„Totaler Krieg“ im Mittelalter: Die Umsetzung hochmittelalterlicher Kriegsführung durch Narration & Simulation in den Strategiespielen Medieval II und Crusader Kings II
Zwei mittelalterliche Kriege
Zunächst ein Blick auf den typischen Kriegsablauf beider Titel: In beiden Fällen beginnt unser Krieg mit einer Kriegserklärung. In Medieval 2 ist diese Entscheidung schnell und unkompliziert zu treffen: Ein Klick auf die Einheiten oder Burgen neutraler Fraktionen genügt, um ein Auswahlfenster zu öffnen, mit dem der Konflikt eröffnet wird. Nach der Bestätigung des Kriegszustandes marschieren die von der Spielerin (idealerweise in den Vorrunden an den Grenzen des Feindeslands platzierten) Truppenverbände noch in derselben Runde los. Ihr Ziel sind die Armeen und Festungen des Feindes: Erstere werden in einer Echtzeit-Entscheidungsschlacht ausgeschaltet, letztere im Verlauf von mehreren strategischen Runden belagert und erobert. Der Krieg wird so lange weitergehen, bis die benachteiligte Seite ein erniedrigendes Friedensangebot annimmt oder vernichtet wird.
In Crusader Kings 2 gestaltet sich die Anbahnung eines Krieges ungleich komplizierter: Nach Jahren des spielinternen Intrigierens ist es den Diplomaten der Spieler-Fraktion gelungen, einen legitimen Anspruch auf eine angrenzende Provinz zu beweisen – bzw. zu fälschen.
Die Kriegserklärung wird bestätigt und der Gegner informiert – aber dies ist nur der Anfang: Es gilt, die Haustruppen der eigenen Dynastie aus ihren verteilten Besitzungen zu sammeln und mit den Abordnungen von Vasallen – Baronen, Grafen und, abhängig vom Rang, auch Herzögen und Bischöfen – sowie gleichgestellten Verbündeten zu vereinen. Dabei ist auf niemanden hundertprozentig Verlass: manche Vasallen sind womöglich noch aufgrund vorheriger Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Lehnsherrn verstimmt und senden nur so wenige und schlechte Truppen wie möglich. Viele der angeheirateten Verbündeten sagen ihre Teilnahme ab oder schicken nur kleine Truppenverbände, die aufgrund der zurückgelegten Entfernung viel zu spät eintreffen.
Das Aufgebot aus den einzelnen Provinzen wird in wochenlangen Reisen (je nach Geschwindigkeit 30 Sekunden des Wartens auf Seite der Spielenden) zusammengesammelt, loyale und fähige Adlige werden als Führer der einzelnen Flügel verpflichtet und der Heerhaufen macht sich auf den Weg. Die Reise kann sich angesichts mittelalterlicher Infrastruktur und Logistik vor allem in schwierigem Terrain als kräftezehrende Herausforderung herausstellen 1 – ein Problem, das sich in Belagerungssituationen noch intensiviert und selbst mächtige Heere innerhalb weniger Monate zusammenschrumpfen lässt. Trotz dieser Hindernisse und Risiken sind Belagerungen der offenen Feldschlacht vorzuziehen, denn jede halbwegs ausgeglichene Schlacht stellt für die involvierten Mitglieder der Führungsschicht, darunter auch den jeweiligen Herrscher der Spielerdynastie, ein großes Risiko dar: denn es ist ebenso möglich, dass sich diese Einzelfiguren durch Heldentaten im Schlachtengetümmel hervortun, wie dass sie in Gefangenschaft geraten, im Kampf verwundet, verstümmelt oder getötet werden. Es gilt also für Angreifer, den Krieg mit so wenig Schlachten wie möglich zu beenden – oder für Verteidiger, ihn so zu verlängern, dass Angreifer durch finanzielle Probleme, Soldatenmangel oder Protest der involvierten Vasallen zu einem Friedensangebot im status quo ante bellum gezwungen werden.
