Ökonomisierung der Liebe im Zeitalter des Computerspiels
Oh, and love is just an institution based on human frailty
What's your paradise gotta do with Adam and Eve?
Maybe love is just an economy based on resource scarcity
But what I fail to see is what that's gotta do with you and me
- Father John Misty
Ein weites Feld ist die Liebe wohl.1 Als eines der tragenden Konzepte sozialer Interaktion und der Gesellschaftsbildung besetzt sie ganz allgemein neben Individualität und Arbeit eine zentrale Position der Sinn- und Subjektstiftung. Liebe dabei als Phänomen an sich zu verstehen, ist verheerend, denn genauso wie die anderen beiden genannten sinnstiftenden Mechanismen wird sie bedingt durch diskursive Verhandlungen und Praktiken und ist damit nicht ahistorisch 'wahr', sondern historisch gewachsen und entstanden. Liebe ist eine Konzeption der Liebe. In dieser Konzeption vermischen sich gegenwärtig Bereiche von Gefühl, sozialer Verortung, Sex und Beziehung zu einem komplexen Konglomerat von immensem Wirkungsgrad. Dabei lässt sich beobachten, dass auch dieser Bereich, genau wie andere Lebensbereiche, von einem ökonomistischen Denken geprägt wird2. Ob dies nun ein Verständnis von Ehe als Tausch von Sex gegen Sicherheit betrifft oder die Vorstellung serieller Monogamie, die den Partnerwechsel zu einer Produktentscheidung macht – wir können eine Ökonomisierung der Liebe annehmen.
Wie bei anderen Mechanismen der Sinn- und Gesellschaftsstiftung sind Medien auch in Sachen Liebe Orte der Vermittlung, Verhandlung, Aneignung und Erprobung solcher Konzepte. Auch wenn hier dem Film mit seinen Subkategorien des Liebesfilms und der Romantic Comedy gegenwärtig die bestimmende Rolle zuzustehen scheint, setzt sich auch das Computerspiel mit Liebeskonzeptionen auseinander. Ich möchte sogar zeigen, dass das Computerspiel aufgrund seiner technischen Formatierung in ganz besonderem Maße eine Quantifizierung beziehungsweise Ökonomisierung von Liebe betreibt.
Um aber der Komplexität des Themas Rechnung zu tragen, sollen zuerst die verschiedenen Relationen im Viereck Ökonomisierung – Liebe – Spiel – Computerspiel behandelt werden, um anschließend Tendenzen des gegenwärtigen Computerspiels und Abweichungen aufzuzeigen.
Ökonomisierung und Liebe
Die moderne Ökonomie, damit einhergehend auch der Beginn des Prozesses der Ökonomisierung, und die Konzeption der (romantischen) Liebe entstehen etwa zeitgleich. Das 18. Jahrhundert und der Anfang des 19. Jahrhunderts sieht mit Benjamin, Franklin, Adam Smith und Bernard Mandeville die Erfindung der Grundzüge unserer modernen Wirtschaft, aber auch mit den Strömungen von Empfindsamkeit und Romantik ein verändertes und weit individuelleres Liebeskonzept als die Zeiten zuvor. Dabei entstehen diese Dinge aber nicht unabhängig voneinander, sondern als Teil einer gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Veränderung, die in der Französischen Revolution ihre fassbarste Manifestation erfährt. Durch die Neuordnung des politischen und gesellschaftlichen Gefüges sichert sich das Bürgertum seine Machtposition wie gesellschaftliche Stellung und zusammen mit der Beschränkung der Frauenrechte werden auch die 'traditionellen' Geschlechterrollen weiter festgeschrieben. So entwickelt sich auch die bürgerliche Kernfamilie, die vor allem auch als ökonomische Einheit zu verstehen ist und nach Geschlecht die Aufgaben von Produktion und Reproduktion verteilt.
