Von der lebenden Göttin zur ehrlosen Schlampe: Die Darstellung Kleopatras in 'Assassin’s Creed Origins'

28. November 2023
Abstract: Whether in Shakespeare’s 'Antony and Cleopatra' or Goscinny’s and Uderzo’s 'Asterix and Cleopatra' – to us, Egypt’s last queen is always presented as a beautiful, moody woman. This paper looks at Cleopatra’s character in a contemporary work, 'Assassin’s Creed Origins', and examines to what extent her depiction adjusts to the artificial as well as artistic archetype of the femme fatale.

Kleopatra VII. Philopator war eine Königin, die mithilfe ihres Verführungstalentes einen Machtausbau ihres Reiches anstrebte und aus diesem Grund mit den römischen Feldherrn Gaius Julius Cäsar sowie Marcus Antonius (Liebes-)Bündnisse einging. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einer markanten Nase, schwarzes, glattes Haar, weiße bis hellbraune Haut und war stets in edle Roben und Gewänder gekleidet – so wird sie uns bis heute medial vermittelt.

Solche bzw. ähnliche Darstellungen Kleopatras in Geschichtsschreibung, Literatur und Kunst lassen sich bereits seit ihren letzten Lebensjahren nachverfolgen. Ihr Leben, darunter besonders ihre Liebschaften, der Krieg gegen Octavian und ihr Selbstmord, avancierte früh zu einem beliebten Stoff für Schriftsteller*innen und Künstler*innen. Besonders in der medialen Rezeption in Europa wird dieses traditionell-einseitige Bild, das Kleopatra negativ und sexualisiert darstellt, weiterhin tradiert.

Ich möchte mich im folgenden Beitrag mit dieser Perspektive auf Kleopatra befassen, die etwa im Videospiel Assassin’s Creed Origins (2017) vorherrscht, und diese auf die Darstellung von emanzipierten Frauen als vorgefertigten Figurentypus zurückführen, der ab Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jh. als Femme fatale bezeichnet wurde.

Macht im Exil – Kleopatra in Assassin’s Creed Origins

Kleopatra wird den Spieler*innen nach der einleitenden Tutorial-Phase vorgestellt. Ihr Berater Apollodoros führt die Spieler*innen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Rolle des Medjais Bayek wiederfinden, zu seinem Anwesen, wo Kleopatra unter anderem ihre Zeit im Exil verbringt. Es stellt sich heraus, dass die ägyptische Königin von ihrem Bruder mithilfe des geheimnisvollen Ordens der Ältesten um ihren Thron gebracht worden ist. Auch Bayek und seine Frau Aya sind bereits auf den Orden gestoßen – Mitglieder desselben haben zuvor den Sohn der beiden Medjai umgebracht. Kleopatra lässt Bayek zu sich bringen, um ihm ein Angebot zu machen: Er soll ihr zusammen mit Aya, die sich bereits im Dienst Kleopatras befindet, helfen, den Thron zurückzuerobern. Im Gegenzug dafür verschaffe sie ihnen nach ihrer Machtübernahme die Möglichkeit, sich am Orden der Ältesten für den Tod ihres Sohnes zu rächen. Bayek willigt schließlich ein.

Unter diesen Bedingungen treffen die Spieler*innen erstmals auf Kleopatra. Bayek und Apollodoros stoßen zu ihr, als sie gerade mit ihrem Hofstaat ein ausgelassenes Fest feiert. Den Sound der Szene prägen Gelächter sowie nur teils verständliche Gesprächsfetzen und es wird getanzt – Musik hört man jedoch keine. Die ersten Worte, die die Spieler*innen von Kleopatra, die lediglich ein loses, großzügig ausgeschnittenes Kleid trägt, vernehmen, hinterlassen sogleich einen bleibenden Eindruck: „Wo ist unsere Opiumpfeife? // Wir schlafen mit egal wem! Solange er einverstanden ist, sich am Morgen hinrichten zu lassen.“1 Dieses Motiv ist keinesfalls unbekannt; die Novelle Une nuit de Cléopâtre (1845) von Théophile Gautier ist ein frühes Beispiel, das Kleopatra als eine wortwörtlich tödliche Verführerin darstellt.2 In der ersten Szene, in der sie als Figur selbst auftritt, wird Kleopatra als eine freizügig gekleidete, drogenkonsumierende Frau porträtiert, die sich selbst in einer Machtposition sieht, von der aus sie den Mitgliedern ihres Hofstaats Sex mit anschließender Hinrichtung anbieten kann, wofür sie von ihren Untertanen keinesfalls missbilligt, fast noch gefeiert wird.

