„Take Command!“
„[The] fighter pilot’s hand grip gives you total control.“
„Arcade accuracy. Arcade control.“
„Built for fast handling to give you lightening fast control.“
„You’re in command.“
„With TAC-2 you know absolutely,
positively the exact moment you make a move – any move.“1
Beim Betrachten von Werbeanzeigen für Joysticks aus den 1980er-Jahren, lange bevor das heute gebräuchliche Steuergerät für Videospielkonsolen in seiner jetzigen Form erfunden und auf den sinnigen Namen ‚Controller‘ getauft wurde, wird offensichtlich, dass man bereits damals wusste, welches das wichtigste Alleinstellungsmerkmal eines Joysticks ist: die Kontrolle, welche die Spieler_innen damit ausüben können. Andere Charakteristika wie Feature-Umfang, Design oder Ergonomie sind zwar mit Sicherheit auch nicht unwichtig, aber generell gilt: Je präziser sich ein Spiel mit dem Eingabegerät steuern lässt, umso besser.
Dieser Stellenwert der Kontrolle mag damit zu tun haben, dass ein digitales Spiel den vermeintlichen Kontrollmangel im normalen Leben zu kompensieren vermag, denn “[e]ven if you have control over nothing else in your life, if you switch on a games console and start playing a game, every single element of that experience is designed to simulate agency”2. Vielleicht liegt der Grund auch anderswo; Fakt ist jedoch, dass ein digitales Spiel ohne die userseitige Möglichkeit, es zu kontrollieren – oder, vorsichtiger ausgedrückt, die Möglichkeit, aktiv damit zu interagieren –, der Eigenschaft, ein Spiel zu sein, beraubt würde. Schließlich ist die conditio sine qua non eines Spiels, analog wie digital, die Tatsache, dass man es spielen, also steuern kann. Ein nicht-interaktives Spiel ist, zumindest sofern man das Spiel als ludus in Caillois’ Sinne3 denkt, in sich kontradiktorisch.
Kontrolle im digitalen Spiel erschöpft sich jedoch nicht darin, den Spieler_innen die größtmögliche Kontrollübernahme über die jeweilige digitale Spielwelt zu ermöglichen. Vielmehr treten Spieler_innen und Spiel in ein komplexes gegenseitiges Verhältnis der Kontrollvergabe und -wegnahme, das unterschiedlich realisiert, aber auch dynamisch verändert werden kann. Im Folgenden werden die Charakteristika des Phänomens Kontrolle im digitalen Spiel in erster Linie aus struktureller Perspektive untersucht. Es wird die These aufgestellt, dass bestimmte Spiele, die das Verhältnis von Kontrollieren und Kontrolliert-Werden, also im Grunde das Zusammenspiel von Freiheit und Unfreiheit, im Spiel neu denken und auf bestimmte Weise verfremden, Analogien zu literarischen Texten aufweisen, wodurch ihnen ebenso – aus Mangel an treffenderen Bezeichnungen – eine gewisse ‚Literarizität‘ zukommt. Hierfür soll zunächst das Verhältnis von Kontrolle und Unfreiheit im Allgemeinen diskutiert werden; darauf aufbauend wird die Kontrolle im Kontext des digitalen Spiels auch und insbesondere als strukturelles Phänomen dargestellt. Schließlich werden mögliche Modifikationen der Grundstruktur des Spiels, und somit auch der Kontrolle, abgeleitet und beispielhaft einige Werke genannt, die sich dieser Herangehensweise bedienen. Die Ausführungen stützen sich dabei in erster Linie auf klassische Texte der Theorie des Spiels sowie auf Vorarbeiten aus Literatur und Literaturwissenschaft, die für den Kontext des digitalen Spiels so weit wie nötig angepasst werden.
Kontrollieren vs. Kontrolliertwerden bzw. Freiheit vs. Unfreiheit
Dem Optimismus der oben erwähnten Werbeanzeigen zum Trotz bleibt eine uneingeschränkte Kontrolle der Spieler_innen im digitalen Spiel auf den ersten Blick illusorisch. Schließlich unterliegen die virtuellen Welten programmiertechnischen Einschränkungen, die sich ihrerseits auf das Ausmaß der Agency auswirken:
The player is not really ‘free’, since their actions are limited to the options created by the game designers, and a big part of good game design is to make the player forget that any other options exist. No one wonders why Mario doesn’t punch a turtle, because such options don’t exist in that world. Mario solves problems by jumping on them – that’s his schtick.4
Dieses Argument gipfelt bisweilen in der Behauptung, dass es sich bei der Freiheit bzw. Agency der Spieler_innen – und somit bei der Möglichkeit der Ausübung von Kontrolle – lediglich um eine Illusion handle.5
In der Tat erscheint es ein wenig kontraintuitiv, Freiheit in einem Spiel zu suchen, wo gerade die konsequente Einhaltung strikter Regeln unabdingbar ist. Bei genauerer Betrachtung jedoch ist dem Einwand, Einschränkung führe bestenfalls zu einer Illusion von Freiheit, für das digitale Spiel im Besonderen, aber auch für die Lebenswelt im Allgemeinen, bestenfalls eingeschränkt stattzugeben. Schließlich impliziert diese Behauptung, dass so etwas wie uneingeschränkte Freiheit bzw. Agency überhaupt existieren kann. Dies ist jedoch nicht zuletzt im realen Leben nie der Fall; der Mensch ist kontinuierlich Einschränkungen durch externe Systeme unterworfen, seien dies das physikalische System (der Mensch kann ohne technische Unterstützung beispielsweise nicht fliegen), das sozial-juristische System (man muss sich an Gesetze halten) oder schlicht eine mangelhafte Infrastruktur (Stuart nennt das einleuchtende Beispiel eines schlecht organisierten öffentlichen Verkehrs).6 Dennoch wäre es mehr als gewagt zu behaupten, dass der Mensch aufgrund dieser Restriktionen a priori keine Möglichkeit hat, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen – falls doch, müsste ein überaus eingeschränkter Freiheits- oder Agency-Begriff angenommen werden, wodurch sich die Diskussion im vorliegenden Kontext gänzlich erübrigen würde.
Sieht man von einer derart radikalen Freiheitsdefinition ab, die wohl in erster Linie philosophisch-theoretischen Nutzen hat, erscheint es nachvollziehbar, dass die Freiheit, Kontrolle auszuüben, innerhalb eines restringierenden Systems durchaus stattfinden kann – wenn nicht sogar muss. Dies zeigt sich außerordentlich gut am Beispiel von (traditionellen) Spielen. Nicht nur befolgen Schachlegende Garri Kasparow oder Basketball-Superstar Michael Jordan dieselben Regeln wie Amateur-Schachspieler_innen oder -Basketballer_innen – und ihr Alleinstellungsmerkmal besteht einzig darin, sich innerhalb der Regeln so zu entfalten, dass sie den größtmöglichen Erfolg erzielen –, ihre ‚Kunst‘ könnte vielmehr ohne die das Spiel qua „Komplex freiwillig akzeptierter Einschränkungen“7 konstituierenden Regeln gar nicht existieren. Paradoxerweise bilden folglich restringierende Systeme oder Settings sowohl eine notwendige als auch eine hinreichende Bedingung für die Möglichkeit der Ausübung von Kontrolle; man ist also nicht trotz, sondern gerade wegen der Einschränkung frei. Die Unmöglichkeit einer – philosophisch gesprochen – absoluten negativen Freiheit, also einer Freiheit von allen Zwängen, kann daher insofern positiv gedeutet werden, als das durch die Einschränkung der negativen Freiheit die positive Freiheit, d. h. die Freiheit, selbstbestimmt etwas zu tun, überhaupt ermöglicht wird.
