Mit dem Computer spielen - Analogien und Physiologien im Spiel mit der Spannung

30. September 2020
Abstract: Analogcomputerspiele gelten als exotische Frühformen elektronischen Spielens. Ihre Geschichte reicht jedoch bis in die Gegenwart. An ausgewählten historischen und aktuellen Beispielen zeigt der Beitrag die Technologie der Spiele und stellt deren epistemologische und medienphysiologische Aspekte dar. Analogcomputerspiele führen in letzter Konsequenz die Verschaltung zweier einander ähnelnder Signalverarbeitungssysteme (Maschine und Mensch) vor und produzieren damit eine Form physiologischer Immersion.

„Der elektronische Stromkreis
ist eine Ausdehnung
des zentralen Nervensystems.“ 1

Wenn heute von Computerspielen die Rede ist, dann sind damit fast immer Spiele für Digitalcomputer gemeint; Spiele, die als Software für dedizierte Plattformen entwickelt werden, die als Hardware-Software-Verbund aus dem Digitalcomputer eine Turing-Spiel-Maschine machen. Allenfalls in historischen Auseinandersetzungen und der Frage, welches denn ‚das erste Computerspiel‘2  gewesen sei, finden sich Hinweise auf Spiele mit anderen Computer-Typen. Der spielhistorische Diskurs klammert diese jedoch stets als prototypisch, exotisch und als technische Sackgassen aus, gerade weil sie sich einer Einordnung in das dominierende Dispositiv des Digitalcomputerspiels genauso zu widersetzen scheinen wie einer Kategorisierung in dessen inhaltliche Genre- und Motiv-Klassifikation.

Im Folgenden möchte ich diese Klammer der Computerspiel-Geschichte wieder öffnen und das Spiel(en) mit dem Analogcomputer fokussieren. Ich möchte versuchen zu zeigen, wie sich die wenigen bislang bekannten Analogcomputerspiele epistemologisch fassen lassen – sowohl mit einem ‚geschlossenen‘ (techno-mathematischen) als auch mit einem ‚offenen‘ (wirkungsästhetischen) Begriff von Spiel, wie ihn die Game Studies diskutieren und erweitern. Denn es mag ja auf den ersten Blick verwundern, dass zwei in kontinuierlicher Physik operierende Systeme (der Analogcomputer und der menschliche Körper) so schlechte Spielgefährten sein sollen. Aus der Perspektive der Computerarchäologie3  sollen dazu physiologische Ansätze als Wirkungsästhetiken rezipiert werden, um zu zeigen, inwiefern Analogcomputer vielleicht grundsätzlich Spielzeuge sind. Für das Digitalcomputerspiel ist dieser Versuch bereits unternommen worden: Claus Pias hatte das Action-Spiel aus der Geschichte der Experimentalpsychologie abgeleitet.4  Ich möchte hier einen Schritt dahinter zurückgehen und vor allem nach elektrophysiologischen Parallelen zwischen Spielerkörper und Spielcomputer suchen.

Analogcomputer

Nach einem weiten Verständnis von Computerspiel, ist spielen das Einzige, was ein Computer kann: Stets tut er nur „als ob“, simuliert er Prozesse der Wirklichkeit im virtuellen Raum der Mimikry (die Schreibmaschine im Textverarbeitungsprogramm, das Kino in der Videoplayer-Software, den Krieg in der Gefechtssimulation).5  Für Digitalcomputer bedeutet dies, dass sich alles, was berechenbar ist, als ein Spiel mit Symbolen6  verstehen lässt. Analogcomputer wären damit ebenso als Spielzeuge zu verstehen, weil die Simulation realer Prozesse ihre eigentliche und einzige Aufgabe ist. Aber selbst ohne diese Umdeutung finden sich auch in der Geschichte der Analogcomputer Anwendungen, in denen die Ernsthaftigkeit nicht notwendig von ihrem spielerischen Wert unterschieden werden muss. So waren Analogcomputer, die als Flugsimulatoren eingesetzt wurden7 , zwar in Hinblick auf ihren Wert als Ausbildungssysteme ernsthafte Anwendungen; es ist aus der hier eingenommenen Perspektive jedoch zweitrangig, ob deren Nutzer seriöse Absichten hegten oder einfach nur ‚Pilot spielen‘ wollten. Denn der Rechner selbst unterscheidet die Intentionen seiner Nutzer bei der Simulation des Flugverhaltens selbstverständlich nicht.

Die Aufgabe des Analogcomputers ist die Simulation von Vorgängen (z.B. aus der Natur) durch Nachbildung innerhalb seiner Rechenschaltung. Analogcomputer verfügen dazu über Bauelemente, die in der Lage sind, auf Basis mathematischer Analogiebildungen Anfangsgrößen in Endgrößen umzuwandeln, wobei sich beide Größen proportional zu denen des simulierenden Systems verhalten:

„Die Grundlage bildet selbstverständlich das zu simulierende System, das zunächst exakt spezifiziert sein muss – hieraus werden beschreibende Gleichungen (in aller Regel handelt es sich hierbei um gewöhnliche oder auch partielle Differentialgleichungen) abgeleitet, die als Grundlage für die eigentliche Programmierung des Analogrechners dienen.“8

Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Simulation eines springenden Balls. Solche Ballsimulationen finden sich in zahlreichen Handbüchern von und Publikationen zu Analogcomputern9 : Durch die Kenntnisse der Gravitation und des Luftwiderstands einerseits sowie der Fallhöhe, der Masse, Reibungs- und Dämpfungskonstanten des Materials andererseits lässt sich das Springen eines Balls mathematisch beschreiben. Dazu muss eine Differenzialgleichung gefunden werden, die in einem definierten Zeitraum die Umwelt-Größen als Koeffizienten benutzt, um einen Anfangswert (für die genannten System- und Materialeigenschaften) in einen Endwert umzurechnen. Die Frage, die diese Gleichung beantworten muss, lautet: Wo befindet sich der Ball zum Zeitpunkt tn, wenn zum Zeitpunkt t0 die genannten Bedingungen geherrscht haben?

