtualitätsdebatte und die Dingtheorie als wesentliche Anknüpfungspunkte erwiesen. Neben die heuristisch wesentlichen AAA-Titel und Kanon-Texte treten diverse Indie-Spiele und literarische Gattungen, die nur selten im Fokus eines hier aufgezeigten interdisziplinären Zugriffs stehen. Neben den direkten Co-Lektüren von älteren Texten und gegenwärtigen Computerspielen kamen methodologische Beiträge als wertvolle Perspektiven hinzu.

Wir wünschen anregende Lektüren!

Franziska Ascher & Thomas Müller

Die Zirkulation ludonarrativer Logiken – Eine Einleitung

28. September 2018 ·
Im Zuge eines Crossmappings an den Rändern der Gutenberg-Galaxis werfen die Herausgeber die Frage auf, inwiefern sich gerade im Computerspiel ludonarrative Möglichkeiten eröffnen, um eine ganze Reihe von Denkfiguren aufzugreifen, die bereits im Mittelalter fasziniert haben und in den zeitgenössischen literarischen Texten kondensiert sind. Die Einleitung zur PAIDIA-Sonderausgabe „Vom ‚Wigalois‘ zum ‚Witcher‘ – Mediävistische Zugänge zum Computerspiel“ bietet eine methodologische Situierung, einen Abriss zur Forschungsgeschichte, eine theoretische Einordnung der historischen und medialen Konstellation sowie eine Auffächerung von möglichen Zugängen für eine Co-Lektüre zwischen vormodernen Texten und gegenwärtigen Computerspielen.
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Versuch einer quantitativen Analyse von Figurenaktivitäten in ‚Iwein‘, ‚Tristan‘, ‚Partonopier‘ und ‚Mauritius von Craun‘ in Analogie zu Computerspielen

28. September 2018 ·
In diesem Beitrag werden nicht-sprachliche Aktivitäten von Figuren wie bspw. „suchen", „töten", „verstecken", sowie sprachliche Aktivitäten wie „argumentieren“ oder „beklagen“ erfasst. Dabei werden die Texte ‚Iwein‘, ‚Tristan‘, ‚Partonopier‘ und ‚Mauritius von Craun‘ in Segmente aufgeteilt und notiert, in welchem Segment welche Figur welche Aktivität durchführt. Diskutiert werden Probleme, wie sie auftreten bei der Modellbildung, bei der Analysepraxis und beim Erstellen von Richtlinien, unter welchen Bedingungen eine bestimmte Aktivität zu verzeichnen ist. Der Beitrag versteht sich als ein kleiner Baustein auf dem Weg dazu, Möglichkeiten einer digitalen Modellierung von literarischen Phänomenen zu erarbeiten. Erste vorläufige Ergebnisse deuten an, dass männliche Hauptfiguren mehr nicht-sprachlich als sprachlich handeln, bei weiblichen Figuren und bei Opponenten ergibt sich ein umgekehrter Befund. „Reden“ und „bewegen“ sind besonders häufige Aktivitäten; zofenspezifisch ist offenbar „helfen“.
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Pro Evolution Pilgrimage: On (a) Journey between ‚Sionpilger‘ and ‚Cyberpilger‘

28. September 2018 ·
Die Bezeichnung eines Spiels als virtuelle Pilgerfahrt lädt dazu ein, über das Verhältnis von digitalem Spiel und religiöser Handlung nachzudenken, wobei die Darstellung religiös relevanter Inhalte einerseits und das Übersetzen derselben als Spielmechanik andererseits in den Blick gerät. Bei der Bewegung durch den virtuellen Raum in ‚Journey‘ (2012) erscheint die Pilgerfahrt nicht nur als Spielhandlung, sondern das Spiel scheint selbst Züge einer Pilgerfahrt anzunehmen. Dadurch lässt ‚Journey‘ sich sowohl der mittelalterlichen Frömmigkeitspraxis als auch dem zeitgenössischen Phänomen der internetbasierten Pilgerfahrt annähern. Und schlägt so eine Brücke zwischen Sionpilger und Cyberpilger.
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Finales Erzählen in mittelalterlichen Heiligenlegenden und ‚What remains of Edith Finch‘