Auch wenn diese Diskussion im Kontext des digitalen Spiels aktuell erscheint, ist die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Unfreiheit im Allgemeinen freilich alles andere als neu. Neben der Philosophie hat sich natürlich auch das klassische Medium der Literatur des Themas angenommen. Als Beispiel hierfür soll ein Schlüsseltext dienen, der nicht nur das Verhältnis besonders einleuchtend darstellt, sondern dabei auch die Brücke zum Spiel schlägt und daher für den vorliegenden Kontext besonders fruchtbar ist – namentlich Ilse Aichingers 1951 erschienene Kurzgeschichte Der Gefesselte.8 Darin findet sich ein Mann, vermutlich nach einem Überfall, gefesselt auf einer Wiese wieder. Dieser Umstand schränkt ihn zwar aus nachvollziehbaren Gründen ein, ermöglicht ihm aber auch ungeahnte Freiheiten. Im Verlauf des Textes lernt er nicht nur, den marginalen Spielraum innerhalb der Fessel so auszunutzen, dass er sich fortbewegen kann; er bringt sich vielmehr erstaunliche Kunststücke bei und wird gar Zirkusartist: „Alle Möglichkeiten lagen in dem Spielraum der Fesselung“ (S. 13). Auffällig ist hier die Verwendung von „alle“; es ist also nicht nur eine begrenzte Menge von Möglichkeiten vorhanden, die sich aus einer eingeschränkten negativen Freiheit nun mal ergeben, sondern – obgleich kontraintuitiv scheinend – alle denkbaren Möglichkeiten sind es. Etymologisch bemerkenswert ist darüber hinaus die Doppelung der Bedeutung von ‚Spiel‘, die sich im Text wiederfindet. Einerseits bezeichnet das Spiel hier die, mit Caillois gesprochen, freiwillig akzeptierten Einschränkungen, die sogar explizit – man beachte den fast identischen Wortlaut – als „freiwillige Beschränkung“ (S. 15) erwähnt werden; obgleich die Initiation ins Spiel unfreiwillig erfolgte, d. h. vermutlich durch einen Überfall, hätte der Gefesselte spätestens dann, wenn er auf andere Menschen trifft, die Möglichkeit, sich die Fessel durchschneiden zu lassen, worauf er jedoch verzichtet. Andererseits bezeichnet das Spiel bei Aichinger aber auch die Imperfektion eines Systems, die Möglichkeiten zur freien Bewegung eröffnet, analog zum „Spiel eines Getriebes“9. Selbst mit der aus dieser Art von Spiel resultierenden marginalen Kontrolle kann der Gefesselte das ludus-Spiel, in dem er gefangen ist, spielen, d. h. das Hindernis ‚Fessel‘ auf bestimmte Art und Weise überwinden. ‚Überwinden‘ meint hier freilich nicht die eigentliche Abwesenheit der Fessel – also die Rückgewinnung der negativen Freiheit –, sondern den eigentümlichen Umstand, sich so zu verhalten, als ob die Fessel nicht da wäre, obgleich das Fehlen der Fessel eben gerade nicht zu einem solchen Verhalten führen würde.
Es ist also vermutlich kein Zufall, dass das semantische Feld des Spiels in Der Gefesselte verhältnismäßig häufig auftaucht. Sei es das „spielerische […] Muster“ (S. 14) der Bewegungen, die Beschreibung „es ging ihm wie einem Spieler“ (S. 18) oder die Tatsache, dass „[d]ie Kinder […] nur mehr ‚der Gefesselte‘ spielten“ (S. 18). Die Fessel, welche das Spiel im doppelten Sinn ermöglicht, erzeugt eine „unvergleichliche Anmut“ (S. 15), die es ohne sie gar nicht hätte geben können. Das restriktive System wird schließlich sogar gänzlich aufgehoben: „Indem er ganz in [der Fessel, B.P.] blieb, wurde er ihrer auch ledig“ (S. 16). Die Einschränkung transzendiert sich somit selbst und geht in ungeahnte Freiheit und Kontrolle über. Die Geschichte endet konsequenterweise, als man die Fessel gegen den Willen des Gefesselten durchschneidet, wodurch nicht nur das Spiel, welches die Fessel ermöglicht, jäh beendet wird, sondern auch die eigentliche Daseinsberechtigung des Gefesselten verschwindet.
Die Analogie zum digitalen Spiel ist offensichtlich; hier wie dort nehmen Spieler_innen eine Einschränkung der negativen Freiheit in Kauf, mit dem Ziel, die größtmögliche Kontrolle (qua positive Freiheit) auszuüben, als ob es die Einschränkungen nicht gäbe, während gerade selbige die Ausübung von Kontrolle überhaupt möglich machen.
Kontrolle im (digitalen) Spiel
Folglich stehen Freiheit im Sinne der Möglichkeit, Kontrolle auszuüben, und Unfreiheit qua Unterworfensein unter fremde Kontrolle in einem sich gegenseitig zugleich ausschließenden und bedingenden Verhältnis. Dieses Verhältnis ist jedoch nicht unveränderbar und insbesondere das Spiel zeugt davon, dass eine Einflussnahme auf selbiges durchaus möglich ist. So lassen sich die vier Kategorien, in welche Caillois die Spiele einteilt – agon, alea, mimicry und ilinx10 –, auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Kontrolle bzw. Agency betrachten. Dabei zeigt sich, dass jede der vier Kategorien eine bestimmte Neuverhandlung des Besitzes von Kontrolle impliziert:
In Wettkampfspielen (agon), den vermutlich prototypischsten Spielen, üben Spieler_innen innerhalb eines Regelsets so viel Kontrolle aus, wie erlaubt ist, um den größtmöglichen Erfolg zu erlangen. Bei Glücksspielen (alea) hingegen überlassen sie sich zwar vordergründig der Gunst des Schicksals, versuchen dieses aber dennoch auf Umwegen zu kontrollieren, sei es durch (halb-)bewusste Würfel- oder Wetttechniken oder mithilfe quasi-hellseherischer Fähigkeiten. Die zwei verbleibenden Kategorien funktionieren anders: Während bei agon und alea die spielinternen Regeln die Möglichkeiten der Einflussnahme einschränken, verschieben mimicry und ilinx die Grenzen zwischen Spiel und Nicht-Spiel. Bei Verstellungsspielen (mimicry) verändern die Spieler_innen sich selbst mithilfe einer Rolle oder Maske, und bei Rauschspielen (ilinx) verändern sie die Welt um sich herum bzw. die eigene Wahrnehmung davon. So gesehen ließe sich behaupten, dass mimicry und ilinx zwar durchaus eigenständige Spiele sein, aber auch als notwendige Voraussetzung für das Zustandekommen von agon und alea angesehen werden können. Verstellung und Rausch ermöglichen die Transzendenz von Nicht-Spiel zu Spiel und erschaffen so erst den „Zauberzirkel“11, der seinerseits für den Wettkampf oder das Glücksspiel unabdingbar ist. Die Kontrolle bei mimicry und ilinx lässt sich also quasi als ‚übergeordnete‘ Kontrolle verstehen, namentlich als Fähigkeit, Spiel von Nicht-Spiel zu trennen.
