Is everything different, boy? - Überlegungen zur Humanisierung einer heroischen Heldenfigur in God of War (IV)

16. April 2019

Der neueste Ableger der God of War-Reihe aus dem Hause Santa Monica Studios – unter Berücksichtigung sämtlicher Spieleplattformen der mittlerweile achte Teil – trägt bezeichnenderweise keine fortlaufende Nummerierung oder einen Titelzusatz. So weist der nach dem ersten Spiel auf der Playstation 2 nun zum zweiten Mal für die Playstation 4 vergebene Titel God of War (GoW IV) bereits nominell auf einen intendierten Neuanfang der Spielereihe hin. Dieser kann vor allem am Wechsel des mythologischen Settings, der neuen (Begleit-)Figur des Protagonisten Kratos – seinem Sohn Atreus – und an der oftmals von spielejournalistischer Seite aus gelobten Neukonzeption des bisher als „vengeful barbarian“1 wahrgenommenen Kratos festgemacht werden.

Der Kratos der vorangehenden Spieletitel ist bereits in jungen Jahren Feldherr der Spartaner und Günstling des griechischen Kriegsgottes Ares. Er schlägt sich ebenso rücksichtslos durch gegnerische Armeen und unschuldige Stadtbewohner, die unter dem Schutz Athenes stehen, nur um durch einen Betrug des Kriegsgotts schließlich seine eigene Familie im Kampfrausch zu töten. Von Rache getrieben tötet Kratos zunächst Ares, nimmt dessen Stelle ein und gerät durch weiteres Kriegstreiben in Konflikt mit den Göttern des Olymps – allen voran mit seinem Vater Zeus. Am Ende tötet er in einer zweiten Titanomachie sämtliche Götter des Olymps und führt den Untergang Griechenlands herbei.

Die Konzeption der Kratosfigur erschöpft sich jedoch nicht in den exzessiv gewalttätigen Darstellungen eines eindimensionalen, blindwütigen und rein egoistischen Bezwingers des Olymps. Auf diesen Aspekt machen unterschiedliche Stimmen aufmerksam, die sich in das dominierende Lob einer Neuerfindung des Spartaners mischen. Die Diskussion, die durch den jüngsten Ableger der GoW-Reihe rund um den (Anti-)Helden Kratos entfacht wurde, gleicht sich vielmehr in ihrer Meinungsverschiedenheit den Extremen ihres Protagonisten an. Neben umsichtigeren Feststellungen, dass der von Rache erfüllte Spartaner in GoW IV2 nun in seiner Rolle als Vater charakterliche Tiefe gewinne und weitaus mehr als ein „angry lump of muscle“3 sei, finden sich deutlich negative Urteile über die fehlende Kohärenz der Figur:

„The story’s biggest problem is that it attempts something that can’t really be done. It tries to rehabilitate that which cannot be rehabilitated. This Kratos is the same Kratos who was pure animal lust for a half-dozen games, driven solely to kill or sleep with every living creature he came across.”4

Doch es gibt auch Einwände gegen eine derartige Reduzierung der Figur:

„Whether you connected to the God of War games or not, there is no denying that Kratos has always had an emotional pull with the audience, even if they never realized it.”5

Viele weitere Einschätzungen des neuen Teils der GoW-Reihe bewegen sich zwischen diesen beiden Polen. Es bleibt festzuhalten, dass Uneinigkeit darüber besteht, welche Konzeptionslinien der Figur6 Kratos als konstante Charakterzüge zugeschrieben werden können und dürfen. Einigkeit scheint allerdings darin zu bestehen, dass sich mit dem neuen Modus der Figurendarstellung in GoW IV auch die Rezeption der Figur verändert. Dies ist Anlass genug, doch noch einmal grundsätzlich der Konzeption der Figur aufzuwerfen und wie sie bewertet werden könnte.

Kratos - ein Heros?

Nicht eindeutig charakterisierbare Heldenfiguren, die deutliche Merkmale eines Heros aufweisen, wenn sie von Rache beseelt exorbitante7 und moralisch fragwürdige Taten vollbringen8, sind auch ein prominenter Forschungsgegenstand der mediävistischen Literaturwissenschaft, die den Ausgangs- und zugleich den analytischen Schwerpunkt dieses Beitrags bilden soll. Heldentypen wie die im folgenden beschriebenen sind bereits seit der Antike bekannt und werden auch über die bildliche Darstellung auf verschiedenen Medien mit einbezogen, die in GoW (IV) in Form der Abbildung von Kratos auf einer Amphore auch rezipiert wird.9 Aus dem Mittelalter wiederum werden Schriftzeugnisse aus der Heldenepik in die Analyse einbezogen. Diese Vorgehensweise ist dabei natürlich nur eine von vielen möglichen Darstellungsmodi und soll nicht als eine Form der Wertung gegenüber antiken Schriftzeugnissen und Heldentypen verstanden werden. Mit Blick auf das digitale Medium bietet sich der Einbezug literarischer wie bildlicher Muster in jedem Fall an, da es vor allem ein Medium des Zeigens und Darstellens10 ist und damit eine medienübergreifende Verbindung von Text und Bild darstellt.