Beide Spiele scheinen sich in ihrer Legitimierung zumindest zum Teil auf das durch Militärhistoriker und Archäologen rekonstruierte Modell der feudalen Kriegsführung zwischen 1300 und 1500 zu berufen, könnten dennoch im konkreten Ereignisverlauf kaum unterschiedlicher sein. Wie finden beide Spiele zu so unterschiedlichen Aussagen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst mit dem medialen Vokabular des Computerspiels auseinandersetzen – denn mit Marshal Mc Luhan: „The medium is the message“ 2
Simulatives Erleben
Die Computerspielforschung konnte ihr Untersuchungsobjekt im Verlauf des letzten Jahrzehnts als komplexes multimodales Konstrukt erklären, das unterschiedlichste Zeichensysteme und Darstellungsmodi in sich vereinigt 3. Dazu gehören auf der einen Seite die Vielzahl audiovisueller Zeichensysteme, die in anderen Medien meist einzeln aufzufinden sind – zum Beispiel Text, Stimme, Geräusche, Musik, statisches und bewegtes Bild. Sie machen in ihrer Ganzheit die narrativen Rezeptionsangebote des Mediums aus.
Gleichzeitig besitzt das Computerspiel einen mathematisch-algorithmischen Kern, der ihm einen einzigartigen Zugriff auf simulative Vermittlungszugänge eröffnet. Dazu Gonzalo Frasca, einer der frühesten Vertreter ludologischer Perspektiven auf das Computerspiel:
“to simulate is to model a (source) system through a different system which maintains to somebody some of the behaviors of the original system. The key term here is 'behavior'. Simulation does not simply retain the – generally audiovisual – characteristics of the object but it also includes a model of its behaviors. This model reacts to certain stimuli (input data, pushing buttons, joystick movements), according to a set of conditions.” 4
Ein Computerspiel modelliert also ein System und lädt Spieler dazu ein, innerhalb dieses Systems zu handeln: Einzugreifen, Variablen zu verändern, unterschiedliche Ausgänge zu beobachten. Aber was wird jeweils simuliert und wie?
Zum Was: Das Ursprungssystem ist nicht notwendigerweise ein faktuales System der Gegenwart, auch rekonstruierte Szenarien der Vergangenheit oder allotopische Fantasywelten sind möglich, wichtig ist allein der kohärente Systemcharakter. Zum Wie: Das sekundäre System der Simulation ist vor allem in einem Unterhaltungsmedium wie dem Computerspiel nie vollständig. Es werden immer Aspekte des Ursprungssystems entfernt, vereinfacht oder unterschiedlich hierarchisiert 5: Dies prägt die Erfahrungen, die Spielende aus der Konfrontation mit einem solchen System mitnehmen – und folglich auch ihre Rückschlüsse auf das Ursprungssystem, also in unserem Fall mittelalterliche Kriegsführung. Gerade deshalb lohnt es sich, der simulativen Darstellung und Modellierung in beiden Spielen nachzuspüren. Was geben beide Spiele als Ursprungssystem an, was setzen sie letztendlich auf welche Weise um? Welches Bild mittelalterlicher Kriegsführung präsentieren sie Spielenden?
Narrative Rezeptionsangebote: Wir sind Mittelalter
Auf der Ebene der narrativen Rezeptionsangebote und besonders in der audiovisuellen Repräsentation finden wir in beiden Titeln Versuche, Spielenden Anschluss an die unterschiedlichsten Quellsysteme mittelalterlicher Lebensart zu bieten: Ob in den Ausrüstungsgegenständen oder der Gewandung von Figuren, dem Design des User Interface, dem historisierenden oder tatsächlich historisch gestalteten Soundtrack oder dem grafischen Design der Weltkarte – in beiden Titeln ist der Einfluss wissenschaftlich gesicherter Datenquellen ebenso greifbar wie der populärmedialer Filmproduktionen.
Auf der ludischen und simulativen Ebene der Weltregeln und Prozesse treten jedoch signifikante Unterschiede zwischen beiden Titeln zutage. Dies soll nicht implizieren, dass ein Spiel sehr viel ‚realistischer‘ wäre als das andere: In der Tat kommt es in beiden Spielen zu starker Komplexitätsreduktion, nur in unterschiedlichen Bereichen.
