‚Watch Dogs‘ und die Heterotopie der Überwachung - Motive, Strukturen und Funktionen überwachter Welten in digitalen Spielen

25. Juni 2020

Einleitung

Digitale Spiele waren schon immer bestrebt, ihre Spielstrukturen an eine Erzählung zu knüpfen und damit die ludische Ebene mit einer über sie selbst hinausgehenden Bedeutung – mit Sinn – zu versehen.1 Mit der Erzählung werden jene Handlungen, die Spieler_innen im Spiel ausführen, in einer erzählten Welt kontextualisiert, sodass Spielhandlungen in der Regel zwei Bedeutungsebenen aufweisen: eine spielerische, wenn etwa eine Aktion zu Punktegewinnen führt, und eine erzählerische, was auf die Semantik der Handlung innerhalb der dargestellten Welt deutet. Damit sind gleichzeitig unterschiedliche Funktionen von Spielhandlungen angesprochen: Auf der ludischen Ebene dienen die ausgeführten Aktionen in der Regel der Erreichung von Spielzielen, der Machterweiterung des Avatars usw. – zielen also auf den Avatar selbst bzw. die Spieler_innen dahinter. Auf der erzählerischen Ebene dagegen werden häufig gerade nicht individuelle, sondern kollektive kulturelle Ziele und Werte aufgerufen, etwa in Form der Niederschlagung einer feindlichen Invasion, der Bekämpfung eines totalitären Systems, der Wiederherstellung bedrohter familiärer Strukturen usw.

Gerade in der Verknüpfung zwischen erzählerischer und spielerischer Ebene manifestieren sich nun immer wieder ähnliche motivische Felder, die sich an der Oberfläche durch tradierte Formen des spielerischen Umgangs mit den dargestellten Räumen und wiederkehrende erzählerische Rahmungen auszeichnen und in der Tiefenstruktur auf spezifische ideologische Konstellationen verweisen – sei es in Bezug auf Praktiken der Raumaneignung und Raumkonfrontation im Ego-Shooter, die imagologisch auf kulturellen Selbst- und Fremdbildern aufbauen;2 sei es der im Survival-Horror-Genre dominante Modus der Raumerkundung, bei der häufig die Geschichte der dargestellten Welt in den Fokus rückt3 und Räume von Normalität und Devianz verhandelt werden; oder seien es Action-Adventures und Rollenspiele, welche auf die sukzessive steigerungslogische Erweiterung des Handlungsradius des Ava­tars abzielen und nach Lars Zumbansen mit einer Dramaturgie der stetigen Grenzverschiebung arbeiten, die Neuerungen jedweder Art als Mehrwert auffasse und gleichzeitig eine generelle Unzufriedenheit mit dem Bestehenden impliziere.4

Aus dieser Perspektive ist auch der Topos des Überwachungsstaates als spielerisch funktionales Sujet zu verstehen, das eine semantische Verknüpfung der narrativen und der ludischen Ebene gewährleistet. Insofern Über­wachung als kulturelles Paradigma vor allem auf Aspekte der Kontrollausübung, der Selbst- und Fremddisziplinierung abzielt5 und die Simulation von Kontrolle bzw. Agency gleichzeitig einen der zentralen Aspekte des digitalen Spiels darstellt, ist davon auszugehen, dass die Darstellung von Über­wachung im Computer- und Videospiel vorrangig funktional ist, um kulturell tradierte Erzählmotive der Kontrollausübung an die individuelle Selbst­ermächtigung der Spieler_innen zu koppeln.

In welcher Weise und mit welchen Funktionen dies genau geschieht, soll anhand einer populären Spieleserie aus dem Mainstream-Markt näher beleuchtet werden – der Watch Dogs-Serie (Ubisoft, 2014/2016). In den beiden bislang erschienen Teilen (ein dritter ist bereits für 2020 angekündigt) bildet Überwachung nicht nur den thematischen Hintergrund, sondern gleichfalls das zentrale Spielprinzip und beinhaltet darüber hinaus auch eine selbst­bezügliche Dimension, insofern hier digitale Überwachung im Fokus steht und sich das Weltmodell des Spiels auch auf das Spiel selbst als digitales Artefakt beziehen lässt. Im Folgenden wird zu diesem Zweck einführend der generelle Zusammenhang zwischen Spiel und Überwachung im Open-World-Genre, in dem die Watch Dogs-Reihe angesiedelt ist, beleuchtet. Darauf aufbauend werden die beiden zentralen Dimensionen der Darstellung von Über­wachung im digitalen Spiel fokussiert: Überwachung als (Spiel-) Struktur so­wie Überwachung als Erzählmotiv bzw. Semantik. Hieran anknüpfend wird die sich daraus ergebende gemeinsame Ebene der Bedeutungsbildung analysiert.

Die Open World als Heterotopie

Die Watch Dogs-Reihe ist eine Open-World-Spieleserie, wobei das Open-World-Genre (wie prinzipiell jedes digitale Spiel) durch einen Konflikt zwischen spiele­rischer Handlungsfreiheit und systemseitiger Überwachung und Kontrolle geprägt ist, dies hier jedoch explizit oder implizit auch thematisch wird. Auf der einen Seite suggeriert gerade diese Spielesparte eine Steigerung spielerischer Autonomie: Dies gilt schon für die in der Genrebezeichnung indizierte freie Bewegung durch die dargestellte Welt, welche bezüglich der Wegfindung (dem offiziellen Straßenverlauf folgend oder davon unabhängig, ‚quer‘ durch die Topografie), dem Bewegungsmodus (zu Fuß, per Motorrad, PKW oder Flugzeug etc.) sowie ihrer Funktion (zielloses Flanieren, Erkundung, Missionserfüllung, Punktegewinne bei Straßenrennen etc.) weitestgehend offen gestaltet ist. Vor diesem Hintergrund beinhaltet die Open World in der Regel eine Vielzahl an Handlungsaufforderungen (Haupt-, Nebenmissionen, Minispiele usw.). Auch ein auf die Erfüllung dieser Aufgaben ausgelegter Spieldurchgang basiert dabei konventionell nicht auf einem linearen Durchlauf distinkter Handlungsschauplätze (Level), sondern die Mis­sionsstruktur wird komplett verräumlicht. Spieler_innen bleibt somit stets die Wahl überlassen, in welcher Reihenfolge sie die Herausforderungen des Spiels meistern möchten. Dabei haben sie immer auch die Möglichkeit, von der Spielweise des ludus in das improvisierende Spiel zu wechseln (paidia nach Roger Caillois6), dabei ohne konkrete Vorgaben von ihren Handlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und schlicht auf die diegetischen Konsequenzen zu reagieren.

