CfP: “The revolution will (not) be gamified" - Marx und das Computerspiel (15.04.2020)

24. Februar 2020

 

 

 

Seit geraumer Zeit schwirrt der von politisch rechter Seite verwendete inhaltsleere Schein- und Kampfbegriff des “Kulturmarxismus” durch die Gaming-Szene und wird dabei zur Denunzierung ideologischer Gegner*innen und zum Boykott von Spielen eingesetzt. Gleichzeitig gibt es implizite und explizite linke Positionen im Feld der Computerspiele, wie jüngst bei der Verleihung der Game Awards, als die Entwickler*innen des Spiels Disco Elysium sich bei Marx und Engels für ihre politische Bildung bedankten und damit einen intendierten, fast schon gespenstischen Aufruhr damit verursachten. Doch wie lassen sich Marx/Marxismus und digitale Spiele überhaupt zusammen denken?

Nur auf den ersten Blick scheint eine solche Inbeziehungsetzung abwegig. So äußert sich Marx recht konkret zum Verhältnis von Spiel und Arbeit, wenn er schreibt, dass Spiel als Teil der Freizeit zur “volle[n] Entwicklung des Individuums” beitrage, Freizeit aber aufgrund ihrer positiven Rückwirkung auf “die Productivkraft der Arbeit” nicht als einfacher Gegensatz zur Arbeit angesehen werden kann. Dabei kann Marx das Spiel als Selbstzweck und als freie Tätigkeit aufgrund seiner Absage einer ontologischen Begründung nicht positiv bestimmen (Vgl Martens, 1974), mit nachdrücklicher Bestimmtheit behauptet er aber, dass “Arbeit [...] nicht Spiel werden” kann. 

Eine solch klare Position scheint in der Gegenwart schwierig, gerade wenn wir uns mit dem Feld der Computerspiele beschäftigen. So üben wir seit Jahrzehnten freiwillig in Spielen Grundmechanismen des Kapitalismus ein, vor allem in Wirtschaftssimulationen aber allgemein auch in Strategie- und Rollenspielen. Der Begriff “Grinding” bezeichnet das Phänomen, dass unsere Spiele immer mehr Arbeit werden. Die Verschleierung von Arbeit als Spiel dagegen wird unter dem Begriff Gamification zusammengefasst. Auf Seite der Computerspielindustrie steht ein stetig wachsendes Heer von Arbeitenden, die unter teils menschenverachtenden Arbeitsbedingungen (Teilselbstständigkeit, “Crunching”, Auflösung von Betriebsräten) Spiele entwickeln, sich aber vermehrt zu organisieren versuchen (u.a. in Form einer Gewerkschaft). All dies wären nur einige der zu nennenden aktuellen Gegebenheiten. 

Stehen Arbeit und Spiel also in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander? Wie können wir gerade Computerspiele sowohl auf inhaltlicher und formaler Ebene sowie auf Produktions- und Rezeptionsseite in diesem Spannungsverhältnis denken? Aber auch, wie können wir mit Anlehnung an Stuart Hall Computerspiele als “part of the ideological apparatus that justifies our society’s worst impulses and realities” denken, die gleichzeitig “meanings and traditions that challenge that apparatus” bereitstellen können? Mögliche Antworten können wir eben mit einem Rückgriff auf Marx sowie den von ihm angestoßenen Diskursen finden. Wir laden daher Wissenschaftler*innen aller Disziplinen ein, sich auf verschiedensten Ebenen mit Marx und Spiel zu beschäftigen. Dies kann sowohl mit Fokus auf die Seite der Produktion sowie der Rezeption, auf die inhaltliche oder formale Ebene, auf philosophische oder historische Perspektiven geschehen.