Emanzipierte Frau und sexualisiertes Weib

Dieser erste Eindruck regt sogleich zu einer Interpretation Kleopatras durch die Spieler*innen an. Ob Kleopatra in dieser Szene nun als eine in hohem Maß sexualisierte weibliche Figur, die sich nur durch ihr körperliches Kapital auszeichnet, oder als eine emanzipierte Frau, die sich ihrer Wirkung, ihrer eigenen Wünsche und Begierden bewusst ist, gesehen wird, hängt von der individuellen Lesart der Spieler*innen ab. Die Szene ist jedoch ohne Zweifel von einer gewissen ‚tödlichen Verführung‘ geprägt, die sich auch als Merkmal der Femme fatale wiederfinden lässt. Dieses typische Charakteristikum wird meist um jenes der erotischen Schönheit erweitert – gemeinsam bilden diese die ambivalente, aber gleichzeitig oberflächliche Kennzeichnung der Femme fatale.3 Die Figur der Kleopatra ist in vielen Fällen von Literatur und Kunst auf eine solche Weise geprägt, jedoch lässt sich bei dieser eine Aufladung mit negativen Charaktereigenschaften schon lange vor dem Aufkommen der Femme fatale feststellen. Besonders im späten 16. und im 17. Jh. kann in Teilen der europäischen Literaturproduktion eine Verfestigung dieser Darstellung der Königin beobachtet werden. Kleopatra wird als übermäßig erotische Frau porträtiert, die ihrem Umfeld nichts als Verderben bringt – dies wird ihr in diversen künstlerischen Aufarbeitungen ihres Lebens regelrecht vorgeworfen.4

In Assassin’s Creed Origins werden die Spieler*innen mit einem differenzierteren Bild konfrontiert. Kleopatra wird ihnen zwar gleich von zu Beginn als eine verruchte, erotische Frau vorgestellt, jedoch rücken in diesem Spiel auch ‚positive‘ Eigenschaften dieser Femme fatale in den Fokus, wie etwa ihre Anmut oder ihre von ihren Untergebenen als vielversprechend gepredigten Pläne für das Reich nach ihrer erneuten Machtübernahme. Von einigen ihrer Untertanen, aber vor allem von Cäsar, wird sie als Inbegriff der Schönheit gesehen: „Verehrteste, Euer Mut wird nur von Eurer Schönheit übertroffen“5, sagt er etwa, als sich Kleopatra in einen Teppich gewickelt von Aya, Bayek und Apollodoros in den Palast schmuggeln lässt. Die Ambivalenz in Kleopatras Charakter, den sowohl Erotik als auch Verderben, sowohl Schönheit als auch Tod prägen und hier noch um den Aspekt des Mutes erweitert wird, bleibt somit, ganz in der Tradition der Femme fatale, nie eindeutig interpretierbar.

