Menschen, Monster, Algorithmen: Interface-Inszenierungen im Survival-Horror von ‚Alien: Isolation‘ und ‚Outlast‘

25. Juni 2020

Vorüberlegungen

Sei es das Hacken von Türschlössern, die Fernsteuerung von Beleuchtung und Luftzufuhr oder der Einsatz eines mobilen Bewegungssensors: Gegen die Bedrohung eines nahezu unbesiegbaren Aliens stellt der Einsatz von Interfaces in Alien: Isolation1 die einzige innerhalb der Spielwelt angebotene Schutzfunktion dar. Das Verhältnis von Nutzer_in und Interface im Spiel lässt sich dabei mit Alexander Galloway als Form algorithmischer Handlung beschreiben, die eine unteilbare Einheit in der Relation von Mensch und Maschine konstituiert.2 Diese Einheit findet sich auch als Ausdruck jener Dividualität, die für Gilles Deleuze ein zentrales Charakteristikum von Kontrollgesellschaften ausmacht.3 Im historischen Übergang aus den von Michel Foucault beschriebenen Diszplinargesellschaften verlieren deren Milieus der Einschließung im Verlauf des 20. Jahrhunderts zugunsten von Kontrollmechanismen zunehmend ihre Herrschaftsfunktion. Die neue Form kontrollgesellschaftlicher Macht liegt in einer universellen, informatischen Modulation, d. h. in Strategien, die jede Subjektivierung immer schon durchkreuzen und gänzlich beherrschbar machen. Das dynamische Regime dieser universellen Modulation erfasst alle Lebensbereiche in den Mechanismen einer „variablen Geometrie mit numerischer […] Sprache“4, ihre Herrschaft ist organisiert „durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation“5, wie Deleuze an anderer Stelle ausführt. Dieser grundlegende Umstand, der sich in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern als Universalität einer neuen Lebensweise realisiert,6 findet sich auch in den medialen Anordnungen digitaler Spiele, bringt doch der Computer als neuer Maschinen-Typus die Möglichkeit informatischer Kontrolle erst hervor.7

Digitalen Spielen wohnt daher das Potenzial zur Befreiung aus den Einschließungsmilieus ebenso inne wie die Gefahr neuer Unterwerfung: „Weder zur Furcht noch zur Hoffnung besteht Grund, sondern nur dazu, neue Waffen zu suchen.“8 Das Verhältnis von Spieler_in und Welt in Alien: Isolation macht nun den spezifischen Horror dividueller Verhältnisse von Menschen und informatisch-algorithmischen Maschinen erfahrbar und eröffnet dadurch zugleich die Möglichkeit, sich kritisch zu jenen kontrollgesellschaftlichen Bedingungen ins Verhältnis zu setzen.

Um die Inszenierung dieser Relationen konkret zu rekonstruieren, soll zunächst ein Blick auf die Interfaces in Alien: Isolation geworfen werden, um schließlich anhand von Outlast 9 eine weitere Facette jener Erfahrung von Kontrolle zu untersuchen, die sich in beiden Spielen als je spezifische Form von Survival-Horror realisiert.

Distanzhandeln — Alien: Isolation

[…] in the end, machines really have no need for humans at all
(just in the same way that the Real has no need for us,
but we have a horrifying need for it).
10

 Alien: Isolation schließt im Alien-Franchise11 an den ersten Teil der Filmreihe an: 15 Jahre nach dessen Handlung erfährt Amanda Ripley, Tochter von Film-Protagonistin Ellen Ripley, dass der Flugschreiber des vom Alien im ersten Film heimgesuchten Schiffs Nostromo wieder aufgetaucht ist und sich nun auf der Raumstation Sevastopol befindet. Bei Amandas Ankunft ist diese jedoch verwüstet und die Besatzung tot oder geflohen. Schnell offenbart sich, dass zusammen mit dem Flugschreiber auch das Alien, der sogenannte Xenomorph, auf die Station gekommen ist.

Spieler_innen erkunden als Amanda Ripley in der First-Person-Perspek­tive die verlassene Station und versuchen, Informationen über den Verbleib ihrer Mutter zu erhalten und Sevastopol lebend wieder zu verlassen. Dabei sind sowohl die feindlichen Androiden der Station wie auch aggressive Überlebende und der Xenomorph selbst als Gegner_innen im Kampf nur schwer oder gar nicht zu besiegen. Um die Levels zu durchqueren und jeweils lokale Ziele zu erfüllen, bietet das Spiel vor allem Geräte an, über deren Interfaces Handlungen möglich werden, die den gefährlichen Kontakt mit der Spielwelt und ihren Bewohnern reduzieren.

Diese Interfaces lassen sich zunächst anhand ihres inner- oder außerdiegetischen Status unterscheiden: Alexander Galloway benennt in seinem Entwurf eines analytischen Rahmens, der besonders die Handlungsformen digitaler Spiele beschreibbar macht, zwei gekreuzte Achsen, deren vier Felder verschiedene Typen von Spielhandlungen ergeben.12 Auf einer Achse lassen sich maschinelle Handlungen von Nutzer_innen-Handlungen unterscheiden, auf der anderen diegetische Handlungen von nicht-diegetischen Handlungen. Zwei der vier somit entstehenden Handlungstypen sind im Folgenden re­levant: nicht-diegetische Nutzer_innen-Handlungen (nondiegetic operator acts13), etwa Einstellungs-Menüs und andere Möglichkeiten der Konfigura­tion, sowie diegetische Nutzer_innen-Handlungen (diegetic operator acts14), die entweder in der Bewegung des Avatars liegen oder in Handlungen, die “an expressive desire outward from the player character to objects in the world that are deemed actionable”15 äußern. Alien: Isolation schlägt dabei in der Verwendung von Interfaces als diegetische actionable objects eine Brücke zwischen beiden Typen, mit der sich der spezifische Horror des Survival-Horrors konkret im Spiel beschreiben lässt.

Interfaces I: Konfiguration

Es ist zunächst auf eine Interface-Ebene abzuheben, deren Funktion rein konfigurativ ist: Das Hauptmenü öffnet sich beim Spielstart und erlaubt die Anpassung der Einstellungen, die Auswahl von Spielmodi sowie das Laden von Speicherständen. Dieses Menü lässt sich jederzeit auch im Spiel als Pausenmenü aufrufen und bietet dann grundlegend identische Konfigurationsmöglichkeiten. Bei beiden Menüs handelt es sich um extradiegetische Konfigurations-Interfaces: Sie stehen in einem funktionalen Verhältnis zur Spiel­welt, deren Parameter sie verändern.

