„Aber ist jemand deshalb Außenseiter, nur weil er süchtig oder triebhaft das macht, was alle anderen zwangsweise und bezahlt machen? Die Spielsucht ist doch in Wirklichkeit nichts anderes als eben jene Sucht, die man jenseits der Freizeitindustrie als ‚workaholic‘ bezeichnet.“
Spiel + Arbeit = Paidia5
Nein, wir werden natürlich nicht über Sucht sprechen, wohl aber über Arbeit und Spiel: Die Redaktion und die Autorinnen und Autoren, die für Paidia schreiben, lesen und redigieren, sind dem Zitat von Ladenthin folgend doppelt Spielerinnen und Spieler und doppelt Arbeiterinnen und Arbeiter. Denn in ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen begegnen sich Spiel und Arbeit; sie kreuzen sich sowohl als Spiel, das Arbeit ist, als auch als Arbeit, die Spiel ist, – und dies nun seit mehr als fünf Jahren.
In dieser Zeit entstanden bei Paidia mehr als 100 Beiträge von rund vier Dutzend Autorinnen und Autoren, mit einer durchaus beachtlichen Bandbreite. Sonderausgaben zu Themen wie „Das ludische Selbst“, „Computerspiele und Werteerziehung“, „Dokumentation und Simulation“ und „Gender in Games and Gaming“ versammeln den aktuellsten Stand der Computerspielforschung im deutschsprachigen Raum. Zusätzlich steht „Paidia im Gespräch“ mit Spieleentwicklerinnen und Spieleentwicklern über Design und Ästhetik, Kunst und Poetik. Weitere Ausgaben und Gespräche sind in Vorbereitung und Planung, wie der aktuelle CfP zur „Darstellung von Wissenschaft, Forschung und Technologie in digitalen Spielen“ von Arno Görgen und Rudolf Inderst und die kommende Spezialausgabe zu „Gespielte Serialität oder: Computerspiel(e) in Serie: Medien – Theorien – Kulturen“ von Alexander Schlicker.
Zudem verspricht eine neue Kooperation mit IASLonline, dem größten Anbieter für elektronische Rezensionen in der Deutschen Literatur- und Kulturwissenschaft, zukünftig auch vermehrt Rezensionen zu aktueller Literatur der Computerspielforschung. Mit „I’ll remember this“ ist dieses Jahr auch unser erster analoger Sammelband veröffentlicht worden, der viele Forschungsfragen, denen immer wieder in Beiträgen in Paidia nachgegangen wurde, bündeln konnte (der Band erschien im Verlag Werner Hülsbusch und kann hier bezogen werden). Da wir aber wohl nicht zu rasten vermögen, gibt es schon Überlegungen für ein neues Projekt, zu dem wir zu einem späteren Zeitpunkt mehr verraten werden.
Doch neben dem Blick voraus, möchten wir dieses Editorial auch für einen Blick zurück nutzen, haben wir doch ein Jubiläum zu feiern.
5 Jahre Paidia – eine Bestandsaufnahme ‚in a nutshell’
2010 begannen die ersten Vorüberlegungen für unser E-Journal, im März 2011 bekam Paidia Struktur und einen redaktionellen Workflow und ein halbes Jahr später, am 15. Oktober 2011, war Paidia erstmals mit sechs Texten online. Erfolg und Produktivität konnte niemand vorhersagen. Umso mehr freut es uns, dass Paidia zu einem zentralen Publikationsorgan für eine geistes- und medienkulturwissenschaftlich orientierte Computerspielforschung geworden ist. Der Dank der Herausgeber dafür gebührt vor allem den unermüdlichen, hoch engagierten und leidensfähigen Redakteurinnen und Redakteuren. Sie machen es durch ihre ehrenamtliche Arbeit möglich, dass Paidia als unabhängiges Journal in einer Forschungslandschaft bestehen kann, die insgesamt finanziell schlecht ausgestattet ist und die sich mit neuen Medien und der eigenen Zukunftsorientierung zumindest im institutionellen Kontext sichtlich schwertut. Man darf sich nichts vormachen: In der Mitte der institutionalisierten geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung und Lehre sind Computerspiele noch lange nicht angekommen – wir werden verfolgen, wie lange sie von der oft angeführten Mitte der Gesellschaft dorthin noch brauchen; wir jedenfalls werden mit jedem Beitrag und mit jeder Sonderausgabe versuchen, unseren Beitrag dazu zu leisten.