Die Frau, die verdirbt, und der Mann, der erträgt

Doch wem bringt Kleopatra überhaupt Verderben? Ähnlich wie ihr ambivalenter Charakter wird dies meist nicht näher spezifiziert. Der Femme fatale wird jedoch zugeschrieben, sich selbst und/oder den Menschen in ihrer Umgebung, darunter vor allem ihren männlichen Partnern, den Tod zu bringen.6 Handlungen, in welchen die Femme fatale eine Rolle spielt, enden meist tödlich für den Mann. Schuld daran trägt die Frau, die in vielen Fällen ebenfalls stirbt.7 Besonders im späteren Lebensabschnitt Kleopatras finden sich Ereignisse, die sie wie eine Verderben bringende Femme fatale lesen lassen können. Sowohl in der antiken Geschichtsschreibung als auch in der damaligen Dichtung werden der Königin Zauber- und Hexenkräfte nachgesagt, mithilfe derer es ihr gelungen sein soll, einflussreiche römische Feldherrn auf ihre Seite zu ziehen und deren Einfluss und Macht für ihre Zwecke auszunutzen. So lautet die Begründung dafür, wie es möglich sein konnte, dass gestandene römische Feldherrn wie Gaius Julius Cäsar und Marcus Antonius für Roms Feindin Partei ergriffen und sie bei ihrem Vorhaben, ihr Reich und ihren Einfluss auszubauen, unterstützten – schließlich konnte eine Frau nicht ohne übernatürliches (oder männliches) Zutun einen solchen politischen Erfolg verzeichnen.8 Gerade dieser Teil von Kleopatras Leben, ihre Bündnisse mit Cäsar und Antonius sowie der tödliche Ausgang dieser für alle Beteiligten, wird immer wieder in Literatur und Kunst aufgegriffen.9 So ist das Bündnis zwischen Kleopatra und Cäsar auch Teil der Handlung von Assassin’s Creed Origins, durch das sich die Königin ihre Rückkehr auf den Thron Ägyptens und der Feldherr einen höheren Machteinfluss im Römischen Reich und im Mittelmeerraum erhofft. Den Anstoß zu einem solchen Bündnis gibt folgende Unterredung, die Kleopatra und Cäsar im Königlichen Palast führen, nachdem sie sich im Teppich hineinschmuggeln ließ:

Kleopatra:       Wir können Euch bieten, woran unser Bruder gescheitert ist. Eine Hochzeit. Eine echte Hochzeit natürlich.

Ptolemaios:     Verbündet Ihr Euch mit meiner Schwester, lasse ich jeden Römer in Alexandria töten.

Kleopatra:       Genug der großen Worte, kleiner Bruder.

Cäsar:              Raus. Alle. Ich lasse euch rufen, wenn unsere Unterredung beendet ist. Ich möchte mir gern beide Seiten der Geschichte anhören.10

In der Filmsequenz, aus der dieser Wortwechsel stammt, spielt Kleopatra ihren Bruder Ptolemaios, der zunächst mit ihr zusammen regiert und sie schließlich mithilfe des Ordens der Ältesten vom Thron verstoßen hat, als Verbündeten Cäsars aus. Ptolemaios versucht zu diesem Zeitpunkt des Spiels ebenfalls, neue Bündnisse zu schließen, da er als Marionette des Ordens nur wenig tatsächlichen Einfluss in seinem Land hat. Deswegen lässt er noch vor dem beschriebenen Treffen den römischen Feldherrn Pompeius, der sich mit Cäsar in Rom in einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung befunden hat, töten, um Cäsar von einem Bündnis zu überzeugen. Dieser ist jedoch mit dem voreiligen Zug des Ägypters nicht einverstanden und steht daher neuen Vorschläge wie jenen von Kleopatra offen gegenüber. So verbünden sich also die ägyptische Königin und der römische Feldherr; im Laufe der Spielhandlung gehen sie ferner eine Liebesbeziehung ein, wodurch diese Partnerschaft endgültig mit dem typischen Handlungskontext der Femme fatale korreliert. Die Femme fatale verführt einen Mann, der sich daraufhin auf ein Verhältnis intimer Natur einlässt, die überdies Vorteile für ihn aber vor allem auch für die Frau verspricht. Schlussendlich wird ihm diese Beziehung zum Verhängnis. So geschieht es auch mit Cäsar – gegen Ende des Spiels ersticht Aya ihn mitten in einer Senatssitzung in Rom, nachdem er und Kleopatra die beiden Medjai verraten und betrogen haben. Der Römer stirbt in diesem Fall zwar nicht direkt durch die Hand seiner Femme fatale Kleopatra, verliert sein Leben jedoch sehr wohl aufgrund ihre Machtspiele und ihrem Verrat an Bayek und Aya. Letztere spricht gegen Kleopatra noch eine Drohung aus:

Kleopatra:       Was hast du getan? Caesarion wäre auf dem Thron von Rom.