Eine solche Differenzialgleichung (oder eine Kombination solcher Gleichungen) lässt sich ‚analog‘ implementieren. Diese Beschreibung lässt die Qualität der Anfangs- und Endgrößen sowie die Basis der Implementierung bewusst noch im Vagen, denn Analogrechner können hierfür die unterschiedlichsten Arbeitsprinzipien10 nutzen: Wasser, Luft, Längenunterschiede, Winkelveränderungen und natürlich Elektrizität. Entscheidend ist, dass deren Größen dabei gemessen und nicht gezählt werden. Im Folgenden möchte ich von Analogcomputern (in Abgrenzung zu Analogrechnern) sprechen, wenn es sich um Systeme handelt, die Rechengrößen durch Stromspannungen repräsentieren.

Solche Analogcomputer existieren bereits seit den 1920er-Jahren und werden seither für verschiedenste Simulationszwecke verwendet. Anfangs dominierten militärische Anwendungen (insbesondere Feuerleit-Rechnungen, Raketensteuerungen aber auch die genannten Flugsimulatoren basierten auf Analogcomputern); später wurden sie zusehends ‚universeller‘ und als Prinzip-Rechner zur Entwicklung analoger Schaltungen eingesetzt. Die Basiskomponente eines jeden Analogcomputers ist ein Set von zunächst unabhängig voneinander arbeitenden Operationsverstärkern.11  Sie bilden zusammen mit unterschiedlichen passiven Bauteilen (Widerstände, Kondensatoren, Dioden) ein einzelnes Rechenelement, mit dem beispielsweise Werte integriert, multipliziert oder invertiert werden können. Miteinander verschaltet ermöglichen sie die Implementierung komplexer mathematischer Problemstellungen. Gerade Verfahren der Infinitesimalrechnung, die für mathematische Beschreibung natürlicher Vorgänge besonders wichtig sind, lassen sich mit Analogcomputer besonders intuitiv berechnen und für Simulationen nutzen.

Im Unterschied zum Digitalcomputer finden im Analogcomputer keine schrittweisen Rechenvorgänge statt. Das Problem wird nicht diskretisiert und algorithmisiert, es wird nicht in einer künstlichen symbolischen Sprache formuliert und es existiert im Computer selbst kein System zweiter Ordnung, das Rechenschritte und Rechenwerte als symbolische Ausgaben ablesbar macht. Der Aufbau der Rechengleichung geschieht als elektronische Schaltung im Realen. Mit ihr operiert der Analogcomputer kontinuierlich im reellen Zahlenraum; die Veränderung der Anfangsspannung hin zur Endspannung durch den jeweiligen elektronischen Aufbau (als Nachbildung des zu simulierenden Problems) stellt dabei bereits die Berechnung dar und findet ohne verarbeitungsbedingte Verzögerung nahezu instantan 12  statt. Das Rechenergebnis kann mit einem Voltmeter gemessen, als Ton ausgegeben (dann ist der Analogrechner ein Analogsynthesizer) oder auf einem Oszilloskop dargestellt werden.

Beim Oszilloskop handelt es sich entweder um ein analoges Gerät mit Kathodenstrahlröhre, bei dem das Bild nicht durch ein Linienraster, sondern durch direkte horizontale und vertikale Ablenkung des Elektronenstrahls auf die Mattscheibe gezeichnet wird. Oder das Oszilloskop arbeitet digital, wobei die analogen Eingangswerte zunächst digitalisiert, durch einen eingebauten Digitalcomputer verarbeitet und schließlich in eine Pixelgrafik umwandelt und auf dem Bildschirm darstellt werden. Auch wenn es sich bei letzterem bereits um Computergrafiken handelt, sind die Ausgaben auf dem Bildschirm selbst keine genuinen Computergrafiken, sondern den Graphen einer mathematischen Funktion. Deren Wertebereich ergibt sich aus den Spannungsveränderungen, abgetragen gegen die Zeit t und auf die X- und Y-Position des Strahls/Pixels moduliert. Im Folgenden stelle ich einige Analogcomputerspiele vor – unter besonderer Berücksichtigung ihrer Spielschnittstellen, auf die ich danach eingehen möchte.

Strahlen steuern

Analogcomputer wurden schon recht früh zu spielerischen Zwecken (im engeren Sinne) eingesetzt. So existiert beispielsweise das Patent für ein Cathode Ray Tube Amusement Device aus dem Jahr 1947, in welchem die Erfinder Thomas T. Goldsmith Jr. und Mann Estle Ray eine Vorrichtung zur Ablenkung eines Kathodenstrahls auf einer Bildröhre beschreiben.13  Der Strahl wird durch zwei Drehregler, die jeweils die X- und Y-Ablenkung beeinflussen, vom Spieler gesteuert. Ziel ist ein auf der Mattscheibe dargestelltes Objekt (das Patent spricht von einem Flugzeug und bekundet damit die Nähe zur militärisch eingesetzten Radartechnologie) mit dem Strahl zu treffen. Dadurch, dass die Ablenkung des Kathodenstrahls direkt vollzogen wird, lässt sich schließen, dass es sich beim genannten Sichtgerät um ein Oszilloskop oder einen Radarschirm handelt:

“In carrying out the invention a cathode-ray tube is used upon the face of which the trace of the ray or electron beam can be seen. One or more targets, such as pictures of airplanes, for example, are placed upon the-face of the tube and controls are available to the player so that he can manipulate the trace or position of the beam which is automatically caused to move across the face of the tube. This movement of the beam may be periodic and its repetition rate may be varied. Its path is preferably caused to depart from a straight line so as to require an increased amount of skill and care for success in playing the game.”14

Auch wenn (analoge) Rechentechnik in der Patentschrift an keiner Stelle erwähnt wird, schließt Bernd Ulmann aus der Bemerkung „the beam may be periodic and its repetition rate may be varied“ 15 , dass ein auf Repetierrechnung geschalteter Analogrechen-Schaltkreis „ein stehendes Bild“ 16  generiert. Die Schaltung ist dabei in die Bildröhre selbst verlegt; als Rechen-Elemente dienen zwei Ablenkplatten, die die Richtung des Kathodenstrahls bestimmen. Sogar an eine Explosionsdarstellung haben die Erfinder gedacht: Im Moment des Treffers wird der Elektronenstrahl defokussiert, was eine größere, an den Rändern verschwommene Darstellung zur Folge hat.