Eine zentrale Gratifikation des Open-World-Genres ergibt sich dabei da­durch, dass diese spielerische Freiheit nicht an einem phantastischen Ort ausgelebt wird, sondern in der Regel an den Handlungsraum der amerika­nischen Großstadt gebunden ist.7 Die Handlungsorte von Watch Dogs – im ersten Teil ein fiktionalisiertes Chicago der nahen Zukunft, im Sequel eine Zukunfts-Variante von San Francisco – sind an den realen städtischen Topografien orientiert und entfalten ihre Anziehungskraft vor allem auf der Grundlage, dass in einer scheinbar um Authentizität bemühten Simulation amerikanischer Großstädte – die sich in ihrer ‚Authentizität‘ freilich nicht nur oder primär auf die realen Topografien, sondern vielmehr auf Traditionen ihrer medialen Verarbeitung bezieht8 – laufend Normverstöße begangen werden können, ja sogar als zwangsläufig erscheinen. Zum Beispiel erschwert oder verhindert die komplexitätsreduzierte Fahrzeugsteuerung in diesen Spielen ein regelkonformes Fahrverhalten (Spur einhalten, Ampelphasen beachten usw.), oftmals löst man selbst bei einfachsten Missionen (bringe Gegenstand A zu Ort B) unversehens ein Verkehrschaos aus. Im Zuge der Rückbindung der Spielmaximen an realweltliche Semantiken werden diese Normverstöße vom Spielsystem nun allerdings kontinuierlich protokolliert und lösen je nach Schwere des Delikts entsprechende Sanktionen der intradiegetischen Polizei als spielerischer wie erzählerischer Norminstanz aus, die den spielerischen Regelübertritten irgendwann entgegentritt – bei einer zu starken polizeilichen Übermacht ist es dann auch nur schwer möglich, den Bildschirmtod zu vermeiden.

In Open-World-Spielen generell und auch in der Watch Dogs-Reihe werden damit Spielpraktiken normalisiert, die vom Verkehrsdelikt bis zum Massenmord etliche normativ grenzüberschreitende Aktionen (bewertet nach den Maßstäben des Realraums) beinhalten. Jedoch bleibt dieser abweichende Raum durch die semantische Folie der Großstadtumgebung und die Darstellung polizeilicher Überwachung in ihrem normativen Modell stets auf das spielexterne kulturelle System bezogen. Letztlich werden im Spielraum realweltliche Normen aufgerufen, um ihrer Überschreitung überhaupt Ereignischarakter zu verleihen – würden die Spielpraktiken intradiegetisch nicht sanktioniert, würde eben diese Konsequenzlosigkeit lediglich selbstreferen­ziell auf den Konstruktionscharakter des Spiels als solches verweisen. Denn der Modus des Spiels grenzt sich per se durch Konsequenzverminderung vom Realraum ab.9 Eine Besonderheit des digitalen Spiels liegt demgegenüber darin, dass hier weltliche Konsequenzen von Spielhandlungen auf der narrativen Ebene simuliert werden können.

Insgesamt fungiert die Open World damit als Heterotopie10, als Raum mit Verweischarakter auf bekannte kulturelle Topografien, der sich jedoch durch ein vom Realraum abweichendes Regelset in Form der Spielregeln auszeichnet. Nach Foucault sind Heterotopien Gegenorte, „tatsächlich verwirklichte[ ] Utopien“11, die sich in einem Zwischenraum zwischen Repräsentation und Abweichung entfalten und in denen die Orte innerhalb der Kultur „zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden“12. Als Beispiele nennt Foucault Gefängnisse, Kasernen, Kino und Theater, Bordelle, Friedhöfe oder Schiffe. Dabei übernimmt die Heterotopie eine spezifische und historisch wandelbare Funktion für die umgebende Kultur, etwa indem Abweichungen darin ausgeschlossen oder ordnungssystematische Defi­zite kompensiert werden.13

Somit verweist das Überwachungsmotiv in Open-World-Spielen auf eine medienspezifische Besonderheit: Die dargestellte Ordnungsinstanz referiert an der visuellen/narrativen Oberfläche auf reale Polizeiarbeit, in der Tiefenstruktur jedoch wie dargestellt auf das Spielsystem des Open-World-Genres als solches, das Regelübertretungen gegenüber seinem Ordnungssystem programmseitig und für die Spieler_innen nicht sichtbar protokolliert. Watch Dogs expliziert diese im digitalen Spiel immer schon präsente, implizite ludische Überwachungsstruktur lediglich auf der narrativen Ebene, indem es die Fiktion der Überwachungsgesellschaft in das Spiel einbindet. Das Erzählmotiv der Großstadt (bzw. der Überwachungsgesellschaft in Watch Dogs) stellt in allen Fällen eine fremdreferenzielle Semantisierung einer spielspezifischen Konstellation dar, wobei der Spielraum durch diese Doppelstruktur (Simulation überwachter kultureller Räume vs. Überwachung als grundlegendes Spielprinzip) gleichzeitig Charakteristika einer Heterotopie im Sinne eines kulturellen Raumes mit eigenen Regeln erhält. Hiervon ausgehend ist zu vermuten, dass die in diesem Rahmen aufgerufenen, spezifischen Erzähl­motive einerseits in einem funktionalen Zusammenhang mit Aspekten der Spielmechanik stehen, das Zusammenspiel der beiden Ebenen jedoch darüber hinaus eine kulturelle Funktion im Sinne der Heterotopie entfaltet. Diesen drei Aspekten wird im Folgenden nachgegangen.

Überwachung als Spielstruktur

Überwachung dient in der Watch Dogs-Reihe stets als für den Spielablauf funktionales Szenario der Fremdbestimmung, an das eine spielerische Selbstermächtigung gekoppelt ist. Umfassend überwachte Umwelten sind in digitalen Spielen generell nicht nur als Einschränkungen, sondern auch als Grundlage der Spielmechanik und als Voraussetzung zur Entwicklung der Spiel­figur zu verstehen: So bildet die Manipulation und Zerstörung von Über­wachungskameras ein wiederkehrendes Ziel etlicher populärer Beispiele14 und korreliert häufig mit dem Gewinn von Erfahrungspunkten oder erweitert zumindest den Handlungsradius des Avatars.