Aya:                Hört doch, wie sie Euch auf den Straßen nennen: Die Hure eines toten Tyrannen.

Kleopatra:       Wir sind noch deine Königin.

Aya:                Ihr seid nur die Königin von Lügnern und Schlangen. Fünf Jahre kämpfte ich für Euch. Unser Volk hat Euch angebetet. Apollodoros starb für Euch, für Ägypten.

Kleopatra:       Für Ägypten? Wir sind Ägypten!

Aya:                Dann seid die Herrscherin, die unser Volk verdient, sonst wird Euch nichts vor meiner Klinge retten können. Ihr seid die Letzte der Pharaonen.11

An diesem Ausschnitt werden zwei Charakteristika der Femme fatale sichtbar. Zum einen wird sie auf ihre Sexualität reduziert, indem sie als „Hure“ beschimpft wird, die mit ihrem selbstbestimmten, offenen Umgang mit ihrer Sexualität und Erotik nichts mehr zu tun hat. Dies lässt sich wiederum auf den Entstehungskontext dieser Kunstfigur zurückführen: Das männliche Geschlecht erlebt zugleich Faszination und Abscheu gegenüber der neuen, emanzipierten Weiblichkeit im 19./20. Jh., fühlt sich also hingerissen von der offen ausgelebten Erotik einer Femme fatale, sexualisieren und verurteilen diese aber auch.12 Im Spiel wird darüber hinaus u.a. an der zitierten Szene deutlich, dass sich nicht nur männliche Personen gleichen Standes gegen Kleopatra wenden, sondern auch ihre (weiblichen) Untertanen. Zum anderen kann hier beobachtet werden, wie eine Figur – genau eine solche weibliche Untertanin – die Eigenschaft der Femme fatale, zugunsten ihrer Pläne über Leichen zu gehen, offen anprangert.13

Dass eine Femme fatale den Mann an ihrer Seite mit sich ins Verderben stürzt, setzt voraus, dass sie sich stets, in jeglicher Ausführung, in einer Beziehung befinden muss – diese Kunstfigur funktioniert in ihrer Entität nicht, wenn sie für sich alleine, für sich selbst steht. In Kunst und Literatur werden vorzugsweise jene Teile ihres Lebens behandelt, die sie mit einem der beiden römischen Feldherrn verbracht hat. Zu den Themen zählen etwa Kleopatras (Liebes-)Bündnisse im Zuge verschiedener kriegerischer Auseinandersetzungen und ihre Selbstaufgabe nach Antonius‘ Tod,14 die völlige Abkehr von Kleopatras politischer Bedeutung und ihre Darstellung als die stereotype, unterwürfige Frau,15 welche einen krassen Gegensatz zu jenen Werken herstellen, die Kleopatras negative Eigenschaften in den Mittelpunkt rücken und sie als Femme fatale16 zeichnen.17 Auch in Assassin’s Creed Origins wird ein solches thematisches Framing sichtbar. Kleopatra wird häufig von anderen Figuren im Spiel als herrschsüchtige, manipulative Frau benannt und mit diversen Schimpfwörtern bedacht, die ihre Weiblichkeit diffamieren. Ihre Fähigkeiten als Königin und ihre positiven Eigenschaften werden nur selten und bloß von einer geringen Zahl ihrer direkten Anhänger*innen thematisiert – doch diese Stellung als Gepriesene wird spätestens zu jenem Zeitpunkt im Spiel relativiert, als Apollodoros im Kampf für Kleopatra stirbt und diese Bayek und Aya verrät. Ihr Bündnis mit Cäsar und ihre Hoffnung, durch den Römer und andere, unmoralische Mittel wieder an die Macht zu gelangen, wird stark in den Vordergrund gerückt. Die fähige Herrscherin und letzte Königin Ägyptens muss also zugunsten einer machthungrigen und zugleich ohnmächtigen Adligen weichen; dieser wird zudem noch nachgesagt, sich ihre Macht mithilfe eines römischen Feldherrn zu ‚erschlafen‘. Die Repräsentation der historischen Figur Kleopatras, die die Spieler*innen in Assassin’s Creed Origins erfahren, kann zwar durch die parallele Darstellung der Selbst- sowie Fremdwahrnehmung der Königin als differenziert eingestuft werden, wird aber durch die Verknappung auf lediglich wenige Abschnitte ihres Lebens wiederum stark reduziert.