Abb1.: fokussierter und defokussierter Lichtpunkt auf einem CRT-Oszilloskop

Bälle schlagen

Ein recht ‚junges‘ Analogcomputer-Spiel bildet das Golf Game Computing System, das Bradford J. Baldwin und Jack A. Russell 1966 zum Patent einreichen:

“A golf game computing system that utilizes data relative to the initial direction, the initial velocity and spin of a golf ball hit from a tee to continuously compute instantaneous displacements of the ball in three mutually perpendicular directions throughout the calculated flight of the ball and indicates the same by continuously moving a projected spot on a scene. Factors such as gravity, lift due to backspin, drag and bouncing of the ball are taken into consideration in computation. An indicator operated by the computing system illustrates the calculated point of termination of the shot on a map of a golf hole so that the subsequent shot may be played accordingly and provides the golfer with information relative to changing the displayed scene, or operating a lie selecting device, and chipping and putting. The system includes various features of practical importance for minimizing false triggering of the computer, for automatically resetting the system when false triggering does take place, for disabling the data acquisition portion of the system as soon as data is acquired for a shot and for Warning a golfer that he is interfering with the data acquisition system or that the computer is not ready for a subsequent shot.”17

Hier wird der Spielcomputer wörtlich erwähnt und es zeigen sich bereits die verbauten Rechenelemente für eine Ball-Simulation. Das Setting des Spiels ist dabei so gestaltet, dass sich der Spieler quasi ‚im Spielraum‘ befindet:

“[T]he computer is adapted to be used in a golf game wherein a tee area is arranged in front of a screen which may receive projected scenes from a projector representative of the views as from different portions of a golf course. The screen is of the penetrable type and behind the screen is placed spin detecting equipment. In front of the screen and between the screen and the tee area, other data acquisition equipment is placed; and the arrangement is such that when a golfer hits a ball from the tee area, the ball will travel a relatively short distance, usually less than thirty feet. After such a distance is traveled, the computer will be provided with all the necessary information required to perform its various functions.”18

Die Erfassung der Werte wird durch ein komplexes, nicht näher beschriebenes „detecting equipment“19  realisiert. Als Ergebnis der ermittelten Trajektorie wird ein „spot of light on the screen“ 20  dargestellt, der sich mit der berechneten Geschwindigkeit und Richtung darüber bewegt. Grundsätzlich kann man feststellen, dass die Eingabe (ein mit einem Golfschläger in Richtung einer Sensorwand geschlagener Golfball) drei Werte ermittelt und daraus die Ausgabe generiert: Schlagrichtung (für die X- und Y-Richtung), Schlagkraft (für die Z-Richtung, also Raumtiefe) und Ballspin (für die Manipulation der drei Richtungen). Die im Patent beschriebene Mathematik der Golfball-Trajektorie ähnelt in vielen Details derjenigen eines früheren, heute aber wesentlich bekannteren Analogcomputerspiels.

Abb. 2: Rechenprinzipschaltung Ball im Kasten

Abb 2 Simulationslauf Ball im Kasten (Foto: Stefan Höltgen)

Abb 2 Simulationslauf Ball im Kasten (Foto: Stefan Höltgen)

Dieses Analogcomputerspiel ist das 1958 von William Higinbotham am Brookhaven National Laboratory zu Demonstrationszwecken entwickelte Tennis for Two. Es ist nicht nur computerspielhistorisch (etwa wegen eines Patentrechtsstreits zwischen Nintendo und Magnavox21 ) bedeutsam geworden, sondern auch, weil sein Spielprinzip eines der populärsten frühen Computersimulationen zitiert: den eingangs erwähnten springenden Ball. Das Spiel resultiert nämlich direkt aus einer Ballsprung-Demonstration, welche Higinbotham im Handbuch des Analogrechners Systron Donner SD-3300 entdeckt hatte: „While reading the instruction book, the bouncing ball reminded Higinbotham of a tennis game and the idea of Tennis for Two was born.“ 22

2012 wurde im Signallabor des Fachgebiets Medienwissenschaft (an der Berliner Humboldt-Universität) ein Re-Enactment der Rechenschaltung von Maibaum/Rech/Höltgen23  auf einem Telefunken-RA742-Analogcomputer durchgeführt. Durch das Projekt sollten detaillierte Ideen über die 54 Jahre zuvor stattgefundene Erstimplementierung gewonnen werden. Hierzu wurde ebenfalls auf eine Ball-im-Kasten-Simulation, die dem Handbuch des Telefunken-Rechners24  als Beispiel abgedruckt war, zurückgegriffen. Die Ball-im-Kasten-Simulation besteht aus drei unabhängigen Einzelschaltungen:

  1. Die Ablenkung des Kathodenstrahls in y-Richtung
  2. Die Ablenkung des Kathodenstrahls in x-Richtung
  3. Die Invertierung der Spannungen aus 1 und 2
  4. Die Ablenkung des Kathodenstrahls auf eine Kreisbahn zur Erzeugung der Ball-Figur

Zur Interaktivierung der Simulation mussten lediglich zwei Taster in die Schaltung integriert werden, die die für die horizontale Flugrichtung des Balls bestimmenden Komparatoren 25  umschalteten (was diese in der Demo nur dann taten, wenn der Ball die jeweilige Seitenwand erreichte und von ihr abprallen sollte).