Auf der ästhetischen Ebene ist bereits vor und in den konfigurativen Menüs ein Verlauf zur diegetischen Spielwelt auszumachen: So beginnt das Spiel noch vor dem Hauptmenü, gewissermaßen auf einer prä-konfigurativen Ebene extradiegetischer Interfaces, mit dem bekannten Intro des Filmstudios 20th Century Fox, das neben der Alien-Filmreihe auch an der Produktion von Alien: Isolation beteiligt war. Dieser Vorspann ist jedoch – ebenso wie die Ladebildschirme – von an Videobilder erinnernden Bildartefakten durchzogen. Die nachfolgenden Logosequenzen der Studios Creative Assembly und Sega erinnern in ihrer grünlich-leuchtenden, leicht zitternden Erscheinung an frühe Computer-Röhrenbildschirme. Zwar sind die minimalistischen Designs des Haupt- und Pausenmenüs vor allem durch die Schriftgestaltung eher der Gegenwart verpflichtet, doch auch diese Ebene wird ästhetisch durchstoßen: Die Markierungen der Tastenbelegung zur Steuerung der Menüs sind in grüner, nichtproportionaler Schrift mit starken Serifen gehalten, die ebenfalls jene frühe Textausgabe auf Röhrenmonitoren in Erinnerung ruft.

Wie auch die Filmreihe entwirft Alien: Isolation somit schon auf bild­ästhetischer Ebene ein Science-Fiction-Szenario, dessen (retro-)futuristische Tech­nik an die 1970er-Jahre erinnert. So sind zwar die Konfigurations-Inter­faces des Spiels funktional extradiegetisch verortet, ästhetisch wird diese Trennung jedoch durchlässig und die Retro-Science-Fiction greift in die Rahmungen der Software aus. Die Spieler_innen befinden sich damit bereits in einer Spielwelt, deren Gestaltung nicht an einem eindeutig identifizier­baren Übergangspunkt zur Diegese einsetzt.

Abb. 1 Übersichtsmenü mit Video-Standbild-Artefakten16)

Bedrohung und Kontakt

Der Spielverlauf ist geprägt von der Notwendigkeit, sich vorsichtig und langsam durch die Levels zu bewegen, die in der Regel aus unterschiedlichen Sektionen und Stockwerken der Raumstation bestehen. Da die Möglichkeit des Speicherns meist nur zu Beginn eines Spielabschnitts gegeben ist – hierzu wird diegetisch eine Speicherkarte in ein Notruftelefon gesteckt –, führt die Konfrontation mit dem Xenomorph oder einer Mehrzahl anderer Gegner_in­nen oft zum Verlust größerer Spielfortschritte. Auch wenn es zwar Wege gibt, eine gewisse Anzahl an Gegner_­innen durch den Einsatz verschiedener Granaten und einiger Schuss- und Hiebwaffen zu überstehen, so ist dies selten die naheliegendste Variante. Diese Hilfsmittel, wie der „Noisemaker“ zur Ablenkung von Gegner_innen, müssen erst hergestellt werden. Die zur Herstellung nötigen Teile sowie Munition für die Schusswaffen sind wiederum spärlich in den Levels verteilt und oft gut versteckt oder nur in Bereichen zu finden, deren Betreten die Wahrscheinlichkeit des Kontakts mit dem Xenomorph oder anderen Gegner_innen erhöht. Der konfrontative Weg durch die Spielwelt bedeutet deshalb einen hohen Einsatz an Spielzeit: Einerseits muss sie zunächst in das Finden und Sammeln von Ressourcen und die Herstellung hilfreicher Gegenstände investiert werden, andererseits ist sie stärker davon bedroht, im meist tödlich endenden Konflikt als Spielfortschritt verloren zu gehen.

Die resultierende Verbindung von Knappheit und Verwundbarkeit, die das Spielerleben strukturiert, wird ergänzt von atmosphärischer Dunkelheit im Leveldesign und einem Soundtrack, der in seine düster-sphärische Musik permanent eine Geräuschkulisse einflicht, die an Schritte und kratzende, schnarrende Laute denken lässt. So ist der Fortschritt durch das Spiel einerseits von einer Angst vor dem konkreten Kontakt mit der Welt und ihren Bewohner_innen geprägt, der durch das wahrscheinliche Sterben der verwundbaren Figur zu einem Neustart des Abschnitts zwingt und gut vorbereitete Ausrüstung erfordert; daneben steht andererseits die fortdauernde Angst aufgrund einer grundlegenden Bedrohlichkeit der Spielwelt, die sich in der Verbindung der klanglichen und visuellen Landschaft von Soundtrack und schwach beleuchteten Räumen immer aufs Neue ankündigt, ohne dass sich aus dieser Atmosphäre die konkreten tödlichen Kontakte ableiten.

Diese Doppelgestalt des Schreckens einer fundamental bedrohlichen Welt, strukturiert von Knappheit, Verwundbarkeit und unsichtbarer Anwesenheit, ließe sich als Modus des Survival-Horrors beschreiben. Für Alien: Isolation bedeutet diese doppelte Bedrohlichkeit konkret: Das Gameplay ist auf die Reduzierung des Kontakts mit der Spielwelt ausgerichtet, den Spieler_innen stehen dazu verschiedene Geräte zur Verfügung, die es ermög­lichen oder erfordern, den direkten Kontakt an die vermittelte Operationalität eines diegetischen Interfaces abzugeben. Die Sicherheit ist jedoch trügerisch: Während der Spielfluss allein von den konfigurativ-extradiegetischen Menüs unterbrochen wird, bleiben die Spieler_innen beim Verwenden diegetischer Interfaces den Gefahren der Welt ausgesetzt, so weit sie auch hinter jene Geräte zurücktreten mögen.

Interfaces II: Diegetische Konfiguration

Die diegetischen Interfaces fügen sich in die beschriebene Ästhetik retro-technologischer Hard- und Software, die bereits die konfigurativen Interfaces der Spielrahmung erfasst. An der von Galloway benannten Schwelle diegetischer oder nicht-diegetischer Interfaces ist zunächst ein Übersichtsmenü zu nennen, das die Spieler_innen jederzeit aufrufen können, um eine Karte des aktuellen Levels, die aktuellen Ziele sowie die gesammelten Dokumente und Audio-Einträge anzuzeigen. Auch dieses Menü pausiert noch – wie das nicht-diegetische Konfigurationsmenü – den Spielfluss, es legt sich jedoch als leicht durscheinende Bildschirm-Oberfläche über die Spielwelt, die durch flirrende Balken den Eindruck eines pausierten VHS-Standbilds erweckt.

Auch hier wird die Grenze zwischen diegetischen Interface-Handlungen und extradiegetisch-konfigurativen Interface-Handlungen durchlässig. Den Spieler_innen steht zwar keine Veränderung der grundlegenden Parameter des Spiels zur Verfügung, gleichwohl bietet das Menü Optionen der Übersicht, die dabei auch extradiegetische Informationen zu Speicherpunkten enthalten. Ebenfalls zur Anzeige von Informationen dient das über das laufende Spiel gelegte, sehr zurückgenommene HUD mit einer schmalen Anzeige der Gesundheit, der aktuell gewählten Waffe, Menge der Munition und verbleibenden Lebensdauer der zuschaltbaren Taschenlampe. Über einen Tastendruck lässt sich zudem, ohne das Spiel zu pausieren, ein Inventar öffnen, in dem sich Waffen oder Hilfsmittel auswählen oder aus eingesammelten Teilen herstellen lassen.