Mit dem Patriarchat gegen das Patriarchat

Durch die Konzentration von Literatur und Kunst auf Kleopatras Bündnisse mit Antonius und Cäsar sowie in einigen Fällen auch auf ihre Ehe und Doppelherrschaft mit ihrem Bruder Ptolemaios VI. verliert die Figur jegliche, von den ohnehin eingeschränkten Überlieferungen übriggebliebene Selbstbestimmung.18 Dies wird auch im untersuchten Spiel erkenntlich. Kleopatra wird stets nur von außen beschrieben, bekommt wenig Raum, über sich selbst zu urteilen und sich selbst zu vertreten. Den Spieler*innen bzw. ihrem Avatar Bayek wird Kleopatra etwa nur durch den Berater Apollodoros vorgestellt. Cäsar und Ptolemaios sowie deren Handlanger reden stets über die Königin, während diese in ihrer funktionalen Rolle im Spiel gefangen bleibt und meist nur dann spricht, wenn sie den Spieler*innen Details zum nächsten Teil der Hauptquest mitteilt.19 Obwohl sie in den meisten Szenen als eine manipulative und eine von Macht besessene Frau gezeigt wird, die scheinbar alle Fäden in der Hand hält, kann sie ihre Pläne nur dann verwirklichen, solange sie mit den Männern in ihrem Umfeld – Apollodoros, Bayek, Cäsar – verbündet bleibt. Besonders deutlich wird dies am Schluss, als sie sämtliche Bündnispartner verloren hat und all ihre Pläne gescheitert sind. Ab diesem Zeitpunkt ist sie auf sich allein gestellt, doch kann ihr weiterer Verbleib nicht mehr nachverfolgt werden, da das Spiel an diesem Punkt endet.

Kleopatra widerfährt in Assassin’s Creed Origins demnach ein derartiges Schicksal, wie es der Typus der Femme fatale verlangt. Sie will sich als emanzipierte, von ihrer zugeschriebenen, stereotypisierten Position losgelöste Frau gegen das herrschende Patriarchat auflehnen und sich selbst einen Vorteil daraus verschaffen.20 Ob sie in weiterer Folge eine Verbesserung für alle Frauen, die gleichermaßen unter den patriarchalen Strukturen leiden, erreichen will, wird nicht klar thematisiert. Die Femme fatale versucht, das Patriarchat, vertreten durch ihr männliches Gegenüber, zu stürzen, doch scheitert sie meist daran.21 Ein interessanter Aspekt ist die Wechselwirkung zwischen der Femme fatale und dem Patriarchat, gegen das sie kämpft: Die Femme fatale kann ohne eine patriarchale Gesellschaft gar nicht existieren. Die Figur entsteht überhaupt erst aus einer solchen Struktur; gäbe es diese nicht, gäbe es auch keinen Grund, der damit einhergehende Diskriminierung als weibliche Person entgegenzutreten.22 Die Femme fatale ist also in einem ‚patriarchalen Perpetuum Mobile‘ gefangen.