Im fertigen Spiel fehlte die Darstellung eines Netzes. Für dieses wären im RA-742 nicht mehr ausreichend viele (mindestens drei) Operationsverstärker verfügbar gewesen, um die folgende geplante Trickschaltung zu generieren:

Rechenschaltung Tennisfeld (Stefan Höltgen/ Bild: Thomas Fecker)

Abb. 3 Rechenschaltung Tennisfeld (Stefan Höltgen/ Bild: Thomas Fecker)

Dieses Netz hätte (ebenfalls aus Gründen der Beschränkung) auch nicht als echtes Hindernis programmiert werden können, so dass im Re-Enactment eine transparente Folie mit aufgemaltem Netz zum Einsatz kam, die auf die Mattscheibe des Oszilloskops gelegt wurde. Dadurch wurde in dieser Variante von Tennis for Two ein dritter Mitspieler (als Schiedsrichter) notwendig, weshalb die Adaption mit Tennis für Drei betiteltet ist.26

In den für die Y-Ablenkung zuständigen Schaltungsteil 1 (vgl. Abb. 2) werden die Parameter für die Gravitation (g), die Anfangsgeschwindigkeit (v0y) und die Dämpfungskonstanten (c/m) durch Koeffizientengeber (Trimmpotentiometer) eingegeben, um daraus die Momentangeschwindigkeit (vy) und den Momentan-Ort -y (als Integral von vy) zu berechnen. Im Schaltungsteil 2 (vgl. Abb. 2), der die X-Position (-x) und -geschwindigkeit (vx) des Balls berechnet, fließt der Parameter für die Startgeschwindigkeit (v0x) ein; eine Dämpfung in X-Richtung ist in der Grundschaltung nicht vorgegeben. Die Kreisfigur des Balls wird schließlich in Schaltungsteil 3 (vgl. Abb. 2) mit Hilfe eines Winkels ù sowie der Radien für Höhe (rx) und Breite (ry) berechnet. Die daraus ermittelten Sinus- und Cosinus-Werte lenken den Kathodenstrahl auf die Koordinaten des Kreisrandes. Die vierte Rechenschaltung wurde von uns zugunsten der Interaktivierung des Demonstrationsprogramms nicht realisiert, so dass der ‚Ball‘ nicht als Kreis, sondern als Punkt dargestellt wurde.

In die Schaltung (vgl. Abb. 4) wurden zwischen die Komparatoren zwei Monoflops (Trigger) eingebracht, die bei Tastendruck eine Vorzeichenumkehr von x provozieren. Die Trigger selbst sind Taster, durch die die Maschinenspannung läuft und bei Druck freigegeben wird. Diese auf den ersten Blick diskrete Signalabgabe ließ sich allerdings nicht ohne Probleme implementieren, weil die Taster deutlich prellten27 , das heißt: eine Kaskade von kurzen Spannungsimpulsen abgaben, was zu einer ruckenden Bewegung des Balls führte. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Fingerdruck auf den Taster keineswegs ein ‚sauberes‘ (diskretes und lineares) Signal auslöst, wurde eine Timer-Schaltung in die Controller integriert. Die Spieler geben nun ihre ‚verunreinigten‘ Signale nicht mehr direkt an den Analogcomputer, sondern an einen NE555-Timer-Chip ab, welcher als Monoflop daraufhin einen ‚sauberen‘ und linearen und zeitlich definierten (0,517 Sekunden langen) Spannungsimpuls an den Analogcomputer sendet.

Rechenschaltung von Tennis für Drei“ (Bild: Johannes Maibaum)

Abb. 4 Rechenschaltung von Tennis für Drei“ (Bild: Johannes Maibaum)

Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Abb. 4 Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Controller für Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Abb. 4 Controller für Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Raumschiffe und Autos lenken

Bernd Ulmann hat verschiedene Analogcomputerspiele implementiert, von denen zwei auf historische Vorbilder zurückgehen: eine Docking Simulation auf einer EAI-68028 , bei der ein Raumschiff mithilfe zweier Steuerdüsen in der Schwerelosigkeit in eine Ruheposition gebracht werden muss, sowie ein Lunar-Lander-Spiel auf einem Telefunken RA742, bei dem eine Landefähre vorsichtig und senkrecht auf der Mondoberfläche abgesetzt werden muss.

Entscheidend bei letzterem Spiel ist, dass, wie bei den Tennis-Spielen, abermals ein ‚diskreter‘ Impulsgeber in die Schaltung eingebracht werden musste, mit dessen Hilfe man die Ausrichtung und den Schub der Landefähre steuert. Ulmann verwendet einen Taster, mit dem der Spieler durch Drücken die Treibstoffzufuhr freigibt und diese beim Loslassen unterbricht. Dieser Taster ist aber nicht das einzige diskret operierende Element, das in der Simulation zur Anwendung kommt. Hinzu kommt der Digital-Expander DEX-102, der zur Peripherie des RA742 gehört. Mit ihm bildet das System die „zwei zentralen logischen Bedingungen des Spieles ab[..]: Nach Erschöpfen des Treibstoffvorrates kann das Bremstriebwerk nicht mehr in Betrieb genommen werden; bei Erreichen der Mondoberfläche wird die Simulation automatisch angehalten.“29

Auf Diskretisierung kann das Spiel ebenso bei der Darstellung der wichtigsten Spielparameter nicht verzichten: Mit drei Voltmetern werden die maßgeblichen Spannungsgrößen des Spiels als Zahlen angezeigt: „Das obere Instrument zeigt die Höhe der Landefähre über der Mondoberfläche, das mittlere zeigt die Geschwindigkeit der fallenden Fähre an, während die verbleibende Treibstoffmenge unten dargestellt wird.“30  Nur dadurch, dass der Spieler diese Werte im Auge behält, kann er das Spiel erfolgreich spielen. Die Landefähre wird indes gar nicht dargestellt, sondern nur durch diese drei Parameter ‚symbolisiert‘. Der Spieler befindet sich also inmitten der simulierten Raumfähre, deren Kontrollanzeigen seine einzigen Informationen darstellen.31

: Analogcomputer mit Lunar Lander (Foto: Bernd Ulmann)

Abb. 5 Analogcomputer mit Lunar Lander (Foto: Bernd Ulmann)

Anders bei der Docking-Simulation: 32 Dort wird das in der Schwerelosigkeit schwebende Schiff als durch den rechnereigenen Funktionsgenerator verformter Einheitskreis dargestellt. Zur Steuerung des Schiffs verwendet Ulmann konsequenterweise einen Digitaljoystick, wie er in den meisten Computerspielen ab den späten 1970er-Jahren zur Spielsteuerung genutzt wird. Die beiden Y-Richtungen bilden den Schub, die X-Richtungen für die Rotationsdüsen. Mit dem Feuerknopf bringt man das Spiel zurück in die Ausgangsstellung. Sowohl die Mikroschalter und der Feuerknopf des Joysticks als auch der Schub-Taster bei Lunar Lander mussten nicht entprellt werden, weil – wie analog zum physikalischen Vorgang – die implementierte Trägheit solche kleinen Abweichungen kompensiert.