Zu Ende des 19. Jahrhunderts schließlich fußen gerade auf dieser Einheit und Rollenverteilung die modernen Affekt- und Emotionstheorien wie Sigmund Freuds Psychoanalyse, die spätestens in den 1920ern wiederum mit Konzepten wie Kommunikation und emotionalen Stil Management-Theorien und damit große Bereiche der Ökonomie beeinflussen und prägen.3 Es bildet sich also eine Feedbackschleife aus, die die Bereiche Ökonomie und Liebe miteinander verbindet.
Ein weiterer wichtiger Einschnitt in dieser Geschichte ist schließlich '1968'. Mit Malinowski und Sedlmaier kann
„1968“ nicht als gescheiterte antikapitalistische Revolte [verstanden werden], sondern als eine vornehmlich von Teilen bürgerlicher Eliten in Westeuropa und den USA getragene Kulturrevolution, die sich stimmig in die längerfristigen Wandlungsprozesse des postindustriellen Kapitalismus einordnen lässt.4
In diesem Verständnis wird aus der Forderung nach der „Freisetzung persönlicher Wünsche“ die „Kommerzialisierung dieser Wünsche“5, was auch die sexuelle Revolution miteinschließt. Es ist die Idee der freien Wahl des Partners sowie die freie Wahl des zu konsumierenden Produkts, die auch hier Liebe und Ökonomie miteinander verbindet und Partner und Produkt in gewissem Sinne austauschbar macht.
Ökonomie und Spiel
Die Verknüpfung von Ökonomie und Spiel ist bei weitem weniger vorraussetzungsreich als die zwischen Liebe und Spiel. Das Verständnis von Handeln in beiden Bereichen als ein regelgeleitetes Handeln in einem theoretisch geschlossenen System kann schon durch die Grundlagen der Spieltheorie erahnt werden. Zusätzlich erlaubt Spiel, wenn wir es als Simulation begreifen, Probehandeln, das wir auch in ökonomischen Theorien und Modellen als Versuch von Vorhersagbarkeit immer wieder finden können.
Viel grundlegender dürfte aber wahrscheinlich sein, dass Spiel oft auf dem ökonomischen Prinzip der Gewinnmaximierung bzw. –optimierung basiert, wie es in der GNS-Theorie6 der Modus des gamistischen Spielens beschreibt. Problemlösungsorientiertes Spielen bedeutet schlussendlich, mit möglichst wenig Aufwand von Ressourcen, egal ob Material, Geld oder Zeit, zu gewinnen oder ans Ziel zu kommen, womit eigentlich nur das Konzept wirtschaftlichen Handelns beschrieben wird.
Liebe und Spiel
'Love is a game'. 'Love is a battlefield'7 oder beides verbindend: „Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt”. Auch wenn solche Zitate ein Gemeinsames von Krieg und Liebe aufzeigen und auf die Beziehung der Konzepte zueinander aufmerksam machen, irren sie sich doch in einem Punkt: Denn so wie der Krieg, wie Huizinga ausführt8, ist auch die Liebe sehr wohl reglementiert. Unsere Kultur kennt Regeln und Gebräuche, kennt Rituale, die zur Etablierung und Aufrechterhaltung einer Liebesbeziehung gehören – seien es Praktiken wie Verlobung, Hochzeit oder auch die 3-Dates-Rule. Liebe und Spiel teilen den Charakter des Rituals oder zumindest des Ritualhaften. Sie sind damit Formen von „Sinnbildung“9. Darüber hinaus erzeugen beiden Heterotopien für die Beteiligten, die sie von der restlichen Welt abgrenzen. Für das Spiel habe ich dies bereits gezeigt10 für die Liebe lässt sich dies mithilfe von Niklas Luhmann belegen, der Liebe in erster Linie als Kommunikationsmedium begreift,11 und davon ausgeht, dass Liebe eine „besondere Welt“12 erzeuge, „in der man sich mit dem geliebten Menschen einig weiß: die Welt des gemeinsamen Geschmacks und der gemeinsamen Geschichte, der besprochenen Themen und bewerteten Ereignisse“13.
