Am Anfang waren die „Boy’s Toys"...
Computer- und Videospiele haben in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung gezeigt: wirtschaftlich wie gesamtgesellschaftlich; ästhetisch wie kulturell; politisch wie medial. Der Branchenverband GAME bezeichnet Computer- und Videospiele als „das Leitmedium des 21. Jahrhunderts“ und der Bundesverband für Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. konstatiert: „Games sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Etwa 23 Millionen Deutsche, also jeder Dritte, spielen regelmäßig Computer- und Videospiele.“ 1
Dabei ist, glaubt man den zahlreichen nationalen und globalen Studien der jüngsten Zeit 2, seit einigen Jahren die Hälfte aller Gamer weiblich; was insofern überrascht, als Computer- und Videospiele seit ihrer Entstehung lange als „Boys Toys“ galten, zu denen Frauen eher keinen Zugang hatten. 3
„Die Nutzung von Computerspielen ist in der Alltagswahrnehmung eine Männerdomäne (Cockburn, 1992; Kennedy 2005), sicherlich in vielen Aspekten vergleichbar der Sportberichterstattung, welche anerkanntermaßen als ausgesprochen männlich stereotypisiert gilt (Oliver, 2000).“ 4
In diesem Kontext sind die in jüngster Vergangenheit zahlreichen und meist leidenschaftlich geführten Diskussionen rund um das Thema Frauen und Games zu betrachten. Im Fokus der Debatte standen dabei bislang primär die ästhetische Darstellung bzw. (ästhetische) Stereotypisierung von Frauen innerhalb von digitalen Games sowie die narrative und ludologische Relevanz von weiblichen Charakteren, aber auch die Konsumgewohnheiten von Mädchen und Frauen und das Angebot an „Girls Games”. 5
In jüngster Zeit hat auch die Analyse der Arbeitsbedingungen von Frauen innerhalb der Games Industrie an Aufmerksamkeit gewonnen. 6 Wobei es nicht nur zahlreiche Aspekte des Diskurses gibt, sondern auch mannigfaltige Perspektiven und Herangehensweisen. 7
Der vorliegende Beitrag möchte sich jedoch – im Sinne der Übersichtlichkeit, und der thematischen Ausrichtung des PAIDIA-Specials – auf den Aspekt der Darstellung von Frauen innerhalb von digitalen Games beschränken und dabei einige relevante Arbeiten bzw. Untersuchungen und deren Ergebnisse im Hinblick auf die weibliche Stereotypisierung in digitalen Spielen aufzeigen.
Gender & Gaming
Die Auseinandersetzung mit „Gender in Games & Gaming“ ist m.E. nicht mehr ganz jungfräulich, sondern geht mindestens 20 Jahre zurück. Spätestens seit Ende der 90er Jahre wurden verschiedene Aspekte der Debatte innerhalb (aber auch außerhalb) der Games Industrie (kritisch) analysiert und reflektiert.
1998 veröffentlichten Justine Cassell und Henry Jenkins den Sammelband „From Barbie to Mortal Kombat“ 8, der eine Momentaufnahme der Auseinandersetzung mit Frauen und Computer- und Videospielen darstellte. 9 Zehn Jahre später brachten Kafai et al. mit „Beyond Barbie and Mortal Kombat“ 10 (2008) die Diskussion auf einen neuen Status Quo. Beide Bücher sind „must reads“ in der Auseinandersetzung mit Gender & Gaming, auch weil sie den jeweiligen Zeitgeist dokumentieren.
In Anlehnung an Judith Butler kann unter „Gender“ das – in Abgrenzung zum biologischen Geschlecht (Sex) – sozio-kulturelle Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität verstanden werden.
„Die Literaturwissenschaftlerin Judith Butler hat 1990 mit ihrem Buch ‚Gender Trouble’ auf die diskursive Konstruiertheit aller Aussagen über Körper, Geschlecht und Identität hingewiesen. Butler bezeichnet mit Gender die kulturell-gesellschaftlich bedingten Geschlechtsidentitäten und benutzt für das biologische Geschlecht den Begriff ‚Sex’, wobei sie keinesfalls beide Konzepte voneinander trennt. In Berufung auf Butler, weist (Marie-Luise) Angerer auf den Begriff des ‚doing gender’ hin, der die Performativität von Geschlechteridentitäten als permanente Akte der Wiederholung bestehender Normen betonte.“ 11
Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht, das spätestens bei der Geburt festgestellt wird, ist „Gender” also als soziales Konstrukt, das (primär) durch soziale Interaktion und (Bedeutungs-)Zuschreibungen entsteht, zu verstehen. Dabei wird innerhalb der Gender Debatte das Verhältnis beider Geschlechter 12 zumeist kritisch analysiert bzw. betrachtet.