Die mittelhochdeutsche Heldenepik beherbergt eine Vielzahl vielschichtiger Helden- und Anti-Heldenfiguren – zu denken wäre hier bspw. an Hagen und Kriemhild des Nibelungenlieds oder an die Konzeption des zaudernden und zugleich von Vergeltungswillen getriebenen, aus Zorn Feuer speienden Dietrichs der ‚aventiurehaften Dietrichepik‘.11 Unterschiedliche Aspekte der Figuren müssen dabei nicht kohärent arrangiert sein, sondern können, ähnlich wie es Fuchs-Jolie für Wolframs Texte herausgestellt hat, als ein Nebeneinander von „Mehrdeutigkeiten von Signifikanten“ ein wesentliches Stilelement sein, das darauf abzielt, Verschiedenes zur gleichen Zeit sichtbar zu machen.12 Elisabeth Lienert fasst die Beobachtungen zu mittelalterlicher Heldenfiguren in den einen Satz zusammen: „Für (mittelhochdeutsche) Heldenepik sind bekanntlich Widersprüche und Lücken bei den Zuschreibungen gerade auch an die Figuren in besonderem Maße charakteristisch.“13 Figuren mit dem Furor eines Kratos sind keine Fremden in der mittelhochdeutschen oder bereits der altfranzösischen Heldendichtung (chansons-de-geste). Ein prominentes Beispiel aus den chansons wäre Rainouart aus der Bataille d’Aliscans14, der aus einem nicht zu bändigenden Bekehrungswillen heraus fast seine komplette Verwandtschaft samt Tausender seiner ehemaligen Landsleute mit einer zur Waffe umfunktionierten Tanne erschlägt. In der mittelhochdeutschen Adaption dieses Texts, im Willehalm Wolframs von Eschenbach, wird das Motiv der Rache für den Tod eines jungen Verwandten des Protagonisten Willehalm als Rechtfertigung für die Enthauptung eines wehrlosen und um Hilfe flehenden Gegners eingespielt.15

Derart überzeichnete und fragwürde Gewalttaten bleiben kein exklusives Merkmal mittelalterlicher Heldenfiguren, sondern scheinen auf den ersten Blick auch die zentralen Charakteristika der Kratosfigur zu sein, die durch Verrat und Kampffuror die Tötung der eigenen Familie zu verantworten hat. Dabei scheint der Antrieb zu exzessiver Vergeltung ein Charakteristikum heldenepischer wie ‚moderner‘ Heroen zu sein; geltende moralische Grenzen und gesellschaftliche Konventionen, die Rezipienten mittelhochdeutscher Literatur wie digitaler Spiele als Vorwissen und Abgleichsfolie in das konsumierte Medium mit einbringen, werden überschritten. Doch lässt zumindest ein Aspekt aus literaturwissenschaftlich-mediävistischer Perspektive Zweifel daran aufkommen, dass Kratos auf der Grundlage der in der gesamten Spielreihe entfalteten Narration gänzlich mit dem Konzept eines blindwütigen Heros in eins gesetzt werden kann: die bemerkenswerte Beobachtung einer ‚Humanisierung‘ des Heros Kratos in GoW IV.16

Daher soll zunächst festgestellt werden, ob dies eine Errungenschaft des aktuellen Teils der GoW-Reihe ist oder ob eine solche Tendenz bereits von Beginn an Teil der Figurenkonzeption ist. Es wird also der Frage nachzugehen sein, wie es im Fall der heroischen Heldenfigur Kratos überhaupt möglich sein kann, von einer ‚Humanisierung‘ und damit auch von so etwas wie ‚Empathie‘ mit einer heroischen Heldenfigur zu sprechen. Dazu werden in einem ersten Schritt die für die ‚Ungereimtheiten‘ in der Figurenkonzeption wesentlichen Stationen der Figurenbiographie nachgezeichnet, bevor der grundsätzlichen Frage nachgegangen wird, ob es sich in GoW IV um eine völlige Neukonzeption handelt, d.h. ob die ‚Vermenschlichung‘ ein und derselben heldenhaften Figur erst mit dem digitalen Medium deutlich vor Augen tritt oder sich bereits in bildlichen Darstellungen antiker Heldenfiguren und mhd. Literatur wiederfindet.

Kratos’ Figurenbiographie: Verrat – Verlust – Schuld – Rache – Hoffnung

Bereits die Kindheit des Spartaners, die Teil der Narration in Ghost of Sparta17 ist, lassen sich hinter der vordergründig von Rache getriebenen Figur genealogische Strukturen erahnen, die ein nicht zu unterschätzender Antrieb für die fortschreitend aggressiveren Taten von Kratos sein könnten. Dabei fällt auf, dass in den in Griechenland angesiedelten Spielen der Konnex von göttlichem Eingreifen, Verrat, genealogischem Verlust und Schuld eng mit der Figurenkonzeption des Spartaners verbunden wird.18 So fürchtet der Göttervater Zeus nach einer Prophezeiung seinen eigenen Niedergang durch einen seiner Söhne. Über die Identität dieses Sohnes erfährt er nur, dass dieser ein bestimmtes Mal auf seinem Körper trage. Daher sendet er Ares und Athene aus, um den Bruder von Kratos – Deimos – zu entführen, da dieser ein außergewöhnliches Geburtsmal trägt. Dem noch jungen Spartaner gelingt es nicht, seinen Bruder zu retten und in Erinnerung an ihn und als Mahnmal seines eigenen Misserfolgs lässt er sich das Geburtsmal von Deimos tätowieren. Zudem hat er im Kampf mit Ares eine Narbe über seinem rechten Auge davongetragen. So bezeugt aus semiotischer Perspektive die Lesbarkeit des Kratos bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Figurenbiographie den Verlust seines Bruders, die sich selbst zugeschriebene Schuld Kratos’ daran und das destruktive Eingreifen der Götter in die Vita des noch jungen Spartaners.