Das Medium des digitalen Spiels lässt sich nun, zumindest wenn es sich im weitesten Sinne um ein ludus-Spiel handelt, als eine – von Caillois freilich noch nicht vorgesehene – Kombination aller vier Kategorien verstehen: Die Spieler_innen übernehmen die Rolle eines Avatars (mimicry) und tauchen in einen rauschähnlichen Zustand der Immersion ein (ilinx). Im Spiel selbst versuchen sie, ihnen unbekannte und zumindest partiell zufällig erzeugte Herausforderungen (alea) mithilfe von Intellekt und/oder Geschicklichkeit zu überwinden (agon).12 Das Zusammenwirken aller vier Kategorien trennt das digitale Spiel vom Nicht-Spiel einerseits (mimicry und ilinx) und kreiert ein die negative Freiheit einschränkendes Setting andererseits (alea und agon). Somit wird ein Rahmen vorgegeben, in welchem sich die positive Freiheit, sprich die Kontrolle, der Spieler_innen entfalten kann.
Es ließe sich nun jedoch, partiell über Caillois hinausgehend, behaupten, dass dieses Zusammenwirken der vier Kategorien auch bei vielen herkömmlichen Spielen zu beobachten ist. Und in der Tat könnte man beispielsweise ein Fußballspiel so verstehen: Die Mannschaften übernehmen, nicht zuletzt mithilfe ihrer Trikots, die Rolle von Quasi-Avataren (mimicry) und tauchen in einen alternativen ilinx-Zustand der körperlichen Höchstleistung ein. Die Regeln des Spiels und nicht gänzlich vorhersehbare Ereignisse, beispielsweise das Verhalten der gegnerischen Mannschaft, das Wetter oder die Ballphysik (alea), konfigurieren darüber hinaus die Grenzen, in welchen sich das agon-Spiel vollzieht. Der Unterschied zwischen Fußball und einem digitalen Spiel besteht jedoch darin, dass das Fußballspiel und somit das den Spieler_innen zur Verfügung stehende Ausmaß an Ausübung von Kontrolle, einmal festgesetzt, für gewöhnlich nicht mehr verändert wird. Digitale Spiele haben jedoch die Möglichkeit, das einmal etablierte Setting während des Spielverlaufs zu modifizieren und das Thema Kontrolle auf einer weiteren Ebene im- wie explizit zu thematisieren. Während es bei Fußball beispielsweise kaum denkbar ist, während des Spielverlaufs die Tore zu entfernen oder die Regeln so abzuändern, dass die Mannschaft mit weniger Toren gewinnt,13 wäre dies im Rahmen eines digitalen Spiels absolut machbar. Zugegebenermaßen verzichten viele Titel auf solche und ähnliche Modifikationen, da Spieler_innen häufig eine bestimmte, bereits größtenteils konventionalisierte Verteilung von Kontrolle erwarten. Es wäre entsprechend nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen häufig keine kluge Entscheidung, die Erwartungen der User_innen zu enttäuschen. In der weniger auf kommerziellen Erfolg ausgerichteten Independent-Szene finden spielinterne Kontrolldiskurse jedoch, wie sich im Folgenden zeigen wird, immer häufiger und auf unterschiedlichste Art und Weise statt.
Kontrolle als Struktur
Von einigen frühen Werken und bestimmten Genres wie dem Puzzle-Spiel abgesehen verfügen digitale Spiele so gut wie immer über zwei wahrnehmbare Ebenen. Die primäre ludische Ebene, mit welcher die User_innen interagieren, wird um eine narrative Ebene ergänzt, die als „sekundäre […] Semantisierung ludischer Spielelemente“ fungiert und dem eigentlichen Spiel gegenüber grundsätzlich inferior bleibt, denn „eine Kenntnis der narrativen Rahmung ist im [Spiel, B.P.] nicht notwendig, um die interaktiven Sequenzen erfolgreich zu absolvieren“14. Diese sekundäre Ebene, die häufig unter dem Sammelbegriff „Story“ behandelt wird, folgt sowohl stilistisch wie strukturell meist von Literatur (wie z. B. Dialogen) und Film (wie nicht-interaktiven Cutscenes) bekannten Mustern. Die Charakteristika der primären ludischen Ebene hingegen stehen bei narrativ orientierten Analysen digitaler Spiele vergleichsweise selten im Fokus und werden häufig lediglich als Regelset verstanden. Wird dieses Regelset im konkreten Spiel realisiert, weist es allerdings eine Grundstruktur auf, die mit derjenigen von (literarischen) Erzählungen stark strukturverwandt ist.
Diese vielleicht etwas eigentümlich anmutende Behauptung lässt sich illustrieren, indem zunächst die Struktur einer Erzählung anhand eines literaturwissenschaftlichen Modells betrachtet wird. Entsprechende Modelle gibt es freilich viele; insbesondere der Formalismus und Strukturalismus haben diesbezüglich umfassende Vorarbeiten geleistet.15 Für den vorliegenden Zweck wurde der Ansatz von Labov und Waletzky gewählt,16 der selbst in der strukturalistischen Tradition steht und auf Vorüberlegungen von Sklovskij und Propp aufbaut. Er scheint besonders geeignet, weil er die Charakteristika von Erzählungen einerseits konzis und pragmatisch beschreibt, andererseits empirisch, d. h. auf Basis mündlicher Alltagserzählungen, belegt.
Labov und Waletzky gehen davon aus, dass die kleinstmögliche Grundstruktur einer Erzählung eine chronologische Folge von mindestens vier Elementen bildet: Orientierung, Komplikation, Evaluation und Auflösung. Optional kann ein fünftes Element, die Coda, folgen. Die Orientierung entspricht der Ausgangslage der Erzählung, in welcher die Protagonisten und das Thema definiert werden. Die Komplikation beschreibt den Aufbau der für eine Erzählung zentralen Konflikthandlung. In der Evaluation, die in Texten zeitlich häufig mit dem Höhepunkt des Konfliktes zusammenfällt, wird die Relevanz des Konfliktes reflektiert und kontextualisiert – denn ein irrelevanter Konflikt bedarf keiner Erzählung. Die Auflösung stellt das Ende bzw. die Konsequenzen des Konflikts dar. Die Coda schließlich kann verwendet werden, um die Erzählung abzuschließen; es ist jedoch auch nicht unüblich, dass eine Coda zu einer neuen Orientierung überleitet, denn „[i]n vielen Fällen besteht eine lange Ereigniskette tatsächlich aus mehreren einfachen Erzählzyklen mit zahlreichen Komplikationsteilen“17.
Der Evaluation, also demjenigen Strukturelement, das die Relevanz des Konfliktes hervorhebt, kommt im Modell von Labov und Waletzky eine Sonderrolle zu: Während die anderen Elemente der Erzählung zwingend sprachlich bzw. (in der Terminologie der Autoren) in Form von narrativen (Teil-) Sätzen realisiert werden müssen – und in der visuellen Repräsentation des Modells entsprechend auch eine Achse bzw. einen Übergang zwischen zwei Punkten einer Erzählung darstellen –, muss die Evaluation nicht unbedingt gesondert formuliert werden. Bisweilen ist „die Evaluation als lexikalische oder phrasale Modifikation eines narrativen Teilsatzes gegeben, oder [sie] ist selbst ein narrativer Teilsatz bzw. fällt mit dem letzten narrativen Teilsatz zusammen. Aus diesem Grunde muss die eigentliche Definition der Evaluation durch die Semantik erfolgen […]“18. Die Evaluation ist also
weniger als eigentliches Strukturelement als vielmehr als ein semantischer Modifikator in Bezug auf die Relevanz der Erzählung zu verstehen und wird visuell somit auch nicht als Achse, sondern als ‚Loop‘ dargestellt:
Dass diese Struktur nicht nur auf literarische Texte, sondern mit verhältnismäßig geringer Abstraktion auch auf digitale wie analoge Spiele angewendet werden kann, scheint offensichtlich. Sowohl Spielhandlung als auch Erzählung bestehen aus einer Iteration der konflikt- bzw. komplikationszentrierten Grundstruktur, mit dem Unterschied, dass die Spieler_innen einen Einfluss auf selbige zu nehmen imstande sind. Spiel und Erzählung sind entsprechend strukturhomolog. Eine Analyse des Fußballspiels könnte gemäß Labov und Waletzky also beispielsweise folgendermaßen aussehen:
- Orientierung: Spielverlauf, der zu einem Torversuch führt
- Komplikation: Torschuss
- Evaluation: Spielstand, verbleibende Zeit, Stärke der Mannschaften, Relevanz der Partie usw.