Ökonomie und Computerspiel
Dass die Computerspiel-Industrie etwas mit Ökonomie zu tun hat, zeigt sich bereits in der Bezeichnung als Industrie, die zum Beispiel auf traditionellere Medien wie Literatur nicht angewendet werden würde, ohne dass dies überhaupt etwas über die unterschiedliche Beschaffenheit des Mediums oder deren Vermarktung aussage. Doch der ökonomische Faktor des Computerspiels zeigt sich nicht nur in den Milliardenumsätzen von Spielen, sondern auch in den Strukturen der Spiele selbst, die, genau wie das Spiel im Allgemeinen (siehe oben) oft auf ökonomischen Prinzipien und Strategien der möglichst effizienten Problemlösung basieren14. Hier könnte auch wieder die mathematische Spieltheorie als Begründung angesehen werden, die in ihre Darstellung von Lösungswegen für die Programmierung von Computerspielen praktische und umsetzbare Ansätze schuf.
Computerspiel und Liebe
Das Medium Computerspiel ist bedingt durch die gerade schon angesprochene programmierte Grundlage, die uns einmal mehr als Blackbox des Quellcodes in unserer Betrachtung erscheint, auf numerischen Darstellung angewiesen. Dies führt dazu, dass in besonderem Maße Zahlen als Mittel der Sichtbarmachung verwendet werden und als konventionalisiertes Ausdrucksmittel gelten. Angriffs-, Verteidigungs- und Schadenswerte, aber auch das Zählen und Hantieren mit Ressourcen wird den Spielenden mithilfe von Zahlen vermittelt. Dieses Prinzip wird dabei auf alle Bereiche des Darzustellenden angewendet. Es evoziert damit auch erst eine Mess- und Bewertbarkeit von Situationen, die ein strategisch effizientes Spielen ermöglichen. Davon ist auch die Darstellung von Zuneigung und Liebe betroffen, wie zum Beispiel durch 'Beziehungsmeter', wie wir sie aus Dating Simulations, der Sims-Reihe oder auch Rollenspielen wie Dragon Age kennen. Die Struktur des Mediums gibt hier die Modi der Darstellung, ungeachtet der eigentlichen Beschaffenheit des Dargestellten, vor. Hinzu kommt, dass das Computerspiel Liebe, vor allem deren körperliche Auslebung, als Belohnung für 'richtige' Pfadentscheidungen kennt. Gerade die Witcher-Reihe und im Besonderen dabei der erste Teil sehen Sex als Belohnung für die Erfüllung von Aufgaben an und verleihen den Spielenden dafür grafisch mehr oder weniger explizite 'Fleißkärtchen'.
Erfolgreiche Beziehungen in Computerspielen sind eine Reihe von zu lösenden Momenten der Abwägung und Entscheidung. Der Beziehungswert steigt, wenn man das 'Richtige' antwortet oder das passende Geschenk überreicht, sinkt, wenn man das 'Falsche' sagt oder verschenkt. Hier wird nicht nur eine aufgrund der medialen Strukturen quantifizierte Perspektive auf Liebe und Beziehungen sichtbar, sondern eine ökonomisierte Ordnung des Wissens, die menschliche Beziehungen, auch in ihrer fiktiven und virtuellen Repräsentation, als ökonomisches Problem versteht, das nach den Prinzipien des Ökonomischen zu lösen ist. Genau deshalb gibt es auch zahlreiche Ratgeber, wie man zum Beispiel bei Dragon Age Inquisition am meisten aus den Beziehungen zu seinen NPCs 'herausholt', was einschließt, diese Beziehungen zum richtigen Zeitpunkt abzubrechen, um eine andere zu beginnen, damit einem nicht zu viel Content entgeht, man also nicht zu viel potentielle Erzählung verpasst. Effizientes Denken findet eben nicht nur auf der Ebene der ludischen Umsetzung von Beziehungen im Computerspiel statt, sondern auch auf der Ebene ihrer narrativen.