Medieval 2: Schlachtengemälde im Lauf der Jahrhunderte
Medieval 2 bietet vor allem auf der taktischen Mikroebene der Schlachtkarte ein extrem detailliertes Simulationsniveau, dessen Wirkmächtigkeit bis in das individuelle Verhalten einzelner Infanteristen und Projektile reicht. Die Anlehnung an wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse der Militärgeschichte ist hier stark ausgeprägt 6 : Die Echtzeitschlachten, in denen bis zu 10.000 Einzelfiguren teilnehmen, berücksichtigen nicht nur Wetter, Tageszeit, Geographie und Flora, sie inkorporieren auch komplexe mathematische Formeln, um die Eigenschaften dutzender unterschiedlicher, historisch beglaubigter Einheitentypen aus 450 Jahren europäischer Kriegsführung abzubilden: Von Genueser Armbrustschützen über Husaren, byzantinische Kataphractoi und Bombarden – jede Einheit besitzt einzigartige Qualitäten, die sich als Übersetzung historischer Fakten präsentieren (Kreuzritter mit besonders guter Moral etc.) und ihr bestimmte Vor- und Nachteile im Kampfgetümmel verleihen. Der Lerneffekt derart inszenierter Spielerfahrungen beschränkt sich nicht nur auf dem Nachvollzug bestimmter historischer Fakten (zum Beispiel, warum Schweizer Pikeniere im Spätmittelalter bzw. der frühen Neuzeit so begehrte Söldner darstellten oder warum Bauernheere kaum funktionieren konnten), sondern auch auf historische Prozesse als solche – allen voran die Entwicklung von Schießpulvereinheiten: Bombarden, Serpentinen oder Culverinen werden ab dem frühen 15. Jahrhundert schrittweise freigeschaltet und verändern nachhaltig das Schlachtgeschehen: Geschlossene Formationen werden durch das zunehmend zielsichere Geschützfeuer immer problematischer, vormals sichere Burgen wandeln sich von uneinnehmbaren Bollwerken zu attraktiven Zielscheiben – spätmittelalterliche Kriegsführung in ihren letzten Zügen.
Aber eine Schlacht macht noch keinen Krieg. Die strategischen Rahmenumstände, die eine einzelne Schlacht herbeiführen und Kampfhandlungen bis zu ihrem Ende hin auf jeder Ebene verketten, werden in Medieval 2 massiv abstrahiert:
In Medieval 2 existiert kein Feudalsystem. Städte und Burgen werden zentralisiert auf Staatsebene beherrscht und verwaltet, die aus dem realen Mittelalter bekannte Teilung der Herrschaft in lose, zunächst stark auf Personenbindung basierende Gefolgschaftsverhältnisse fällt völlig weg. Die unbegrenzt im Feld stehenden Truppen, die praktisch als stehende Armee im Sinn der Moderne funktionieren, werden ebenso zentral in den anonyme Bürger und Adlige als relevante Fraktionen ausklammernden Städten und Festungen ausgehoben. 7
Diplomatie ist kaum existent – aber da es so gut wie keine sub-nationalen Entitäten gibt und sich die wenigen existierenden Königreiche eher wie einzelne Organismen verhalten, gibt es auch wenig Gründe für Verhandlungen. Ähnlich wie in einer Petrischale gezüchtete Bakterienkolonien besitzen auch die Königreiche von Medieval 2 einen tendenziell endlosen Drang zur Ausbreitung. Totaler Krieg ist die notwendige Konsequenz der Kollision zweier dieser Schwarm-Organismen – so zumindest das Spiel, denn die KI ist ebenso darauf programmiert, auch ihre treuesten Verbündeten nach einer gewissen Zeit anzugreifen, wie realistische Friedensangebote abzulehnen 8. Kriege beginnen in der Praxis von Medieval 2 ebenso schnell wie unberechenbar und werden, wenn nicht der Papst als übermächtiger Schiedsrichter eingreift, durch vernichtende Feldschlachten sowie Eroberungen so lange betrieben, bis der Unterlegene einen brutalen Frieden annimmt oder ausgelöscht wird – ein System, das eher an die Simulation des Kriegs zwischen außerirdischen Schwarminsekten als an mittelalterliche Kriegsführung erinnert.
Crusader Kings 2: Das Prinzip Dynastie
Das vom schwedischen Entwicklungsstudio Paradox Interactive entwickelte Crusader Kings 2 zeigt in seinen simulativen Aspekten ebenso signifikante Komplexitäts-Unterschiede – nur in umgekehrter Reihenfolge. Hier ist es die Mikroebene einzelner Schlachten, die auf das Extremste abstrahiert wird. Schlachten beginnen automatisch, wenn zwei durch einzelne Kämpfer-Figuren repräsentierte Armeen im selben Territorium stehen. Nun beginnt eine durch das Aufeinander-Einschlagen der beiden Kämpfer visualisierte Schlacht, auf die Spielende kaum aktiv Einfluss nehmen können.