Neben diese in die Interface-Ästhetik des Spiels integrierten Menüs treten zahlreiche innerdiegetische Interfaces: Computer-Terminals bieten Zugang zu ausgewählten Dokumenten und Audio-Einträgen und lassen sich nahtlos aus der Spielwelt ansteuern und als diegetische Computer bedienen. Sogenannte Rewire-Systeme (vgl. Abb. 2) sind stellenweise an der Wand angebracht und erlauben in einem bestimmten Bereich des Levels ein Umleiten der – ebenfalls nur begrenzt verfügbaren – Elektrizität, um etwa verschlossene Türen zu öffnen, Überwachungskameras zu deaktivieren oder Deckenlichter ein- und auszuschalten. Um gesicherte Türen zu öffnen, erhalten Spieler_innen während der dritten Mission einen Security Access Tuner, der mittels eines Kombinations-Minipuzzles oder kleiner Geschicklichkeits-Übun­gen das Umgehen von Türsicherungen erlaubt. Das am häufigsten verwendete Gerät ist schließlich der Motion Tracker, der jederzeit ins Bild gehoben werden kann und als Radar-Übersicht die Position beweglicher Objekte in der Umgebung anzeigt und damit das Erkennen von Gegner_innen ohne direkten physischen oder visuellen Kontakt erleichtert.17 Neben diese primären Geräte der Verfügung über die Spielwelt und ihre Informationen reihen sich einige weitere im Spiel verteilte Computer-Terminals mit je spezifisch auf einen Spielabschnitt bezogenen Funktionen, die aber nicht prinzi­piell von den genannten Typen abweichen.

Abb. 2 Ein Rewire-System, mit dessen Hilfe Türen, Überwachungskameras oder Luftfilterung in bestimmten Bereichen der Station gesteuert werden können18)

All diese Geräte werden über diegetische Interfaces bedient, die sich in die Retro-Ästhetik fügen: Elektronische Bildschirme sind eingefasst in Gehäuse mit großen Knöpfen und Rädern, die analog zur Aktivität der Spieler_innen von den Händen der Figur betätigt werden. Die Steuerung der Interfaces bewirkt eine Verlagerung des Fokus von der Spielwelt auf das jeweils bediente Gerät und setzt die Bewegungssteuerung der Figur temporär aus. Stattdessen werden jeweils relevante Tastenbelegungen eingeblendet, die einen weiteren Sprung zwischen diegetischer und extradiegetischer Zuordnung erzeugen und ästhetisch den Konfigurationsmenüs entsprechen.

Im Falle des Motion Trackers, der dynamisch ins Bild geholt werden kann, ist die nahtlose Verwendung der Interfaces ohne Unterbrechung des durchgehenden Spielvorgangs am deutlichsten: Das rein zur Darstellung von Informationen dienende Gerät wird am unteren Bildrand von der Spielfigur gehalten, während die Tiefenschärfe sich auf den Bildschirm des Trackers reduziert. Über einen Tastendruck kann dieser Fokus bei weiterhin gehaltenem Tracker auch wieder auf die Spielwelt verlagert werden, dabei wird jedoch dessen Bildschirm in die Unschärfe verschoben.

Abb. 3 Der Motion Tracker zeigt eine Übersicht beweglicher Objekte in der Umgebung, verringert aber die Schärfentiefe19)

In diesen Interfaces wird das grundlegende Prinzip des Spiels besonders deutlich: Der Kontakt zur Spielwelt ist eng mit dem Tod der Spielfigur verbunden und die Strategien der Vermeidung von Kontakt eröffnen sich als Handeln aus der Distanz in einer indexikalisch operationalisierbaren Welt. Wenn Jan Distelmeyer festhält, dass Interfaces als operative Bilder unterhalb symbolischer oder ikonischer Ausformungen „ganz gewiss indexikalische Anteile“ aufweisen, indem sie zwangsläufig auf die „Prozessualität des […] Rechners“20 verweisen, so ist dieses Argument auch diegetisch zu wenden: Die Interfaces in Alien: Isolation beziehen sich immer auch indexikalisch auf die durch sie verfügbar gemachten Steuerungsoperationen gegenüber einer Spielwelt, zu der sie gleichzeitig eine Distanz aufbauen.

Eine interessante Ausnahme bilden hier die Speicher-Telefone, die als Hardware-Interface erscheinen, das ein Anlegen von Speicherständen ermöglicht. Die Telefone weisen somit am stärksten aus der Diegese des Spiels hinaus und sind zugleich Element ihrer Unterbrechung wie Garant ihres Fortbestehens. Zudem erinnern sie deutlich an die Speicher-Schreibma­schi­nen im Survival-Horror-Ahnen Resident Evil21: Dort sind es Farbbänder, die von den Spieler_innen gesammelt werden müssen, um sie in spärlich verteilten Schreibmaschinen zum Speichern des Spielstandes einzusetzen. Die ebenso spärliche Ressource der Farbbänder verstärkt noch den engen Zusammenhang von Knappheit und Verwundbarkeit, der auch für Alien: Isolation so maßgeblich ist.22

Indexikalische Verfügung

Wie aber verschränken sich über die Interfaces im Gameplay jene Ausdrucks- und Konfigurationshandlungen, die Galloway voneinander unterscheidet? Es wurden bereits die Übergänge genannt, die ästhetisch zwischen diegetischen und scheinbar extradiegetischen Interfaces bestehen und jene Trennung durchlässig machen. Auch umgekehrt lässt sich nun festhalten, dass der ästhetische Ausgriff aus der Spielwelt von einem funktionalen Eingriff ergänzt wird: Konfigurative Handlungen beziehen sich in Alien: Isolation nicht lediglich auf extradiegetisch-informatische Parameter, sondern auch auf den Umgang, den das Gameplay den Spieler_innen mit ihrer Umwelt anbietet. Handeln heißt in Alien: Isolation immer: Handeln aus der Distanz, Verfügung über die Spielwelt durch indexikalisch-funktionale Interfaces, die auf ihren Referenten verweisen und von dessen Existenz zeugen, zugleich aber Distanz zu ihm herstellen und nicht identisch mit jener Welt sind, die durch sie erst verfügbar wird.23

Handeln in Alien: Isolation ist indexikalisches Distanzhandeln im doppelten Sinne. Die Logik der Konfigurationshandlung verschränkt sich mit der Logik der Ausdruckshandlung – jene zwei Ebenen, die Galloway als nicht-diegetische und diegetische Nutzer_innen-Handlungen unterscheidet, legen sich hier ineinander. Die Folge ist die Intensivierung dessen, was Jan Distelmeyer auch das „Wechselspiel zwischen Verfügen und Fügen“ nennt und damit die „Ästhetik der Verfügung“24 bezeichnet, in der die Politik des Computers grundlegend über seine Interfaces zum Ausdruck kommt. Die Spieler_innen sind Nutzer_innen von Interfaces der Verfügung über eine vom Interface wiederum abwesend gemachte Welt, sei es über den Motion Tracker, der das Konkrete, Abwesende als abstrakte Sichtbarkeit repräsentiert, sei es über die Rewire-Systeme, die eine Konfiguration entfernter Elemente erlauben, oder über den Security Tuner, der selbst das Öffnen von Türen hinter einem Minispiel-Interface verbirgt: Immer ist der unmittelbare Kontakt zur Spielwelt abgelöst von der mittelbaren Konfiguration eines sich nur sekundär zur Spielwelt verhaltenden Interfaces.25