- Auflösung: Tor oder Abwehr
- Coda: Wiederaufnahme des Spiels, direkt oder auf Anweisung des Schiedsrichters.
Der digitale Spiele-Klassiker Tetris19 hingegen ließe sich wie folgt darstellen:
- Orientierung: Auftauchen eines neuen Spielsteins
- Komplikation: möglichst gute Platzierung des Spielsteins unter Zeitdruck
- Evaluation: Spielfortschritt, Anordnung der Spielsteine auf dem Spielfeld, High Score usw.
- Auflösung: erfolgreiche Platzierung des Steins oder Spielende
- Coda: neu konfiguriertes Spielfeld nach der Platzierung des Steins.
Sogar der Urvater des First-Person-Shooter-Genres, DOOM 20, kann auf diese Weise betrachtet werden:
- Orientierung: Begegnung mit Dämonen
- Komplikation: bewaffneter Kampf gegen Dämonen
- Evaluation: Notwendigkeit, die Dämonen zu besiegen und zu überleben – darüber hinaus: Spielfortschritt, Gesundheit des Avatars usw.
- Auflösung: Sieg über die Dämonen oder Ableben des Avatars
- Coda: Fortbewegung zur nächsten Begegnung mit Dämonen.
Orientierung, Komplikation, Auflösung und Coda bezeichnen konkrete Ereignisse im Spiel, während die Evaluation, wie weiter oben erläutert, die Rolle eines im- oder expliziten Modifikators einnimmt. Die Spieler_innen evaluieren die Spielsituation kontinuierlich und spielen so lange, wie das Spiel Sinn ergibt. Führt beispielsweise eine Mannschaft in einem Fußballspiel wenige Minuten vor Schluss 8 : 0, werden die Spieler_innen die Situation entsprechend evaluieren und die Spielintensität verringern – manchmal so sehr, dass das Spiel seines Spiel-Seins so gut wie beraubt wird.
Angesichts dieser Ähnlichkeiten zwischen Erzählung und Spiel überrascht es nicht, dass bereits Sklovskij eine, wenn auch vorsichtig formulierte, Analogie zwischen Literatur und Spiel, genauer dem Schachspiel, zog und die Spielfiguren dem „Emplois des modernen Theaters“, die Sujets den Eröffnungszügen des Spiels und gegnerische Schachzüge den „Aufgaben und Peripetien“ einer Erzählung gegenüberstellte.21 Lotman vertiefte diese Analogie und behauptete eine Ähnlichkeit zwischen literarischem Text und Spiel, da ersterer „über eine Reihe von Wesenszügen [verfügt, B.P.], die sich den spielerischen Modellen annähern. Die Rezeption (und Produktion) des Kunstwerks erfordert ein besonderes – künstlerisches – Verhalten, das eine Reihe gemeinsamer Züge mit dem Spielverhalten aufweist.“22 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass diese Vergleiche nicht nur als Verständnis erleichternde Metaphern verstanden werden können, sondern dass Spiel (im Sinne einer primär-ludischen Spielebene) und literarische Erzählung in der Tat strukturhomolog funktionieren.
Was hat Struktur aber mit Kontrolle zu tun? Die soeben dargestellte Grundstruktur bzw. „Normalform“23 der Erzählung – und im Analogieschluss des Spiels – bildet den Rahmen, in welchem sich die Aufteilung der Kontrolle zwischen Spiel und Spieler_innen vollzieht. Die Normalform definiert die Ausgangslage des Spiels, das Spielziel sowie die den Spieler_innen zur Verfügung stehenden Mittel, um ebendieses Ziel zu erreichen.
Wie weiter oben bereits angedeutet, verfügt demgegenüber das digitale Spiel über das – häufig ungenutzt bleibende – Potenzial, die Normalform des Spiels zu modifizieren. Eine Realisierung dieses Potenzials zieht jedoch zwei gewichtige Effekte nach sich: Einerseits wird bei einer Veränderung der Normalform zwangsläufig auch das Ausmaß an Kontrolle zwischen Spiel und Spieler_innen neu verteilt – analog zum obigen Beispiel des Fußballspiels, bei welchem plötzlich die Tore entfernt werden –, andererseits ist nach Sklovskij ausgerechnet das Verfahren der strukturellen Modifikation die Voraussetzung für das Zustandekommen von Literarizität bzw. künstlerischer Qualität im Allgemeinen.24 Mittels Abweichung von ‚gewöhnlicher‘ Sprache, die als Normalform verstanden wird – wobei Sklovskij den Begriff noch nicht kennt und auch nicht deutlich zwischen rhetorischer und struktureller Abweichung, also rein sprachlicher vs. strukturell-narrativer Verfremdung gewöhnlicher Sprache, unterscheidet –, kommt Verfremdung zustande, die ihrerseits eine konventionalisierte Rezeption erschwert, wodurch nach Sklovskij wiederum ein, bei ihm freilich in erster Linie literarisches, Kunstwerk entsteht:
Das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozess ist in der Kunst Selbstzweck und muss verlängert werden […].25
Künstlerische Verfremdung schafft also einen neuen Blick auf das Vertraute, oder auf das Spiel übertragen, eine neue Reflexion der Kontrollverhältnisse. Im Folgenden sollen drei Varianten solcher strukturellen Verfremdungen dargestellt und einige Werke, die selbige anwenden, in aller Kürze diskutiert werden.
Veränderung von Struktur als Veränderung von Kontrolle
Digitale Spiele, die von einer als Normalfall akzeptierten Struktur abweichen, stoßen nicht selten in der Gaming-Community auf Ressentiments – sie stellen schließlich die Grenzen dessen, was ein digitales Spiel sein kann und soll, infrage. Es wird daher vorgeschlagen, entsprechende Werke terminologisch von digitalen Spielen zu trennen und als „digital-interaktive Narrative“26 zu bezeichnen.27 Eine klare Trennung zwischen digitalen Spielen und digital-interaktiven Narrativen dürfte in der Praxis schwierig werden, da die Grenzen fließend sind; dennoch sollen im Folgenden zwei Möglichkeiten der Abweichung von der Normalform des Spiels dargestellt werden. Diese Einteilung ist jedoch keinesfalls als exhaustiv zu verstehen, sondern soll vielmehr eine erste Annäherung an eine mögliche Systematisierung darstellen und zum Weiterdenken anregen.