Abb. 1 / 2 – Kratos und sein Bruder Deimos / Die Entführung von Deimos (GoW: Ghost of Sparta)

Aufgrund seiner Rücksichtslosigkeit und seiner außergewöhnlichen Erfolge als spartanischer Feldherr steigt Kratos in den eigenen Rängen auf und lernt dabei Lysandra kennen, die seine Frau wird – ihre Tochter Calliope wird kurz darauf geboren. Diese ist von Geburt an sichtbarlich krank, was nach spartanischem Recht ihren Tod bedeuten würde. Angesichts eines drohenden weiteren familiären Verlusts widersetzt er sich dem geltenden Recht und erkämpft sich als Günstling des Kriegsgottes Ares gegen auserwählte Krieger weiterer Götter das Heilmittel für seine Tochter, um sie vor dem Tod zu bewahren.19 Doch bleibt die Rolle als Feldherr und der Selbstbeweis im Kampf – ähnlich wie bspw. bei Iweins Drang als Artusritter nach Turnierfahrt – ein zentrales Element der Figur, weswegen Kratos seine Familie oft zurücklässt und weitere Schlachten für die eigene Fama schlägt, bis er einer zahlenmäßig weit überlegenen Armee unterliegt. Ihr Feldherr Alrik führt einen Rachefeldzug gegen Kratos, denn auch er kämpfte um das Heilmittel, das Calliope erhielt, um seinen sterbenden Vater zu retten. Seit er dem Spartaner im Kampf unterlag, sinnt Alrik – ebenfalls von genealogischem Verlust angetrieben – auf Rache, die nur durch göttliches Eingreifen verhindert werden kann: Kratos ruft Ares um Hilfe an und schwört ihm Treue, wenn er Alrik und seine Armee töte. Der Kriegsgott willigt ein und als Zeichen seines neuen ‚Vasallenstatus‘ erhält Kratos die sogenannten Chaosklingen – zwei Schwerter, die mit glühend-heißen Ketten an seinen Armen befestigt werden.20 Während also die Lesbarkeit des Körpers den genealogischen Verlust bezeugt, repräsentieren die Waffen des Spartaners den unbedingten Willen zum Erhalt und der Vermehrung der eigenen fama; für eine heroische Heldenfigur nichts Ungewöhnliches, denn „kämpferische Überlegenheit und Sieghaftigkeit […] [sind] heroische Qualitäten“, wie sie sich bereits in den Darstellungen auf griechischen Halsamphoren und Trinkschalen des 6. und 5. Jhd. v. Chr. finden.21 Diese Form der Kampflust führt jedoch zur Tötung seiner eigenen Familie, wenn Ares in einer der unzähligen Schlachten und Dorfplünderungen seines wichtigsten Vasallen dessen Frau und Tochter – Lysandra und Calliope – unter die Dorfbevölkerung mischt. Kratos tötet sie in kriegerischer Rage und realisiert den Verrat des Kriegsgottes erst nach dem Tod seiner Familie. Anstatt damit – wie geplant – den absoluten Kriegervasallen zu erschaffen, der von familiären Bindungen losgelöst ist, schafft sich Ares damit seinen entschiedensten Kontrahenten.

Abb. 3 – Kratos aus GoW III

Zugleich wird Kratos mit einem Fluch belegt, der ihn dazu zwingt, die Asche seiner Familie auf seiner Haut zu tragen – er wird zum Ikon eines gebrochenen Heros, dessen auszeichnendes Merkmal der Kriegswut gegen ihn gewandt wird und zu einem genealogischen Verlust führt, den er – durch göttlichen Verrat eingefädelt – selbst zu verantworten hat.

Abb. 4 - Grundlegung der komplexen Figurenkonzeption – die Tötung seiner Familie (GoW I)

Kratos sinnt auf Rache, kündigt seinen Treueschwur gegenüber Ares auf und setzt sich zum Ziel, ihn zu töten. Der Schwurbruch hat zur Folge – wie es in God of War: Ascension22 geschildert wird –, dass seine Taten ihn als Visionen und Albträume heimsuchen. Kratos erhält im Prequel Chains of Olympus23 kurzzeitig die Möglichkeit, in der Form eines Aufenthalts in einem Jenseits doch noch mit seiner Tochter Calliope vereint zu sein. Doch erneut folgt göttlicher Verrat, der in diesem Fall von Persephone und dem Titanen Atlas ausgeht. Kratos wird wiederum dazu gezwungen, sich von seiner Tochter zu trennen, da er seine Tochter nur retten kann, wenn er sich von ihr trennt. Gerade in dieser Szene, in der der Spieler selbst aktiv Vater und Tochter per wiederholtem Tastendruck auseinanderreißen muss, wird durch den wiederholt ‚durchgespielten’ Verlust die verweigerte Chance auf Bewältigung der eigenen Schuld des Protagonisten eindrücklich in Szene gesetzt.

Abb. 5 - Kratos muss sich von Calliope ‚aktiv‘ trennen (GoW: Chains of Olympus)

Wird der Verlust seiner Familie mit dem erfolgreichen Schwurbruch am Ende von Ascension als die charakteristische Tat des Protagonisten reaktualisiert, so steht sie am Ende von God of War (I)24 erneut im Vordergrund. Bevor es Kratos gelingt, den Kriegsgott zu töten, sieht er sich mit dem Trugbild seiner Familie konfrontiert, das von mehreren Doppelgängern in seiner Gestalt bedroht wird. Die Aufgabe des Spielers bzw. der Spielfigur besteht darin, Lysandra und Calliope vor der wiederholten Tötung durch die Doppelgänger des Spartaners zu beschützen, was unter anderem dadurch gelingen soll, dass Kratos seine Familie umarmen kann, um ihr Lebensenergie zu schenken, die von seiner eigenen abgezogen wird. Schließlich muss Kratos jedoch erneut mit ansehen, wie seine Familie durch ihn und die Chaosklingen getötet wird, wodurch der Eigenanteil des genealogischen Verlusts dem Protagonisten erneut vor Augen gestellt wird. Derart mit dem Verrat des Kriegsgotts wie auch seiner eigenen Schuld konfrontiert, tötet er den Kriegsgott – seine Schuld jedoch bleibt unbewältigt.