Mögliche Themen:

  • Darstellungen von Karl Marx, Sozialismus, Kommunismus bzw. allgemeiner von einem “Klassenkampf” in allen denkbaren Facetten in digitalen Spielen (sowohl in Spielen mit historischem Setting als auch in fiktiven Settings)
  • Darstellungen des Kapitalismus als “auf Warenproduktion, Marktwirtschaft, Investition von Kapital, Lohnarbeit und Profit beruhende Produktionsweise“ in digitalen Spielen
  • Darstellung von Revolutionen in Spielen
  • Gamification (Theorie & Fallbeispiele)
  • Workification (Theorie & Fallbeispiele)
  • Arbeitsbedingungen in der Spielentwicklung
  • Arbeitendenorganisation in der Spieleindustrie
  • Allgemein das veränderte Verhältnis von Arbeit und Spiel
  • Digitale Spiele als systemstabilisierende und systemverändernde Kraft zugleich
  • Exemplifizierung neuerer Theorieentwicklung des Marxismus am Medium Digitales Spiel

Informationen zum Ablauf

Die Beiträge sollen einen Umfang von maximal 35.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) aufweisen.

Bei Interesse senden Sie bitte ein Abstract im Umfang von max. 300 Wörtern bis zum 15. April an paidia(at)germanistik.uni-muenchen.de. Bitte verwenden Sie dabei ein gängiges Format (pdf, doc, docx, rtf). Da wir alle Vorschläge im Blind-Peer-Review-Verfahren sichten werden, achten Sie bitte darauf, dass Ihr Textdokument selbst anonymisiert ist.

Ihnen wird von uns Rückmeldung bis Ende April  gegeben.

Die vollständigen Beiträge sollen bis 31. August eingesendet werden. Die Veröffentlichung der Ausgabe ist für Herbst/Winter 2020 auf PAIDIA (www.paidia.de) geplant. Die Herausgeber*innen streben eine zusätzliche Buchveröffentlichung der Beiträge an, können diese aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht endgültig zusagen. PAIDIA ist ein wissenschaftliches Non-Profit-Projekt, weshalb veröffentlichte Beiträge nicht finanziell entlohnt werden können.

Für Rückfragen zum Thema stehen Ihnen die Herausgeber*innen der Sonderausgabe unter

Eugen Pfister: eugen.pfister(at)univie.ac.at

Tobias Unterhuber: tobias.unterhuber(at)uibk.ac.at

Magdalena Zangerl: magdalena.zangerl(at)gmx.at

gerne zur Verfügung.

 

Bildquelle: Command & Conquer: Red Alert 3 (Shopseite)

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Pfister, EugenUnterhuber, TobiasZangerl, Magdalena: "CfP: “The revolution will (not) be gamified" - Marx und das Computerspiel (15.04.2020)". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 24.02.2020, https://paidia.de/cfp-the-revolution-will-not-be-gamified-marx-und-das-computerspiel-15-04-2020/. [09.12.2024 - 22:28]

Autor*innen:

Eugen Pfister

Eugen Pfister leitet das SNF-Ambizione Forschungsprojekt "Horror-Game-Politics" an der Hochschule der Künste Bern (hgp.hypotheses.org). Er hat Geschichte und Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Paris IV- Sorbonne studiert und an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und an der Universitá degli studi di Trento zur Geschichte der politischen Kommunikation promoviert. Er ist Vorstandsmitglied des Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (gespiel.hypotheses.org) und führt ausserdem noch einen Blog zu "Spiel-Kultur-Wissenschaft" (spielkult.hypotheses.org)

Tobias Unterhuber

Dr. Tobias Unterhuber studierte Neuere deutsche Literatur, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Religionswissenschaft an der LMU München und der University of California, Berkeley. 2018 promovierte er bei Prof. Dr. Oliver Jahraus mit einer Arbeit zum Thema "Kritik der Oberfläche – Das Totalitäre bei und im Sprechen über Christian Kracht". Er ist Post-Doc am Institut für Germanistik, Bereich Literatur und Medien an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Zu seinen Forschungsinteressen zählt neben Popliteratur, Literaturtheorie, Diskursanalyse, Literatur & Ökonomie und Gender Studies auch die kulturwissenschaftliche Computerspielforschung.

Magdalena Zangerl

Magdalena Zangerl arbeitet im Sozialbereich und studiert Germanistik an der Universität Wien mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Themenbereichen Feministische Theorie, Kritische Theorie, progressive linke Politik und Darstellung von Geschlecht sowie Liebe in der Populärkultur.