Digital-interaktive Narrative verfremden also, so die hier vertretene These, die narrative Struktur ihrer primär-ludischen Ebene. Diese Verfremdung besitzt zwar notwendigerweise eine selbstreflexive Komponente, welche auf unterschiedliche Arten realisiert werden kann:
- Eines oder mehrere Elemente der strukturellen Normalform (Orientierung, Komplikation, Auflösung, Coda, evtl. auch die Evaluation) können modifiziert oder ausgelassen werden. Dies ist häufig die einfachste Form von Verfremdung.
- Zur Auflösung der Komplikation werden den Spieler_innen nicht nur Mittel innerhalb der Spielwelt an die Hand gegeben, sondern die Charakteristika der Welt selbst – konkret ihre Räumlichkeit und Zeitlichkeit – werden zu manipulierbaren ‚Gegenständen‘. Anders als bei der ersten Art von Verfremdung modifiziert hier nicht mehr das Spiel selbst die Strukturelemente; vielmehr werden die Spieler_innen angehalten, den Konflikt mittels Eingriffen in die raumzeitliche Struktur umzudeuten.
- Schließlich kann das strukturelle Gemachtsein des Spiels nicht nur implizit, sondern explizit, also quasi-poetologisch reflektiert und/oder infrage gestellt werden, nicht selten mit konkreten Auswirkungen auf die Interaktion der Spieler_innen mit dem Spiel. Dies ist häufig die komplexeste Form von Verfremdung, aber freilich auch die sichtbarste, da sie sich selbst thematisiert.
Alle drei Arten von Verfremdung haben einen direkten Einfluss auf die Verteilung der Kontrolle zwischen Spieler_innen und Spiel – im Folgenden dazu einige ausgewählte Beispiele:
Werke der ersten Kategorie verfremden die Elemente der narrativen Normalform, wie sie von Labov und Waletzky beschrieben werden, oder lassen sie ganz aus. Ein besonders ungewöhnliches Beispiel hierfür bildet Tetris 1D,28 ein Spiel, dessen Urheber_innen unbekannt sind und das online in unterschiedlichen Versionen zu finden ist. In dieser Variante des Spiele-Klassikers hat das Spielfeld die Breite eines einzigen Quadrates und alle Steine, die zu platzieren sind, sind Varianten des I-förmigen Spielsteins. Das Spiel spielt sich also von selbst, und es ist nicht möglich zu verlieren. Die User_innen können höchstens die Steine schneller oder langsamer fallen lassen. Der Konflikt, d. h. die Notwendigkeit, aus Spielsteinen eine lückenlose horizontale Reihe zu bilden, ist zwar streng genommen immer noch vorhanden, wird aber ad absurdum geführt, weil die Kontrolle der Spieler_innen keinen Effekt mehr hat.
Einen Schritt weiter geht das experimentelle Narrativ Freedom Bridge29, dessen Protagonist, dargestellt als abstraktes Quadrat, über diverse Stacheldrähte ‚klettern‘ muss, um eine Brücke zu erreichen. Das Überqueren des Stacheldrahtes macht den Protagonisten langsamer und eine Blutspur deutet auf Verletzungen hin. Das Besondere an Freedom Bridge ist allerdings, dass die Brücke, einmal erreicht, nie passiert werden kann; befindet sich der Protagonist in deren Mitte, wird er in jedem einzelnen Spieldurchgang von einer unbekannten Instanz erschossen. Die sekundäre Narration kontextualisiert das Spiel: Die Freedom Bridge ist eine Brücke zwischen Nord- und Südkorea und der Protagonist steht stellvertretend für nordkoreanische Bürger, die versuchen, die Grenze nach Südkorea zu überschreiten. Die Unmöglichkeit, den vorhandenen Konflikt aus eigener Kraft zu lösen sowie das Fehlen von Auflösung und Coda schränken die Einflussmöglichkeit der User_innen folglich extrem ein – aber ohne ebendiese Kontrollwegnahme würde das Spiel auf narrativer Ebene nicht funktionieren.
Analog funktioniert The Plan30, ein Werk, das die User_innen die Rolle einer Fliege einnehmen lässt, die sich von unten nach oben bewegt. Die Bewegungsfreiheit nach links und rechts ist zwar gewährleistet, allerdings bietet die Spielwelt keine Hindernisse, die zu bewältigen wären; das gesamte Spielprinzip besteht aus dem Nach-oben-Fliegen. Nach einigen Minuten zoomt die Kamera heraus und am oberen Bildschirmrand erscheint eine riesige Glühbirne, mit der die Fliege zwangsläufig kollidiert und daher – vermutlich – verbrennt. Bemerkenswert ist, dass trotz der sehr kurzen Spielzeit und des nicht auflösbaren Konfliktes das Gratisspiel gegenwärtig über 90% positive Bewertungen auf der Vertriebsplattform Steam hat.31 Einen ähnlichen Kunstgriff verwendet der First-Person-Titel Thirty Flights of Loving32: Der Protagonist des Narrativs bereitet sich mit Komplizen auf einen Raubüberfall vor, der jedoch nie dargestellt wird. Spielbar sind lediglich Sequenzen davor und danach. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – wurde das Storytelling von Thirty Flights of Loving von Kritikern hochgelobt.
Nicht unerwähnt bleiben sollen darüber hinaus die häufig pejorativ als ‚Walking Simulators‘ bezeichneten Werke wie Dear Esther33 oder Gone Home34, die sich dadurch auszeichnen, dass eine ludische Normalform im eigentlichen Sinn gar nicht mehr vorhanden ist. Eine Strukturierung findet nur noch auf der sekundären narrativen Ebene statt. Das digital-interaktive Narrativ entfernt sich in einem solchen Fall weg vom Ludus- hin zum Paidia-Spiel; den Spieler_innen bleibt – vom Laufen und Betrachten abgesehen – keine Möglichkeit der Einflussnahme. Sie können lediglich einzelne Elemente der Story rezipieren, die ihrerseits jedoch wiederum nicht in einer Normalform vorliegen und entsprechend User_innen-seitig in eine sinnvolle Struktur gebracht werden müssen.
Als zumindest vorläufiger Höhepunkt dieses Prinzips kann Her Story35 gelten; dabei handelt es sich, überspitzt gesagt, um einen Walking Simulator, der sogar auf die Tätigkeit des Walkings verzichtet. Das radikal reduzierte Werk lässt die User_innen Interview-Fragmente, die von verschiedenen Verhören derselben Person stammen, in einer Polizeidatenbank einsehen. Die Fragmente sind jedoch nicht alle von Beginn an zugänglich und müssen mittels einer Suche nach passenden Stichworten, die die User_innen in einzelnen Videos aufschnappen, gefunden werden. So gestaltet sich jeder Spieldurchgang individuell, wobei die Chance besteht, dass nur ein kleiner Teil der Interview-Fragmente überhaupt gefunden wird. Des Weiteren hat das Spiel auch kein eigentliches Ziel; nach einiger Zeit erhält der Avatar eine E-Mail mit der Frage, ob er die Antworten gefunden habe, die er suchte. Bejaht man die Frage, ist das Spiel zu Ende. Das Generieren einer Erzählstruktur wird also zur Gänze den User_innen überlassen und entsprechend divergieren ihre Interpretationen des Narrativs.