Abb. 6 - Kratos beschützt das Trugbild seiner Familie (GoW I)

Dafür macht er in GoW II25 und GoW III26 letztlich die Götter verantwortlich, mit deren Verrat seine genealogischen Verluste zusammenhängen, und begibt sich auf einen fortschreitend exzessiven und gewalttätigen Rachefeldzug gegen den Olymp, der mit dem Untergang Griechenlands und dem Tod seines Vaters Zeus endet. Während der Themenkomplex der Rache und vor allem der Tötung seiner Familie bisher als Reaktualisierung der Brüchigkeit des Heros Kratos auf unterschiedliche Arten bearbeitet wurde, spielt er in GoW II und bis zum Ende von GoW III kaum eine Rolle. Erst kurz vor dem Abschluss von GoW III wird Kratos erneut mit dem Tod seiner Familie konfrontiert, aber es gelingt ihm dieses Mal, die Tötung und die damit verbundene Schuld zu akzeptieren. Er schöpft sprichwörtlich Hoffnung, die in GoW der Sage nach in Pandoras Büchse zurückblieb, als die darin sich befindenden Plagen die Menschheit heimsuchten. Nachdem Kratos die Box in GoW I öffnete, erhielt er die Kraft der Hoffnung, die jedoch bis zu diesem Moment hinter „layers of guilt“27 zurückblieb. Daraufhin tötet er Zeus und (vermeintlich) sich selbst, um die Kraft der von ihm neu gefundenen Hoffnung als Gabe an die Menschheit zu veräußern, anstatt die – nun alleinig verbleibende – Macht als letzter Gott für sich zu beanspruchen oder an den Geist Athenes abzutreten. Kratos stirbt am Ende von GoW III also weniger einen ‚klassischen‘ Tod für die eigene memoria und Apotheose, sondern den Tod eines „modernen Helden“, der sich „selbstlos für eine gute Tat opfert“28.

Mit Blick auf den aktuellen Ableger der GoW-Serie und der darin konstatierten neuen Rolle von Kratos als Vaterfigur29 von Atreus kann also bis hierhin festgehalten werden, dass diese Rolle in einem familiären Gefüge keinesfalls ein Novum der Figurenkonstitution des Protagonisten ist. Vielmehr ist der Aspekt der Genealogie neben dem Streben nach Fama das tragische Fundament, auf dem die durchaus mehrgesichtige Figur aufgebaut ist. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Ausmaße der Rache und damit verbundener Gewaltanwendung Kratos als „merciless, rage-filled genocide machine“30 erscheinen lassen; doch ist daneben die Dimension des um Vergebung für genealogische Verluste kämpfenden (Anti-)Helden bereits vor GoW IV ebenfalls ein wesentlicher Teil der Figur.

Humanisierung einer heroischen Heldenfigur? Ein Annäherungsversuch an die Figurenkonstitution von Kratos

Nachdem aufgezeigt wurde, dass hinter der ausufernden Gewalt des Spartaners und neuen Kriegsgotts, die einen nicht unerheblichen Teil der Figurenzeichnung ausmacht, vor allem genealogischer Verlust und Schuld stehen, geht es nun um die Frage nach der Figurenkonzeption von Kratos als ‚humanisierte‘ Heldenfigur in GoW IV. Dazu wird im Folgenden aus strukturalistischer und semiotischer Perspektive heraus die Figur des Spartaners näher beleuchtet.

Die zentrale Heldenfigur weist von GoW I-IV für den Rezipienten mit erwartbarem Vorwissen31 – also mit dem Wissen um die zuvor geschilderten Ereignisse – Merkmale auf, die einen unnahbaren, brutalen und vor Rachsucht blindwütigen Halbgott einerseits neben einen „father, a broken man, and a betrayed man“32 andererseits stellen. Mit Blick auf ältere Konstitutionen von Heldenfiguren etwa aus der mittelhochdeutschen Heldenepik ist eine derartige – möglicherweise auch irritierende – Vielschichtigkeit eindimensional wirkender Heldenfiguren nichts Ungewöhnliches. Elisabeth Lienert nennt als wesentliche Merkmale von Helden in „vormodernem Erzählen“ u.a. den „Namen, […], Eigenschaften und Affektäußerungen [und] ihre Geschichte, gelegentlich ihre Fama und/oder tradierte Rollenvorgaben.“33 Mit Blick auf Kratos ist dabei vor allem von Interesse, dass eine „stark begrenzte Innenweltdarstellung, widersprüchliche Wertungen, fehlende Stimmigkeit“ wesentliche Bestandteile der Handlungen einer Heldenfigur sind.34 Während die Innenwelt des Spartaners in GoW I-III nur durch die geschilderten Passagen angedeutet oder in heldenepischer Manier von einer Erzählerstimme geschildert werden, übernimmt in GoW IV Kratos’ Sohn Atreus diese Funktion. Er fungiert als Gradmesser seiner inneren Verfasstheit – so bspw. als Kratos seine Vergangenheit vor seinem Sohn zu verschweigen versucht, was sich jedoch physisch als Krankheit seines Sohns manifestiert, die er nur durch die offene Annahme seiner Taten und Identität gegenüber Atreus gänzlich kurieren kann. Mit der Transgression vom mythischen Raum Griechenlands in den mythischen Raum Skandinaviens gewinnt die Heldenfigur zudem transtextuellen Charakter.35 Das bedeutet vor allem, dass sie zu einer „hybride[n] Figur[ ]“ wird, „die aus mindestens zwei Schichten – der des Einzeltexts und der der Sage […] zusammengesetzt“ ist.36 Das Vorwissen aus den Vorgängern von GoW IV wird zur Sage über den verbitterten Kriegsgott aus Griechenland, was zugleich die Möglichkeit eröffnet, die Erzählung der Figur nun neu zu gewichten. Ein prominentes Beispiel aus der mittelhochdeutschen Heldenepik wäre Siegfried, dessen mythische Vergangenheit als Drachentöter und Eroberer des Nibelungenhorts im Nibelungenlied selbst nur eine untergeordnete Rolle spielt, wohingegen seine Identität als Ritter und höfisch Werbender um Kriemhild in den Vordergrund rückt.37 Beide Aspekte sind Teil der Figurenkonstitution Siegfrieds, doch liegt der Akzent zunächst auf der ritterlichen Identität des Helden, wobei dieses mythische Substrat durchaus den Weg in die Handlung zurückfindet, was in der Exorbitanz des Helden im (Wett-)Kampf besonders deutlich wird.