Die Ausdruckshandlungen der Spieler_innen werden durch die Benutzung diegetischer Interfaces folglich zu Konfigurationshandlungen, die keine kategorische Unterscheidung mehr zwischen extradiegetischer Konfiguration der Parameter des Spiels selbst und diegetischer Konfiguration seiner Erscheinungsweisen erlauben. Direktes Handeln ist demgegenüber nahezu ausschließlich reduziert auf Bewegungshandlungen der Spieler_innen, deren Entscheidungen selbst wiederum nur auf Basis vermittelter Informationen – etwa des Motion Trackers oder der Übersichtskarte – getroffen werden. Wenn Kontakt in Alien: Isolation den Tod der Spielfigur und das Neuansetzen des Spielabschnitts bedingt, so müssen Handlungen der Nähe und Unmittelbarkeit zu Distanzhandlungen werden, die dadurch gerade jene Subjektivität infrage stellen, die sich durch expressive Handlungen in der Spielwelt erst formieren müsste. Die Welt des Spiels wird aus der Distanz zu ihrer indexikalischen Verfügung gebracht: Die Spieler_innen können sinnkonstituierende Handlungen häufig nur als Konfigurationshandlungen in Interfaces ausführen, die immer auch die Spur algorithmischer Konfiguration mitführen. Verfügen über die Spielwelt und Sich-Fügen in die Spielwelt finden gleichzeitig in der elektronischen Ästhetik der Interfaces statt. Die Spieler_innen üben Kontrolle aus, werden aber selbst zugleich, wie Distelmeyer für Interfaces grundlegend betont, von deren Anordnungen kontrolliert. Das diegetische Interface verweist auf seine entsprechende diegetische Prozessualität – die Verfügung über Operationen innerhalb der Spielwelt – und führt gleichzeitig die Fügung in die algorithmische Struktur jedes Interfaces vor Augen, die hier auch die Spielhandlungen selbst betrifft.

Tanya Krzywinskas These, das Survival-Horror-Genre sei über die Erfahrung einer “dynamic between states of being in control and out of control26 zu beschreiben, ließe sich somit anders formulieren: Nicht Kontrolle und Kontrollverlust strukturieren die Spielerfahrung – Kontrolle bedeutet gleichzeitig Kontrollverlust innerhalb jener Mechanismen, die diese Kontrolle erst ermöglichen. Das Interface definiert in seiner Anordnung als Kontrollmechanismus die einzigen Möglichkeiten zum Ausüben von Kontrolle, zum Ausspielen von Ausdruckshandlungen einer abwesenden Spielwelt gegenüber, und verweist darin immer auch auf die grundlegende Anordnung jeder Spielhandlung. Dies bedingt zugleich ein Sich-Fügen in diesen Kontrollmechanismus, einen Entzug von Kontrolle über all jene Operationen, die die Grenzen des Interfaces möglicherweise verlassen könnten – in eine Welt hinein, in der ein Überleben selbst unter großer Aufwendung von Zeit und Ressourcen nahezu unmöglich ist.

Digitale Spiele als algorithmische Kunst

Es ist hier entscheidend, die untrennbare Verwobenheit von diegetischen Kontrollmechanismen und ihrem Verweisen auf jene Mechanismen, die der Spielerfahrung selbst zugrunde liegen, zu unterstreichen. Möglich wird dies mit Alexander Galloways grundlegendem Rückgriff auf eine Beschreibung der Anordnung digitaler Spiele: “Video games are games, yes, but more importantly they are software systems” und damit beschreibbar als “algorithmic cultural objects27. Sie bestehen aus Hardware-Geräten der Ein- und Ausgabe sowie aus Software, die das Spiel als Prozess ausführt, wiederum “on the phyiscal level by moving bits of information from one place to another”28, angewiesen durch die bedeutungstragenden Handlungen von Nutzer_innen. Das Computerspiel lässt sich so als kunstvoller Algorithmus beschreiben, der über verschiedene Dimensionen elektronischer Bewegung gerade dadurch Bedeutungen generiert, dass diese sich erst in der untrennbaren Verwebung mit den Handlungen seiner Nutzer_innen sinnhaft vollziehen: “What is an algorithm if not a machine for the motion of parts? And it is the artfulness of the motion that matters most.”29

Computerspielen lässt sich als algorithmische Weise des Handelns zwischen menschlicher Eingabe und maschineller Ausführung verstehen. Mit dem Begriff der Handlung wendet sich Galloway an das Videospiel spezifisch als “action-based medium”30, das nicht nur die Eingabe-Aktionen von Nutzer_innen benötigt, sondern selbst auf materiellen Aktionen basiert, auf ebenjenen informatischen Bewegungen seiner fundamentalen Prozessualität. Entscheidend ist die Aufhebung der Trennlinien – es handelt sich nicht um verschiedene Typen der Aktion von Nutzer_innen und Maschinen, die mit­einander kommunizieren, sondern um eine “cybernetic relationship to effect the various actions of the video game in its entirety. The two types of action are ontologically the same. […] the actions exist as a unified, single phenomenon31. Es ist eben dieses Phänomen einer vereinten, einzigen Handlung des Spielens, die als Gameplay zu bezeichnen ist – als jener komplexe Prozess, durch den konkrete Spielerfahrungen beschreibbar werden, die sich weder in Handelnde, vermittelnde Software und ausführende Maschine, noch in repräsentierte Inhalte und steuernde Regeln auflösen lässt.32

Was bedeutet das nun für die Inszenierung der Erfahrung von Kontrolle und Kontrollverlust in den Interfaces eines Survival-Horror-Spiels wie Alien: Isolation und vor allem für eine kritische oder reflexive Dimension dieser Inszenierung? Spiele sind nicht, so Galloway, auf allegorische Repräsenta­tionen der Kontrollgesellschaften angewiesen, ihre algorithmische Seinsweise ist identisch mit der Form politischer Kontrolle des Informationszeitalters durch universelle Modulation: “They [Videospiele, L.D.] solve the problem of political control, not by sublimating it […], but by making it coterminous with the entire game.”33 Der Akt des Gameplays liegt dabei in der Einzig­artigkeit handelnder Bedeutungsgenese: “The activity of gaming […] is an undivided act wherein meaning and doing transpire in the same gamic gesture.”34 In digitalen Spielen ist dann nicht eine Aussage allegorisch, die eine Bedeutung und eine andere Bedeutung aufeinander bezieht, sondern eine Handlung, die zugleich eine Handlung mit einer anderen Bedeutung ist.35