Bei einem dritten Spiel Ulmanns hat sich sowohl das Ausgabemedium als auch das Spielgenre geändert: Auf dem Vintage Computing Festival 2015 hat er eine Autofahr-Simulation vorgestellt:

„Auf der EA-22 wird ein einfaches Automobil mit grundlegenden Trägheitseffekten simuliert, das über einen Joystick gesteuert werden kann, wobei das Ziel ist, eine vorgegebene Rennstrecke zu „durchfahren“. Die Ausgabe erfolgt hierbei auf einem Plotter. Hierbei sollte die Rennstrecke möglichst fehlerfrei, d.h. ohne Überfahren der vorgegebenen Strecke und in möglichst kurzer Zeit durchfahren werden.“33

Markant ist, dass das Spiel auf dem selben Rechenplan wie die Docking-Simulation basiert. Im Vergleich zu Autofahr-Simulationen auf Digitalcomputern und Spielkonsolen geht es bei diesem Spiel nicht um die Geschwindigkeit, sondern um Manövriervermögen, was sich angesichts der sehr unkonventionellen Steuerung schwierig darstellt. Das Fahrzeug wird in Form der Spur, eine auf einem in einem Plotter (Linseis LY 1700) eingespannten DIN-A4-Papier gezeichneten Linie, dargestellt. Es bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit vorwärts und muss mit dem Joystick zwischen den zuvor auf das Papier gezeichneten Streckenbegrenzungen gehalten werden.

Docking Simulation (Foto: Stefan Höltgen)

Abb. 6 Docking Simulation (Foto: Stefan Höltgen)

Analogcomputer mit Racing Game (Foto: Stefan Höltgen)

Abb. 6 Analogcomputer mit Racing Game (Foto: Stefan Höltgen)

Analogcomputer mit Racing Game (Foto: Stefan Höltgen)

Abb. 6 Analogcomputer mit Racing Game (Foto: Stefan Höltgen)

Digitale Analogien

Bei allen hier vorgestellten Analogcomputerspielen zeigen sich Aspekte von Hybridität34  zwischen kontinuierlich und diskret operierenden Elementen. Zum einen findet sich diese dort, wo Abbrüche, Vorzeichenwechsel und ähnliches implementiert werden müssen; zum anderen und vor allem an den Interfaces, über die der Spieler das Spiel steuert und an denen der Computer die Spielergebnisse ausgibt. Hierin offenbart sich ein Phänomen, das diese Spiele vielleicht zurück in den Diskurs der Computerspielgeschichte führen könnte, wie ich im Folgenden diskutieren möchte.

Im Eingangsmotto wird Marshall McLuhan mit seiner berühmten Organmetapher zitiert: Medien seien Erweiterungen des menschlichen Körpers, insbesondere der Sensorik. Kommunikationsnetze sieht McLuhan diesbezüglich als Erweiterung des zentralen Nervensystems, insbesondere auch, weil diese wie jenes auf dem Transport elektrischer Signale beruht. Wollte man diese traditionsreiche und oft kritisierte35)  Metapher McLuhans wörtlich nehmen, so wäre zu fragen, welches unserer Nervensysteme36  über die Grenzflächen (Interfaces) des Analogcomputerspiels ‚ausgeweitet‘ wird – und im hier diskutierten Sinne: auf welche Weise dieses Nervensystem tatsächlich an Medien gekoppelt ist.

Berücksichtigt werden müssten zum einen die Nervenleit-Eigenschaften, wie sie indirekt durch die Elektromyografie an den affizierten Muskeln ermittelt werden können: die Nervenleitgeschwindigkeit und die aus der Reizung resultierende Stärke und Dauer der Muskelkontraktion. Insbesondere für das Hand-Arm-Schulter-System37 , das auch beim Computerspielen maßgeblich beteiligt ist, ist dies vielfach von der Arbeitsmedizin untersucht worden. Andererseits müssten die ‚verstärkenden‘ Eigenschaften der ‚Arbeit am Game-Controller‘ erfasst werden. Nach einem allgemeinen Begriff von Verstärker als „Potentiator“ ließe sich der Wirkungskreis zwischen Analogcomputer und Nervensystem nämlich durchaus schließen:

„Ein Potentiator ist ein System, dessen Input, genauer seine Eigenschafs-Ausprägung vergrößert als Output zur Verfügung [gestellt wird]. Die Zusammenfassung von Output mit den dabei auftretenden Veränderungen im Potentiator ist dann die vom Input ausgelöste Wirkung. Der Input ist dabei stets stofflich-energetischer Natur. Unwesentlich ist, ob das Geschehen auf Kosten anderer Größen geschieht oder ob dazu andere in- oder externe Ressourcen (Stoff oder Energie) genutzt werden. Der Begriff Potentiator ist umfassender als Verstärker.“38

Am Controller werden die etwa 30 Millivolt des zellulären Aktionspotenzials, die die Kontraktion der Fingermuskeln beim Drücken des Triggers auslösen (siehe weiter unten), in Bewegung umgesetzt, welche – im Beispiel Tennis für Drei – in einer Schaltspannung von einer Maschineneinheit (das sind beim RA742 10 Volt) resultiert. Von dieser (elektrophysiologischen) Warte aus der Richtung des Game-Controllers betrachtet, unterscheidet sich das Analogcomputerspiel allenfalls quantitativ, also durch den Betrag der Verstärkung vom Digitalcomputerspiel (dort liegen zumeist entweder 3,3 oder 5 Volt am Controllerport an).