Das Ziel der Ausschaltung visueller Überwachungsapparaturen ist in der dispositiven Logik des Computerspiels nur konsequent, da medial repräsentierte Blickordnungen generell Machtstrukturen anzeigen15 und sich die Eingriffsmacht der Spieler_innen ebenfalls zeichenhaft in der bildperspektivischen Zurichtung der dargestellten Welt auf die Spielfigur repräsentiert.16 Die zu zerstörenden Überwachungsapparaturen versinnbildlichen demgegenüber die (Raum-) Kontrolle eines nicht mit der Spielinstanz identischen Subjekts17 oder Systems, dessen Dominanz es im Rahmen des Spielverlaufs zu überwinden gilt, um sich dessen Raum sukzessiv zu eigen zu machen.

Viele erfolgreiche Spieleserien beinhalten darüber hinaus auch eine Spieler­_innen-gesteuerte Überwachung als Gameplay-Element.18 In der WatchDogs-Reihe substituiert Überwachung dabei übliche Interaktionsformen und Aufgabenstellungen im Open World Genre, denn im Kontext des Sujets der Über­wachungsgesellschaft sind die Spielfiguren gezwungen, Praktiken der Gegenüberwachung zu etablieren. Als Rahmen wird gesetzt, dass die Hand­lungs­orte auf der Grundlage des privatwirtschaftlich kontrollierten digitalen Kontrollsystems CtOS (Central Operating System) vollständig vernetzt sind. Die Watch Dogs-Reihe inszeniert vor diesem Hintergrund einen Konflikt zwischen einem digitalen Überwachungssystem und den Spielsubjekten /Ava­ta­ren, die sich die Mittel der digitalen Macht souverän aneignen. Die widerständigen Protagonist_innen sind in der Lage, über die Hacking­software ihres Smartphones die Großstadtumgebung zu manipulieren – allerdings lediglich hinsichtlich weniger, für den Spielablauf funktionaler Parameter, welche etwa die im Genre üblichen Auto-Verfolgungsjagden betreffen: Brücken werden hoch- oder hinuntergelassen, Ampelschaltungen manipuliert usw.

Dabei ist die Darstellung des Internet of Things bzw. der digitalen Vernetzung von Computersystemen und Kameras direkt mit einer Zunahme spielerischer Reichweite verbunden, die nicht mehr an eine physische Präsenz der Spielfiguren gekoppelt ist. Aus der Perspektive einer von den Spieler_innen gehackten Überwachungskamera können Türen geöffnet, Detonationsfallen aktiviert und andere Computersysteme infiltriert werden. Oft wird ein Missionsgebiet auf diese Weise nicht einmal physisch betreten, sondern Spieler_innen können von Kamera zu Kamera ‚springen‘, um die Mission erfolgreich abzuschließen. Die Simulation einer globalen Spieler_innen-gesteuerten Überwach­barkeit der Spielwelt ist dabei als konsequente dispositive Entwicklung des Computerspiels zu verstehen: Über die vernetzten Überwachungskameras wird eine Art ‚Gott-Perspektive‘ auf die Spielwelt simuliert. Sie ermöglicht es Nutzenden, ihre Umgebung zu manipulieren, Gegner_innen ohne Gefahr für die eigene Spielfigur entkörperlicht zu liquidieren und große Teile der dargestellten Welt symbolisch in Besitz zu nehmen. Die digitale Überwachung ist hier folglich gleichbedeutend mit der totalen räumlichen Verfügbarkeit der Diegese für die Spieler_innen.

Überwachung als Semantik

Das zu derartigen Weltentwürfen dazugehörige Erzählmodell differenziert in der Regel zwischen eigener und fremder Überwachung. In diesem Rahmen greift Watch Dogs auf tradierte Motive des Überwachungsstaates à la 1984 zurück. Obwohl die Watch Dogs-Reihe ein Szenario digitaler Überwachung zeichnet, bildet Visualität immer noch das zentrale Paradigma der Spielwelt und -struktur.19 So besteht ein wiederkehrendes Spielziel wie erwähnt in der Manipulation von Überwachungskameras. Dabei werden allerdings auch Tendenzen aktueller Überwachungsnarrative aufgenommen, welche weniger den Staat, sondern vielmehr wirtschaftliche Akteure als treibende Kräfte hinter der omnipräsenten gesellschaftlichen Überwachung identifizieren.20 Entsprechend ist der Staat in der Erzählung von Watch Dogs nur am Rande und in dysfunktionaler Weise präsent,21 da die Regierung freiwillig die Kontrolle an den negativ konnotierten Dienstleister Blume und dessen Sicherheitssystem abgegeben hat.

Weiter wird in der Darstellung der Gegenüberwachung durch die gespielten Charaktere auf die literarische und filmische Tradition des Cyberpunk referiert.22 Genau wie in Watch Dogs dient der technische Fortschritt im Cyberpunk primär der Überwachung und Entmündigung des Subjekts und liegt in der Macht von Großkonzernen, welche die Rolle der Regierung aus traditionellen Überwachungsstaat-Narrativen substituieren. Zentral ist dabei, dass aufgrund der digitalen Prägung der dargestellten Gesellschaften speziell im Hacking ein zentraler systemkritischer Gestus der Hauptfiguren identifiziert wird, auf den die Watch Dogs-Reihe in ihrer Spielstruktur referiert.

Vor diesem Hintergrund ist hier insgesamt ein Sprachjargon präsent, der auf ein spezifisches kulturelles Wissen zur Digitalisierung verweist und der sowohl die Dialoge der Charaktere kennzeichnet, als auch im Spielinterface Verwendung findet. Das heißt, auf dieser Ebene unterscheidet das Spiel nicht zwischen dem Sprachduktus der dargestellten Akteure und der eigenen Informationsvergabe. Dabei werden konventionelle (Spiel-) Termini metaphorisch durch einige dem EDV-Kontext entlehnte Begrifflichkeiten substituiert. Zum Beispiel wird die im Spielebereich häufig anzutreffende Gegnergruppe der Söldner, die gegen Bezahlung Aufträge erledigt, im ersten Teil als ‚Fixer‘ betitelt, weil diese im weitesten Sinne Probleme be­heben, was wiederum auf die Bedeutung des Verbs ‚to fix‘ im EDV-Bereich referiert.