Mit Kleopatra VII. vereinen sich die soeben beschriebenen Aspekte der Femme fatale in einer historischen Person. Über das Leben der letzten ägyptischen Königin ist nur wenig sicher bekannt, und das meiste davon ist aus der Perspektive römischer und griechischer Geschichtsschreiber sowie Dichter überliefert.23 Kleopatra verliert dadurch nicht nur ihre Möglichkeit zur Selbstbestimmung, sie wird ihr regelrecht entzogen – und zwar nicht nur wegen der Schriften über sie, sondern besonders auch aufgrund des Mangels ägyptischer Überlieferungen und der Hegemonie römischer und griechischer Texte. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei Octavian, der nach seinem Sieg über Kleopatra und Antonius begann, im Römischen Reich seine Propaganda über die teuflische Hexenkönigin aus Ägypten zu verbreiten.24

Die uns im Spiel präsentierte Kleopatra will sich ebenso von den vorherrschenden patriarchalen Strukturen in Ägypten – Ptolemaois‘ Herrschaft gestützt durch die römische Besatzung – befreien. Es wird jedoch suggeriert, dass sie dazu die Hilfe von Männern, also z.B. Apollodoros, Bayek oder Cäsar, braucht, was sich wiederum auf die Wechselbeziehung rund um Femme fatale und Patriarchat zurückführen lässt. Der diese Kunstfigur begleitende Dualismus von Frau und Mann, von Frau und Patriarchat kann in Assassin’s Creed Origins auf den Konflikt zwischen dem (matriarchalen) Ägypten und dem (patriarchalen) Rom erweitert werden. Kleopatra lehnt sich als verstoßene Königin gegen die Fremdbesatzung ihres Reiches durch ihren Gegner Rom auf. Dazu zieht sie mit Cäsar einen Vertreter Roms auf ihre Seite und verspricht ihm, dass durch ein solches Bündnis beide ihre Macht schlussendlich ausbauen werden können. In ihrem Kampf gegen das Patriarchat hat die Femme fatale hier also bereits einen Verbündeten, einen Mann gefunden. Die Verbindung läuft, ob nun von Kleopatra beabsichtigt oder nicht, auf eine Liebesbeziehung hinaus, während sich die Involvierten gegenseitig für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Letzteres wird durch das dualistische Verhältnis mit zweierlei Maß gemessen: Während Cäsar in diesem Bündnis als geschickter Politiker angesehen wird, bleibt Kleopatra die moralisch verkommene Intrigantin – sie entkommt ihrer negativen Konnotation nicht, egal was sie tut.

Dieser Dualismus, dem stets auch ein Konflikt inhärent ist, wird in der antiken Geschichtsschreibung von augusteischen Dichtern wie Vergil und Properz in Antwort auf Octavians Propaganda um einen mythologischen Aspekt erweitert. Demzufolge wird aus der Seeschlacht bei Aktium, dem letzten großen Kampf zwischen Kleopatra, Antonius und Octavian, ein göttlicher Krieg, in den römische und ägyptische Gottheiten verwickelt sind und der Römer geht mithilfe des Segens Apollos siegreich aus der Schlacht hervor.25 Octavian nutzt diese Dichterzeugnisse wiederum für seine Propaganda und legitimiert so auch sein Vorgehen gegen seinen Landsmann und politischen Gegner Antonius, der sich einer ausländischen Königin hingegeben hat und somit für die Führung des Römischen Reiches nicht mehr in Frage kommen konnte.26

Kleopatra – immer (von) außen

Die Zuschreibung der Femme fatale, gleichzeitig schöne Verführerin und böse Hexe zu sein, sowie ihre fehlende bzw. ihr genommene Selbstbestimmung laufen auf eine stetige Fremdcharakterisierung der Figur hinaus. Das ist auch der Fall bei Kleopatra in Assassin’s Creed Origins. Kleopatra wird als „falsche Göttin“, „ehrlose Schlampe“ oder „Hure eines toten Tyrannen“ bezeichnet. Die Königin versucht, der stetigen Verleumdung und Beschimpfung ihrer selbst entgegenzuhalten und sich als „lebende Göttin“ darzustellen. Es gelingt ihr jedoch nicht, dieses Framing innerhalb ihres Volkes durchzusetzen; sie bleibt die Schuldige, die sich wegen ihrer Liebschaft zu Cäsar nicht um ihr Land kümmert und es unter der römischen Besatzung leiden lässt.27