„In unserer Gesellschaft herrscht ein System der Zweigeschlechtlichkeit vor. Die dadurch entstehenden Geschlechterdifferenzen sind hierarchisch strukturiert, wobei die männlichen Eigenschaften weitgehend positiver als die weiblichen bewertet werden. Diese Polarisierung der Geschlechtscharaktere ist bereits im 18. Jahrhundert entstanden und ist zu einem großen Teil auch heute noch aktuell.“ 13
Im Hinblick auf Computer- und Videospiele stellten Cassell & Jenkins bereits in ihrer Einleitung zu „From Barbie to Mortal Kombat” (1998) fest:
„Video games provide a prime example of the social construction of gender. Women rarely appear in them, except as damsels requiring rescue, or rewards for successful completion of the mission. Most feminist analysis of gender and video games to date has been concerned with the proliferation of violent, aggressive, gory, and often overtly misogynistic images within the video game marketplace.”
Bryce et al stellen in ihrem Kapitel „Digital Games and Gender” in Bryce & Rutter „Understanding Digital Games” (2006) fest:
„In short, we can understand that social relationships, ordinary practices, access to technology and gendering of space have a profound effect on digital gaming and female involvement at a point which proceeds engagement with the game itself.” (S.190)
Die Gender Komponente von digitalen Games ist also sehr weitreichend, angefangen beim Zugang zu den Games bzw. auch den Orten, an denen sie gespielt werden, und den Umgang mit Games (z.B. Genre & Konsum Präferenzen etc.) über die (Medien-)Wirkung der Spiele und ihrem Rückkopplungseffekt auf die weiblichen Spieler bis hin zur genderspezifischen Darstellung der Spielfiguren. „Issues of gendered representation within game content are also an important aspect of the relationship between digital gaming and gender.” (S.196)
Relevanz des Diskurses
„Within both academic and popular discourse computer gaming has been marginalised as a leisure activity restricted to male children and adolescents and been strongly associated with media effects discourse. This recurring discourse suggests that the consumption practices associated with computer gaming are solitary and male, that their gaming is domestic and part of transitional phase of leisure interest – something boys will grow out of.” 14
Diese Aussage, die vor einer Dekade noch Gültigkeit hatte, muss mittlerweile aufgrund der aktuellen Datenlage – nach der die Hälfte aller Gamer weiblich ist – revidiert werden und aufgrund der Diskrepanz der stereotypen Darstellung von Frauen innerhalb der Games einerseits und dem weiblichen Konsumverhalten andererseits ist die gegenwärtige „Gender in Games & Gaming“ Debatte durchaus berechtigt (und notwendig).
Dabei drängen sich gegenwärtig vor allem zwei Fragen in der Auseinandersetzung auf. Erstens, inwieweit haben sich in den letzten Jahren, im Zuge der „Demokratisierung“ der Nutzung von Games, die Produkte selbst verändert (im Hinblick auf das (Genre-)Angebot für Frauen, aber auch im Hinblick auf die ästhetische Darstellung von weiblichen Spielfiguren)? Und zweitens, inwieweit hat die (meist stereotype) Darstellung weiblicher Charaktere innerhalb digitaler Games einen Einfluss auf die weibliche Zielgruppe bzw. wie zufrieden sind diese mit den angebotenen Figuren und Produkten (klassische Fragen der Medienwirkungsforschung)?
Laut der Frankfurter Kulturwissenschaftlerin Birgit Richard sind Frauen innerhalb von Computer- und Videospielen zunächst ähnlich wie die Protagonistinnen in Comics, Büchern und Filmen als mediale Gestalten zu analysieren, was insofern relevant ist, als die Diskussion um die Ästhetik und Handlungskompetenz der weiblichen Charaktere bereits weit vor digitalen Games bestand. 15
„Im Lauf der vergangenen Jahre sind computergenerierte Spiele zu einem selbstverständlichen und populären Teil der Alltagskultur geworden, dessen virtuelle Realitäten sowohl zu anderen kulturellen als auch zu anderen sozialen Feldern zahlreiche Schnittstellen aufweisen. [...] Die Computerspiel Heldinnen stehen in der Bildtradition der Actionheldinnen aus Comic, Film und Fernsehen. Allen Heldinnen gemeinsam ist der Status einer Kunstfigur, bei der verschiedene, durchaus ambivalente Ideale und Projektionen in fiktionaler Synthese verschmelzen.“ 16
Jedoch sind im 21. Jahrhundert nun mal die weiblichen Figuren und Charaktere des „Leitmedium Games“ im Erkenntnisinteresse und nicht mehr explizit die Heldinnen aus Funk und Fernsehen.