Das Videospiel wird so zum Ausdruck der digitalen Kontrollgesellschaften im Sinne Deleuzes par excellence: Kritik ist nicht nur in der Ideologiekritik repräsentierter Inhalte zu suchen, sondern auch als Code-Kritik der da­runterliegenden Kontroll-Allegorie, wie in Galloways Beispiel der Aufbau-Simulation Civilization36): “the more one examines the actual construction of racial and national identity in the game, the more one sees that identity itself is an entirely codified affair within the logic of the software”37. Gleiches gilt auch für die Frage nach einer Reflexion der Kontrollgesellschaften: Nicht allein die Ideologiekritik der Darstellung reicht aus, um die Bedeutungsschichten von Computerspielen abzutragen; sie muss auch um eine algorithmische Kritik der Spielhandlungen ergänzt werden, generieren doch diese erst in Computerspielen spezifisch Bedeutung. Nicht als Allegorie, sondern als unmittelbare spielerische Erfahrung erscheint Kontrolle, die nur als Einheit von Kontrollieren und Kontrolliert-Werden – oder eben: Fügen und Sich-Fügen – in der Form der Spielhandlung greifbar wird.

Galloways Ansätze zu einer Theorie digitaler Spiele lassen sich nun so zusammenfassen: Als Gameplay ist die gemeinsame, in einer Geste ununterscheidbar verbundene Handlung von Nutzer_innen und Maschine zu bezeichnen. Diese Handlung ist algorithmisch, insofern sie immer Bewegungshandlung materieller Zustände von Informationen ist, die sich selbst be­ständig veränderlich bewegen und zugleich durch Eingaben bewegt werden. Bedeutung ist für Galloway so nur in der Form einer Handlung zu beschreiben, die zugleich Bewegungshandlung der Datenstruktur ist. Anders formuliert: Die vereinte Gameplay-Geste von Nutzer_innen und Computer ist als Einheit einer bedeutsamen menschlich-maschinellen Handlung beschreibbar.38

Interface-Spiele

Um die Spielerfahrung auf Grundlage dieser Definition des Gameplays zu präzisieren, lassen sich Videospiele selbst nun als eine bestimmte Form von Interface beschreiben. Während Interfaces meist als grafische Benutzeroberflächen in Erscheinung treten, hält Jan Distelmeyer fest, dass es sich dabei lediglich um einen bestimmten Typ von Interface handelt. Viel grundlegender stellen diese eine Schnittstelle zwischen menschlichen und maschinellen, digitalen Handlungen dar, die „nicht nur die Schwelle zwischen Mensch und Computer [bilden, L.D.]“, sondern zum Ausdruck bringen, „wie hier Mensch, Computer und ihre wechselseitigen Beziehungen gedacht werden und zu verstehen sind“39.

Wenn das Videospiel sich nach Galloway als bestimmte Form der gleichzeitigen Vermittlung und Veränderung materieller Zustände in einer einzigen Handlung verstehen lässt, dann kann umgekehrt die erst im Interface konstituierte und zugleich ausgedrückte Beziehung von Mensch und Maschine im Videospiel präziser als Ausdruck der Beziehung von Spieler_innen und algorithmischen Objekten beschrieben werden: Spielerfahrung bedeutet in diesem Sinne die spezifische Erfahrung, in ein vom jeweiligen Videospiel anders realisiertes, bedeutsames Verhältnis von Nutzer_innen und Algorithmus eingebunden zu sein. Die je anders realisierten Rollen der Spieler_innen und ihre Spielerfahrungen sind so als Weisen beschreibbar, sich selbst als Ausdruck und Veränderung eines Algorithmus zu erfahren, durch den eine Welt und die Gesetze ihrer Operationalität erst hervorgebracht werden. Die hier vorgenommenen Analysen konkreter Interfaces bieten einen besonders anschaulichen Weg, diese Verhältnisse zu rekonstruieren, da sie sich in Interfaces – die zugleich auf ihre diegetische wie extradiegetische Operationalität verweisen – bereits reflektiert finden.

Spieler_innen ist es also in fiktionalen Settings nicht lediglich möglich, je andere repräsentierte Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen, sondern sich als handelnden Teil der Kontrollmechanismen ihrer Operationalität selbst zu erfahren. In genau diesem Sinne lässt sich das Videospiel als Ausdruck der Kontrollgesellschaften verstehen, der im Zentrum von Galloways Argumentation für eine algorithmische Code-Kritik steht: Individuen werden nicht mehr von den einschließenden Milieus der Disziplinierung, sondern durch ihre Teilhabe an der alles durchformenden Modulation definiert, sie sind „‚dividuell‘ geworden“40 und erfahren diese Dividualität in eben jener gemeinsamen Geste der Gameplay-Handlung, die sie zugleich ausführen und von der sie ausgeführt werden – worin exakt jene Dividualität sich verdoppelt reflektiert.

Das Videospiel ist folglich nicht als Interface im Sinne einer Schnittstelle zu verstehen, die zwischen getrennten Bereichen einen Austausch – oder eine Interaktion41 – eröffnet. Vielmehr ermöglicht es gerade auch das Genießen des menschlich-maschinellen Handelns, die freudige Ekstase der Auflösung – eben das Spielerische dieser realisierten Dividualität als Videospiel, als ausgeführte Einheit einer Handlung von Mensch und Maschine. Im Interface ist diese Einheit immer schon vollzogen, handelt es sich doch bei Interfaces selbst um Operationen, um „Verfahren […] auf der Schwelle des Verfügens und Fügens“42. Da der Schwellenraum des Interfaces sich in Handlungen realisiert, nimmt jene Auflösung im menschlich-maschinellen Handeln ebenso in ihm Gestalt an und kann in den konkreten Interfaces eines Spiels wie­derum reflektiert werden.

Interfaces III: Sehen und Handeln — Outlast

Eine andere Form der Inszenierung von Kontrolle als je spezifisch erfahr­bares Verhältnis von Mensch und Maschine findet sich in Outlast: Ein äußerstes Ungleichgewicht von Sehen und Gesehen-Werden strukturiert hier die minimalistische Gestaltung des Spiels. Als Journalist, der unheimliche Ereignisse in einem Sanatorium untersucht, werden Spieler_innen gleich zu Beginn in einer Titeleinblendung präzise auf exakt jenes Prinzip vorbereitet, das hier für das Genre bereits nachgezeichnet wurde: “You are not a fighter; […] your only choices are to run, hide, or die.”43

Dieses Rennen, Verstecken oder Sterben verdichtet sich im Gameplay von Outlast zur eindrücklichen Ekstase reinen Terrors: Allein mit einer Handkamera ‚bewaffnet‘ ist es die Aufgabe der Spieler_innen, die Ereignisse im Innern des verwüsteten Sanatoriums zu dokumentieren, dessen Insassen offenbar dem geradezu kosmischen Wahn einer dunklen Macht anheimgefallen sind.44 Die investigativen Notizen des Journalisten werden dabei nur vorangebracht, wenn Ereignisse mit dem Camcorder eingefangen werden. Dieser transformiert, wenn er eingesetzt wird, das gesamte Bild des Spiels in den Blick durch Objektiv und Interface der Video-Aufzeichnung. Die Finsternis der Flure und Hallen im Sanatorium wird so von den Bildartefakten der Video-Aufnahme überzogen, schlimmer noch: In der häufig absoluten Finsternis der Räume bietet der Camcorder mit seiner Nachtsicht die einzige Möglichkeit, durch das vermittelte Bild der Aufnahme überhaupt Sicht zu erlangen, während Spieler_innen wiederum den tödlichen Bewohnern des Sanatoriums und deren geschärften Sinnen ausgeliefert sind.