Die Übereinstimmungen finden sich allerdings auch noch in der Elektronik der beiden Computerspiel-Typen: So, wie Analogcomputer(spiele) der Diskretisierung der menschlichen Eingaben bedürfen, finden auch in Digitalcomputer(spiele)n analog-digitale Wandlungsprozesse statt. Gerade dann, wenn (vermeintlich) analoge Spielcontroller eingesetzt werden, verlangen diese zur Verarbeitung ihrer Steuerimpulse zwingend deren Diskretisierung. Steuerungen, wie Analog-Stick, Paddle, Trackball oder Maus, die kontinuierliche Schiebe- oder Drehbewegungen abfragen, werden entweder bereits Controller-intern (Trackball, Maus) in diskrete Impulse gleicher Spannungsgröße aber unterschiedlicher Frequenz digitalisiert oder (beim Analog-Joystick oder beim Paddle, die im Prinzip nichts anderes als ein Trimmpotentiometer sind) durch einen Analog-Digital-Wandler innerhalb des Computers ‚gesamplet‘39) .

Es scheint also so, als bedürfe das Computerspiel auf der Ebene der Elektronik grundsätzlich diskreter Steuerimpulse – bzw. solcher, die als diskret interpretiert werden können. Vor dem Hintergrund der Physiologie wäre nun zu fragen, ob die Spielelektronik den Körper und seine Muskeln damit in ihr Dispositiv zwingt, das ihm rein biologisch betrachtet, fremd ist.40  Denn Bewegung verläuft von außen betrachtet kontinuierlich; Intensität drückt sich nicht durch Frequenz, sondern durch sukzessive Kraftveränderung aus. Bei einer stärkeren Fokussierung auf die intrazellulären Vorgänge zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Im Ruhezustand besteht auf der Innenseite der Nervenzell-Membran ein Potenzial von -40 bis -75 Millivolt. Dieses erklärt sich durch den dreißigfachen Überschuss von Kalium-Kationen im Cytoplasma gegenüber dem extrazellulären Raum, in dem Natrium-Kationen und Chlorid-Anionen dominieren. 41  Unter Energieverbrauch hält die Zelle mit Hilfe so genannter Natrium-Kalium-Pumpen dieses Potenzial so lange aufrecht, wie sich die Nervenzelle im Ruhezustand befindet.

Bei der Reizübertragung öffnen sich Natrium-Kanäle in der Zellwand und lassen Natrium-Ionen eindringen. Dadurch kippt das elektrische Potenzial ins Gegenteil: Im Cytoplasma herrscht nun ein positives Aktionspotenzial von circa +30 Millivolt. Kurz darauf wird durch den aktiven Transport von Kalium-Ionen aus der Zelle hinaus eine Verschiebung der Ladung an der Innenseite der Zellmembran verursacht. Oberhalb derer fließen weitere Natrium-Ionen in die Zelle; darunter werden weitere Kalium-Ionen aus der Zelle hinaus transportiert. So wandert die Ladung an der Innen- und Außenseite der Membran entlang mit dem Resultat, dass der elektrische Reiz je nach Skelettmuskel-Nerv mit 60 bis 120 Metern pro Sekunde42  durch die Nerven geleitet wird.

Aus der Tatsache, dass aufgrund der molekularen Beschaffenheit der Kalium-Natrium-Pumpe stets 2 Kalium- und 3 Natrium-Ionen zugleich transportiert werden müssen und aus der Potenzialdifferenz von Natrium- und Kalium-Ionen ergibt sich eine kleinstmögliche (hypothetische) Ladungsverschiebung. So gesehen verlaufen die Signalleitprozesse im Nerv auf Ionen-Ebene nicht kontinuierlich, sondern diskret (mit den EEG im Perice‘schen Sinne als Indexe darstellbar) ab.43  Ebenso verhält sich nicht nur ein Digital-, sondern auch ein Analogcomputer auf der elektrophysikalischen Ebene diskret, denn der Fluss elektrischer Ströme vollzieht sich stets durch die Verschiebung von Elektronen in einem mehr oder weniger gut leitenden Stoff. 44  Auf der elementaren Ebene gehorchen sowohl der menschliche Körper als auch der Analogcomputer einem materialistischen Atomismus. Kehren wir zum Schluss zurück auf die makroskopische Oberfläche: Erst mit ‚Abstand‘, also durch die Betrachtung der Bewegung von Außen, entsteht der Eindruck von Kontinuität.

Kurz-Schluss

Beobachtet man Computerspieler bei der Benutzung eines Digitalcontrollers in einem besonders intensiven Spielerlebnis, lässt sich die Verschaltung von Nerven- und Computersystem augenscheinlich beobachten: Figurenbewegungen auf dem Bildschirm sollen dadurch noch beschleunigt werden, dass der Spieler den Controller kräftiger (als es für die Auslösung des diskreten Impulses nötig wäre) in die gewünschte Richtung drückt, ja, manchmal sogar seinen ganzen Körper zur ‚Verstärkung‘ ebenfalls dorthin neigt. In den oben beschriebenen Analogcomputerspielen Lunar Lander und (mehr noch) der Docking Simulation lässt sich dies ebenso beobachten wie bei Digitalcomputerspielen. Ungeachtet dessen, dass solche Gesten spiel- wie elektrotechnisch sinnlos sind, zeigt sich in ihnen vielleicht abermals die Relevanz der McLuhan'schen Metapher – nun jedoch nicht von ihrer technischen und physiologischen, sondern von ihrer anthropologischen Seite: als eine bestimmte Form von Immersion.