Der Diskurs um Frauen in Games ist nicht nur deshalb relevant, weil Computer- und Videospiele im 21. Jahrhundert eine enorme Reichweite haben, je nach Altersgruppe auch mehr als Bücher und Kinofilme 17, sondern auch weil die Beschäftigung mit dem Medium Games eine ganz andere ist, da die Rezeption in Interaktion und nicht allein im Konsum erfolgt.
„The analysis of digital games needs to take into account the interdependency of player and game. Games, from Minesweeper to Halo, come into existence through a feedback loop between hardware, software, screen and player. Terms such as ‘feedback loop’ derive, like simulation, from the language of computing, and suggest that we might think of the relationship between player and digital games as not only ‘interactive’ but also ‘cybernetic’.” 18
Das interaktive Element des Mediums Computerspiel legt u.a. die Fragen nahe, wie die stereotype Darstellung von Frauen bzw. auch die ihnen zugeschriebenen Rollen- und Handlungsmuster innerhalb der Games auf die (weiblichen und männlichen) Spieler wirken, ob bzw. welche Konsequenzen daraus erwachsen und ob z.B. bestehende Vorstellungen / Normen / Werte etc. beeinflusst werden können. 19
Die Darstellung von Frauen in Games - die Datenlage
Etwas pauschalisierend formuliert kann zunächst festgestellt werden, dass die Darstellung von Frauen in Computer- und Videogames von jeher als recht stereotyp beschrieben werden konnte / musste; sei es aus ästhetischer Perspektive (also im Sinne des Game Design) oder im Hinblick auf die zugeschriebenen Handlungs- und Bedeutungsmuster (also im Sinne des Storytelling).
„Over the past twenty years there have been frequent debates concerning the lack of female uptake and representation in gaming. This is often cited as one of the problematic aspects of this leisure activity. From this perspective it has been claimed that the representation of females within computer games is consistently sexualised and stereotypical, potentially reinforcing societal objectification of women and use of sexual violence.” 20
Im Folgenden sollen einige zentrale Arbeiten der letzten zwanzig Jahre vorgestellt werden, die sich diese stereotype Darstellung von Frauen innerhalb der Games konkreter, d.h. in Form einer empirischen Untersuchung angeschaut haben. So sollen einerseits zentrale Ergebnisse verglichen, andererseits auch eine mögliche Entwicklung aufgezeigt werden.
Im Jahre 1998 erhob Tracy Dietz erstmals umfassend empirische Daten zur Darstellung von Frauen in Computer- und Videospielen, sie untersuchte Spiele im Hinblick auf die Darstellung bzw. Repräsentanz von weiblichen Charakteren und Spielfiguren. Die Ergebnisse dieser Studie 21 sind bis heute im akademischen Diskurs gern zitierter Ausgangspunkt bei der Auseinandersetzung mit „Gender in Games und Gaming“, weshalb sie auch in diesem Beitrag erwähnt werden soll.
„Using content analysis, this research examines the portrayal of women and the use of violent themes in a sample of 33 popular Nintendo and Sega Genesis video games. […] This analysis reveals that traditional gender roles and violence are central to many games in the sample.” 22
Das Hauptergebnis der Studie war:
„The most common portrayal of women was actually the complete absences of women at all. […] 30% of the videos did not represent the female population at all. … The second most common portrayals of women in this sample of games was the woman as the victim or as the proverbial ‘Damsel in Distress’. Women were portrayed in this manner 21% of the time. […] Finally, in many instances the females depicted in the games were in fairly non-significant roles, which also affectively demonstrates the disparate value of males and females in society.” 23
Neben der quantitativen Verteilung der weiblichen Charaktere untersuchte Dietz auch die qualitative, wenngleich sie diesbezüglich zu nicht viel positiveren Ergebnissen kommt:
„Overall, in this sample of video games, while there are instances in which female characters are portrayed as positive role models, in general most of the games minimize the roles of females. To begin, many of the games neglect to include women as characters at all. Furthermore, when female characters were depicted they were often presented as dependent upon men (such as victims) or in supporting roles to men. Women were also frequently presented as sex objects or were depicted as contributing less than men.” 24
Eine andere Studie 25 (Fromme & Gecius 1997) zitiert Hella Grapenthin in ihrem Aufsatz „Geschlechterbilder in Computer- und Videospielen” (in Bevc & Zapfl 2009):
„Gecius fand heraus, dass die weiblichen Figuren in den Computer- und Videospielen eindeutig unterrepräsentiert sind. […] Frauen sind also eher in den passiven, nicht-steuerbaren Nebenrollen wiederzufinden, wogegen die Männer meist die aktiven, steuerbaren Hauptrollen innehaben […] [Frauen] sind hierbei meist auf männliche Hilfe angewiesen.”