Werke, die User_innen-seitige Veränderungen der eigenen Zeitlichkeit und Räumlichkeit zulassen, können zur zweiten Kategorie digital-interaktiver Narrative gezählt werden, da sie Spieler_innen eine Möglichkeit der Komplikationsauflösung an die Hand geben, die sich nicht nur innerhalb der dargestellten Welt abspielt, sondern vielmehr die Beschaffenheit der Welt selbst zum Interaktionsgegenstand erklärt. Dieser Ansatz erfreut sich immer größerer Beliebtheit; bereits im Puzzle-Plattformer Braid 36 macht die Möglichkeit, die Zeit vor- und zurückzubewegen, die zentrale Spielmechanik aus. Der Shooter Super Time Force Ultra37 hingegen erlaubt es den User_innen, nacheinander gespielte Passagen zeitgleich ablaufen zu lassen, um beispielsweise mehr Feuerkraft gegen starke Gegner zu erhalten. In beiden Werken ist das kontraintuitive Denken der Zeit im Spiel notwendige Voraussetzung für den Erfolg.
Analog zur Zeit bietet auch der Raum digital-interaktiver Narrative ein beliebtes Experimentierfeld. Während die meisten digitalen Spiele bei der Kreation von Räumen fotorealistische Ästhetik und zumindest glaubwürdige Physik anstreben, kreieren digital-interaktive Narrative häufig spektakuläre Räume38, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht-euklidisch, unmöglich oder irrational sind. Das berühmteste Beispiel ist vermutlich Portal 39. Die Spieler_innen können in diesem 3D-Puzzlespiel mittels einer ‚Portal Gun‘ Eintritts- und Austrittsportale an (beinahe) beliebigen Stellen im Raum platzieren und beim Betreten des Eintrittsportals werden sie in Echtzeit zum Austrittsportal teleportiert. Daraus ergeben sich teilweise merkwürdige Situationen; so können User_innen-Avatare in einem unendlichen Fall steckenbleiben (wenn die Portale genau übereinander platziert werden) oder der Avatar sieht sich bei bestimmten Portal-Konstellationen selbst in ein Portal steigen. Andere Werke, wie z. B. Antichamber40, machen die Darstellung des Raums davon abhängig, wie sich der Avatar darin bewegt; den Möglichkeiten des digitalen Spiels sind schließlich nur wenige physikalische Grenzen gesetzt.
Aufgrund der Möglichkeit (oder gar Notwendigkeit) der raumzeitlichen Manipulation sehen sich die Spieler_innen in allen diesen Beispielen gezwungen, die Komplikation kontraintuitiv aufzulösen. Statt einer vermeintlich einfachen Auflösung innerhalb der Grenzen der Spielwelt werden diese Grenzen selbst zum Gegenstand der Modifikation, wodurch die Beschaffenheit der Komplikation grundlegend verfremdet wird.
Die dritte Kategorie digital-interaktiver Narrative zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur die strukturellen Elemente modifiziert werden, sondern die Modifikation darüber hinaus explizit selbstreflexiv – also im eigentlichen Sinn poetologisch – thematisiert wird. Dies kann mittels expliziter Referenzen geschehen, aber auch durch die Modifikation der eigenen raumzeitlichen Struktur oder gar die Veränderung des eigenen Programmcodes. Im Folgenden werden Beispiele für jede der drei Varianten aufgeführt.
Das wohl bekannteste Werk, das vom selbstreflexiven Potenzial des digitalen Spiels zugleich am intensivsten Gebrauch macht, ist das First-Person-Erzählexperiment The Stanley Parable41, das bereits vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Analysen war42 und hier daher nur kurz erwähnt werden soll. Die Geschichte um den einfachen Büroangestellten Stanley, der, begleitet von einem Off-Erzähler, plötzlich entdeckt, dass sämtliche seiner Arbeitskollegen verschwunden sind, beginnt als einfacher ‚Walking Simulator‘ mit eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten und endet in einer fulminant-humoristischen Auseinandersetzung zwischen Off-Erzähler, User_innen und Avatar, in welcher kontinuierlich Spieldurchläufe neu angesetzt, Räume alteriert, die Agency der User_innen verhandelt und narrative Eigenschaften digitaler Spiele infrage gestellt werden. Die Möglichkeit, das Spiel so zu kontrollieren, wie es der Off-Erzähler gerade nicht will, „führt zu subversiven Paradoxen immer dort, wo eine Spielerhandlung den Erzählerkommentar düpiert und den Erzähler zu Versuchen nötigt, mittels Drohungen, Verbrüderungsversuchen, autoritativen Gesten oder Zugeständnissen die Observanz des Spielers zu erzwingen“43.
Das 2016 erschienene Werk Pony Island 44 wählt einen anderen, aber nicht minder interessanten Ansatz: Es inszeniert eine Art Mise en abyme, indem der Avatar im Spiel Pony Island seinerseits ein Arcade-Spiel „Pony Island“ spielt, das jedoch, wie sich später herausstellt, von niemand Geringerem als Satan programmiert wurde, um die Seelen der User_innen zu rauben. Im Laufe des Spiels erkennt der Avatar jedoch die mangelhaften Informatikkenntnisse Satans und programmiert das Spiel zu seinen eigenen Gunsten um. Die Spieler_innen lösen den Konflikt also nicht mithilfe traditioneller Problemlösungsverfahren, sondern indem sie den Konfliktträger selbst verändern. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um den eigentlichen Programmcode des Spiels (ein entsprechendes Beispiel siehe weiter unten), sondern um den fiktiven Code des Arcade-Spiels im Spiel, wodurch Pony Island zu einer Metareflexion über Spieleprogrammierung avanciert.
Noch einen Schritt weiter geht das mittlerweile zum Kultspiel avancierte RPG Undertale45. In diesem vermeintlich traditionellen Rollenspiel erhalten die Spieler_innen die Möglichkeit, sich jeglicher Gewalt zu enthalten und sich somit freiwillig dem Konflikt zu entziehen. Im Laufe des Spiels überschreitet ein/e Gegner_in jedoch die Grenze zwischen Spielwelt und Interface und zerstört das zentrale Interface-Element „Mercy“, was Spieler_innen Kontrolle wegnimmt, indem es sie – paradoxerweise – dazu zwingt, den anstehenden Kampf gewaltsam zu lösen. Im weiteren Verlauf greift das Spiel sogar in das Dateisystem auf dem Rechner ein und löscht unwiederbringlich die Spielstand-Datei, wodurch den Spieler_innen die Möglichkeit genommen wird, das gespeicherte Spiel zu laden und somit die Struktur des Narrativs in einem alternativen Spielverlauf zu manipulieren.
Abschließend soll das vielleicht eindrücklichste Beispiel eines Werkes, das Kontrolle im Spiel reflektiert, erwähnt werden, nämlich das 2019 erschienene Baba Is You46. Das Besondere an diesem Rätselspiel ist, dass die Zuweisungs- bzw. Gleichsetzungsoperatoren im Programmcode (= bzw. ==) als manipulierbare Textelemente innerhalb der Levels dargestellt sind – nach dem Muster ‚X is Y‘ oder ‚X is Y and Z‘. Verschiebt der/die User_in die Elemente beispielsweise so, dass sich ‚Rock is Push‘ ergibt, so kann der Avatar, ein weißes schafähnliches Tier namens Baba, einen im Level vorhandenen Felsen verschieben, was vorher nicht möglich war. Technisch gesprochen erhalten die Objekte des Spiels infolge des User_innen-Inputs kontinuierlich neue Eigenschaften (beweglich/unbeweglich, durchlässig/undurchlässig, gefährlich/ungefährlich usw.) oder werden gar neuen Klassen zugeordnet, was sich sowohl auf das Erscheinungsbild als auch die Interaktionsmöglichkeiten auswirkt. Doch damit nicht genug: Auch der Avatar selbst lässt sich modifizieren; wird der On-Screen-Text beispielsweise so verändert, dass sich ‚Baba is Key‘ ergibt, verwandelt er sich in einen Schlüssel, den der/die User_in nun steuern kann usw. Sogar die Gewinnbedingung ist variabel; normalerweise muss, um einen Level zu beenden, eine Flagge berührt werden, doch auch dieser Umstand ist als Textelement (‚Flag is Win‘) realisiert und somit grundsätzlich veränderbar. Es ist auch durchaus möglich, sich in unlösbare Situationen hineinzumanövrieren; in diesem Fall muss das Spiel an einen vorherigen Punkt ‚zurückgespult‘ werden. Die Variations- bzw. Kombinationsmöglichkeiten, die Spieler_innen zur Verfügung stehen, werden durch das Leveldesign zwar gelenkt, sind aber grundsätzlich nur dadurch eingeschränkt, dass es im Spiel eine endliche Anzahl Objekte und Klassen gibt. Baba is You gibt Spieler_innen infolgedessen dermaßen viel Kontrolle, dass die strukturelle Normalform des Spiels zur Gänze dynamisch wird und sich kontinuierlich verändert. Jede neue Anordnung der Textelemente stellt die Orientierung, die Komplikation sowie die Evaluation auf den Kopf und erschafft so im Grunde kontinuierlich ein neues Spiel.