In ähnlicher Weise scheint die Reinszenierung des Kriegsgotts in GoW IV zu funktionieren. Von Beginn an steht im aktuellen Ableger der Spielereihe ein Element im Vordergrund, das in den Vorgängern nur partiell eingespielt wurde und an die gebrochene Seite des Heros erinnert: die Trauer des Helden – nun um seine gestorbene/getötete zweite Frau Faye. Im Gegensatz zum Auftakt von GoW I-III steht zu Beginn keine Konfrontation mit übermächtigen und mythischen Kontrahenten wie der Hydra in GoW I oder dem Meeresgott Poseidon; stattdessen bestattet er Faye zusammen mit Atreus. Während die Lesbarkeit der nun transtextuellen Heldenfigur als „episches Substrat“38 den Spieler der Vorgänger-Spiele an die Vergangenheit des Helden erinnert und diese im Moment des verbrennenden Körpers zu reaktualisieren vermag, wird Fayes Asche dieses Mal zum Gegenstand der memoria an sie. Zugleich nehmen ihre sterblichen Überreste eine zentrale motivierende Funktion für den weiteren Spielverlauf ein denn das Ziel von GoW IV besteht darin, ihre Asche auf dem höchsten Berg der ‚Neun Reiche‘ zu verstreuen. Erstmals geht es nicht primär um eine Rachehandlung und Schuldbewältigung – es geht um die Reise zu einem exponierten Punkt des neuen Raums zusammen mit einer Begleiterfigur.39 Von Anfang an findet eine neue Akzentsetzung statt: Die initiale Inszenierung des Spartaners gelingt über Trauer (um seine verstorbene Frau), Reue und Sühne (symbolisiert durch das inferierte Ablegen der ikonischen Chaosklingen).40 In GoW IV steht die tragische Facette der Figurenkonstitution des Spartaners im Zentrum.

Abb. 7 – Kratos trägt seine Frau Faye zu Grabe, um ihr eine Feuerbestattung zu geben (GoW IV)

Doch ist mit diesen ersten semiotischen und dramaturgischen Indikatoren einer neuen Schwerpunktsetzung aus heldenepischer Perspektive heraus noch nicht die Frage geklärt, inwiefern es überhaupt möglich ist, einen heroischen, wenn auch gebrochenen Helden, ‚nahbar‘ werden zu lassen. Dazu sollen zunächst exemplarisch antike und mittelhochdeutsche Heldendarstellungen und Heldenschemata nach ihrer Bedeutung und Funktion befragt werden, um darauf aufbauend Bezüge zur Figurenkonzeption des Spartaners herstellen zu können.

Der Heros als Identifikationsfigur

Es soll im Folgenden primär aufgezeigt werden, dass Helden – auch Heroen – nicht nur als herausgehobene und unerreichbare Figuren verstanden wurden, sondern bereits seit der Antike eine Form von rezeptionsseitigem Identifikationspotential bieten. Ralf van den Hoff stellt mit Bezug auf bildliche Heldendarstellungen auf dem Heiligtum Apollos in Delphi, auf Vasen und auf weiteren Medien heraus: „[P]ersonal identification with the figures depicted in architectural sculpture must have been another important factor in their reception.“41 GoW IV versteht es dabei aus narrativer wie aus ludischer Perspektive heraus, dieses Identifikationspotential gegenüber der Anti-Helden-Struktur der Vorgänger neu zu mobilisieren, während sich jedoch die grundsätzlich komplexe Anlage der Figur auch auf dem Hintergrund antiker und mittelalterlicher Heldenkonzepte nicht verändert.

Sehr allgemein formuliert, fungieren Heldenfiguren in der Antike wie auch im Mittelalter als ‚Aufbewahrungsorte‘ einer identitätsstiftenden Vergangenheit desjenigen kulturellen Kollektivs, das sich ihre Geschichten erzählt.42 Sie weisen besondere Merkmale wie „die Nähe des Heros zu den Göttern“43 oder „göttliche[ ] Elternteil[e]“44 auf und sind im Kern „ein das Maß des Gewöhnlichen überragende[ ] Mensch[en] von außerordentlichen Fähigkeiten und außergewöhnlichem Einsatz“45. Den Großteil ihres Lebens verbringen sie im Kampf mit Kontrahenten menschlicher oder übermenschlicher Art.46 Elisabeth Lienert betont dabei jedoch: „Moralisch vorbildhaft ist sein Handeln [d.h. des Helden, F.N.] jedoch häufig nicht; auch Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit, Verrat und Mord sind […] an der Tagesordnung“47. Rüth spricht davon, dass Heroen auch „moralisch korrupt“48 sein können. All diese Merkmale, die sich bei Kratos wiederfinden lassen, dienen jedoch zunächst weniger einer (intendierten) Identifikation des Rezipienten mit der heroischen Heldenfigur, als vielmehr der Demonstration „inkommensurable[r] Exorbitanz“49. Zugleich lassen sich jedoch in der bildlichen Heldendarstellung der Antike Strukturen erkennen, die bspw. Heroen zum alter ego des gemeinen Fußsoldaten werden lassen. Dazu unterscheidet Marion Meyer „nicht-narrative und narrative Bilder“ am Beispiel der Darstellung der Kriegerbergung in der Zeit zwischen dem 7. und 5. Jhd. v. Chr. u.a. auf Halsamphoren, einem Volutenkrater, einer Kleinmeisterschale und auf Augenschalen.50 Narrative Bilder verweisen demnach auf tradierte Heldenerzählungen und damit traditionelle Szenen – im Kontext der Aithiopis und der Kleinen Ilias stellt das Bild die Kriegerbergung Aias’ dar, der die Leiche Achills vom Schlachtfeld trägt.51 Zugleich kann Meyer jedoch herausarbeiten, dass sich in nicht-narrativen Darstellungen dieser explizite Verweishorizont ändert, indem lebensweltliche Bezüge zur ‚klassischen Bildkomposition‘ der Kriegerbergung hinzutreten. An die Stelle von Achill und Aias treten „anonyme Figuren“ wie Athleten oder Krieger, sowie der Oikos des anonymen Kriegers in Form von Frauenfiguren, die sich von dem Kämpfer verabschieden oder dessen Leiche trauernd in Empfang nehmen.52 Sie schließt daraus: „Mit der Anwesenheit von Nichtkombattanten verschiebt sich der Fokus der Bilder. Die Betrachter werden daran erinnert, dass der gefallene Krieger von seinem Oikos empfangen und betrauert wird.“53 Mit der Rückbindung der Heldendarstellung an den Kontext gesellschaftlicher Wertvorstellungen und individueller Lebensrealität sind Heldenfiguren bereits in dieser klassisch-bildlichen Dimension mehrdimensional. Sie besitzen narratives Potential auf einer dem klassischen Rezipienten potentiell bekannten Szene, die die herausragenden kriegerischen Eigenschaften der beiden dargestellten Figuren veranschaulicht. Zugleich verweisen sie über sich hinaus und besitzen durch den Bezug zum Oikos (archaisch-) gesellschaftliches Identifikationspotential – sie sind zu einem gewissen Grad ‚nahbar‘. Meyer formuliert pointiert: „Jedes Bild von Achill ist notwendigerweise auch das eines Mannes.“54