Laut Gecius erscheinen Frauen vor allem als „die clevere Frau“, „die martialische Kämpferin“, als „das freche Mädchen“ oder „die moderne Prinzessin“.
Jenseits der Tatsache, dass mehr männliche als weibliche Figuren in den Spielen vorhanden waren, wurde u.a. auch aufgezeigt, dass Frauen meist spärlicher bekleidet sind als Männer, dass sie meist jünger sind als Männer, Frauen meist attraktiver als Männer dargestellt wurden, dass Frauen mit den schlechteren Waffen und den weniger angesehenen Berufen ausgestattet waren und dass Männer weniger oft Hilfe brauchen als die Frauen. „Die meisten der auftauchenden weiblichen Figuren (...) werden meist nur als dekoratives Beiwerk oder ggf. als Belohnung für den Helden eingesetzt. “ 26 „Somit erfüllen die meisten der Frauen keinen praktischen Zweck, haben eigentlich keine Funktion, ganz im Gegensatz zu den männlichen Figuren, die oft sehr viel aktiver sind und das Spielgeschehen vorantreiben. (Gecius 1997: 92)“ 27
Die Frankfurter Kulturwissenschaftlerin Birgit Richard untersuchte in „Sheroes“ (2004) ebenfalls Computer- und Videospiele hinsichtlich des Gender Aspektes bzw. der Darstellung von weiblichen Protagonisten. 28 Folgende Fragen beschäftigen sie dabei:
„Zunächst gilt es an den Spielemarkt folgende Frage zu richten: In welchen Spielen tauchen weibliche Spielfiguren auf? Und wie ist dann ihre Position im Spiel definiert? Sind die Figuren überhaupt sichtbar, und spielen sie eine tragende Rolle oder sind sie nur als Verkaufsanreize auf der Verpackung platziert und dienen der Produktdifferenzierung? Des Weiteren stellt sich die Frage, wie ‚autonom’ die jeweiligen Frauencharaktere in den Spielen agieren.“ 29
Richard stellt fest,
„ […] dass in den seltensten Fällen eine quantitative Gleichwertigkeit der Geschlechter zur Wahl steht, sondern die Vorgaben hinsichtlich der Relevanz und Strategie der Figuren innerhalb des Spiels sehr prägend sind. Der freischwingende Gender-Shift wäre demnach bereits im Vorhinein in seiner Bandbreite und der Wichtigkeit von weiblichen Figuren eingeschränkt, obwohl prinzipiell die Erfahrung des virtuellen Geschlechtertausches möglich ist.“ 30
Hella Grapenthin konnte in ihrer Analyse von acht Computer- und Videospielen (2008) aufzeigen, dass Frauen zwar mittlerweile häufiger in Haupt- und Nebenrollen auftauchen, sich jedoch die stereotype Darstellung nur wenig verändert hat, es sind lediglich neue Stereotype hinzugekommen. 31
„Immer noch herrscht eine Hierarchie, in der die Frauen den Männern untergeordnet sind. Ob nun im Hinblick auf das Alter, das Aussehen, die Kleidung oder die Fähigkeiten, die männlichen Figuren werden insgesamt lebensnaher, vorteilhafter und positiver wiedergegeben als die weiblichen und bieten mehr Identifikationsmöglichkeiten als diese.“ 32
Im Jahre 2010 veröffentlichte das nordamerikanische Marktforschungsunternehmen „Electronic Entertainment Design and Research“ (EEDAR) eine Studie 33, nach der 51% aller „Next Gen“ Spiele weibliche Charaktere beinhalten würden. Diese, zumindest für eine Schlagzeile wunderbare geeigneten, Zahlen sind jedoch nur eine Seite der sprichwörtlichen Medaille. Die andere ist, dass es zum Einen mehr Plattformen als die „Next Gen“ Plattformen 34 gibt und zum Anderen die rein quantitative Repräsentanz von Frauen in diesen Spielen nichts über ihre ästhetische Darstellung bzw. über ihre Handlungsrelevanz innerhalb der Spiele verrät.
