CfP Computer–Spiel–Werte Didaktische Computerspiel­forschung im Bereich der Werteerziehung (22.06.2015)

6. Mai 2015

Computerspielen kann auf Grund ihrer Beschaffenheit als Erzählmedien, ihrer hohen Alltagsrelevanz für Heranwachsende und insbesondere ihrer spezifischen Medialität – die eine andere Einbeziehung des Rezipienten ermöglicht – eine besondere Relevanz für die schulische Werteerziehung zugesprochen werden.
Wie andere narrative Medien schaffen Computerspiele durch ihre mediale Inszenierung Gelegenheiten zum Miterleben von Geschichten. Das Ein­fühlen in und die Auseinandersetzung mit Figuren und Entscheidungssitua­tionen innerhalb einer Erzählung bilden wichtige Erfahrungswerte in einem geschützten Rahmen. Narrative sind außerdem ein elementarer Teil ethisch­er und moralischer Argumentationen (vgl. auch Joas 2006), gehen in die Begründung des eigenen Handelns ein und haben so auch Einfluss auf das Treffen von Entscheidungen. Die Erschließung von Welt geschieht nach Albrecht Koschorke immer schon über Erzählungen, die als „wechselnde Allokationen von Wahrheit im Prozess kultureller Selbstverständigung“ (2012) gesehen werden können.
Computerspiele sind eine feste Größe im Alltag vieler Kinder und Jugend­licher (vgl. z.B. KIM- und JIM-Studien 2014), aus diesem Grund prägen sie zu einem nicht unerheblichen Teil die Wertediskurse Heranwachsender und die daraus entstehenden Formen ihrer Kinder- und Jugendkulturen. Wenn Irritationen (der Wahrnehmung oder der eigenen Werte) durch Alteritäts­erfahrungen Mittel sind, um die für die Werteerziehung notwendigen Reflexions­prozesse anzuregen und dabei der Gefahr von Ablehnung, Frustration und Desorientierung durch das Anknüpfen an bekannte Muster vorgebeugt werden soll (Maiwald 2001, Rosebrock 2001), dann muss sich die Auswahl von Narrationen für die schulische Werteerziehung (auch) an der Form und der Struktur von Computerspielerzählungen ausrichten.
Durch die spezifische Medialität ist es mit Computerspielen möglich, Entscheidungssituationen zu generieren, die über vergleichbare (narrative) Gedankenexperimente hinausgehen. Der Rezipient ist aktiv und zum Teil unter Zeitdruck in den Prozess eingebunden – er trifft (stellvertretend) konkrete Entscheidungen in der narrativen Welt.
Dass für den Anstoß einer Reflexion des eigenen Handelns innerhalb der Spielwelt das Vorhandensein von Auswahloptionen nicht zwingend notwendig ist, zeigen beispielsweise Spiele wie Daedalics Harveys Neue Augen oder Deponia. Den Spielenden wird es ermöglicht das Handeln im Bezug auf einen Orientierungspunkt zu steuern, Handlungsalternativen werden zwar angeboten, allerdings führen nur bestimmte Optionen den Verlauf der Geschichte weiter. Auf der Ebene der Narration können so Normsysteme als Hindernisse auf dem Weg der Wertbildung von Kindern dargestellt und im Spielen – mittels humorvoll-gefärbter Gewalt – durchbrochen werden.
Andere Spiele geben den Spielenden Handlungsalternativen, präferieren aber bestimmte Handlungsweisen als dominante Strategien wie etwa in This War of Mine (11 bit studios), das auf diese Weise Handlungszwänge in Kriegssituationen darstellt. In Anno 2070 (Ubisoft) ist es möglich in der Perspektive einer (vermeintlichen) Postwachstumsgesellschaft zu spielen, die aber weiterhin einem ökonomistischen Wachstumsdenken verpflichtet bleibt, welche das Spielprinzip der ursprünglich kolonialen Settings der Anno-Reihe ausmacht. Dagegen versorgt Fate of the World (Red Redemp­tion) die Spielenden in simulierten Entscheidungssituation mit bestimmten spielabhängigen Informationen (Prämissen), lässt sie selbst Entscheidungen innerhalb gegebener Begrenzungen treffen und führt ihnen die (langfrist­igen) Folgen ihrer Entscheidungen für den Klimawandel vor Augen.
In Mass Effect und Dragon Age (BioWare) kommt es gar zu einem Spiel mit Moral und Ethik, wenn beispielsweise bestimmten Handlungen 'Paragon'- oder 'Renegade'-Punktewertungen zugeordnet werden, um das Verhalten des Protagonisten (und damit der Spielenden) zu bewerten. Hier fungiert das Computerspiel als moralische Bewertungsinstanz, die der Entscheidung der Spielenden einen intra- oder extradiegetischen Wert beimisst. Neuere Entwicklungen im Bereich (narrativer) Computerspiele übertragen die Bewertung der getroffenen Entscheidungen zunehmend an die Spielenden, die so selbst zur Bewertungsinstanz werden, oder rücken das Entscheiden selbst ins Zentrum, wie beispielsweise in vielen der Tell Tale Games Spielen oder in Spec Ops – The Line des Entwicklerteams Yager.
Um bewusstes Handeln und dessen Reflexion zu erreichen, benötigen Spielende die Fähigkeiten, narrativ-organisierte Szenarios zu erfassen, Prämissen zu bewerten, sowie handlungsleitende Spielstrategien zu entwickeln und flexibel einzusetzen. Sie müssen auf die spielspezifischen Norm- und Wertesysteme zurückgreifen und sich dadurch auch mit ihren eigenen auseinandersetzen. Einer der Bildungsaufträge von Schule besteht nun gerade darin, Heranwachsenden die Fähigkeiten zu vermitteln, eigene und andere (z.B. medial-inszenierte) Werthaltungen zu erkennen, sie zueinander in Beziehung setzen zu können sowie über die eigenen zu reflektieren und gegebenenfalls in der Lage zu sein, diese zu verändern.
Eine reflektierte und kompetente Auseinandersetzung mit Werten, die in Computerspielen dargestellt werden, setzt die Möglichkeit zur (Anschluss-)­Kommunikation und das Wissen auf Seiten der Lehrenden voraus. Auch wo es an der Bereitschaft nicht mangelt, fehlt es oft an Konzepten für den Umgang mit Computerspielen im Unterricht. Dies steht im Kontrast zu der steigenden Zahl an Beiträgen aus dem Feld der Computerspielforschung, wie die Analyseansätze von Hans-Joachim Backe (2008) und Frank Degler (2008), der Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines 'ethischen Computer­spielens' durch Miguel Sicart (2009, 2010, 2013) und den vielen Analysen beispielsweise von den Autoren der Zeitschrift für Computerspielforschung Paidia (2011-2015). Jan Boelmann (2014) spricht sogar davon, dass „die Nutzbarmachung von Computerspielen als Gegenstände des Deutsch­unterrichts [...] als dessen größtes gegenstandsbezogenes Desiderat bezeich­net werden [kann]."
Mit der Paidia-Sonderausgabe "Computer – Spiel – Werte. Didaktische Computerspielforschung im Bereich der Werteerziehung" soll auf dieses Desiderat reagiert werden. Im Fokus stehen dabei die Potentiale der Integration des Computerspiels in den Sprach- und Literaturunterricht für die Werteerziehung. Beiträge aus anderen Didaktiken können gerne eingereicht werden, sofern sie einen Bezug zum Umgang mit Computer­spiel(erzählung)en für die Werteerziehung erkennen lassen. Ebenfalls willkommen sind Beiträge, die etwas zum aktuellen Forschungsstand bezüglich des Handlungsfelds "Computerspiel" im Bereich der didaktischen Forschung leisten. Zur Eingrenzung des Themas werden Lernspiele und Strukturen der Gamification ausgeklammert.
Da es bei dieser Veröffentlichung um didaktische Grundlagenreflexion im Bereich des schulischen Handlungsfelds "Computerspiel" geht, sollten eingereichte Vorschläge deutlich machen, dass es sich beim geplanten Artikel um einen Theoriebeitrag mit Praxisbezug oder einen Praxisbeitrag mit Theorie- und Forschungsanbindung handelt.
Wichtige Aspekte und damit mögliche Themenfelder für Beiträge sind:

  • Beschäftigung mit Computerspielen im Deutschunterricht zum Zweck der Werteerziehung
  • Aspekte der Computerspielanalyse (Strategien der Ästhetik und Ethik)
  • Computerspielerzählungen als 'Narrative der Entscheidung' und ihre Relevanz für die Werteerziehung
  • Explizite und implizite Darstellung und Vermittlung von Werten im Computerspiel
  • Auswahlkriterien von Computerspielen, die für eine Werte­erziehung herangezogen werden können
  • Analysen von relevanten Themen in Computerspielen für die Werteerziehung (z.B. im Bereich der Gender Studies, ökonomi(sti)scher und ökologischer Wertediskurse etc.)
  • Umgang mit 'problematischen' Inhalten (z.B.: Gewalt, Ideologien etc.)
  • Umgang mit heterogener Computerspielkompetenz (Nutzen und Verstehen als Grundlage zur Reflexion von Werten)
  • Transfer von Werten, Weltbildern und -wissen

Abstracts

Bei Interesse senden Sie bitte einen Abstract mit ca. 400 – 500 Wörtern bis zum 22.06.2015 an redaktion@paidia.de. Bitte verwenden sie dabei ein gängiges Format (doc, docx, rtf). Da wir alle Vorschläge im Blind-Peer-Review-Verfahren sichten werden, achten Sie bitte darauf, dass Ihr Textdokument selbst anonymisiert ist.
Ihnen wird von uns Rückmeldung bis 13.07.15 gegeben.
Die vollständigen Beiträge sollen bis 28.09.15 eingesendet werden.
Die Veröffentlichung der Beiträge ist für Ende November hier auf der Seite www.paidia.de angestrebt. Paidia ist ein wissenschaftliches non-profit Projekt, weshalb veröffentlichte Beiträge nur mit Ruhm und Ehre, nicht aber finanziell entlohnt werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Mireya Schlegel und Andreas Schöffmann M.A.

So zitieren Sie diesen Artikel:

Schlegel, MireyaSchöffmann, Andreas: "CfP Computer–Spiel–Werte Didaktische Computerspiel­forschung im Bereich der Werteerziehung (22.06.2015)". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 06.05.2015, https://paidia.de/cfp-computerspiele-didaktik-und-werteerziehung/. [13.12.2024 - 03:09]

Autor*innen:

Mireya Schlegel

Mireya Schlegel studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Fächer Mathematik und Deutsch für das Lehramt an Gymnasien. Ein Forschungs- und Interessensschwerpunkt liegt in den Game Studies sowie der Verbindung bzw. Vereinbarkeit von Computerspielen und Deutschdidaktik.

Andreas Schöffmann

Andreas Schöffmann arbeitet und promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einem Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien mit der Fächerkombination Deutsch, Geschichte, Philosophie/Ethik, Medienpädagogik sowie des Magister Artiums in Neuerer Deutschen Literatur befasst er sich mit der Frage nach einem kompetenten Umgang mit Computerspielen als Teil der Werteerziehung. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der Forschungsstelle Werteerziehung und Lehrerbildung: http://www.wul.germanistik.uni-muenchen.de/personen/mitarbeiter/schoeffmann_andreas/index.html