Abb. 4 Die charakteristische Nachtsicht von Outlast 45)

Es ist vor allem die Verknappung von Ressourcen, die sich hier auf das Feld des Sichtbaren ausweitet: Mehr noch als in der spärlichen Beleuchtung von Alien: Isolation ist hier Sicht selbst ein knappes Gut, dem die permanente Bedrohung eigener Sichtbarkeit der gespielten Figur gegenübersteht. Konkreter Kontakt bedeutet Flucht oder Tod – während in den undeutlich-grob­körnigen und wortwörtlich nur wenig erhellenden Bildern der Nachtsicht eine unsichtbare, permanent bedrohliche Anwesenheit entsteht. Diese Bilder stellen aber zugleich die einzige Möglichkeit dar, sich vor dem konkreten Kontakt zu schützen, diesen kontrollieren zu können. Anders gesagt: Outlast konzipiert Sichtbarkeit selbst als Funktion von Kontrolle, die einer inneren Teilung unterworfen ist.

In einer Gegenfigur zu Alien: Isolation stellen allerdings hier nicht die Interfaces einen vermittelnden Blick auf etwas Abwesendes her, das in ihnen als drohende Anwesenheit erscheint – in Outlast reduziert das Kamera- und Nachtsicht-Interface im Gegenteil das konkret Sichtbare bis zur Abstraktion, die innerhalb der verzerrten Anwesenheit einer unzugänglich gemachten Welt das Abwesende drohend aufscheinen lässt. Neben den konkreten Gefahren im Sanatorium wird dieses Abwesende so in der Art eines radikalen, reinen Abwesenden zur eigentlichen Bedrohung. Die Bilder der Nachtsichtkamera machen die Welt keineswegs verfügbar, sie erlauben entgegen der absoluten Finsternis außerhalb ihres Interfaces zwar eine rudimentäre Orientierung im Raum – diese geht jedoch auf Kosten einer abstrakt-verzerrten Visualität, die vielmehr von einer fundamentalen Unsichtbarkeit der Welt zeugt, die selbst das Nachtsichtgerät nicht sichtbar zu machen vermag. Dunkelheit als konkrete Unsichtbarkeit scheint vordergründig in der Nachtsicht überwunden – doch diese selbst enthüllt sich als Träger einer absoluten Unsichtbarkeit, die gerade innerhalb der hell-flackernden Bilder Einzug hält. Die Erfahrung einer Ausweglosigkeit aus dem Regime eines radikalen Nicht-Sehen-Könnens stellt sich ein, das selbst in der vordergründigen Interface-Ästhetik der Verfügung über die dunkle Spielwelt nicht ausgehebelt, sondern von dessen Operationen erst hervorgebracht wird.

Die Spielhandlungen von Rennen, Verstecken oder Sterben leiten sich aus diesem vermittelnden Interface ab, das doch erst die beiden Optionen jenseits des Sterbens aufschließt: Ohne die Nachtsicht des Camcorders gibt es kein Überleben, innerhalb dieser Funktion ist gerade die Sicht selbst jedoch bis an ihre Grenze gebracht. Die Welt sehen zu können, bedeutet zugleich, nur deren Abstraktion zu sehen, sodass der einzige tatsächliche Bezug, der sich zwischen Spieler_innen und Welt herstellen kann, im Tod liegt. Jeder andere Bezug, das Rennen und Verstecken, ist nur durch die grün-schimmernde Virtualität der Nachtsicht möglich, doch leitet sich aus diesen Bewegungsmodi nie die Aktualität von Handlungsfähigkeit ab, die den Spieler_innen außerhalb vermittelnder Interfaces in der Welt gegeben wäre.

Handeln in Outlast heißt, zugleich überhaupt nicht mehr handeln zu können, nur noch rennend oder sich versteckend Bewegungen in einer Welt zu vollziehen, die durch ein Interface allenfalls vordergründig zur Verfügung gestellt wird – doch zugleich spüren lässt, dass es allein das Sich-Fügen ist, das hier zur Wahl steht. Das Spiel entwirft die grauenerregende Einheit einer Handlungsform, die gerade darin besteht, nicht zu handeln – untrennbar verwoben in ein und derselben Spielerfahrung. Selbst die Tätigkeiten, die von Spieler_innen doch ausgeführt werden, sind in immer tieferen Kaskaden der Ohnmacht verschachtelt: Die Tür ins Freie ist verriegelt; der Mechanismus zum Öffnen braucht Strom; der Generator wiederum ist auf das Aktivieren von Gaspumpen angewiesen – selbst in diesen Verzweigungen notwendiger Handlungen inszeniert das Spiel nur den Ausdruck ursprünglicher Handlungsunfähigkeit: Das Grauen von Outlast realisiert sich als Gameplay einer aktiv erfahrenen Ohnmacht – einer Ohnmacht, die selbst nur als Handlung erfahrbar ist.

Survival-Horror und Kontrollgesellschaft

So schließt sich der Bogen zur Dividualität der Spielerfahrung in Alien: Isolation. Die Welt des Spiels entsteht hinter den Interfaces ihrer Vermittlung. Handeln erscheint nur durch und in Interfaces, die gerade das konkrete Handeln in der Welt verhindern. Wo die unmittelbare Beziehung des Menschen zur Welt den gewaltsamen Tod bedeutet, ist der einzige angebotene Ausweg die Herstellung einer Einheit von Mensch und vermittelnder Maschine. An die Stelle einer von der tödlichen Beziehung zwischen Mensch und Welt bedrohten Individualität tritt jene Dividualität als Wechselverhältnis des Ausführens algorithmischer Handlungen und zugleich des von algorithmischen Handlungen Geführtwerdens, jenes Spiel aus Ver-fügen und Sich-Fügen – oder dessen absolute Steigerung in Outlast: Handlungen selbst als Ausdruck reiner Ohnmacht zu vollziehen. So wird das Survival-Horror-Genre in jenen spezifischen Ausprägungen, die eine herausgehobene Inszenierung von Interfaces ins Bild setzen,46 zur Reflexionsfigur der Schrecken informatischer Kontrollgesellschaften: zur Erfahrung zutiefst gespaltener Handlungs- und Kontrollformen, die im Vollzug ihre eigene Unmöglichkeit vor Augen führen.