28. September 2018 ·
Das narrative Prinzip des ‚finalen Erzählens‘, das eine Erzählung vom Ende her motiviert, wurde bisher vor allem an vormodernen Texten untersucht und beschrieben. In ‚What remains of Edith Finch‘ als Computerspiel über den Tod und das Erzählen vom Tod wird diese Finalität zum entscheidenden narrativen Strukturprinzip. Die Verknüpfung von Inhalt und Erzählweise stellt dabei nur eine von vielen Parallelen zu mittelalterlichen Heiligenlegenden dar. Der Artikel untersucht Analogien der narrativen Struktur zwischen legendarischem Erzählen und ‚What remains of Edith Finch‘ und stellt sich dabei die Frage, wie das narrative Prinzip der Finalität in ganz unterschiedlichen Medien auch überzeitlich funktionieren kann. The narrative orientation of telling a story from the end (‘finales Erzählen’) has mostly been examined and described for premodern texts. ‘What remains of Edith Finch’ as a computer game about death and narrating about death sets this finality as its determining narrative structure. The resulting intertwining of storyline and narrative style is just one parallel that can be drawn to medieval stories about saints. The article aims to investigate analogies between these stories and ‘What remains of Edith Finch’ and raises the question how finality can function as a timeless narrative principle even in very different media.
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Looten und Leveln: Gegenstände als narratives Werkzeug im Videospiel und in der Erzählliteratur des Mittelalters

28. September 2018 ·
Unter der Prämisse, dass Objekte in Spiel und Literatur das Zentrum kleinerer Narrative bilden, die neben einer starken Fokussierung auf Personenhandlungen zumeist übersehen werden, wird in diesem Beitrag ein Perspektivenwechsel versucht, der sich auf Gegenstände als Instrument des Fortschritts und der Herausforderungsbewältigung konzentriert. Anhand eines Vergleichs ausgewählter Stellen aus ‚Skyrim‘, ‚Parzival‘, ‚Otnit‘ und ‚Wolf Dietrich‘ wird ein Schema der Objektnarration entworfen, das als gemeinsames erzählerisches Prinzip von Videospiel und mittelalterlicher Literatur gelten kann.
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Mythischer Gegenstand unverkäuflich: Zum mythischen Gegenstandsbewusstsein als Verbindung zwischen Mittelalter und Computerspiel

28. September 2018 ·
Durch Medien vermittelte Gegenstände verbleiben meist nicht bezugslos zu den Figuren der Diegese, in die sie eingebettet sind. Mittels semiologischer Analyse sollen Prozesse der Aneignung und des Gebrauchs von Gegenständen durch den Protagonisten in mittelalterlichen Erzähltexten sowie in pseudomittelalterlichen Third-Person-Computerrollenspielen untersucht werden. Wir gehen davon aus, dass Möglichkeiten von Aneignung und Gebrauch der Gegenstände mit der Art der semiotischen Einbindung in Zusammenhang steht. Anhand heuristisch ausgewählter Beispiele – ‚Wigalois‘, ‚Otnit‘, ‚Eckenlied‘, ‚Risen‘, ‚The Witcher‘ – soll gezeigt werden, dass medial vermittelte Gegenstände stets in einem Spannungsfeld zwischen Zeichenhaftigkeit und suggerierter Materialität stehen. Im Bezug zum Helden kann Materialität durch den zeichenhaften Verweis auf die Funktionen überlagert werden. An den einzelnen Beispielen sollen Aspekte wie Wirksamkeit, Sichtbarkeit, Identität, Wert und Objektbiographie skizziert werden, um den Spielraum der dinglichen Bestandteile einer fiktionalen Welt abzuzirkeln. Ziel ist es zu zeigen, dass mittelalterliche Erzählliteratur und Computerrollenspiele, die motivisch auf das Mittelalter rekurrieren, nicht nur eine ähnliche Objektwelt aufbauen, sondern auch Ähnlichkeiten im Erzählen von diesen Objekten existieren. Anstatt eine direkte und auch problematische Abhängigkeit der Computerspiele von mittelalterlichen Texten zu postulieren, können doch beide Gruppen über die spezifische Ausformung der Repräsentation von Gegenständen und ihrer Beziehung zum Helden demselben Heteronomie-Raum zugeordnet werden.
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Two rings to break them all: Zur agency des neuen Rings der Macht in 'Shadow of War' und der zwei Ringe im mittelalterlichen 'Iwein'