Der Ausgang des in einer Tabellen-Liste detailliert heruntergerechneten Geschehens ergibt sich aus der jeweiligen Anzahl und Zusammensetzung der Truppenteile, ihrer Versorgungslage, dem Wetter und der lokalen Geographie sowie der Führungsstärke des jeweiligen Generals. Dieser in seiner Exaktheit frappierend an moderne militärstrategische Berechnungen von Verlustraten erinnernde Algorithmus wird nur in geringem Maße durch Zufallsereignisse beeinflusst: Involvierte Adlige können zwar während eines Gefechts in Gefangenschaft geraten, verwundet oder getötet werden, aber nur der Ausfall eines Generals kann den Schlachtverlauf wirklich wenden. Die emotionalen Affekte, welche die stark interaktiven Schlachten von Medieval 2 prägen können, bleiben Crusader Kings 2 so größtenteils fremd.
Sie werden für die strategische Makroebene des Spiels reserviert, in welcher Spielende in der Rolle über die Jahrzehnte und Jahrhunderte wechselnden Landesfürsten zahlreiche Aspekte mittelalterlicher Herrschaftspraxis kennenlernen. Hier existiert tatsächlich ein Feudalsystem: Die europäische Führungsschicht – vom Baron, Abt und Bürgervorsteher und ihren Familien aufwärts hin zu Königen, Patriziern und Päpsten – wird in einem mehrere tausend Akteure umfassenden Ensemble simuliert. 9
Jede Figur besitzt bestimmte erworbene wie ererbte Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Schwächen, die in ihrer Kombination zur Herausbildung einer simplen digitalen Persönlichkeit führen. Dies gilt ebenso für historisch verbürgte (und von den Entwicklern vorgestaltete) Personen wie die vom Spiel, angesichts des großen kontrafaktischen Potentials, generierte Figuren. Blicken wir als Beispiel auf Raynault von Châtillon:
Als eine der kontroversesten Figuren der Kreuzfahrerkönigreiche herrschte der reale Raynault von Châtillon von 1153 bis 1160 über das Herzogtum Antiochien und von 1177 bis zu seiner Enthauptung durch Saladin im Jahr 1187 über Transjordanien. Er erlangte traurige Berühmtheit durch seine Gier, Selbstsucht und Grausamkeit, besonders jedoch durch die Torpedierung des Friedensabkommens zwischen dem Königreich Jerusalem und der Ayyubiden-Dynastie unter Saladin. 10 Das Spiel stattet den digitalen Raynault mit einer Diplomatie-Fähigkeit von Null (der Durchschnitt ist Zehn) sowie vier der im Zeitgewand als Todsünden präsentierten Charaktermali aus: Neid, Lüsternheit, Jähzorn und Gier machen ihn zu einem unbeliebten Zeitgenossen, der auch ohne weitere Vorprogrammierung, prozedural seinen Charaktereigenschaften folgend, extrem problematische Entscheidungen treffen wird.
Spielende, die sich zum Beispiel dafür entscheiden, den König von Jerusalem zu spielen, werden Raynault im Zuge ihrer Herrschaft immer wieder als extrem unberechenbaren Vasallen kennenlernen und sich früher oder später entweder sein gewaltsames Ende wünschen, oder es selbst durch Intrigen einleiten. Sollten sie inaktiv bleiben, könnte es sein, dass Raynault sich im Gegenzug darum bemühen wird, ihren Thron zu besteigen. Es könnte aber auch genauso nichts passieren, denn Crusader Kings 2 erzwingt keinen linearen Spielverlauf. Eine Schlacht von Hattin, wie sie in der Realität am 4.Juli 1187 stattfand, wird es in genau derselben Form dort wahrscheinlich nicht geben. Die Eigendynamik, die sich aus der Interaktion der Spielfigur Raynault mit anderen Figuren in seinem Umfeld – seinem Herrn, seiner Familie und zahlreichen Untergebenen sowie anderen Adligen – ergibt, ist bei jeder der mehr als 1500 simulierten Vertreter des eurasischen Adels vorhanden: Alle haben Bedürfnisse und Leidenschaften, planen Eroberungen, Vendettas und Liebesabenteuer – und allen voran die Stärkung ihrer Dynastie.