Wenn das Gameplay als eine im Videospiel je spezifisch realisierte Vorstellung der Beziehung von Mensch und Computer, von Spieler_innen und Algorithmen, beschreibbar wird, so ist diese Beziehung Ausdruck der von Gilles Deleuze skizzierten Kontrollgesellschaften, Ausdruck dividueller Selbst­erfahrung. In Alien: Isolation und Outlast ließ sich exemplarisch nachzeichnen, wie im Survival-Horror-Genre eine Erfahrung von Knappheit, Verwundbarkeit und unsichtbarer Anwesenheit inszeniert wird, aus der sich die Notwendigkeit distanzierender Interfaces ergibt.47 In diesen stellt sich zwischen Ausdruckshandlungen der Spieler_innen und algorithmischen Konfigurationshandlungen eine Verbindung her, die jene dividuelle Selbsterfahrung des Videospiels reflektiert.

Die Kontrollgesellschaften werden in Alien: Isolation ebenso wie in Outlast zum schrecklichen Szenario einer gerade nicht mehr kontrollierbaren Welt. Dies wird zudem an eine Spielerfahrung von Eingeschlossenheit und Ausweglosigkeit gebunden, auf der Flucht vor unbezwingbaren Monstern in den dunklen Gängen einer zur Demontage freigegebenen Raumstation oder in den verwüsteten Fluren einer von jenseitiger Finsternis heimgesuchten Heilanstalt. Die einzige Zuflucht liegt jeweils in der dividuellen Kontroll- und Handlungsillusion von Interfaces. Zugleich ist damit der Modus des Survival-Horrors noch einmal anders bezeichnet, der die umrissenen Komponenten je anders gewichtet,48 in den besprochenen Beispielen aber besonders dazu in der Lage scheint, das Verhältnis von Mensch und Algorithmus als ebenso schrecklich zu inszenieren wie den Kontakt mit einer zur absoluten Gefahr gewordenen Umwelt, die das Eingehen dieses Verhältnisses erst notwendig macht. Dieser konkret beschriebene Modus des Survival-Horrors, seine Ausprägung als ‚Interface-Horror‘, bietet sich somit an, jene kritische Haltung einzunehmen, die in Galloways Analysen zentral ist: Digitale Spiele zeigen ihr Potenzial, nicht nur das Verhältnis von Mensch und Welt, sondern besonders das Verhältnis von Menschen und Algorithmen, von Dividualität und Kontrollmechanismen zu reflektieren und ein anderes Denken49 darüber zu ermöglichen.

Medienverzeichnis

Spiele

Capcom: Resident Evil. Japan: Capcom 1996.

Capcom: Resident Evil 7: Biohazard. Japan: Capcom 2017.

Creative Assembly: Alien: Isolation. Großbritannien/Japan: Sega 2014.

EA Redwood Shores: Dead Space. USA: Electronic Arts 2008.

MicroProse; Firaxis: Civilization (Reihe). USA: MicroProse / Activision u. a. seit 1991.

Red Barrels: Outlast. Kanada: Red Barrels 2013.

Filme

Cameron, James: Aliens. USA: 20th Century Fox 1986.

Scott, Ridley: Alien. Großbritannien/USA: 20th Century Fox 1979.

Texte

Arsenault, Dominic: Video Game Genre, Evolution and Innovation. In: Eludamos. Journal for Computer Game Culture. Jg. 3, H. 2 (2009), S. 149–176.

Blondel, Maurice: L’Action – Die Tat (1893). Versuch einer Kritik des Lebens und einer Wissenschaft der Praxis. Freiburg i. Br., München: Karl Alber 2018.

Deleuze, Gilles: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997.

Deleuze, Gilles: Kontrolle und Werden. In: Ders.: Unterhandlungen. 1972–1990. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S. 243–253.

Deleuze, Gilles: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Ders.: Unterhandlungen. 1972–1990. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S. 254–262.

Distelmeyer, Jan: Machtzeichen. Anordnungen des Computers. Berlin: Bertz + Fi­scher 2017.

Galloway, Alexander R.: Gaming. Essays on Algorithmic Culture. Minneapolis, London: University of Minnesota Press 2006.

Galloway, Alexander R.: The Interface Effect. Cambridge, Malden: Polity Press 2012.

Kappelhoff, Hermann: Kognition und Reflexion. Zur Theorie filmischen Denkens. Berlin, Boston: De Gruyter 2018.

King, Geoff; Krzywinska, Tanya: Introduction. Cinema/Videogames/Interfaces. In: Dies. (Hg.): ScreenPlay. cinema/videogames/in­ter­faces. London, New York: Wallflower Press 2002, S. 1–32.

Krzywinska, Tanya: Hands-On Horror. In: Krzywinska, Tanya; King, Geoff (Hg.): ScreenPlay. cinema/videogames/interfaces. London, New York: Wallflower Press 2002, S. 206–223.

Lovecraft, H. P.: Supernatural Horror in Literature [1927]. In: Ders.: The Complete Fiction. New York: Barnes & Noble 2008, S. 1041–1098. Auch online verfügbar in: The H. P. Lovecraft Archive. <http://www.hplovecraft.com/wri­tings/texts/es­says/shil.aspx> [22.05.2019]

Manovich, Lev: The Language of New Media. Cambridge, London: MIT Press 2002.

Mauger, Vincent: Interface. In: Wolf, Mark J. P.; Perron, Bernard (Hg.): The Rout­ledge Companion to Video Game Studies. New York: Routledge 2014, S. 32–40.

Peirce, Charles S.: Spekulative Grammatik. In: Peirce, Charles S.: Phänomen und Logik der Zeichen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, S. 64–98.

Spitz, Hans-Jörg: Allegorie. In: Lurker, Manfred (Hg.): Wörterbuch der Symbolik.  5., durchges. u. erw. Aufl., Stuttgart: Kröner 1991, S. 21 f.

 