Doch können nicht nur antike Helden – ungeachtet ihrer Exorbitanz – in der Darstellung zu gesellschaftlichen Bezugsgrößen ‚nahbar‘ werden, sondern ebenso heldenhafte Figuren mittelhochdeutscher Heldenepik. Dabei spielen in der Erzählung dieser Figuren weniger politische Aspekte oder die adäquate Darstellung ihrer historischen Vorbilder eine Rolle; vielmehr werden komplexe geschichtliche Ereignisse des germanischen heroic age auf „menschliche Affekte, Motive und Konflikte“ reduziert.55 Udo Friedrich weist darauf hin, dass Heldenepik vor aller „Subjektthematik […] den Einbruch von Kontingenz“ thematisiert.56 Mit Lienert stimmt er darin überein, dass Heldenerzählungen vor allem bestimmte „Erzählkerne“ enthalten, thematisieren und reflektieren; dazu gehören u.a. „Genealogie, […] Identitätsfindung, Liebe“.57 Zentrales Merkmal von Heldenerzählungen ist damit die „Störung der Normalität“, die in „Form von Verrat und Rache“ herbeigeführt werden kann.58 Die Zuordnung des erzählten Geschehens der GoW-Reihe zur Heldenepik liegt mit dem Fokus auf derartige Erzählkerne nahe – mit Konsequenzen für die Lesbarkeit des Kratos. Heroische Heldenfiguren dienen als übersteigerte Leitfiguren, die von der alltäglichen Kontingenz nicht betroffen sind. Sie dienen als Fundament einer kollektiv tradierten Erinnerung einer bestimmten kulturellen Gesellschaftsformation und fungieren damit in ihrer gesamten Figurenanlage als ein uneinholbares Leitbild. Der exorbitante Held ist also „ein imaginärer Doppelgänger des Menschen“.59 Gerade mit einer derartig überzeichneten Darstellung von Heldenfiguren wird die Verhandlung von Erzählkernen in Kontingenzsituationen ermöglicht – eine Form der Identifikation ist zur Auseinandersetzung mit den von ihr repräsentierten Eigenschaften und Ereignissen also notwendiger Bestandteil der Konzeption einer Heldenfigur.

Für eine ‚Vermenschlichung‘ oder ‚Humanisierung‘ eines heroischen Helden allerdings, wie sie von der Medienlandschaft für Kratos im neuen GoW IV konstatiert wird, ist über Identifikation hinaus auch Empathie des Rezipienten mit der Figur notwendig. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht kann mit Verena Barthel dazu festgehalten werden, dass die im Text und eben auch im Narrativ des digitalen Spiels eröffneten Wertehorizonte ebenso wichtig für die Empathielenkung des Rezipienten sind wie das Wissen um die Innenwelt der Figur, das über (erzählte oder dargestellte) Mimik und Gestik oder aber einer vom Erzähler gewährten Innensicht erlangt werden kann.60 Doch ist es Merkmal heroischer Helden, dass eine Einsicht in die Innenwelt nur in Ausnahmefällen gewährt wird.61 Ähnlich verhält es sich mit Kratos, dessen Emotionen in GoW I-III vor allem in Form von Zorn und Rache bestimmt sind, während die Aspekte von Schuld und Scham durch die im Vergleich mit der Gesamthandlung nur kurzen Sequenzen, in denen er mit dem Verlust seiner Familie konfrontiert ist, inferiert werden. Zusammen mit dem „primacy-Effekt62 in GoW I, in dessen erster Szene Kratos als gebrochener Held beim Versuch sein Leben zu beenden eingeführt wird, ist er trotz seiner gewalttätigen, misogynen und moralisch fragwürdigen Gewalttaten63 von Beginn an eine komplexe Figur. Die Reaktualisierung des genealogischen Verlusts und damit die Überblendung des vor Rachsucht Tobenden mit dem Trauernden als empathielenkende Struktur kann dabei als Stilmerkmal der GoW-Reihe betrachtet werden.