Immersion bezeichnet nach Jan-Noel Thon

„[...] in einem metaphorischen Sinn das 'Eintauchen' in fiktionale Welten. Dieses 'Eintauchen' ist aber weder gleichbedeutend mit dem Eintritt in eine andere Realität noch ist es für das Entstehen von Immersion notwendig, dass uns im Sinne einer Überlagerung unseres Wahrnehmungsapparates eine solche andere Realität vorgegaukelt wird.“45

Thon stellt sechs Arten der Immersion vor: die perzeptive (die durch Überlagerung der Realitätswahrnehmung – etwa bei augmented reality – eintritt), die psychologische (die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Medieninhalte), die räumliche (das visuelle Hineindenken in den Spielraum46 ), die ludische (die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Interaktion mit dem Schauplatz), die narrative (die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf den Fortgang der Geschichte und die Figuren) sowie die soziale Immersion (Kommunikation und Interaktion mit Mitspielern). Es lässt sich leicht einsehen, dass diese Formen der Medienwirkung notwendigerweise zu idiosynkratischen Interpretationen führen, sich ästhetisch nicht verlässlich produzieren lassen und überdies schwer messbar sind, weshalb der Begriff nicht nur in den Game Studies umstritten47  bleibt.

Ich möchte nun aus dem Vorangegangenen die These ableiten, dass das Spiel mit dem Computer grundsätzlich als eine siebte Art – als physiologische Immersion – zu sehen ist. Bei dieser wird der Körper des Spielers auf der Ebene seiner nervösen Reize über den einen Potentiator (den Spielcontroller) an die Schaltkreise des Computers angeschlossen – der Spieler wird zum ‚Human in the Loop‘. Dieser Begriff geht auf die Flugsimulation zurück und beschreibt, dass in einem ansonsten autarken Simulationssystem nun durch menschlichen Eingriff Parameter verändert werden.48  Die ‚Loop‘ ist dabei wörtlich als kybernetischer Regelkreis zu verstehen. Nichts anderes geschieht in den hier beschriebenen Analogcomputerspielen, wie etwa Tennis für Drei, in die in eine Ballsprung-Simulationsschaltung Trigger zur (menschlichen) Manipulation eingebracht wurden.

„Analog computers are ideally suited for human-in-the-loop simulations where an operator interacts with a simulation as with a flight simulator, a nuclear power plant simulator etc.“49  Die vermeintliche Trivialität dieser Feststellung steht sowohl einer materialistisch-kybernetischen Neubewertung der Schnittstellen-Frage als auch der augenscheinlichen Differenz zwischen Analog- und Digitalcomputer (sowie der daraus abgeleiteten Exklusion des ersteren aus den Historiographien des letzteren) gegenüber. Analogcomputer und menschliche Körper sind diskret operierende Systeme. Diese Eigenschaft zeigen sie vor allem dann, wenn man sie aneinander anschließt und miteinander spielen lässt. Digitalcomputer müssen hingegen erst technisch (über D/A-Wandler und ähnliches) an den Menschen gewöhnt werden.

 

Medienverzeichnis

Spiele:

Thomas T. Goldsmith Jr./Mann Estle Ray: Cathode Ray Tube Amusement Device (proprietär).  USA 1948.

Bernd Ulmann: Docking Simulation (Telefunken RA 742). Deutschland 2014.

Baldwin J. Bradford/Jack A. Russell: Golf Game Computing System (proprietär) USA 1970.

Bernd Ulmann: Lunar Lander (Telefunken RA 742). Deutschland 2015.

William Higinbotham/BNL: Tennis for Two (Systron Donner SD-3300). USA 1957.

Johannes Maibaum/Matthias Rech/Stefan Höltgen/HU Berlin: Tennis für Drei (Telefunken RA-742) Deutschland 2012.

Literatur:

Baer, Ralph H.: Videogames: In the Beginning. Springfield: Rolenta Press 2005.

Baldwin, Bradford J./Russell, Jack A.: Golf game computing system. In: Official Gazette, May 26, 1970, S. 1083  (Nach Patentschrift: US 3513707 A, in: <http://www.google.com.ar/patents/US3513707>, 14.07.2020)

Baumann, K./Lanz, H.: Mensch-Maschine-Schnittstellen elektronischer Geräte. Berlin/Heidelberg: Springer 1998.

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Völz, Horst/Ackermann, Peter: Die Welt in Zahlen und Skalen. Heidelberg/Berlin/Oxford: Spektrum 1996.

Bilder:

Bild 1: Oszilloskop (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 2 links: Rechenschaltung Ball im Kasten (Telefunken)

Bild 2 rechts: Simulationslauf Ball im Kasten (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 3: Rechenschaltung Tennisfeld (Stefan Höltgen/ Bild: Thomas Fecker)

Bild 4 Mitte: Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 4 oben: Rechenschaltung von Tennis für Drei“ (Bild: Johannes Maibaum)

Bild 4 unten: Controller für Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 5: Analogcomputer mit Lunar Lander (Foto: Bernd Ulmann)

Bild 6 Mitte: Analogcomputer mit Racing Game (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 6 oben: Docking Simulation (Foto: Stefan Höltgen)

Bild 6 unten: Plotterausgabe Rading Game (Foto: Stefan Höltgen)

Artikelbild: Programm Tennis für Drei (Foto: Stefan Höltgen)