Auch die Darstellung der Hauptquartiere der jeweilig in den Spielen dargestellten Widerstandsgruppierung entspricht gängigen Stereotypen der Hacking-Kultur, die gleichzeitig und vor allem im zweiten Teil mit Motiven der Nerd- und Gaming-Szene verknüpft werden (der Unterschlupf ist in einem Spiele-Shop untergebracht). Hacking erscheint dabei als normalisierte Praktik in einer vollständig digitalisierten Gesellschaft, die aufgrund der Dominanz des Wirtschaftssystems nur noch wenig rechtsstaatliche Strukturen aufweist und damit auf den Schutz von eben jener Hacking-Szene angewiesen ist, die als einzige in der Lage scheint, dem digitalen Machtmissbrauch Einhalt zu gebieten – womit Widerstand auf eine technische Kompetenz reduziert wird, die gleichzeitig (und über die expliziten Referenzen auf die Gaming-Kultur noch gedoppelt) auf die Subjektposition der in der Regel technikaffinen Spieler_innen zurück verweist.

Gleichzeitig ist zwischen Teil eins und zwei eine darstellungsbezogene Steigerung der Einbettung digitaler Technologien in die Spielwelt zu beobachten. In Watch Dogs mussten Computersysteme noch mittels Mini­spielen in einer externen Bildschirmansicht ‚gehackt‘ werden, wohingegen Watch Dogs 2 die Manipulation von Netzwerkknotenpunkten direkt auf die Spielwelt projiziert (vgl. Abb. 1). Dabei wird jedoch ebenfalls ein spezifischer Visualisierungsmodus aufgerufen, der durch eine Art Infrarotsicht die ‚digitalen Elemente‘ der dargestellten Welt und deren Strukturverbindungen farblich kennzeichnet. Aus dieser Perspektive müssen dann einzelne Knotenpunkte solange gedreht werden, bis alle Pfade aufeinander ausgerichtet sind.

Diese Form der Visualisierung des Hackings betont weniger das Eindringen in ein fremdes System (im Beispiel in einen Serverturm der Firma Blume), sondern umgekehrt vielmehr eine Überwindung der Systemgrenzen von innen heraus, denn mittels der Manipulation der einzelnen Komponenten wird laut der Beschreibung im Interface Strom umgeleitet (vgl. Abb. 1) und mithilfe der damit erzeugten ‚Netzwerkbrücke‘ überhaupt erst ungehindert zum Fließen gebracht – was sich dann auch in einer lebendigen, pulsierenden blauen Färbung der konstruierten Verbindungen manifestiert.

Abb. 1 Vernetzte Spielwelt in Watch Dogs 2.23

Die Steigerung der räumlichen Verfügbarkeit der Diegese ist hier folglich an eine Raumtransformation geknüpft, die räumliche Grenzen des digitalen Datenflusses tilgt, um den neu gestalteten Raum der Handlungsmacht der Spielfigur zu unterstellen, die für einen ungehinderten Datenzugriff bzw. Transparenz steht und sich oppositionell zur durch Blume symbolisierten Praktik des interessengeleiteten Datenverschlusses verhält. Hacking wird hier somit als Mittel eines alternativen Gesellschaftsentwurfs überhöht, der die Merkmale Autonomie, Freiheit/Grenztilgung etc. an den machtvollen Blick der Nutzer_innen bindet.

Ein Weltmodell der Überwachung

Insgesamt besitzen die auf diese Weise aufgerufenen Motive eine Funktion der Kohärenzstiftung. Spielkonventionen werden dabei mit einer passenden semantischen Folie im Rahmen des Sujets ‚Überwachungsgesellschaft‘ versehen, wobei sich das überwachende Spielsystem innerhalb der erzählten Geschichte auf sich selbst abbildet, sodass sämt­liche (per se selbstreferenziellen) (Spiel-) Strukturen potenziell als Fremd­­referenzen – d. h. Motive des Themas digitale Überwachung – auftreten und Spezifika der Darstellung als Aspekte des Dargestellten erscheinen.24

So kann etwa der Avatar in Watch Dogs 2 im Hauptquartier mit neuen Ausrüstungsgegenständen ausgestattet werden. Spieltypisch und zwecks Moderation des Schwierigkeitsgrades sind die verfügbaren Objekte vom Missionsfortschritt abhängig und deshalb nicht von Beginn an diegetisch repräsentiert, sondern vielmehr in einem extradiegetischen Menü abrufbar. Die plötzliche diegetische Realisation dieser Gegenstände nach der Menü­auswahl, die in anderen Beispielen häufig unkommentiert bleibt, wird hier nun in den Kontext der Systemgegnerschaft, die sich digitaler Mittel und eines alternativen Wirtschaftskreislaufs bedient, eingebunden, insofern die Menü­auswahl als Interface eines diegetischen 3D-Druckers ausgewiesen und das Auftauchen der ausgewählten Gegenstände aus dem Nichts mithilfe dieser Fertigungstechnologie plausibilisiert wird.

Abseits der Kohärenzstiftung ist die eigentlich interessante Frage jedoch, was für ein spezifisches Modell digitaler Überwachung Watch Dogs insgesamt repräsentiert und inwiefern sich dieses von Über­wachungsnarrationen in anderen Medien unterscheidet.