28. September 2018 ·
Ringe der Macht sind bereits bei J.R.R. Tolkien vor allem eines: Eine Gefahr für die Ringträger. Sie besitzen ein destruktives Potential, das sogar zum kompletten Identitätsverlust führen kann. Dies gilt jedoch nicht nur für die Ringträger des Einen Rings aus Tolkiens Erzählungen. Wie in diesem Beitrag aufgezeigt werden soll, kennt die zerstörerische Macht magischer Ringe keine medialen oder genrebedingten Grenzen, denn ihr erliegen nicht nur der Protagonist Talion in 'Shadow of War' ebenso wie der Ritter Iwein in Hartmanns von Aue gleichnamigen höfischem Roman, sondern auch der Rezipient ist vor der Macht der Ringe nicht mehr sicher. Rings of power in J.R.R. Tolkiens narrative share one quality in particular: They are a danger for their bearers. They inherit a destructive force, that is able to erase the identity of the one in possession of these things of power. This article wants to demonstrate, that this threat is not a special feature concerning the ringbearers in Tolkiens narrative. The destructive force of rings of power is not limited by medial or genre conventions, because not only the protagonist in 'Shadow of War' – Talion – and Hartmanns von Aue Iwein in his correspondent middle high german verse romance succumb to this force, but also the recipient is threatened by it.
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Spielformen des Erzählens: Die ludo-narrative Struktur in Hartmanns ‚Iwein‘

28. September 2018 ·
Mit der Aventiure präfiguriert der Artusroman ein zentrales Strukturelement des RPGs: das Questen. Dieser Beitrag untersucht Hartmanns von Aue ‚Iwein‘, der das Konzept der Aventiure nicht nur explizit verhandelt, sondern eine komplexe narrative Struktur besitzt, in der auf der Basis der Aventiure als Strukturelement ein Konzept von Agency entworfen wird. Dieses Konzept kann – so die These – als ludische Form der narrativen Struktur beschrieben und im Zusammenhang von Aventiure und Quest näher beleuchtet werden, der sich nicht in einer einfachen Analogiesetzung erschöpft.
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Game Studies als Heuristik der historischen Literatur­wissenschaft? Anmerkungen zur aktuellen mediävistischen Virtualitätsdebatte

28. September 2018 ·
Der Beitrag diskutiert das Erkenntnispotential der Game Studies für die mediävistische Literaturwissenschaft am Beispiel der aktuellen Virtualitätsdebatte. Ausgehend von zwei exemplarischen Forschungsbeiträgen sollen sowohl Fallstricke als auch Chancen der gegenwärtigen Diskussion aufgezeigt werden.
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Geschichte neu ‚texten‘: Grand Strategy Games und Antikenromane – Ein Entwurf

28. September 2018 ·
Im Jahr 2012 stechen schwedische Flotten von Schwedisch-Kuba in See, um die Reichtümer der Karibik zu erobern; ca. 1280 erlangt Iason das goldene Vlies und löst damit den trojanischen Krieg aus. Beide Aussagen irritieren – nicht nur aufgrund der Datierung – ohne ihren Kontext: sie entstammen einem Trailer zum Videospiel ‚Europa Universalis IV‘ und dem ‚Trojanerkrieg‘ Konrads von Würzburg. Der vorliegende Beitrag versucht ausgehend von der Initialirritation zunächst eine grundlegende strukturelle Ähnlichkeit zwischen beiden Gegenständen herauszuarbeiten. Auf dieser Basis findet dann ein Vergleich der Geschichtsmodellierung in Grand Strategy Spielen und Antikenromanen statt, wobei besonders auf die aus der Konfrontation entstehenden produktiven Perspektiven aufmerksam gemacht werden soll.
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© 2025 Paidia - Zeitschrift für Computerspielforschung (ISSN: 2363-5630)
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