Ein besonders deutliches Beispiel für die ökonomisitische Repräsentation von Liebe in Computerspielen kann Persona 4 Golden sein. Statt einem Beziehungsmeter werden jedem wichtigen NPC ein Social-Link-Level zugeordnet, das von null bis maximal zehn reicht. Dieses Level lässt sich dadurch steigern, dass man gemeinsam mit den jeweiligen NPCs Zeit verbringt und etwas unternimmt, aber auch indem man einem Schrein Geld spendet oder auch indem man seine allgemeine Beliebtheit in der Schule durch besonders gute Test-Ergebnisse steigert. Das Steigern des Social Link bringt dabei vor allem zwei Vorteile mit sich: einerseits erhält man mehr Content, erfährt zum Beispiel mehr über die Hintergrundgeschichte des Charakters und über seine aktuellen Konflikte. Das Durchspielen und Lösen dieser Konflikte kann zu engen Freundschaften oder einer Liebesbeziehung führen. Andererseits aber bringt einem das Steigern des Social Links auch handfeste Boni auf Kampfwerte und neue Kampfmanöver ein – bis hin zu einer speziellen Persona (einem Wesen, dessen Fähigkeiten in Kämpfen eingesetzt werden und von denen NPCs je ein individuelles besitzen) bei Erreichen des zehnten Social-Link-Levels. Nach dem Erreichen des Maximums aber gibt es weder weitere spielerische Vorteile noch neuen erzählerischen Content, wenn man sich weiter mit einem NPC abgibt. So werden die Spielenden dazu angehalten, ihre Aufmerksamkeit aus Gründen der Effizienz einem anderen NPC zuzuwenden, selbst wenn der, mit dem sie gerade das Social-Link-Level ihres Avatars maximiert haben, auf Ebene der Erzählung die eine große Liebe des Protagonisten sein soll.
Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Strukturen auch auf unsere Lebenswelt rückwirken und damit eine eh schon ökonomisch begründete Liebesvorstellung noch weiter beeinflussen, ist wahrscheinlich. Unter dem Stichwort der Gamification wird dieses paradoxe Verhältnis von durch Ökonomie beeinflussten Spielkonzepten, die wiederum eine bereits ökonomisierte Lebenswelt weiter ökonomisieren sollen, bereits verhandelt.15 Daphne Dragona sieht Gamification und Datafication16 als zwei sich gegenseitig stützende Pfeiler17, die eben nicht nur von Seite der Anbieter gewünscht wird, sondern auch von den Usern selbst:
It is the very users themselves that are becoming more and more dependent on emerging forms of measurements and data structures. Phenomena such as the “quantified self/self knowledge by numbers” movement need to be taken into consideration in order to realise that a new trend and a new way of thinking now exist which see self improvement in the continuous self tracking of everything.18
Dies schließt eben auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen nicht aus, sondern erfasst sie voll und ganz. Zahlen schaffen die Illusion von Mess-, Bewert- und Vergleichbarkeit, die auf alle Lebensbereiche angewendet werden kann. Wenn dies nun noch mit ludischen Elementen verbunden wird, ist eine Trennung zwischen Quantifikation, Datafication, Gamification und Ökonomisierung kaum mehr möglich. Spielelemente tauchen dabei aber eben nicht zufällig oder nicht nur aufgrund ihrer Strukturiertheit als spielerische Elemente auf, sondern aufgrund der von diesen Strukturen mittransportierten ideologischen Prägung. Gerade hier das Argument anzubringen, dass Spiele als regelgeleitete Systeme in besonderem Maße zur Repräsentation anderer regelgeleiteter Systeme geeignet sind, eröffnet eine mediale Möbiusschleife, bei der nicht mehr ersichtlich ist, welches System welches zuerst abgebildet hat.
Gegen(bei)spiele
Auch wenn sich Spiele den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass sie zu einer ökonomischen Darstellung der Liebe und von Beziehungen neigen, gibt es nicht eine geringe Anzahl an Ausnahmen. Im Folgenden möchte ich auf zwei Beispiele eingehen: Gone Home und Fuck Everything.