Alle drei beschriebenen Formen der Verfremdung führen zu einer Modifikation der User_innen-seitigen Kontrolle, entweder indem sie diese einschränken (wie bei der Modifikation der narrativen Grundstruktur gemäß Labov und Waletzky), verlagern (bei der Beeinflussung raumzeitlicher Charakteristika) oder ad hoc gänzlich verändern bzw. ‚randomisieren‘ (bei der expliziten Selbstreflexion). Als Illustration, inwiefern dies bei einem traditionellen Spiel undenkbar ist, sei nochmals auf die Fußball-Analogie verwiesen: Eine Verfremdung der ersten Kategorie könnte beispielsweise darin bestehen, wie oben angedeutet, dass die Tore vom Schiedsrichter entfernt werden, womit die Komplikation ihres Sinnes beraubt bzw. die Evaluation in extremis manipuliert würde. Eine Verfremdung der zweiten Kategorie würde es den Spieler_innen erlauben, das Spielfeld während des Spiels anzupassen und z. B. das eigene Tor für den Gegner unerreichbar zu platzieren oder das gegnerische Tor zum Ball zu tragen, um zu punkten. Eine Verfremdung der dritten Kategorie schließlich würde beispielsweise bei jedem erfolgreichen Pass die Regeln des Fußballspiels an sich modifizieren. Diese absurd anmutenden Veränderungen der Kontrolle bzw. Kontrollwegnahme wären für einen Großteil der traditionellen Spiele verheerend, im Fall digital-interaktiver Narrative sind sie jedoch nicht nur denkbar, sondern sogar konstitutiv.
Fazit
In Literatur und Drama ist Verfremdung, wie sie von Sklovskij angedacht und – zumindest im deutschsprachigen Raum – von Brecht47 und Frisch48 sowohl theoretisch weitergedacht als auch auf der Bühne umgesetzt wurde, bereits lange etabliert. Dieser Beitrag hat versucht, aufzuzeigen, dass sich auch das Medium des digitalen Spiels immer häufiger dieses etablierten Verfahrens bedient. Dies führt einerseits zu einer Neuverhandlung der Distribution von Kontrolle im Spiel und andererseits – aber damit zusammenhängend – dazu, dass diese Werke eine Qualität erreichen, für die bislang vermutlich noch kein etablierter Terminus existiert, die aber, möchte man Sklovskijs Idee folgen, mit der Literarizität zumindest Ähnlichkeiten aufweist. Wie sich diese genau gestaltet, muss allerdings künftigen Einzelfallanalysen vorbehalten bleiben.
Den zahlreichen aufgeführten Beispielen zum Trotz – freilich wären noch viele weitere denkbar – sind Verfremdungstechniken in digitalen Spielen jedoch nach wie vor alles andere als etabliert und der Spielemarkt wird von konventionell strukturierten Titeln dominiert. Ob digital-interaktive Narrative, wie sie weiter oben beschrieben wurden, auch in Zukunft entwickelt werden oder einen bereits im Verschwinden begriffenen Trend darstellen, wird sich zeigen. Erfolglose Nischenprodukte sind sie jedoch keineswegs, werden sie doch bisweilen durchaus mehrere Hunderttausend Mal verkauft, wodurch die neuartige ‚Literarizität‘ des Mediums nicht nur Beachtung seitens Kritiker_innen und Akademiker_innen, sondern auch eine umfassende Rezeption erfährt.
Vielleicht könnte ein progressives Ausloten dieses quasi-literarischen Potenzials des digitalen Spiels nicht zuletzt auch für die Analyse traditioneller Erzählmedien relevant sein; denn obwohl digital-interaktive Narrative zweifelsohne noch nie dagewesene mediale Erfahrungen ermöglichen, wenden sie dennoch basale literarische Verfahren an. Ein Studium solcher Verfahren könnte unter Umständen denselben Effekt wie die Verfremdung selbst erreichen, namentlich einen ungewohnten neuen Blick auf das (allzu) Bekannte, der vielleicht sogar zu einer Re-Evaluierung vermeintlich wohlbekannter Phänomene und Termini traditioneller Textwissenschaften führen würde.
Medienverzeichnis
Spiele
Barlow, Sam: Her Story (PC). Großbritannien: Sam Barlow 2015.
Blendo Games: Thirty Flights of Loving (PC). USA: Blendo Games 2012.
Bruce, Alexander: Antichamber (PC). Australien: Demruth 2013.
Capybara Games: Super Time Force Ultra (PC). Kanada: Capybara Games 2014.
Daniel Mullins Games: Pony Island (PC). Kanada: Daniel Mullins Games 2016.
Fox, Toby: Undertale (PC). USA: Toby Fox 2015.
Galactic Café: The Stanley Parable (PC). USA: Galactic Café 2013.
Hempuli Oy: Baba Is You (PC). Finnland: Hempuli Oy 2019.
id Software: DOOM (PC). USA: GT Interactive 1993.
Krillbite Studio: The Plan (PC). Norwegen: Krillbite Studio 2013.
necessarygames.com: Freedom Bridge (PC). USA 2010. <https://www.necessarygames.com/my-games/freedom-bridge> [20.6.2019].
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o. A.: Tetris 1D (PC). o.J.
Paschitnow, Aleksei: Tetris (Elektronika 60). UdSSR 1984.
The Chinese Room: Dear Esther (PC). Großbritannien: The Chinese Room 2012.
The Fullbright Company: Gone Home (PC). USA: The Fullbright Company 2013.
Valve Software: Portal (PC). USA: Valve Software 2007.
Texte
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Bauer, René; Kato, Hiloko: Der spektakuläre Raum. Regeln und Leitsysteme irrationaler Computerspiele. In: Hennig, Martin; Krah, Hans. (Hg.). Spielzeichen II. Raumspiele/Spielräume. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbusch 2018, S. 104–132.
Brecht, Bertolt: Kleines Organon für das Theater. In: Brecht, Bertolt: Schriften zum Theater, Band 7. Berlin, Weimar: Aufbau 1964, S. 12–63.
Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Berlin: Matthes & Seitz 2017.
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Erdbeer, Robert Matthias: On the Verge of the Game. Shared Narrative and Playability in Independent Gameplay. In: Spasova, Kamelia et al. (Hg.). ПАРАЧОВЕШКОТО: грация и гравитация / The Parahuman: Grace and Gravity. Sofia: Св. Климент Охридски 2017, S. 79–115.