  1. McLuhan/Powers: The Global Village. 1995, S. 121.[]
  2. vgl. BNL: The First Video Game? o.J. <https://www.bnl.gov/about/history/firstvideo.php> [14.07.2020][]
  3. Vgl. Höltgen: OPEN HISTORY. 2020. <http://txt3.de/open-history> [14.07.2020][]
  4. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten. 2002, S.16ff.[]
  5. Vgl. Pias: Computer Spiel Welten. 2002, S.10.[]
  6. Hier und im Folgenden wird der semiotische Symbol-Begriff nach Charles Sanders Peirce verwendet, der nicht mit dem psychoanalytischen oder stilistischen zu verwechseln wäre (auch, wenn er deren Grundlage bildet).[]
  7. Ulmann: Analogrechner. 2010, S.378ff.[]
  8. Ulmann: Analogrechner. 2010, S. 125.[]
  9. Vgl. Ulmann: Analogrechner. 2010, S. 164f. oder Pfaltzgraff: Analog Simulation. 1969.[]
  10. Vgl. Ulmann: Analogrechner. 2010, S. 2f.[]
  11. Vgl. Ulmann: Analogrechner. 2010, S. 92ff.[]
  12. Hierbei spielt lediglich die so genannte Driftgeschwindigkeit im elektrischen Leiter (zumeist in Gold- oder Kupferleitern) eine Rolle. Diese Geschwindigkeiten liegen nahe der Lichtgeschwindigkeit (vgl. Völz/Ackermann: Grundlagen. 1996, S. 110-112).[]
  13. Goldsmith/Ray: Cathode. 1948.[]
  14. Ebd.[]
  15. Ebd.[]
  16. Ulmann: Signalspiele. 2014, S. 20[]
  17. Baldwin/Russell: Golf. 1970.[]
  18. Ebd.[]
  19. Ebd. Der Erfinder referenziert hier verschiedene vorangegangene Erfindungen, die die genannten Funktionen in seine Simulation integrieren.[]
  20. Ebd.[]
  21. vgl. Baer: Videogames. 2005, S. 157-160[]
  22. BNL: The First Video Game? o.J. <https://www.bnl.gov/about/history/firstvideo.php> [14.07.2020][]
  23. Maibaum/Rech/Höltgen: Tennis for Two. 2012.[]
  24. Vgl. Telefunken: Demonstrationsbeispiel. o.J., S. 5.[]
  25. Komparatoren sind Bauteile, die zwei Spannungen miteinander vergleichen können, um - ähnlich eines IF/THEN-Vergleichs – daraufhin zwei alternative Signalwege zu aktivieren.[]
  26. Beides – die Bildschirmfolie wie der notwendige Schiedsrichter  – erinnern an das Hybrid-Videospiel Table Tennis für die Odyssey-Konsole von Magnavox (vgl. Baer: Videogames. 2005, S. 76-79).[]
  27. Der Grund dafür liegt sowohl in der federnden Mechanik des Tasters als auch in den unwillkürlichen Muskelzuckungungen des drückenden Fingers während des Drückens. (Vgl. Baumann/Lanz: Mensch-Maschine-Schnittstellen. 1998, S. 166) []
  28. Vgl. Ulmann: Signalspiele. 2014, S. 21f.[]
  29. Ulmann: Signalspiele. 2014, S. 21.[]
  30. Ebd.[]
  31. Hierin ähnelt Ulmanns Implementierung den frühen FOCAL- und BASIC-Versionen des Lunar-Lander-Spiels (vgl. Höltgen: GOTO MOON. 2020. <http://txt3.de/paidia4> [14.07.2020]) []
  32. Vgl. Ulmann: Two dimensional simulation. 2014. <http://www.analogmuseum.org/english/examples/spaceship/> [14.07.2020] sowie Ulmann: Analog and Hybrid. 2020, S. 179-183.[]
  33. <http://vcfb.de/2015/sonderausstellung_analogrechner.html> [14.07.2020][]
  34. In seiner Untersuchung der Phänomene „analog“ und „digital“ weist Jörg Pflüger auf die grundsätzliche Hybridität beider Technologien/Episteme hin. (Vgl. Pflüger: Wo die Quantität in Qualität umschlägt. 2005, S. 71-75.) []
  35. Vgl. Höltgen: Organmetaphern. 2004 <http://txt3.de/organmetaphern> [14.07.2020] sowie Höltgen: Technik. 2010. <http://www.heise.de/tp/artikel/32/32312/1.html> [14.07.2020][]
  36. McLuhan benutzt die Begriffe „Nervensystem(e)“ und „zentrales Nervensystem“ (vgl. McLuhan/Powers: The Global Village. 1995, S. 11, 121, 125, 128 usw.) synonym. Ich möchte mich im Folgenden vor allem auf das willkürliche „somatische Nervensystem“ konzentrieren.[]
  37. Vgl. Strasser: Oberflächen-Elektromyographie. 2003, S. 21, 25ff.[]
  38. Völz: Grundlagen. 2014, S. 17.[]
  39. Sampling ist in mindestens einem Fall auch sonisch zu verstehen: Beim Commodore 64 ist es nämlich das Sound Interface Device (SID), das – wie der Name schon sagt – nicht nur für die Tonerzeugung, sondern auch für die Interface-Signalverarbeitung zuständig ist. Bei Paddle-Steuerung werden die im SID verbaute analoge Filter-Elektronik zur Digitalisierung des vom Controller eingehenden, kontinuierlichen Spannungssignals eingesetzt. (Für weitere Ausführungen zur Verarbeitung analoger Signale in digitalen Spielen vgl. Höltgen: Digitale Analogien. 2013 sowie Höltgen: Sound Bits. 2019. <http://txt3.de/paidia2> [14.07.2020][]
  40. Force-Feedback-Systeme an Spielkonsolen und Handyspielen stellen neuerdings solche Rückkopplungen an den menschlichen Tastsinn und sogar die Muskulatur selbst (vgl. Lopes/Baudisch: Muscle-propelled force feedback. 2013) her.[]
  41. Vgl. Rojas: Neuronale Netze. 1993, S. 12ff.[]
  42. Vgl. Heinz: Relativität. 1994.[]
  43. Das durch Zittern verursachte Prellen des Tennis-für-Drei-Triggers verstärkt und entlarvt diese Scheinkontinuität im Prinzip bereits.[]
  44. Vgl. Höltgen: JUMPs. 2014.[]
  45. Thon: Immersion revisited. 2007, S. 125.[]
  46. Vgl. ebd., S. 126f.[]
  47. Vgl. ebd., S. 125.[]
  48. Vgl. Sollenberger u.a.: Human-in-the-Loop Simulation. 2005, S. 3f.[]
  49. Ulmann: Analog and Hybrid. 2020, S. 179.[]

Schlagworte:

Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Höltgen, Stefan: "Mit dem Computer spielen - Analogien und Physiologien im Spiel mit der Spannung". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 30.09.2020, https://paidia.de/mit-dem-computer-spielen-analogien-und-physiologien-im-spiel-mit-der-spannung/. [03.12.2024 - 17:17]

Autor*innen:

Stefan Höltgen

Dr. Dr. Stefan Höltgen lehrt und forscht zur Computerarchäologie, Epistemologie und Geschichte der Programmiersprachen sowie Hard- und Software-Preservation am Fachgebiet Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Informationen und Kontakt: www.stefan-hoeltgen.de