Diese Verzahnung von persönlichen und dynastischen Interessen wirkt sich auch auf den Krieg aus. Kriegsziel ist nie die totale Auslöschung eines Kontrahenten im leidlich bekannten Paradigma des 20. Jahrhunderts, sondern immer die Realisierung eines einzelnen, konkreten, persönlich, dynastisch, und staatsrechtlich definierten Ziels: die Erzwingung einer Heirat, die Durchsetzung des Thronanspruchs naher und entfernter Verwandter, der Erwerb einer einzelnen Burg oder die Beseitigung eines häretischen Nachbarn. Daher sind die Kriege von CK 2 auch ebenso in ihrem räumlichen und zeitlichen Umfang begrenzt – wenn nicht der überraschende Tod eines Thronanwärters, die Einigung auf einen neuen Monarchen oder de Versöhnung eines exkommunizierten Herrschers mit dem Papst sie nicht noch früher unterbricht.
Auf Spielende kann dies frustrierend wirken, denn die meisten Kriege müssen lange vorbereitet werden, sei es durch das Anhäufen von Geldreserven oder das Anwerben von Söldnern und die Zufriedenstellung von Vasallen und Verbündeten zur Sicherung ihrer Loyalität. Angesichts dieser Arbeit, den involvierten Risiken und der zu Beginn angesprochenen Gefahren für Leib und Leben von Monarchen und Mitgliedern der Dynastie sind Kriege in Crusader Kings 2 (wie im realen Mittelalter 11 ) eines der riskanteren Werkzeuge im Handlungsinventar eines Herrschers. Der beste Krieg bleibt dort der, der durch eine 30 Jahre zuvor arrangierte Heirat vermieden wurde.
Ein Fazit: Simulierte Weltbilder
Sowohl Medieval 2, als auch Crusader Kings 2 gelingt es, spezifische Aspekte mittelalterlicher Kriegsführung auf innovative Weise für Spielende erfahrbar zu machen. Gleichzeitig nehmen beide Spielsysteme dabei auch massive Komplexitätsreduktionen in anderen Bereichen in Kauf, die ihre Beziehung zum momentan erahnbaren Ausgangssystem des realen Mittelalters stark verzerren. Vor allem eine produktive Arbeit mit beiden Titeln im Bereich der Pädagogik setzt voraus, dass die medienästhetisch geprägte Beziehung der Spielsimulation zu ihren verschiedenen Quellen bzw. Quellsystemen berücksichtigt wird. Erst dann wird eine unbefriedigende, weil automatisch zu Ungunsten des Spiels ausgehende Abtastung nach historischer Authentizität zu einer spannenden Auseinandersetzung mit digital vermittelten Weltbildern, ihrer ganz eigenen simulativen bzw. prozeduralen Rhetorik, und deren Botschaft. Mit anderen Worten: Sie helfen uns nur bedingt, das Mittelalter zu verstehen – aber sie helfen uns enorm, unsere Mittelalterbilder zu verstehen. Der Blick zurück in eine Vergangenheit, die (von beiden Titeln) als blutdurchtränkte und von Intrigen durchwucherte Epoche imaginiert wird, verklärt – wenn keine ex- oder implizite Auseinandersetzung mit dieser Differenz (vgl. das Motto der Fallout-Serie „War. War never changes“) stattfindet – tendenziell auch die Gegenwart, die ihn produziert. Beide Spiele verzichten auf ebendiese Differenzierung und können das Mittelalter so in eine sicher abgetrennte Imaginationszone verwandeln, in der Techniken militärischer, politischer und sozialer Macht jenseits ethischer Hindernisse frei von Spielenden praktiziert werden können. Das ‚dunkle Mittelalter‘ wird damit zum entlastenden ‚Magic Circle‘ der Gegenwart.
Verzeichnis der verwendeten Texte und Medien
Spiele
Paradox Development Studio: Crusader Kings 2 (PC). Schweden: Paradox Interactive, 2012.
The Creative Assembly: Medieval 2: Total War (PC). Großbritannien: Sega, 2006.
Texte
Baldwin, Marshall W.: The Decline and Fall of Jerusalem, 1174–1189. In: Setton, Kenneth M.; Baldwin, Marshall W.: A History of the Crusades, Volume I: The First Hundred Years. Madison: The University of Wisconsin Press 1969, S. 590-621.