Der Kriegsgott in einer fremden Welt - begrenzte Automie als Empathiefaktor

Im mythischen Setting der griechischen Antike, dem Erzählungen von Verrat, Rache und Schuld nicht fremd sind, werden zwar keine historisch komplexen Vergangenheiten, aber kulturspezifische Erzählkerne verhandelt. Stehen in GoW I-III die Fragen nach den Ausmaßen von Selbstjustiz, dem Umgang und der Bewältigung von Schuld sowie dem (göttlichen) Egozentrismus von Rachehandlungen im Vordergrund, thematisiert und inszeniert GoW IV die Kehrseiten. Von Beginn an geht es um die Frage nach Vermeidung von Schuld und der angemessenen Bewältigung von Trauer sowie um die (moderne) Frage nach der Autonomie des exorbitanten Helden. Damit rückt der verhandelte Werthorizont und die „Axiologie von Werten“64, die die Heldenfigur repräsentiert, in den Sinnhorizont zeitgenössischer Rezipienten, während die Vorgänger-Spiele sich nicht um Integrationsfähigkeit in einen aktuellen Wertehorizont bemühten, beziehungsweise eine vormodern archaische Heldenepik mit klar inszenierter Antiheldenposition in den Vordergrund stellten.65 Für den ludischen Rezipienten gilt dies in besonderer Weise, wenn die „Fiktionalisierung von Spiellogiken als [Helden-]Figuren zusätzliche Formen emotionaler Anteilnahme am Spielgeschehen“ bedeutet.66 Empathielenkende Strukturen des Textmediums können also im digitalen Medium über den interaktiven Aspekt mit der dargestellten Welt mithilfe der Spielfigur ebenso mitgedacht werden.

Der Aspekt einer begrenzten Autonomie, der im starken Kontrast zum unaufhaltsamen ‚Aufstieg‘ des Spartaners zum Kriegsgott bis zur Vernichtung des Olymps in GoW I-III steht, wird auf der Ebene der Spielmechanik dabei gleich auf mehreren Ebenen inszeniert. Kratos ist immer noch fremd in der neuen Umgebung Skandinaviens, was sich vor allem daran zeigt, dass er seinen Sohn zur Übersetzung sämtlicher Runen und Sagentafeln der nordischen Mythologie benötigt. Kratos ist mit der Zusammensetzung und der Agonalität der nordischen Götterwelt nicht vertraut, weswegen Baldur, der wiederholt die Auseinandersetzung mit dem Spartaner als Fremdem in seiner eigenen Welt sucht, selbst über eine sehr lange Dauer der Spielzeit als „the Stranger“ bezeichnet wird. Eine erläuternde Erzählerstimme gibt es nicht; Rezipienten- und Spielfigurenwissen sind intern fokalisiert. Durch den Verzicht auf eine auktoriale Erzählinstanz, die durch Atreus und dann noch einen weiteren – einer auktorialen Erzählinstanz ähnelnden – NPC namens Mimir ersetzt wird, erhält Kratos zeitgleich mit dem Spieler schrittweise Wissen über die Welt, in der er sich befindet. Zudem können „figurenbezogene Informationen [und] in die Spielwelt integrierte Informationsträger“67 ausschließlich von Atreus und dem späteren Begleiter Mimir dechiffriert werden. Die (Spiel-)Figur Kratos kann die Spielwelt68 nicht aus sich heraus durchschauen und einordnen; deshalb wird sie von Spieler und Spielfigur gemeinsam erschlossen. Der narrative und der ludische Rezeptionsmodus rücken in Form dieser begrenzten Autonomie der Welterschließung zusammen.69 Zugleich werden die im Rezeptionsprozess hervorgerufenen narrativen und ludischen Emotionen in eins gesetzt. Ludische Emotionen entstehen nach Felix Schröter „durch das eigene Handeln der Spieler im Spiel und [der] Auseinandersetzung mit dessen Regelsystem“ – eine typische Emotion ist dabei „Neugier (etwa beim Erkunden der Spielwelt)“.70 Narrative Emotionen entstehen hingegen durch die dramaturgische Inszenierung der Spielwelt sowie dem „‚Kurzschluss‘ von Figuren- und Spielerzielen“, wobei die „Übernahme einer aktiven Handlungsrolle sowie einer audiovisuellen oder ideologischen Figurenperspektive“ eine zentrale Rolle spielt.71 Über die neuartige Akzentsetzung in GoW IV wird im Gegensatz zu den Vorgängern ein Spielziel formuliert, das den zuvor genannten ‚Kurzschluss‘ auf der Basis „einfühlender Perspektivübernahme“72 ermöglicht.

Mit C. Klimmt et. al. wird die in GoW I-III evozierte „counterempathy“73 des Rezipienten in ihr Gegenteil verkehrt. Zugleich wird die Autonomie in der Erfüllung der Aufgabe in GoW IV durch eine fremde Welt erschwert, wodurch das ludische Element der Neugier bei der Raumerschließung zur Grundvoraussetzung für die Erfüllung des auf narrativen Emotionen basierenden Spielziels wird. Dies wird jedoch nur in Abhängigkeit der Begleitfigur Atreus möglich, wodurch die in der Narration bereitliegende Bedrohung durch einen weiteren Verlust eines Familienmitglieds für Kratos in GoW IV auch zur Bedrohung des tatsächlichen Spielfortschritts wird. In gewisser Weise holt die reinszenierte Tragik der gebrochenen Heldenfigur den ludischen Rezipienten auf diese Weise ein, wodurch die Tragik der Heldenfigur auf der Ebene der Narration wie auch auf ludischer Ebene in den Vordergrund rückt. Nicht umsonst bewirkt der drohende Tod seines Sohnes den sprichwörtlichen Gang durch Helheim. In dieser Episode wird ausschließlich die Vergangenheit Kratos’ reaktualisiert und dabei vor allem die Bedrohung einer begrenzten Autonomie der (griechischen) Götter thematisiert, die aus dem ‚Zirkel des Vatermords‘74 nicht ausbrechen können.75 Diese Bedrohung holt Kratos am Ende von GoW IV noch einmal ein, wenn er an einer Wand mit einer Prophezeiung, die mit den bisherigen Ereignissen übereinstimmt, das Bild von sich entdeckt, wie er leblos im Schoß seines Sohnes liegt.