Auf der Grundlage der Darstellung einer Überwachungsgesellschaft wird hier ein allgemeines Weltmodell konturiert, welches sich durch eine starke Komplexitätsreduktion auszeichnet, wodurch die dargestellte Welt überhaupt erst Qualitäten eines Spielfelds gewinnt. Das in der Reihe konstruierte Gesellschaftssystem setzt sich aus unterschiedlichsten Akteuren zusammen, die unterschiedslos über das primäre Ziel der Macht- und Einflussvergrößerung charakterisiert sind – etwa der korrupte Bürgermeister und die Mafia in Teil 1 oder eine ebenso korrupte kirchliche Bewegung und das FBI in Teil 2. Über allem steht der sich intensivierende Konflikt mit dem Konzern Blume, der mittels eines Datenmanipulationsprogramms danach strebt, Wirtschaft und Politik in seinem Sinne zu beeinflussen. Insofern es nun in fast jeder Mission der Spiele gilt, die Machtbasis einer dieser Fraktionen zu zerstören bzw. die aktuelle Zielsetzung der jeweiligen Gruppierungen zu untergraben, befindet sich das Verhältnis der Spielfraktionen in ständigem Fluss, denn digitale Kontrolle ist dem Weltmodell zufolge stets temporär und prekär. Vor diesem Hintergrund wird auch die Anbindung einer fakultativen Mehrspieler-Komponente im Sinne eines kompetitiven Mechanismus gewährleistet: Missionen können bei bestehender Internet-Verbindung (und die Zustimmung zu dieser Spielkomponente vorausgesetzt) jederzeit von anderen Spieler_innen unterbrochen (in der Spielfiktion: gehackt) werden, wobei es dann gilt, die fremden Spieler_innen aus dem eigenen Aktionsradius zu verdrängen und zu liquidieren.

Insgesamt gilt es natürlich, sämtliche fremden Machträume sukzessiv der Kontrolle der Spielfigur zu unterwerfen. Während diese damit konsequenterweise zum Ende der Spiele die machtvollste Position innerhalb der Spielwelt besitzt, wird diese Stellung ideologisch relativiert, indem sie entweder lediglich als temporär (in Teil 1 als Endpunkt eines Racheplans für den Tod der Nichte der Hauptfigur) oder als Teil eines kollektiven Widerstands ausgewiesen wird – in Teil 2 besteht ein zentrales Spielziel darin, weitere Unterstützer_innen der digitalen Bewegung über Social-Media-Aktionen zu rekrutieren.

Damit überrascht es nicht, dass sich die Reihe insgesamt durch einen affirmativen Umgang mit den dargestellten Überwachungstechnologien auszeichnet. Diese sind immer auch für die Spielfigur funktional, deshalb wird auf Ebene der Mittel der Überwachung gar nicht erst eine Unterscheidung zwischen adäquaten und nicht-ädaquaten Technologien bzw. damit verknüpften Praktiken gezogen.

Zwar ist für die Darstellung digitaler Überwachungspraktiken etwa auch im Überwachungsfilm eine ähnliche Tendenz feststellbar, insofern digitale, datenbasierte Überwachungstechnik dort seit den 2000er-Jahren primär in Bezug auf die handelnden Akteure, nicht jedoch in ihrer Wirksamkeit hinterfragt wird.25 Neben dieser medienübergreifenden mentalitätsgeschichtlichen Entwicklung kennzeichnet die Watch Dogs-Reihe jedoch eine darüber hinausgehende ideologische Diskrepanz zwischen narrativer und ludischer Ebene. So können mittels des Smartphones der Protagonisten jederzeit Informationen über sämtliche in der Spielwelt verortete Figuren abgerufen werden. Richtet man das Smartphone auf beliebige Passant_innen, wird ein Kurzprofil eingeblendet, das sich aus Porträtfoto, Alter, Beruf und Einkommen zusammensetzt. Optisch durch eine größere Schriftart vom Rest des Profils abgesetzt ist zusätzlich eine ‚Besonderheit‘ dieser Person. Zum Beispiel wird hier auf Einträge in einer Kriminalakte, den Beziehungsstatus, soziale Auffälligkeiten oder auch ein außergewöhnliches Hobby referiert. In der Regel sind dabei die Personendetails des Porträtfotos (Alter, Frisur, Accessoires etc.) identisch mit der visuellen Darstellung der Figur innerhalb der Spielwelt. Signifikant ist folglich, dass die digitale Annotation der dargestellten Welt einerseits als ikonisch ausgewiesen wird, die Exklusivität der dort vermerkten ‚besonderen‘ Eigenschaft andererseits einen stark normierenden Auswahlprozess voraussetzt, der einzelnen Eigenschaften den Status der Ereignishaftigkeit zuspricht (die damit von Daten zu Informationen transformieren) und anderen eben nicht. Dieser Auswahlprozess wird aufgrund der Entsprechung von Zeichen (Datenprofil) und Referent (Figur) und der Datenintegration in das spieleigene Interface mit Evidenz versehen. Insofern Watch Dogs nicht zwischen der spielerisch funktionalen Informationsvergabe im Interface und der Darstellung von ergänzenden intradiegetischen Datenpraktiken unterscheidet, ist es von vornherein kaum denkbar, dass hier eine kritische Reflexion letzterer stattfindet – zumindest hätte diese dann auch Folgen für den Informationsfluss zwischen Programm und Nutzer_innen und wäre gleichbedeutend mit einer Störung des Spielvorgangs.

Die Watch Dogs-Reihe zeigt also eine Normalisierung26 bestimmter Formen von Überwachung, insofern die dargestellte Datenpraktik einen un­reflektierten Teil des Spielprozesses bildet. Deren Inszenierung unterscheidet sich auch von der Darstellung visueller Überwachung und des Hackings als Machttechniken, bei denen immerhin ein rhetorischer Aufwand (Notwendigkeit der Gegenüberwachung) betrieben wird, um die Überwachungspraktiken der Spieler_innen zu kontextualisieren. Dies ist in Bezug auf die dargestellte Normierung der Figuren mittels Daten als Aspekte impliziter Machtausübung über Subjekte nicht der Fall.

Entsprechend werden potenziell selbstreflexive Konstellationen von den Spielen nicht genutzt. So motiviert sich die Erzählung des zweiten Teils der Spieleserie darüber, dass der Hacker Marcus Holloway vom Kontrollsystem CtOS als Verdächtiger für ein Verbrechen kategorisiert wird, das er nicht begangen hat. Marcus schließt sich daraufhin dem Widerstand an. Thema des Spiels und die zentrale Figurenmotivation leiten sich folglich aus einer fehlerhaften Datenaggregation ab, ohne dass dies jedoch auf die dargestellte Datenpraktik des Spielsystems zurückschlagen würde.