Bogost, Ian: The Rhetoric of Video Games. In: Salen, Katie (Hg.): The Ecology of Games: Connecting Youth, Games, and Learning. Cambridge, MA: The MIT Press 2008, S. 117–140.
Engelns, Markus: Spielen und Erzählen. Computerspiele und die Ebenen ihrer Realisierung. Heidelberg: Synchron 2014.
Frank, Thomas: Medieval II: Total War – Q&A mit Bob Smith von Creative Assembly. 20.03.2006. In: Sega-Portal < http://www.sega-portal.de/blog/3129/medieval-ii-total-war-qa-mit-bob-smith-von-creative-assembly/ > [27.05.2016]
Frasca, Gonzalo: Simulation versus Narrative: Introduction to Ludology. In: Mark J.P. Wolf, Bernard Perron (Hg): Video/Game/Theory. Routledge, 2003. < http://www.ludology.org/articles/VGT_final.pdf > [30.04.2016].
McLuhan, Marshal: The Medium is the Message. In Noah Wardrip-Fruin, Nick Montfort: The New Media Reader. Cambridge M.A., London: MIT Press 2003, S. 203-209.
Ohler, Norbert: Krieg und Frieden im Mittelalter. München: C.H. Beck 1997.
Ringer: Idiotic AI diplomacy. Auf: Gamefaqs.com <http://www.gamefaqs.com/boards/931592-medieval-ii-total-war/58433131> [01.05.2016].
Schwarzwald, Florian: Mord, Pest, und Verrat. Das Mittelalter in Computerspielen. In: Rohr, Christian (Hg): Alles heldenhaft, grausam und schmutzig? Mittelalterrezeption in der Populärkultur. Zürich, Berlin: LIT Verlag 2011, S. 251-263.
Zacny, Rob: How Crusader Kings 2 caught Paradox by surprise. In: PCGames-N. <http://www.pcgamesn.com/crusader-kings-ii/how-crusader-kings-2-caught-paradox-by-surprise> [01.05.2016].
Bilder
Bild cs-raynault-historisch: Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6f/ReynaldofChatillon%26PatriarchofAntioch.jpg Gemeinfreie Nutzung.
mtw-audiovisuell.gif: Hauptmenü Medieval: Total War 2, in gif- format transferiert mit www.makeagif.com
Andere Bilder: Eigene Screenshots
- Vgl. Ohler: Krieg und Frieden im Mittelalter. 1997, S. 49f.[↩]
- Vgl. McLuhan: The Medium is the Message. 2003, S. 203-209.[↩]
- Vgl. u.a. Engelns: Spielen und Erzählen. 2014[↩]
- Frasca: Simulation versus Narrative: Introduction to Ludology. 2003. < http://www.ludology.org/articles/VGT_final.pdf > [30.04.2016] S. 3.[↩]
- Ian Bogost hat für die spezifische Ausformung dieser Hierarchie bzw. ihrer Effekte den Begriff der ‚procedural rhetoric’ geprägt; vgl. Bogost: The Rhetoric of Video Games. 2008, S.125.[↩]
- Vgl. Frank: Medieval II: Total War – Q&A mit Bob Smith von Creative Assembly. 2006, o.S. < http://www.sega-portal.de/blog/3129/medieval-ii-total-war-qa-mit-bob-smith-von-creative-assembly/ > [27.05.2016][↩]
- Mehr zur Rolle der Stadt sowie dem Mittelalterbild von MW 2; vgl. Schwarzwald: Mord, Pest, und Verrat. Das Mittelalter in Computerspielen. 2011, S. 259.[↩]
- Vgl. Ringer: Idiotic AI diplomacy. <http://www.gamefaqs.com/boards/931592-medieval-ii-total-war/58433131> [01.05.2016][↩]
- Vgl. Zacny: How Crusader Kings 2 caught Paradox by surprise. <http://www.pcgamesn.com/crusader-kings-ii/how-crusader-kings-2-caught-paradox-by-surprise> [01.05.2016][↩]
- Vgl. Baldwin: The Decline and Fall of Jerusalem, 1174–1189. 1969, S. 606.[↩]
- Vgl. Ohler: Krieg und Frieden im Mittelalter. 1997, S. 237, 241.[↩]