Im selben Jahr veröffentlichte Melanie Krause ihre Dissertation zum Thema „Weibliche Nutzer von Computerspielen“, in der sie primär die Fragestellung untersucht, warum Frauen weniger bzw. anders digital spielen als Männer.
„Die Vermutung, dass breitere Massen von Mädchen und Frauen vom aktuellen Computerspieleangebot abgeschreckt werden könnten und dass über einen besseren Zuschnitt des Angebots auf weibliche Bedürfnisse Zugangsbarrieren abgebaut werden könnten (Cassell & Jenkins, 2000b; Subrahamanyam & Greenfield, 2001; Graner Ray, 2004), scheint sich heute zumindest in Teilen zu bestätigen.“ 35
Laut Krause können sich Frauen (bislang) mit den angebotenen Spielfiguren nicht positiv identifizieren: „Die hilflose Opferrolle (entführte Prinzessin) oder das provokative Sexsymbol (z.B. Lara Croft) treten deutlich häufiger auf als starke weibliche Spielecharaktere mit annähernd durchschnittlichen Körperformen und vollständiger Bekleidung.“ 36 Frauen würden – im Vergleich zu Männern – weniger bzw. sogar negatives Identifikationspotential mit den digitalen Helden haben:
„Spielecharaktere, wie z.B. Lara Croft, können z.T. eine bedeutende Rolle für den Spielspass einnehmen, indem sie z.B. Potenzial für parasoziale Interaktion und Identifikation bieten (Grodal, 2000; Hartmann, Klimmt & Vorderer, 2001). [...] Weibliche Spieler dagegen finden bei bestimmten weiblichen Spielfiguren, die z.B. stark sexualisiert dargestellt sind, teilweise nur geringes bzw. sogar negatives Identifikationspotenzial (Hartmann & Kimmt, 2006a).“ 37
Abschließend möchte ich noch eine letzte empirische Arbeit anführen, die ich für relevant in der Auseinandersetzung mit der Frage der ästhetischen Darstellung bzw. Stereotypisierung von weiblichen Figuren in Computer- und Videogames halte. 38 Burgess, Stermer, Burgess untersuchten 2007 anhand von 225 Covern von Computer- und Videospielen die Frage, wie Männer und Frauen bzw. männliche und weibliche Charaktere auf den Covern dargestellt werden. Das zentrale Ergebnis:
„Male characters were almost four times more frequently portrayed than female characters and were given significantly more game relevant action. However, in spite of their less frequent appearance, female characters were more likely to be portrayed with exaggerated, and often objectified, sexiness. Further, violence and sexiness was paired more frequently for female characters than violence and muscular physiques for the male characters.” 39
Im Hinblick auf die geschlechtsspezifische Darstellung konstatieren sie zudem:
„In spite of questionable relevance of large breasts to video game action, female characters were significantly more likely to be portrayed as busty / super-busty than their male counterparts were to be portrayed as muscular / super muscular. […] sexual attractiveness was a more critical factor for inclusion as a female than strength was for the males.” 40
Zusammenfassend bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die dargestellten Arbeiten also, obwohl sie von 1998 (Tracy Dietz) bis 2010 (Melanie Krause) reichen, durchaus kongruente Ergebnisse aufweisen. Weibliche Spielfiguren sind nicht nur nach wie vor quantitativ seltener in digitalen Spielen vertreten, dabei dann auch auf bestimmte, wenig handlungsrelevante und unterlegene Rollen beschränkt, sondern auch nach wie vor in ihrer ästhetischen Darstellung stereotypisiert dargestellt, oft auf eine sexualisierte Art und Weise, die oft wenig mit der Handlungskompetenz der Figur zu tun hat.