Die zitierten Bezeichnungen Kleopatras machen die zu Beginn des Beitrags beschriebene Ambivalenz zwischen der sexualisierten Frau und dem teuflischen Weib, die beide mit der Femme fatale assoziiert werden, deutlich. Sie wird dabei fast rein auf ihr schönes bzw. sexualisiertes Selbst reduziert. Kleopatra muss sich in der ihr zugeschriebenen Rolle der Femme fatale dieser Fremdbestimmung schließlich unterordnen, vor allem auch, weil sie dadurch aktiv in die Rolle einer gesellschaftlichen Außenseiterin gedrängt wird und somit über keine soziale Macht verfügt. Die Femme fatale ist prädestiniert dazu, Außenseiterin – unter den Machthabenden und Herrschenden – zu werden und zu bleiben. In Assassin’s Creed Origins geschieht dies vor allem aus der Perspektive und Handlungsmacht der Römer. Kleopatra wird von ihrem Bruder mithilfe des Ordens der Ältesten, in dem auch politisch hochrangige Römer mitwirken, vom Thron verstoßen und lebt im Exil. In Ägypten hat sie sämtlichen Zuspruch verloren, weswegen sie sich mit Cäsar, der sich von Ptolemaios‘ Werben nicht beeindrucken lässt, verbünden muss, um wieder an die Macht zu gelangen. Trotz ihres Bündnisses mit einem römischen Feldherrn ist es ausgeschlossen, dass sie von den Römern als ebenbürtige und rechtmäßige Herrscherin anerkannt wird, was die zuvor zitierten Beschreibungen ihrer Figur gezeigt haben. Gleichzeitig wird ihr im patriarchalen Hierarchiesystem, das Rom aufrechterhält und auch in Ägypten vollends durchsetzen will, kein Rang, nicht einmal ein niedriger, gewährt. Kleopatra bleibt das Feindbild, das einem Machtausbau Roms im Wege steht und deshalb beseitigt werden muss.

Medienverzeichnis

Spiele:

Ubisoft: Assassin’s Creed Origins (Ubisoft Connect). Frankreich: Ubisoft 2017.

Texte:

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Brandon, Samuel: The Tragicomedy of the Virtuous Octavia. London: William Ponsonby 1598.

Bronfen, Elisabeth: Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004.

D’Welles, Boistel: Antoine et Cléopâtre. Paris: Chez Prault 1743 [1741].

Dryden, John: All for love. London: J. Wenman 1778 [1678].

Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart: Kröner 1992.

Gautier, Théophile: Une nuit de Cléopâtre. Paris: A. Ferroud 1894 [1845].

Hilmes, Carola: Die Femme Fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur. Stuttgart: Metzler 1990.

Marmontel, Jean-François: Cléopâtre. In: ders.: Oeuvres de Monsieur Marmontel. La Haye: P. Gosse 1752 [1750].

May, Thomas: Cleopatra, Queen of Egypt. London: Thomas Walkly 1639 [1626].

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Prose, Francine: Cleoptra. Her History, her Myth. London: Yale University Press, 2022.

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Schäfer, Christoph: Kleopatra. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006.

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Shakespeare, William: Antony and Cleopatra. Stuttgart: Reclam 1992 [1607].

Von Ayrenhoff, Cornelius Herrmann: Kleopatra und Antonius. Wien: Schmidt 1813 [1783].

Von Lohenstein, Daniel Casper: Cleopatra. Drama. Leipzig: Kloss 1724 [1661].

 

Bilder:

Ubisoft: Assassin’s Creed Origins (Ubisoft Connect). Frankreich: Ubisoft 2017. Eigener Screenshot.