Wo aber Gefahr ist
Dies tun wir aber nicht einfach, weil wir nur selbst gerne spielen, sondern weil wir unseren Gegenstand für einen untersuchungswürdigen und vor allem auch einen untersuchungsnotwendigen halten. Das Computerspiel (und auch die Computerspielkultur!) braucht die wissenschaftliche Auseinandersetzung und das Hinterfragen seiner Prämissen, sowohl der offenen als auch der versteckten, sowohl der ludischen als auch der narrativen, vor allem aber auch der ideologischen und politischen. Denn was uns die aktuellen Entwicklungen von GamerGate hin zu rechtsextremen Gruppierungen wie der sogenannten „Alt-Right“ zeigen, ist, dass das Computerspiel und die es umgebende Kultur längst (und nicht ganz zufällig)2 Schauplatz gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen geworden ist. Gerade als Geistes- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wollen wir dazu beitragen, solche Zusammenhänge aufzuzeigen, sie zu kontextualisieren, zu analysieren und, ja, auch zu kritisieren. Auch wenn diese Anlässe keine angenehmen sind, so wird daran doch die Aktualität und die zunehmende gesellschaftliche Relevanz unseres Forschungsbereichs deutlich. Denn auch wenn Johann Huizinga in seiner Idealvorstellung von Spiel dessen Abgetrenntheit von der realen Welt, sogar „die zeitweilige Aufhebung der ‚gewöhnlichen Welt‘“3 betonte, ist das Spiel dennoch immer auch Teil einer sozialen und politischen Umwelt; und gerade weil jedes Spiel als ein Ausnahmeraum in sich immer auch absolut ist, es im Spiel also immer um alles geht, ist es zugleich auch ein Raum, in und mit dem, wie bereits Wolfgang Iser festhielt, „immer alles auf der Kippe“4 steht. Deshalb ist es bei aller Begeisterung und Faszination für den eigenen Gegenstand absolut unerlässlich, sich weiterhin und zunehmend mit kritischer Distanz und Haltung dem Gegenstand und seinen historischen und aktuellen Kontexten zu nähern. An anderer Stelle nannten wir dies „engagierte Beobachtung“, „die die Relevanz des Beobachteten allein schon durch ihre Beobachtungen“5 unterstreicht.
Wenn wir damit einerseits unser Bemühen um analytische Distanz betonen, dann auch, weil wir andererseits davon überzeugt sind, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verantwortungsvoll am öffentlichen Diskurs teilnehmen sollten. Die Kulturwissenschaften wissen um den unsicheren Grund ihrer Arbeit, um die Abhängigkeit des Beobachteten vom Akt des Beobachtens. Doch statt diesen Grund zu verstecken, sollte er ausgestellt, transparent gemacht werden und so etwas wie Objektivität auf zweiter Ebene, mindestens aber Nachvollziehbarkeit hergestellt werden. So kann Wissenschaft eine Form kritischer Haltung im Sinne Foucaults6 und zugleich der unbedingte Widerstand sein, den Jaques Derrida von ihr und für sie einforderte.7
Deshalb gilt unverändert das, was auch bei der Gründung Paidias galt: Wir stehen für eine medien-kulturwissenschaftliche Beobachtung von Computerspielen und wir verstehen uns dabei als ein trans- und interdisziplinär ausgerichtetes Journal, das Raum für ein kritisches und reflektiertes Nachdenken über die Formen, Inhalte und Entwicklungen des Mediums Computerspiel und seiner Kultur, aber eben auch seiner Erforschung gibt. In diesen Sinn betreiben wir weiterhin „advanced game studies“8 als Arbeit und als Spiel – allerdings als ein freies, forschendes Spiel, als das wir Caillois’ zügel-und regelloses Kinderspiel „Paidia“ verstehen.
Wer mit Paidia ins Gespräch kommen möchte: Wir sind jederzeit per E-Mail, Twitter und Facebook erreichbar. Wir freuen uns über Impulse, Diskussionen und neue Beiträge.
Viel Vergnügen bei hoffentlich erkenntnisreichen Lektüren wünschen
Herausgeber & Redaktion von Paidia
- Ladenthin, Volker: Zocker. In: Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch: Sozialwissenschaftliche Rundschau, H. 11, 1988, S. 60. [↩]
- Unterhuber, Tobias: Emanzipation und Agency – Das Computerspiel als exemplarische Neuverhandlung gesellschaftlicher Ordnung. In: Texpraxis. In Vorbereitung. [↩]
- Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Übers. v. H. Nachod. Reinbek: Rowohlt 1994, S. 21 [↩]
- Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. 1993, S. 350. [↩]
- https://www.paidia.de/?page_id=5202 [↩]
- Foucault, Michel: Was ist Kritik? Übers. v. Walter Seitter. Berlin: Merve Verlag 1992, S. 12. [↩]
- Vgl. Derrida, Jacques: Die unbedingte Universität. Übers. v. Stefan Lorenzer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 13. [↩]
- Vgl. Schellong, Marcel https://www.paidia.de/?page_id=16 [↩]