Schlussbetrachtung
Der vorliegende Artikel möchte sich als Versuch verstanden wissen, sich dem Thema (Repräsentation von) Frauen in Computer- und Videospielen überblicksartig zu nähern und damit einen aktuellen Beitrag zum Diskurs „Gender in Games & Gaming“ zu leisten. Die Analyse der „ge-genderten“ 41 Darstellung innerhalb von Digital Games ist m.E. auch deshalb relevant, weil sich durch sie auch das Verhältnis von Games und Gender besser verstehen lässt: „Issues of gendered representation within game content are also an important aspect of the relationship between digital gaming and gender.” 42
Obwohl die ästhetische Stereotypisierung von Frauen innerhalb der Computer- und Videospiele mittlerweile als Thema durchaus populär und ‚en vogue’ ist, nicht nur innerhalb der Game Studies bzw. anderen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern durchaus auch innerhalb der Games Industrie selbst, mangelt es an umfassenden empirischen Erhebungen. Einige habe ich benannt, einige ausgelassen, einige sind mir sicher auch gar nicht bekannt, aber insgesamt scheint die Datenlage zu diesem recht diskursiven Aspekt (leider) überschaubar.
Es wäre wünschenswert, sich zukünftig nicht nur analytisch, sondern eben auch vermehrt empirisch mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Vor allem im Hinblick darauf, dass der Games Markt in den letzten 5-10 Jahren sehr dynamisch war, sich sehr grundlegend und schnell verändert hat, aber auch im Hinblick darauf, dass Games als „Leitmedium des 21. Jahrhunderts“ doch etwas mehr (Forschungs-) Aufmerksamkeit verdienen. Insbesondere weil Mädchen und Frauen (rein statistisch) mittlerweile die Hälfte aller Gamer stellen, wäre es notwendig tatsächlich anhand der Produkte zu überprüfen, ob bzw. inwiefern dies Konsequenzen für die Games hat, aber auch inwiefern die Darstellung bzw. Handlungskompetenz der weiblichen Spielfiguren nachweisbare Effekte auf die weiblichen Spieler hat. 43 Untersuchungen hierzu gibt es zwar vereinzelt, aber meiner Einschätzung nach fehlen großangelegte, (halbwegs) umfassenden Studien.
Wobei – und dies möchte ich als zweiten Wunsch für zukünftige Forschung zum Thema „Gender in Games & Gaming“ formulieren – nicht nur die ästhetische Darstellung von Frauen innerhalb der Games weiter untersucht werden sollte, sondern auch der Aspekt der Stereotypisierung des Angebotes an Produkten.
Fragestellungen nach der Positionierung digitaler Spiele im weiblichen Gamer Markt bzw. nach den kommerziellen Erfolgsfaktoren 44 explizit für Spielerinnen produzierter digitaler Spiele sind m.E. nach bislang zu wenig (empirisch) untersucht worden. „Für Frauen eigene Spiele zu entwickeln, ist repressiv. Falsch ist aber auch, Spiele auf den Markt zu bringen und dabei anzunehmen, diese wären ‚objektiv’, im Sinne von ‚geschlechtsneutral’.“ 45 Wobei die Frage nach der Stereotypisierung des Angebotes von Computer- und Videospielen ihrerseits sehr schnell die Frage nach der Geschlechterverteilung innerhalb der Spieleentwicklung, also der Games Industrie aufwirft. Weshalb auch im wissenschaftlichen Dialog vom ‚Henne-Ei-Problem’ gesprochen wird. 46
Als dritten und letzten Wunsch meiner imaginären Wunschliste möchte ich anmerken, dass es angebracht wäre, das Thema „Gender in Games & Gaming“ zukünftig nicht ausschließlich im Sinne von „Frauen in Games & Gaming“ zu betrachten. Mir persönlich sind nur wenige Untersuchungen bekannt, die sich mit der Stereotypisierung von Männern innerhalb von Computer- und Videospielen kritisch auseinandersetzen oder auch Homosexualität und / oder Transsexualität innerhalb von Digital Games thematisieren. 47 Beides sind jedoch Aspekte, die aus meiner Sicht der Dinge unbedingt zum Diskurs „Gender in Games & Gaming“ gehören.
Es bleibt an dieser Stelle abschließend festzuhalten, dass der Diskurs um „Gender in Games & Gaming“ zwar einerseits bereits ein lang anhaltender und mitunter auch sehr aktiv und kontrovers geführter ist, er sich aber zumeist auf das Thema der Darstellung bzw. Integration von Frauen innerhalb der Spiele beschränkt und von daher andererseits für die weiterführende Debatte auch noch sowohl vielfältige empirische Untersuchungen als auch die Öffnung / Ausweitung des Genderbegriffes (bzw. die Inklusion von Homosexualität, Transsexualität etc.) wünschenswert sind.