  1. Ubisoft: Origins. 2017.[]
  2. Frenzel: Weltliteratur. 1992, S. 441.[]
  3. Hilmes: Femme Fatale. 1990, S. XIII.[]
  4. Frenzel: Weltliteratur. 1992, S. 440f.. Siehe etwa Cleopatra mit Antonio dem Römer (1560) von Hans Sachs, Antony and Cleopatra (1607) von William Shakespeare oder Cleopatra. Drama. (1661) von Daniel Casper von Lohenstein. Es gilt zu erwähnen, dass ab dem späteren 17. Jh. auch positive Darstellungen Kleopatras zu verzeichnen sind, siehe etwa All for love (1678) von John Dryden, Cléopâtre (1750) von Jean-François Marmontel oder Kleopatra und Antonius (1783) von Cornelius Herrmann von Ayrenhoff.[]
  5. Ubisoft: Origins. 2017.[]
  6. Hilmes: Femme Fatale. 1990, S. XI-XIV.[]
  7. Hilmes: Femme Fatale. 1990, S. 1f.[]
  8. Becher: Bild der Kleopatra. 1966, S. 146.[]
  9. Frenzel: Weltliteratur. 1992, S. 439-442.[]
  10. Ubisoft: Origins. 2017.[]
  11. Ubisoft: Origins. 2017.[]
  12. Hilmes: Femme Fatale. 1990, XIf.[]
  13. Bronfen: Femme fatale. 2004, 36-42.[]
  14. Siehe etwa Cleopatra (1552) von Cesare De’Cesari, Cléopâtre captive (1553) von Étienne Jodelle, Antony and Cleopatra (1607) von William Shakespeare, Cleopatra (1963) von Joseph L. Mankiewicz.[]
  15. Siehe etwa The Tragedy of Cleopatra, Queen of Egypt (1626) von Thomas May, All for Love (1678) von Dryden, Antoine et Cléopâtre (1741) von Boistel D’Welles, Kleopatra und Antonius (1803) von C. H. v. Ayrenhoff.[]
  16. Siehe etwa Die Königin Cleopatra mit Antonio dem Römer (1560) von Hans Sachs, The Tragicomedy of the Virtuous Octavia (1598) von Samuel Brandon, Antony and Cleopatra (1677) von Charles Sedley, Antonio e Cleopatra (1775) von Vittorio Alfieri.[]
  17. Frenzel: Weltliteratur. 1992, S. 439-442.[]
  18. Powers: Cleopatra’s legacy. 2020. https://artuk.org/discover/stories/cleopatras-legacy-in-art-famous-pharaoh-and-femme-fatale [21.08.2023].[]
  19. Ubisoft: Origins. 2017.[]
  20. Hilmes: Femme Fatale. 1990, XIV.[]
  21. Ebd.[]
  22. Hilmes: Femme Fatale. 1990, XIV.[]
  23. Schäfer. Kleopatra. 2006, 11, 190f. S. weiterführend etwa Francine Prose: Cleoptra. Her History, her Myth. London: Yale University Press, 2022.[]
  24. Schäfer. Kleopatra. 2006, 188ff.[]
  25. Becher: Bild der Kleopatra. 1966, 47-55.[]
  26. Becher: Bild der Kleopatra. 1966, 23-26.[]
  27. Ubisoft: Origins. 2017.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Gödl, Anja: "Von der lebenden Göttin zur ehrlosen Schlampe: Die Darstellung Kleopatras in 'Assassin’s Creed Origins'". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 28.11.2023, https://paidia.de/von-der-lebenden-goettin-zur-ehrlosen-schlampe-die-darstellung-kleopatras-in-assassins-creed-origins/. [21.11.2024 - 06:26]

Autor*innen:

Anja Gödl

Anja Gödl studiert Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik im Master an der Universität Innsbruck. Sie ist Gründungsmitglied der Ludobande, einem interdisziplinären Netzwerk für Young Academics in den Game Studies. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Intermedialität, Gender Studies und Game Studies