Lediglich die Antagonist_innen der erzählten Geschichten repräsentieren in ihrem Verhalten jeweils eine im Spielkontext abweichende, negativ konnotierte Datenpraktik, nämlich die der großflächigen Manipula­tion der Bevölkerung bzw. des Gesellschaftssystems über Daten. Dies ist nun nicht nur als gezielte Referenz auf analoge Diskurse in der Realität (etwa zur Manipulation von Wahlen über personalisierte Werbung) zu verstehen und entspricht auch keiner eindeutigen ideologischen Positionierung der Produktionen, denn auch die Hauptcharaktere setzen jeweils aus Daten gewonnene Informationen unhinterfragt zur Manipulation einzelner Figuren ein. Vielmehr repräsentiert die antagonistische Ebene der systemischen Manipulation schlicht und einfach einen breiten Datenverschluss bzw. ein Gesellschaftsmodell, in dem Daten monopolisiert und einem singulären Zweck zugeführt werden, wohingegen es gerade die Aufgabe der Spieler_innen ist, ihrerseits Daten zu gewinnen und spielerisch funktional werden zu lassen, was im Weltmodell einen uneingeschränkten Datenzugang notwendig macht.

Fazit

Die Watch Dogs-Reihe ist keine Überwachungsdystopie. Vielmehr bestimmen Ersetzungsfiguren27 die Darstellung digitaler Überwachung: Konventionelle Spielmechaniken werden durch Überwachungspraktiken ersetzt, womit diese gleichzeitig tradierte Wahrnehmungs- und Aktionsformen im Spiel substituieren. Dies lässt sich insgesamt als Einübung der Mechaniken und des Denksystems von Kontroll- und Überwachungsgesellschaften verstehen,28 wobei Watch Dogs in Bezug auf den gesellschaftlichen Kontext der Spieleproduktion als Kompensationsheterotopie fungiert. Der gesamte vorliegende Band macht deutlich, inwiefern digitale Spiele per se als Einübungsinstanzen, Symptome und Verstärker von Kontroll- und Überwachungs­gesellschaften angelegt sind. Die Darstellung von Überwachung lenkt diesen Konflikt nun ideologisch auf bestimmte Formen von Überwachung um und produziert andere. Hier wird die spielmechanische Raumaneignung und Selbstermächtigung in der erzählten Geschichte homolog zur kompensatorisch-produktiven Aneignung der Kontrolltechnologien und -praktiken des spielexternen Makrosystems gesetzt, wobei die Heterotopie wie üblich auch hier eine stabilisierende Funktion für das übergeordnete (Überwachungs-) System besitzt.

Insofern ist die Überwachungsfiktion auch für den Entwickler und Produzenten Ubisoft funktional. Der dargestellte systemische Widerstand wird auf genau jene soziale Gruppe der technikaffinen Gamer_innen projiziert, welche die ökonomische Zielgruppe der Reihe bildet, wobei die spielintern konstatierbare Normalisierung von Überwachung Hand in Hand geht mit der spielexternen Integration der Spieler_innen in das konzerneigene Überwachungssystem: Ubisofts digitale Vertriebsplattform Uplay ist (wie viele andere entsprechende Plattformen) bekannt dafür, dass einerseits Punkte für bestimmte Spielaktionen vergeben werden, was andererseits eine permanente Überwachung der Spieler_innen notwendig macht, wobei gerade die in Open-World-Spielen erhebbaren Verhaltensdaten vielversprechend in Bezug auf die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen erscheinen.29

Gleichzeitig birgt jede Heterotopie aufgrund ihrer Abweichung und Differenz zu den übergeordneten kulturellen Systemen Möglichkeiten der Reflexion und Problematisierung bestehender Werte und Normen und somit natürlich auch das Potenzial von Kritik und Widerstand. Die Pointe ist: Einerseits naturalisiert Watch Dogs die spieleigenen Kontroll- und Überwachungslogiken in der scheinbar authentischen Darstellung eines digitalen Überwachungssystems und leitet die Idee des Widerstands auf einen heterotopen Raum um. Andererseits werden genau diese Logiken in der Überwachungssimulation als Teil der Populärkultur überhaupt erst massenwirksam auf den gesellschaftlichen Status quo bezogen. Insofern kann eine Produktion wie Watch Dogs stets auch als Umschlagpunkt von priviligierten Lesarten angesehen werden, in dessen Rahmen hegemoniale Bedeutungs­zuweisungen in eine oppositionelle Dekodierung übergehen können30 – fordert die Spieleproduktion doch schon im Titel dazu auf, eine alte Frage auch auf das Dispositiv des Spieles selbst zu übertragen: Who Watches the Watch Dogs?

 

Medienverzeichnis

Spiele

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David Braben/Ian Bell: Elite. Großbritannien: Acornsoft 1984.

DMA Design/Rockstar North: GTA. USA: Take 2/Rockstar Games seit 1997.

Ion Storm Austin: Deus Ex. Großbritannien: Eidos Interactive seit 2000.

Kojima Productions: Metal Gear Solid. Japan: Konami seit 1998.

Locking Glass Studios/Ion Storm Austin/Eidos Montréal: Thief. Japan: Eidos Interactive/Square Enix seit 1998.

Ninja Theory: DmC: Devil May Cry. Japan: Capcom 2013.

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Ubisoft Montréal: Watch Dogs. Frankreich: Ubisoft 2014.

Ubisoft Montréal: Watch Dogs 2. Frankreich: Ubisoft 2016.

Filme

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Nies, Martin: Deutsche Selbstbilder in den Medien. Kultursemiotische Perspektiven. In: Nies, Martin (Hg.): Deutsche Selbstbilder in den Medien von 1945 bis zur Gegenwart: Film. Marburg: Schüren 2012, S. 11–24.

Podrez, Peter: Mit der Taschenlampe gegen die Mächte des Bösen. Horror im Computerspiel. In: Schallegger, René; Faller, Thomas (Hg.): Fantastische Spiele. Imaginäre Spiel­welten und ihre soziokulturelle Bedeutung. Berlin u. a.: LIT 2017, S. 233–254.

Schulze von Glaßer, Michael: Spionagewerkzeug Games: Wie Spieler durchleuchtet werden. In: Der Standard. 02.12.2015. <https://www.derstan­dard.at/story/200002641 1419/spionagewerkzeug-games-wie-spieler-durchleuchtet-werden> [17.06.2019].

Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Petermann, Theodor (Hg.): Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Dresden: Zahn & Jaensch 1903, S. 185–206.

Turk, Horst: Alienität und Alterität als Schlüsselbegriffe einer Kultursemantik. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik. Jg. 22, Nr. 1 (1990), S. 8–31.

Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein: Datenschutz in Online-Spielen. 2010. <https://www.datenschutzzentrum.de/uploads/pro­jekte/dos/ dos-datenschutz-in-onlinespielen-report.pdf> [17.06.2019].

Unteruber, Tobias (2013): Heterotopie und Spiel – eine Annäherung. In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. <https://www.paidia.de/heterotopie-und-spiel-eine-annaherung/> [17.06.2019].

Zumbansen, Lars: Dynamische Erlebniswelten: Ästhetische Orientierungen in phantastischen Bildschirmspielen. München: kopaed 2008.

Quelle des Artikelbildes:

http://www.pixlbit.com/feature/3218/episode_49_who_watches_the_watch_dogs

 

  1. An anderer Stelle (vgl. Hennig: Spielräume als Weltentwürfe. 2017, S. 108–110) habe ich zwischen Spielen mit simulativem und mit narrativem Schwerpunkt unterschieden. Der Idealtyp einer Simulation im übergreifenden Sinne operiert im Modus der Prozessabbildung, wobei ein fiktionales (z. B. das Verhalten der Spielsteine in Tetris) oder reales dynamisches System (z. B. Straßenverkehr, Aerodynamik) repräsentiert wird, dessen Abläufe auf ludischer Ebene vorgegeben sind. Die Interaktion zwischen Spielsystem und Spieler_innen kann hier mit der entsprechenden ludischen Terminologie (Siegbedingungen, Spielregeln usw.) hinreichend beschrieben werden. Narrative Produktionen beinhalten darüber hinaus einen Modus der Welterzeugung, da sich in ihnen fiktionale Welten herausbilden, die sich in ihren zentralen Paradigmen und den ihnen inhärenten semantischen Ordnungen beschreiben lassen. Insofern beziehen sich die folgenden Ausführungen nicht auf ‚reine‘ Simulationen, die allerdings sowieso selten bzw. in speziellen Genres auftreten.[]
  2. Vgl. einführend zur Imagologie Turk: Alienität und Alterität. 1990; Nies: Selbstbilder in den Medien. 2012.[]
  3. Vgl. Podrez: Mächte des Bösen. 2017.[]
  4. Vgl. Zumbansen: Dynamische Erlebniswelten. 2008, S. 214.[]
  5. Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen. 1990.[]
  6. Vgl. zur Unterscheidung der Spielweisen paidia und ludus Caillois: Die Spiele und die Menschen. 1960, S. 36 f.[]
  7. Obwohl sich theoretisch jeder denkbare Großraum als diesbezüglicher Schauplatz eignen würde, hat sich die Großstadt als paradigmatischer Handlungsort des Open-World-Genres etabliert. Im Laufe der Spielegeschichte finden sich zwar ebenfalls Weltraum- (vgl. Elite, 1984) oder Kleinstadtszenarien (vgl. Deadly Premonition, 2010), doch handelt es sich dabei eher um Randerscheinungen, die kaum Nachahmer provozierten, ganz im Gegensatz zu der in fiktiven amerikanischen Metropolen angesiedelten GTA-Reihe (seit 1997). Die Großstadt gilt denkgeschichtlich (vgl. Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. 1903) einerseits als Ort von Freiheit und Individualität, andererseits jedoch als anonymer und unpersönlicher Raum, sodass die individuelle Aneignung und rein auf den Avatar bezogene Subjektivierung dieses Handlungsortes im digitalen Spiel besonderen Ereignischarakter besitzt.[]
  8. Vgl. in Bezug auf die GTA-Reihe Bogost/Klainbaum: Experiencing Place. 2006.[]
  9. Vgl. Johan Huizingas in den Kulturwissenschaften einschlägige Spieldefinition: „Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine freie Handlung nennen, die als ‚nicht so gemeint‘ und außerhalb des gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb einer eigens bestimmten Zeit und eines bestimmten Raumes vollzieht“ (Huizinga: Homo Ludens 2013, S. 22).[]
  10. Vgl zur Heterotopie grundsätzlich Foucault: Von anderen Räumen. 2006. Für eine Anwendung des Konzepts auf den Vorgang des Computerspielens vgl. Unterhuber: Heterotopie und Spiel. 2013. Neitzel (Andere Orte. 2018) interpretiert auch die sozialen Orte des Spielens wie Casinos und Spielhallen als Heterotopien. Anders als Unterhuber möchte ich im Folgenden auch die Räume des Computerspiels selbst (und nicht nur die Praktik des Spielens) als heterotop verstehen, insofern man beides m. E. nicht unabhängig voneinander denken kann und der Verweis Unterhubers auf den Simula­tionscharakter von Computerspielräumen sicher richtig ist, dies aber nicht ausschließt, dass diese dabei den Status eines Gegenraums einnehmen, denn gleichzeitig sind digitale Spiele (abgesehen vom Genre der Simulation selbst) sicher auch nicht als in irgendeiner Weise ‚authentische‘ Simulation eines Realraumes zu begreifen. Vielmehr ließe sich gerade in diesem uneindeutigen Status der Simulation in Bezug auf den Realraum ihr heterotoper Charakter verorten.[]
  11. Über den Status von digitalen Spielen als verwirklichte Utopien kann man streiten; mindestens jedoch, wenn sich hier eigene Sozialformen vollziehen (wie etwa in On­line-Rollenspielen oder auch im Multiplayer-Modus von Watch Dogs), muss man konstatieren, dass die dargestellte Welt nicht als gänzlich virtuell zu gelten hat. []
  12. Foucault: Von anderen Räumen. 2006, S. 320[]
  13. Alle diese Orte sind nach Foucault durch ein von der Norm abweichendes Regelset und eine eigene zeitliche Ordnung, die mit der Heterotopie lokalisiert wird, sowie durch ein System von Öffnungen und Schließungen geprägt. Letzteres kann beim digitalen Spiel bereits auf technischer Ebene konstatiert werden; die eigene zeitliche Ordnung der Hetero­topie zeigt sich etwa in Form der zyklischen Struktur des Spielvorgangs (Versuch / Irr­tum / Laden eines Spielstandes etc.).[]
  14. Vgl. die erfolgreichen Spieleserien Metal Gear Solid (Kojima Productions, seit 1998), Deus Ex (Ion Storm Austin, seit 2000) oder Bioshock (2K Games, seit 2007).[]