  1. Creative Assembly: Alien: Isolation. 2014[]
  2. Vgl. Galloway: Gaming. 2006, S. 2 ff.[]
  3. Vgl. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. 1993.[]
  4. ebd., S. 256, Hervorh. i. Orig.[]
  5. Deleuze: Kontrolle und Werden. 1993, S. 250[]
  6. Vgl. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. 1993, S. 258.[]
  7. Vgl. ebd., S. 259; Deleuze: Kontrolle und Werden. 1993, S. 251.[]
  8. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. 1993, S. 256[]
  9. Red Barrels: Outlast. 2013[]
  10. Galloway: The Interface Effect. 2012, S. 22[]
  11. Beginnend mit Ridley Scotts Alien (1979) umfasst die Reihe bislang vier Filme, zwei Prequels sowie zwei Spin-offs. Das Franchise wurde außerdem in zahlreichen Roman- und Spiel-Adaptionen ausgeweitet.[]
  12. Vgl. Galloway: Gaming. 2006, S. 8–38.[]
  13. Vgl. ebd., S. 12–19.[]
  14. Vgl. ebd., S. 19–25.[]
  15. ebd., S. 24[]
  16. Bildquelle: eigener Screenshot aus Alien: Isolation (Windows[]
  17. Dieses Gerät ist insbesondere aus einigen ikonischen Szenen im zweiten Film des Franchise bekannt (vgl. James Cameron: Aliens. 1986).[]
  18. Bildquelle: eigener Screenshot aus Alien: Isolation (Windows[]
  19. Bildquelle: eigener Screenshot aus Alien: Isolation (Windows[]
  20. Distelmeyer: Machtzeichen. 2017, S. 92[]
  21. Capcom: Resident Evil. 1996[]
  22. In späteren Spielen der Resident Evil-Reihe wurden die Farbbänder entfernt, schließlich auch die Schreibmaschinen. In Resident Evil 7 tauchen dafür Kassettenrekorder wieder als retro-technologische Speicherpunkte auf. Vgl. Capcom: Resident Evil 7: Biohazard. 2017.[]
  23. Vgl. dazu auch: Peirce: Spekulative Grammatik. 1983, S. 65 f.[]
  24. Distelmeyer: Machtzeichen. 2017, S. 34; vgl. auch S. 82–92.[]
  25. Wenige Ausnahmen existieren: So ist die Tatsache, dass einzelne Türen sich mithilfe einer Rohrzange durch eine verhältnismäßig aufwendige Tastenkombination manuell öffnen lassen sowie der Umstand, dass diese Rohrzange zugleich als Waffe dienen kann, Ausdruck der gewaltsamen Anstrengung, die ein Durchbrechen der Interface-Welt hin zur unmittelbaren Spielwelt bedeutet.[]
  26. Krzywinska: Hands-On Horror. 2002, S. 208, Hervorh. i. Orig.[]
  27. Galloway: Gaming. 2006, S. 6, Hervorh. i. Orig.[]
  28. ebd., S. 2[]
  29. ebd., S. xi[]
  30. ebd., S. 3, Hervorh. i. Orig.[]
  31. ebd., S. 5, Hervorh. i. Orig.[]
  32. Eine grundlegende analytische Trennung dieser Ebenen scheint schwierig: Bezogen auf die konkrete Spielerfahrung, die es zu beschreiben gilt, ließe sich nicht über Repräsentationen sprechen, die außerhalb der Wechselwirkungen spielerischer und maschineller Handlungen stehen, die diese Repräsentationen erst hervorbringen. Darin liegt, so mein Eindruck, etwa auch das große Problem des ‚Great Divide‘ der Game Studies, der auf beiden Seiten künstliche Trennungen vorzunehmen versucht hat, die immer hinter der Spezifik des Computerspiels zurückbleiben mussten, gerade nicht in Repräsentation und Handlung teilbar zu sein. Natürlich gibt es Grauzonen und Abstufungen, die etwa Alexander Galloway mit der Trennung intra-/extradiegetischer und Nutzer_innen-/Maschinen-Handlungen künstlich voneinander löst. Doch ist immer darauf zu verweisen, dass keine dieser Dimensionen für sich genommen aussagekräftig ist.[]
  33. ebd., S. 92, Hervorh. i. Orig.[]
  34. ebd., S. 104, Hervorh. i. Orig.[]
  35. “[…] allegory no longer consists of a text and another text, but of an enacted text and another enacted text” (ebd., S. 106). Vgl. dazu auch: Spitz: Allegorie. 1991, S. 21 f.[]
  36. MicroProse; Firaxis: Civilization (Reihe, seit 1991[]
  37. Galloway: Gaming. 2006, S. 102[]
  38. Galloway bietet hier auch Maurice Blondels Begriff der coaction an, um die unlös­liche Doppelstruktur dieser Handlungsform zu verdeutlichen (vgl. ebd., S. 105; Blondel: L’Action – Die Tat (1893). 2018, S. 298–312).[]
  39. Distelmeyer: Machtzeichen. 2017, S. 21[]
  40. Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. 1993, S. 258, Hervorh. i. Orig.[]
  41. Zur Kritik am Begriff der Interaktion vgl. klassisch: Manovich: The Language of New Media. 2002, S. 55–61; Galloway: Gaming. 2006, S. 128.[]
  42. Distelmeyer: Machtzeichen. 2017, S. 127[]
  43. Red Barrels: Outlast. 2013[]
  44. Es ist hier leider nicht der Platz, um den Verstrebungen nachzugehen, die das Sur­vival-Horror-Genre zu einer Erfahrung von cosmic fear unterhält, wie sie von H. P. Love­craft entworfen wird. Outlast bietet sich hierzu jedoch möglicherweise besonders an (vgl. Lovecraft: Supernatural Horror in Literature. 2008).[]
  45. Bildquelle: eigener Screenshot aus Outlast (Windows[]
  46. Die Beobachtungen gelten allerdings auch für Spiele, die weniger auf den distanzierenden Einsatz von Interfaces setzen. Ein Beispiel wäre Dead Space (EA Redwood Shores, 2008), das die Lebensanzeige des Avatars auf dessen Schutzanzug verlegt und so eine andere Form der Überschreitung konfigurativer Handlungen in die Spielwelt umsetzt (vgl. auch Mauger: Interface. 2014).[]
  47.  Zur Grundierung von Genres durch spezifische Spielerfahrungen vgl. Arsenault: Video Game Genre, Evolution and Innovation. 2009; King/Krzywinska: Introduction. 2002, S. 26 f.[]
  48. So legen etwa die Resident Evil-Spiele stärkeres Gewicht auf die Verknappung von Ressourcen, hier sei erneut auf die Schreibmaschinen und Farbbänder verwiesen.[]
  49. Aus der Reflexion von Lebensbedingungen ergeben sich – hoffentlich – auch andere Denkweisen, die zu Kritik und Widerstand bemächtigen. Insofern ist hier ebenfalls angelehnt an Deleuzes Vokabular im strengen Sinne von einem anderen Denken zu sprechen, das von Spielen hervorgebracht werden kann. Dies müsste an anderer Stelle theoretisch ausgefaltet und ausgehend vom ‚filmischen Denken‘ spezifisch für Computerspiele gefasst werden. Vgl. v. a.: Deleuze: Das Zeit-Bild. 1997, S. 205–288; Kappelhoff: Kognition und Reflexion. 2018, S. 9–70.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Dolkemeyer, Lars: "Menschen, Monster, Algorithmen: Interface-Inszenierungen im Survival-Horror von ‚Alien: Isolation‘ und ‚Outlast‘". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 25.06.2020, https://paidia.de/menschen-monster-algorithmen/. [21.11.2024 - 10:25]

Autor*innen:

Lars Dolkemeyer

Lars Dolkemeyer hat an der Freien Universität Berlin Film- und Literaturwissenschaft studiert. Seit 2019 ist er Promotionsstudent der Kolleg-For¬schungs¬gruppe „Cinepoetics“ und arbeitet zu Poetologien der Kontrolle in digitalen Spielen. Für Kino-Zeit.de schreibt er außerdem Filmkritiken und Essays sowie die Kolumne Bildwechsel.