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Greimas, Algirdas Julien: Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen. Braunschweig: Vieweg 1971.
Hennig, Martin: Spielräume als Weltentwürfe. Kultursemiotik des Videospiels. Marburg: Schüren 2017.
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Lotman, Jurij: Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015.
Peric, Bojan: Das dreifache Immersionssubjekt. Subjektspaltung und -Konstruktion im Computerspiel. In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. <https://www.paidia.de/das-dreifache-immersionssubjekt-subjektspaltung-und-konstruktion-im-computerspiel/> [20.06.2019]
Propp, Vladimir: Morphologie des Märchens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986.
Sargent, J. F.: Videogame Bigotry and the Illusion of Freedom. How game designers turn prejudice into play. In: Fair. 01.11.2012. <https://fair.org/extra/videogame-bigotry-and-the-illusion-of-freedom/> [30.06.2019]
Sklovskij, Viktor: Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren. In: Striedter, Jurij (Hg.): Russischer Formalismus. München: Fink 1988, S. 37–121.
Sklovskij, Viktor: Die Kunst als Verfahren. In: Striedter, Jurij (Hg.): Russischer Formalismus. München: Fink 1988, S. 5–35.
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Stuart, Keith: Video games aren’t about power – they’re about agency. In: The Guardian. 16.10.2015. <https://www.theguardian.com/technology/2015/oct/16/video-games-power-agency-control> [20.06.2019].
- Die Zitate entstammen Werbeanzeigen für Joysticks aus den 1980er-Jahren. Die beworbenen Produkte sind (in dieser Reihenfolge): Kraft Premium Joystick, discwasher PointMaster Competition Joystick, Wico Command Control Joystick, Konix Speedking Joystick, Wico Computer Command Joystick, Suncom TAC-2 Joystick. Wie wichtig den Herstellern die Möglichkeit der Ausübung größtmöglicher Kontrolle erschien, lässt sich nicht zuletzt an den Produktnamen ablesen.[↩]
- Stuart: Video games aren’t about power. 2015[↩]
- Zu den Termini ludus und paidia vgl. Caillois: Die Spiele und die Menschen. 2017,
S. 51 ff., passim.[↩] - Sargent: Videogame Bigotry. 2012, Hervorh. i. Orig.[↩]
- Vgl. stellvertretend für andere Charles: Playing with one’s self. 2009, S. 285 ff.[↩]
- Vgl. Stuart: Video games aren’t about power. 2015.[↩]
- Caillois: Die Spiele und die Menschen. 2017, S. 10[↩]
- Vgl. Aichinger: Der Gefesselte. 1991. Vgl. auch die Analyse im Spiel- und Modellkontext in Erdbeer: Poetik der Modelle. 2015.[↩]
- Caillois: Die Spiele und die Menschen. 2017, S. 11, Hervorh. i. Orig.[↩]
- Zu den Termini vgl. Caillois: Die Spiele und die Menschen. 2017, S. 32 ff.[↩]
- Zum Begriff vgl. Huizinga: Homo Ludens. 2015, S. 29.[↩]
- Diese allgemeine Darstellung gilt freilich nicht uneingeschränkt für alle Arten des digitalen Spiels, dessen Ausformungen bekanntlich sehr vielfältig sein können; so verfügen einige Spiele über keinen eigentlichen Avatar, andere (wie klassische Point-and-Click-Adventures) weisen wenige bis keine alea-Elemente auf. Entsprechend sind die Ausführungen als allgemeine Annäherung mit möglichen Abweichungen zu verstehen.[↩]
- Zumindest nicht in einem kompetitiven Spiel; im Training sind solche und ähnliche Modifikationen durchaus möglich. Folglich hat auch ein analoges Spiel entsprechendes Potenzial, das jedoch, wie erwähnt, selten realisiert wird.[↩]
- Hennig: Spielräume. 2017, S. 107[↩]
- Vgl. stellvertretend für andere Sklovskij: Sujetfügung. 1988; Greimas: Strukturale Semantik. 1971; Propp: Morphologie des Märchens. 1986; Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes. 2015.[↩]
- Vgl. Labov/Waletzky: Erzählanalyse. 1972.[↩]
- Vgl. ebd., S. 112.[↩]
- ebd., S. 118[↩]
- Paschitnow: Tetris. 1984[↩]
- id Software: DOOM. 1993[↩]
- Sklovskij: Sujetfügung. 1988, S. 107[↩]
- Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes. 2015, S. 108[↩]
- Labov/Waletzky: Erzählanalyse. 1972, S. 124[↩]
- Vgl. Sklovskij: Die Kunst als Verfahren. 1988, S. 7, S. 15 f.[↩]
- ebd., S. 15[↩]
- Diese Terminologie orientiert sich an Aarseth: Genre Trouble. 2004: “[I]n the words of a prominent Scandinavian literary theories, computer games are a sign of cultural decay. Perhaps they need a new name – how about ‘interactive narratives’?”[↩]
- Digital-interaktive Narrative sind hierbei nicht als reine Unterkategorie von digitalen Spielen zu verstehen. Bei einigen Werken ließe sich dies zwar behaupten, schwierig wird es aber, wenn es sich um Titel handelt, die auf basale Charakteristika eines Spiels verzichten – beispielsweise auf die Möglichkeit, das Spiel zu gewinnen oder zu verlieren. Argumente, die beispielsweise Dear Esther als Nicht-Spiel klassifizieren, sind schließlich durchaus nachvollziehbar. Um diese und ähnliche terminologische Schwierigkeiten zu vermeiden (wie kann etwas eine Unterform von X sein, wenn es das entscheidende Definiens von X nicht besitzt?), müsste von einer Unterkategorie ausgegangen werden, die ‚an den Rändern ausfranst‘, was allerdings auch nicht befriedigend wäre. Daher wird hier eine alternative Herangehensweise vorgeschlagen, die von einer Verfremdung der Struktur der primär-ludischen Ebene ausgeht und somit eine – so ist zu hoffen – präzisere Trennung ermöglicht.[↩]
- o. A.: Tetris 1D. o. J.[↩]
- necessarygames.com: Freedom Bridge. 2010[↩]
- Krillbite Studio: The Plan. 2013[↩]
- Vgl. Steam: The Plan.[↩]
- Blendo Games: Thirty Flights of Loving. 2012[↩]
- The Chinese Room: Dear Esther. 2012[↩]
- The Fullbright Company: Gone Home. 2013[↩]
- Barlow: Her Story. 2015[↩]
- Number None: Braid. 2008[↩]
- Capybara Games: Super Time Force Ultra. 2014[↩]
- Zum Begriff vgl. Bauer/Kato: Der spektakuläre Raum. 2018.[↩]
- Valve Software: Portal. 2007[↩]
- Bruce: Antichamber. 2013[↩]
- Galactic Café: The Stanley Parable. 2013[↩]
- Vgl. stellvertretend für andere: Erdbeer: On the Verge. 2017; Peric: Immersionssubjekt. 2016.[↩]
- Erdbeer: Poetik der Modelle. 2015, S. 3[↩]
- Daniel Mullins Games: Pony Island. 2016[↩]
- Fox: Undertale. 2015[↩]
- Hempuli Oy: Baba Is You. 2019[↩]
- Vgl. Brecht: Kleines Organon für das Theater. 1964.[↩]
- Vgl. Frisch: Dramaturgisches. 1969.[↩]