  15. Dies wurde insbesondere von der feministischen Filmtheorie in Bezug auf die Fortsetzung patriarchaler Machtstrukturen in der Bildsprache des Films herausgestellt: „In einer Welt, die von sexueller Ungleichheit bestimmt ist, wird die Lust am Schauen in aktiv/männlich und passiv/weiblich geteilt. Der bestimmende männliche Blick projiziert seine Phantasie auf die weibliche Gestalt, die dementsprechend geformt ist“ (Mulvey: Visuelle Lust. 1994, S. 55). Während dieser Ansatz aufgrund seiner Generalität in der Filmanalyse auch vielfach kritisiert wurde, kann der Zusammenhang zwischen Blick- und Machtordnungen den Game Studies durchaus noch neue Impulse geben.[]
  16. was sich im Rahmen der zentralperspektivischen Anordnung des Ego-Shooters „über die Zurichtung und Ausrichtung des Sichtbaren“ (Zumbansen: Dynamische Erlebniswelten. 2008, S. 193) auf die gespielte Figur besonders eindrücklich repräsentiert, aber in ähnlicher Weise für die Third-Person-Perspektivierung gilt und ebenso für die nur scheinbar neutrale isometrische Perspektive im Strategie-Genre, die nicht umsonst auch als god perspective bezeichnet wird und damit bereits einen machtanalytischen Blickwinkel konnotiert[]
  17. Der Status von Technologie als Stellvertreter für die dahinter stehenden Antagonisten zeigt sich eindringlich in DmC: Devil May Cry (Ninja Theory, 2013), wo sich Überwachungskameras in einer Parallelwelt in Dämonenaugen verwandeln, welche eine phallische Verlängerung der Machtsphäre des Herrschers der Dämonenwelt bilden, die es herauszureißen gilt, was als Akt der symbolischen Kastration des Dämons
    inszeniert ist.[]
  18. Vgl. die Spieleserien Thief (Locking Glass Studios, Ion Storm Austin, Eidos Mon­tréal, seit 1998), Assassin’s Creed (Ubisoft, seit 2007) oder Dishonored (Arkane Studios, seit 2012).[]
  19. Steve Anderson (vgl. Anderson: Technologies of Vision. 2017) argumentiert, dass dies ein generelles Problem des gegenwärtigen Überwachungsdiskurses sei und die qualitativen Unterschiede zwischen visueller Überwachung und aktuellen datenbasierten Wissenspraktiken auf diese Weise aus dem Blick geraten würden.[]
  20. Einschlägig sind in dieser Hinsicht etwa der Roman The Circle von Dave Eggers aus dem Jahr 2013 (bzw. die Verfilmung von 2017) oder die Satire QualityLand von Mark-Uwe Kling (2017). Zu aktuellen Tendenzen von Überwachungsnarrativen vgl. all­gemein Hauptmann/Hennig/Krah: Narrative der Überwachung. 2020; Jung/Schül­ler: Orwells Enkel. 2019.[]
  21. etwa im ersten Teil in Form eines korrupten Bürgermeisters, der mit der Mafia kollaboriert und einen zentralen Antagonisten der erzählten Geschichte bildet[]
  22. Bekannte Werke des Cyberpunk sind etwa die Neuromancer-Trilogie von William Gibson (1984/1986/1988) oder der Film Johnny Mnemonic (Longo, 1997).[]
  23. Bildquelle: eigener Screenshot[]
  24. Die Tendenz zur möglichst vollständigen narrativen ‚Einkleidung‘ der ludischen Ebene ist allerdings kein Spezifikum von Watch Dogs, sondern eine allgemeine Entwicklung in der Geschichte des digitalen Spiels (vgl. hierzu ausführlich Hennig: Spielräume als Weltentwürfe. 2017).[]
  25. In selbstreflexiven Klassikern des Überwachungsfilmes wie Blow Up (Antonioni, 1966) oder The Conversation (Coppola, 1974) wird noch generell der Status von Überwachungsaufnahmen als Indizien für ‚Realität‘ und ‚Wahrheit‘ infrage gestellt, wohingegen dieser Aspekt in Bezug auf digitale Datenpraktiken nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vgl. zu dieser Tendenz ausführlich Hennig: Big Brother is watching you: hoffentlich. 2016.[]
  26. Vgl. zur Normalisierungsthese von Überwachung aus einer breiteren diskursiven Perspektive, insbesondere mit Blick auf Big-Data-Praktiken, Meier: Überwachung als Bildpraxis. 2018.[]
  27. Vgl. für diese Tendenz in Bezug auf die Darstellung von Datenüberwachung in visuellen Medien allgemein Hennig/Piegsa: The Representation of Dataveillance. 2018.[]
  28. Vgl. hierzu und dem der Kontrollgesellschaft zugrunde liegenden Konzept von Gilles Deleuze genauer den Beitrag von Lars Dolkemeyer.[]
  29. Vgl. Schulze von Glaßer: Spionagewerkzeug Games. 2015; vgl. zur Problematik ausführlich schon im Jahr 2010: Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Hol­stein: Datenschutz in Online-Spielen. 2010.[]
  30. Zu den unterschiedlichen Lesarten vgl. grundlegend Hall: Kodieren/Dekodieren. 1999.[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Hennig, Martin: "‚Watch Dogs‘ und die Heterotopie der Überwachung - Motive, Strukturen und Funktionen überwachter Welten in digitalen Spielen". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 25.06.2020, https://paidia.de/heterotopie-der-ueberwachung/. [15.10.2024 - 15:45]

Autor*innen:

Martin Hennig

Dr. Martin Hennig ist Medienkulturwissenschaftler. 2016 promovierte er mit der Arbeit Spielräume als Weltentwürfe. Kultursemiotik des Videospiels (Marburg: Schüren 2017). In den letzten Jahren arbeitete er als Postdoc am DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 „Privatheit und Digitalisierung“ und vertrat 2019–2020 den Lehrstuhl für Medienkulturwissenschaft (Schwerpunkt: Digitale Kulturen) an der Universität Passau. Aktuell ist er Postdoc am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen: Digitale Kulturen, Game Studies, Narratologie, transmediales und serielles Erzählen, mediale Entwürfe von Gender und kultureller Identität, Raum- und Subjekttheorie.