Verzeichnis der verwendten Texte und Medien
Literatur
Aphra Kerr. 2006. The Business and Culture of Digital Games. Sage Publ. Ltd.
Tobias Bevc, Holger Zapf (Hg). 2009. Wie wir spielen, was wir werden: Computerspiele in unserer Gesellschaft. UVK Verlag.
Burgess, Stermer, Burgess. 2007. Sex, Lies and Video Games: The Portrayal of Male and Female Characters on Video Game Covers. Im Internet: http://www.researchgate.net/publication/226396946_Sex_Lies_and_Video_Games_The_Portrayal_of_Male_and_Female_Characters_on_Video_Game_Covers [September 2014].
Jo Bryce & Jason Rutter. 2002. Killing Like a Girl: Gendered Gaming and Girl Gamers’ Visibility. Im Internet: http://www.cric.ac.uk/cric/staff/Jason_Rutter/papers/cgdc.pdf [Mai 2014].
Jo Bryce & Jason Rutter (Hg.).2006. Understanding Digital Games. London. SAGE.
Sven Jöckel. 2009. Spielend erfolgreich. Der Erfolg digitaler Spiele im Spannungsfeld ökonomischer, technologischer und nutzungsbezogener Aspekte. VS Verlag.
Judith Butler. 1991. Das Unbehagen der Geschlechter. 16.Auflage 2012. Edition Suhrkamp.
Justine Cassell, Henry Jenkins (Hg.). 1998. From Barbie to Mortal Kombat: Gender and Computer Games. MIT Press .
Tray Dietz. 1998. An Examination of Violence and Gender Role Portrayals in Video Games: Implications for Gender Socialization and Aggressive Behavior. Im Internet: http://videogames.procon.org/sourcefiles/an-examination-of-violence-and-gender-role-portrayals-in-video-games.pdf
Kafai, Heeter, Denner, Sun (Eds) 2008. Beyond Barbie and Mortal Kombat: New Perspectives on Gender and Gaming. University Press Group Ltd.
Melanie Krause. 2010. Weibliche Nutzer von Computerspielen: Differenzierte Betrachtung und Erklärung der Motive und Verhaltensweisen weiblicher Nutzer von Computerspielen. VS Verlag.
Julie Prescott & Jan Bogg. 2013. Gender Divide and the Computer Games Industry. IGI Global.
Birgit Richard. 2004. Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum. Transcript Verlag.
Lotte Vermeulen. 2011. You Are What You Play? A Quantitative Study into Game Design Preferences across Gender and their Interaction with Gaming Habits. Im Internet: http://www.digra.org/wp-content/uploads/digital-library/11313.31106.pdf [Mai 2013].
- BIU 2013.[↩]
- GfK, BIU, Entertainment Software Association, IGDA Report usw.[↩]
- Vermeulen 2011; Kerr 2006; Kafai et al. 2008.[↩]
- Krause 2010:11.[↩]
- Melanie Krause beschäftigte sich in ihrer Dissertation „Weibliche Nutzer von Computerspielen“ (2010) vor allem mit den Konsumgewohnheiten von jungen Mädchen und Frauen.[↩]
- An dieser Stelle sei aus aktuellem Anlass allein auf das Schlagwort #Gamergate verwiesen, unter dem gegenwärtig die Beiträge etc. rund um das Thema Sexismus in der Games Industrie subsumiert werden.[↩]
- In meiner Dissertation die ich seit Ende 2013 am Institut für Medienkultur und Theater an der Universität Köln schreibe, versuche ich die vier zentralen Aspekte / Bereiche im Hinblick auf „Frauen & Games“ zu beschreiben und vor allem in eine – u.a. empirisch zu überprüfende – Kausalität zu bringen.[↩]
- Weitere Informationen: http://mitpress.mit.edu/books/barbie®-mortal-kombat[↩]
- Aus meiner Sicht aber durchaus als rückblickend aber auch als Grundlagenwerk der Gender Game Studies gewertet werden kann.[↩]
- Weitere Informationen: http://mitpress.mit.edu/books/beyond-barbie-and-mortal-kombat[↩]
- Richard, 2004: 87.[↩]
- Es kann angemerkt werden, dass in der Regel von einer zweigeschlechtlichen Dichotomie ausgegangen wird, dabei aber Transsexualität ignoriert bzw. nicht inkludiert wird.[↩]