Das 2013 erschienene Gone Home erzählt die Liebesgeschichte der beiden Teenager Samantha Greenbriar und Lonnie DeSoto. Statt aber Samantha oder Lonnie selbst zu steuern, spielt man Samanthas Schwester Kathie, die nach einem einjährigen Europa-Aufenthalt zum ersten Mal in das neue Haus ihrer Familie kommt, dieses aber vollkommen verlassen vorfindet und sich deshalb aufmacht, herauszufinden, was denn geschehen ist. Durch Dokumente, Voice-Overs, Bilder und andere Informationsquellen19 kann die Spielerin nach und nach erfahren, dass Samantha an ihrer neuen Schule Lonnie kennenlernte, sich daraus eine intensive Liebesbeziehung entsponn und dass die beiden nun gemeinsam durchgebrannt sind. Gone Home schafft es dabei, eine emotionale Liebesgeschichte zu erzählen, ohne dass wir deren Protagonistinnen überhaupt jemals zu Gesicht bekommen. Es sind immer nur mediale Quellen ihrer Beziehungen, auf die wir zugreifen können.
Zusätzlich sind wir eben nicht selbst Teil der Liebesgeschichte, sondern sowohl im Spiel als auch außerhalb Rezipienten der Geschichte.20 Das bedeutet dabei auch, dass wir sie nicht beeinflussen können, sondern nur die Art und Weise unserer Rezeption. Dadurch entzieht sich Gone Home aber sowohl einer ökonomisch begründeten Spielweise als auch einer mechanischen Abbildung von Zuneigung. Stattdessen erleben wir eine Teenager-Liebesgeschichte mit all ihren Missverständnissen, Umwegen, Höhen und Tiefen.
Fuck Everything von Lena DW (aka Fellatia Geisha) geht hier ganz andere Wege. Um den Zusammenhang von Otaku und Rape Culture offenzulegen, kreierte sie ein an Dating Simulations angelehntes Spiel.
Fuck Everything is a dating-simulation game that concentrates the hyper-sexuality, perversity, masculinity and obscenity of present day cyber and rape culture into one fantasy world.21
Um diese Zusammenhänge deutlich zu machen, subvertiert Lena NW das Dating Simulations-Genre in ein nicht vorhergesehenes Extrem:
[I]n the "Meet 'n Fuck" dating simulations, you always get to fuck the girl. You can literally say to her in one of the dialogue options; "I'm going to rape you" and then she'll just say "oh no!" but still stay there with her tits bouncing in your face while you simply select a more appropriate option like "you're beautiful". You don't die or go to jail, and you always end up fucking her. So why not make a game where you always got killed or raped? This is just as extreme.22
Gerade aber weil sie dabei aber auf eingeübte Spielstrukturen zugreift, erhält das Spiel besondere Wirkungsmacht. So bedient das Spiel etliche bekannte Stereotypen von weiblichen Computerspiel- und Anime-Charakteren, wendet aber auch diese schlussendlich um, ohne das Zeichensystem von Anime und Manga zu verlassen, und gegen das eingeübte Zeichensystem selbst:
The most obvious inversion of the passive female dating-simulation character is portrayed through the character Mimi’s stylization, as the most anime-esque character. At first, she seems to fit the shy quiet, easy to take advantage stereotype, but later she transforms into a tentacle monster that rapes the protagonist.23
Gleichzeitig aber legt es dabei aber nicht nur die inhaltliche Problemhaftigkeit des ganzen Genres frei, in welchem Frauen nur als zu lösende Probleme und zu erreichende Belohnungen fungieren, sondern zeigt auch die Absurdität der verwendeten Spielmechaniken auf, die im Gewand der Messbarkeit versuchen, Beziehungen in Zahlenwerten abzubilden oder als eine Menge an richtig zu treffenden Entscheidungen verstehen und damit aufgrund der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Zahlenhörigkeit24 einen gewissen Anspruch auf Wahrheit und Objektivität in sich tragen. Die Überzeichnung von Fuck Everything macht umso deutlicher, dass ein solcher Anspruch haltlos und das Genre schon in seiner nicht parodisierten Form absurd ist. Entsprechend ist es eben nicht nur ein Gegenbeispiel, sondern auch ein Gegen-Spiel, das den Status Quo in Frage stellt. So stellt auch Cara Ellison fest:
[T]his game was an exhilarating and pleasingly complicated look at what games might be like if young women seized the opportunity to go on the offensive with their thoughts on sexuality. Each ‘date’ brings a different reflection not only on dating games as a genre but also on how we use our bodies, and how we relate to other people’s bodies. It’s a game that feels gloriously fleshy.25
Die Darstellung von Liebe und Beziehungen in Computerspielen zu hinterfragen und auf ihre ideologischen Hintergründe zu untersuchen, kann einmal mehr aufzeigen, wie sich auch auf Seiten der Spielmechanik problematische Strukturen und Inhalte im Computerspiel etabliert haben, die als Teil einer größeren Veränderung von Gesellschaft und damit auch von Kultur verstanden werden können. Das Sprechen vom Platz des Computerspiels "in der Mitte der Gesellschaft"26 kann somit auch anders verstanden werden: Statt ein rand- und widerständiges Medium zu sein, trägt es in großen Teilen gesellschaftlich flächendeckend wirkende Ideologien mit und reproduziert sie damit. Doch trifft dies eben auch nicht auf alle Spiele zu. Je weiter wir uns vom Mainstream entfernen, desto mehr Spiele finden wir, die versuchen, Dinge anders zu machen oder gar das Medium selbst als Plattform für Kritik zu nutzen.
Verzeichnis der verwendeten Texte und Medien:
Spiele
Atlus: Persona 4 Golden. 2013.
Bioware: Dragon Age Inquisition. 2014.
CD Projekt Red: The Witcher. 2007.
Fullbright Company: Gone Home. 2013.
NW, Lena: Fuck Everything. 2014. <http://www.fuckeverythingthegame.com/> [30.07.2016].
Literatur
Dragona, Daphne: Counter-Gamification: Emerging Tactics and Practices Against the Rule of Numbers. In: Mathias Fuchs u.a. (Hg.): Rethinking Gamification. Lüneburg: meson press 2014, S. 227-250.
Edwards, Ron: System Does Matter. In: The Forge. 2004. <http://www.indie-rpgs.com/_articles/system_does_matter.html> [30.07.2016].
Ellison, Cara: S.EXE: F**k Everything (RNSFW). In: RockPaperShotgun. 2014. <https://www.rockpapershotgun.com/2014/08/29/s-exe-fk-everything-rnsfw/> [30.07.2016].
Gorton, Thomas: Fuck Everything: the dating sim that tackles rape culture. In: Dazed. 2014. <http://www.dazeddigital.com/artsandculture/article/21337/1/fuck-everything-the-dating-sim-that-tackles-rape-culture> [30.07.2016].
Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Übers. v. H. Nachod. Reinbek: Rowohlt 1994.
Ilouz, Eva: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Übers. v. Andreas Wirthensohn. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.
Illouz, Eva: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2004. Übers. v. Martin Hartmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012.
Kurbjuweit, Dirk: Unser effizientes Leben. Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen. Reinbek: Rowohlt 2003.
Luhmann, Niklas. Liebe. Eine Übung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
Malinowski, Stephan u. Sedlmaier, Alexander: ‚1968’ als Katalysator der Konsumgesellschaft. Performative Regelverstöße, kommerzielle Adaptionen und ihre gegenseitige Durchdringung. In: Geschichte und Gesellschaft, 32 (2006) .
NW, Lena: The Fuck Everything Manifesto. 2014. 2014. <http://www.fuckeverythingthegame.com/manifesto.pdf> [30.07.2016].
Priestman, Chris: Fuck Everything (Lena NW). In: Warpdoor. <http://warpdoor.com/2014/08/18/fuck-everything/> [30.07.2016].