- Grapenthin in Bevc & Zapfl. 2009: 161.[↩]
- Bryce & Rutter 2002: 245.[↩]
- In „Sheroes“ - einem „Meilenstein“ der Gender & Games Debatte – zeigt Richard zum Beispiel auf, dass bereits „Betty Boo“ in den 30er Jahren eine äußerst diskursive Gestalt war.[↩]
- Richard 2004: 23.[↩]
- Glaubt man Untersuchungen der GfK.[↩]
- Giddings & Kennedy in Bryce & Rutter 2006: 142.[↩]
- Die Untersuchung der Auswirkungen und Konsequenzen medialer Nutzung je nach Medium ist zwar keine neue Disziplin, aber im Hinblick auf Computer- und Videospiele ist das neuartige, spannende einerseits, dass Digitale Games Produkte sind, die eine Interaktion (mit dem Medium) bedingen und andererseits gibt es im Hinblick auf dieses Medium bislang eindeutig (zu) wenig Medienwirkungsforschung, die über das Komplexitätslevel der „Killerspiel-Debatte“ hinausgeht.[↩]
- Bryce & Rutter 2002: 244.[↩]
- Im Internet: http://videogames.procon.org/sourcefiles/an-examination-of-violence-and-gender-role-portrayals-in-video-games.pdf[↩]
- Dietz 1998: 425.[↩]
- Dietz 1998: 433ff.[↩]
- Dietz 1998: 436.[↩]
- Es wurden 44 Action- und Adventure Spiele analysiert.[↩]
- Gecius 1997: 76.[↩]
- Grapenthin in Bevc & Zapf 2009: 164.[↩]
- Birgit Richard leitete von 1999-2001 das Forschungsprojekt „Die Konstruktion von weiblichen Repräsentationsbildern in Computerspielen“; siehe auch: http://www.birgitrichard.de/projekt[↩]
- Richard 2004: 7.[↩]
- Richard 2004: 88[↩]
- Sie stellt ihre Untersuchungsergebnisse denen von Fromme & Gecius gegenüber.[↩]
- Grapenthin in Bevc & Zapf. 2009: 183.[↩]
- Im Internet: http://www.pcworld.idg.com.au/article/358545/51_hd-gen_games_feature_female_characters/[↩]
- Erwiesenermaßen spielen Frauen ja auch vorzugsweise auf Plattformen wie Mobile / Smartphone / iPad sowie Online.[↩]
- Krause 2010: 22. Dem ist aber hinzuzufügen, dass sich in den wenigen Jahren die zwischen der Erarbeitung und der Veröffentlichung dieser Dissertation quantitativ schon einiges getan hat und dass Frauen mittlerweile durchaus gleichermaßen wie Männern digital spielen.[↩]
- Krause 2010: 12.[↩]
- Krause 2010: 30.[↩]
- Eine letzte jedoch auch, weil mir kaum / keine anderen empirischen Arbeiten bekannt sind, die explizit anhand ausgewählter Games „Gender in Games & Gaming“ untersuchen.[↩]
- Burgess et al 2007: 419.[↩]
- Burgess et al 2007: 426.[↩]
- Man mag mir dieses Wort verzeihen, aber an dieser Stelle muss ich es dennoch einmal benutzen, wohlwissend, dass es sich um kein real existierendes Wort der deutschen Sprache handelt.[↩]
- in Bryce & Rutter 2006: 196.[↩]
- Es wäre also eine explizite Games-Medienwirkungsforschung analog zu anderen Medien (z.B. Film, Literatur etc.) im Hinblick auf die Gender Thematik wünschenswert.[↩]
- Sven Jöckel beschäftigt sich in seiner Dissertation (2009) mit den Erfolgsfaktoren digitaler Spiele, differenziert dabei aber nicht explizit geschlechtsspezifisch.[↩]
- Richard 2004: 76.[↩]
- Die Game Designerin Mia Consalvo (2008) dazu: „Creating and maintaining a more diverse workforce, it seems, could result in games that are more gender inclusive, and that better reflect game play styles and content that would interest a broader population of games."[↩]
- Mir persönlich ist das laufende Dissertationsprojekt von Laura Härtel an der Universität Frankfurt bekannt, die sich mit dem Thema Homosexualität und Transgender in Videospielen beschäftigt.[↩]