Schmidt, Christian: Mehr Geist bitte, liebe Games-Tester. In: Spiegel Online. 2011. <http://www.spiegel.de/netzwelt/games/videospiele-mehr-geist-bitte-liebe-games-tester-a-784531.html> [30.07.2016].
Unterhuber, Tobias: Heterotopie und Spiel - eine Annäherung. In: PAIDIA - Zeitschrift für Computerspielforschung. 2013. <https://www.paidia.de/?p=2906> [30.07.2016].
Unterhuber, Tobias: “(Don’t) go digging around” – Gone Home, das Spiel als Theorie, der Raum als Archiv und die 90er. In: PAIDIA - Zeitschrift für Computerspielforschung. 2015. <https://www.paidia.de/?p=5779>. [30.07.2016].
Unterhuber, Tobias: The Art of Congruency – PAIDIA in conversation with Karla Zimonja. In: PAIDIA - Zeitschrift für Computerspielforschung. 2015.<https://www.paidia.de/?p=6448> [30.07.2016].
Unterhuber, Tobias/ Schellong, Marcel: Wovon wir sprechen, wenn wir vom Decision Turn sprechen. In: Redaktion PAIDIA (HG.): »I’ll remember this - Funktion, Inszenierung und Wandel von Entscheidung im Computerspiel«. Glückstadt: Verlag Werner Hülsbuch 2016, S. 15-30.
Bilder
Fuck Everything (Selbsterstellter Screenshot)
Gone Home (Selbsterstellte Screenshots).
The Witcher (http://www.alteredgamer.com/the-witcher/121500-guide-to-collecting-all-of-the-sex-cards-in-the-witcher/).
- Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag, der am 19. September 2014 auf der Tagung Das Videospiel zwischen Kunst, Code und Kommerz in München gehalten wurde. [↩]
- Vgl. Kurbjuweit: Unser effizientes Leben. 2003, S. 13. [↩]
- Vgl. Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. 2012, S. 14-68. [↩]
- Malinowski/Sedlmaier: ‚1968’ als Katalysator der Konsumgesellschaft. 2006, S. 239. [↩]
- Malinowski/Sedlmaier: ‚1968’ als Katalysator der Konsumgesellschaft. 2006, S. 241. [↩]
- Vgl. Edwards: System Does Matter 2004.[↩]
- Pat Benetar: Love is a battlefield. 1983. [↩]
- Vgl. Huizinga: Homo Ludens 1994, S. 101 – 118. [↩]
- Luhmann: Liebe. 2008, S. 12. [↩]
- Vgl. Unterhuber: Heterotopie und Spiel. 2013. [↩]
- Vgl. Luhmann: Liebe. 2008, 13f. [↩]
- Luhmann: Liebe. 2008, S. 16. [↩]
- Luhmann: Liebe. 2008, S. 16.[↩]
- Unterhuber/Schellong Wovon wir sprechen. 2016. S. 18. [↩]
- Vgl. Dragona: Counter-Gamification. 2014, S. 229. [↩]
- als Erfassen und maschinenlesbares Auswerten möglichst vieler Teilbereiche unseres Lebens, um daraus eine möglichst große und aussagekräfte Menge an Daten zu erzeugen [↩]
- Vgl. Dragona: Counter-Gamification. 2014, 231f. [↩]
- Dragona: Counter-Gamification. 2014, S. 232.[↩]
- Vgl. Unterhuber: "(Don’t) go digging around" 2015.[↩]
- Vgl. Unterhuber: PAIDIA in conversation with Karla Zimonja. 2015. [↩]
- Priestman: Fuck Everything (Lena NW). 2014. [↩]
- Gorton: Fuck Everything. 2014. [↩]
- NW, Lena: The Fuck Everything Manifesto. 2014. [↩]
- die ihren Ausdruck in das unkritische Vertrauen in Statistik und Empirie findet [↩]
- Ellison: S.EXE: F**k Everything (RNSFW). 2014. [↩]
- Schmidt: Mehr Geist, bitte. 2011. [↩]