Abb. 8 - Kratos erblickt sein prophezeites Ende (GoW IV)

GoW zeigt sich hier exemplarisch für digitale Spiele „als hochgradig selbstreflexives Medium“76, das auf narrativer und ludischer Ebene das Handlungsspektrum von Spieler und Spielfigur über den Aspekt begrenzter Autonomie zusammenführt. Das bedeutet, dass über eine derartige Verknüpfung von erzählender und interaktiver Ebene und einer derart komplex inszenierten perspektivischen Annäherung von Spieler und Spielfigur trotz Third-Person-Perspektive dasjenige erreicht werden soll, was C. Klimmt et al. für Identifikationsprozesse in interaktiven Medien bereits beobachtet haben:

„Due to the direct link between players and characters that video game interactivity facilitates, it is reasonable to assume that very quick and profound alterations of players‘ self-perception happen through identification“.77

Dieser temporäre Wechsel des rezipientenseitigen point of view ist die Grundlage für die Empathie mit dem in GoW IV reinszenierten Spartaner. Zudem tritt die Konzeption des Helden als hybride Figur selbst in die Reflexion, wenn in der zweiten Hälfte des Spiels die ikonischen Waffen und damit auch die Vergangenheit der Figur samt der damit verbunden negativ konnotierten Dimensionen in die Erzählung einbrechen. Die Mehrdimensionalität der Figur wird von diesem Zeitpunkt an in der Auseinandersetzung mit seinem Sohn und mit sich selbst bis zum Ende der erzählten Geschichte thematisiert. Während er Atreus vor der Wiederholung des „cycle of patricide“78 bewahren möchte, muss er gewissermaßen in Fortsetzung der Annahme und Vergebung eigener Schuld in GoW III nun die Hybridität seiner eigenen transtextuellen Figurenkonstitution annehmen. Das Schema des exorbitanten Helden wird zum Gegenstand narrativer Reflexion, es macht Kratos lesbar, wenn er die Bandagen über den von den Ketten der Chaosklingen vernarbten Armen löst, damit sie Sichtbarkeit erhalten.

Abb. 9 - Die Narben der Chaosklingen werden offengelegt (GoW IV)

Die Spielfigur reflektiert als integrierter Bestandteil der Spielwelt zugleich ihre bereits von Beginn der GoW-Reihe an angelegte Spannung einer aggressiv-rücksichtslosen und gebrochenen Heldenfigur. Der im neuen Raum fremde Held bewältigt mit Bernd Basterts Überlegungen zu fremden Helden „das Sagengedächtnis“79 der ihm zugrundeliegenden Sagenwelt der Vorgänger und ermöglicht damit ludischen Rezipienten mit Vorwissen um dieses Substrat eine Rejustierung ihrer Perspektive auf den Heros. Dieses Vor-Augen-Stellen des heroischen Helden auf ludischer wie narrativer Ebene scheint der Ausgangspunkt für die breit geteilte Wahrnehmung eines ‚humanisierten‘ Helden zu sein, den Kratos in GoW IV darstellen soll.

Abschließend gilt also festzuhalten, dass bereits vor dem digitalen Medium eine Identifikation mit heldenhaften Figuren und den ihnen zugrundeliegenden Erzählkernen und -schemata seit der Antike möglich und intendiert ist. Die Reduzierung auf menschliche Affekte ist ein dominierendes Stilmerkmal, das Heldenfiguren auszeichnet und komplexe historische Ereignisse sowie kulturelle Sinnhorizonte exemplarisch in die Reflexion des Rezipienten zu rücken vermögen. Eine ‚Annäherung‘ an eine Heldenfigur kann damit ebenso erzielt werden wie die absolute Distanz zu ihr. Mit Blick auf GoW IV kann schließlich weniger von einer nun plötzlich eingetretenen ‚Humanisierung‘ des Helden gesprochen oder gar eine Neukonzeption konstatiert werden. Das „Trauma als das andere der heroischen Erzählung“80 ist von Beginn der Spielereihe an präsent. Kratos ist und bleibt die tragische Heldenfigur, die sie seit GoW I ist; der Unterschied zu GoW IV besteht vor allem in der Art und Weise, wie GoW IV ludische Rezipienten gezielt dazu bringt, die Mehrdimensionalität der Figur durch ihre Reinszenierung, ihre begrenzte ludische Autonomie und das narrative Vor-Augen-Stellen des komplexen Heldenschemas zu erspielen und darin zu erfahren.

 

Medienverzeichnis

Spiele

Santa Monica Studios: God of War. USA: Sony Computer Entertainment 2005.

Santa Monica Studios: God of War II. USA: Sony Computer Entertainment 2007.

Santa Monica Studios: God of War Chains of Olympus. USA: Sony Computer Entertainment 2008.

Santa Monica Studios: God of War III. USA: Sony Computer Entertainment 2010.

Santa Monica Studios: God of War: Ghost of SpartaI. USA: Sony Computer Entertainment 2010.

Santa Monica Studios: God of War: Ascension. USA: Sony Computer Entertainment 2010.

Santa Monica Studios: God of War. USA: Sony Computer Entertainment 2018.

 

Texte

Primärliteratur

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Das Nibelungenlied. Übers. u. komm. v. Siegfried Grosse, hg. v. Karl Bartsch u. Helmut de Boor, Stuttgart 2007 (Reclams Universal-Bibliothek 644).

 

Forschungsliteratur, Zeitschriftenartikel und weiterführende Texte

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Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. Wien/New York: Springer 2008.

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von See, Klaus: Was ist Heldendichtung? In: Ders. (Hg.): Europäische Heldendichtung. Wege der Forschung 500. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1978, S. 1-38; Held und Kollektiv. In: ZfdA 122 (1993), S. 1-35.

Whaley, Diana: The Fury of the Northmen and the Poetics of Violence. In: Sahm, Heike; Millet, Victor (Hg.): narration and hero. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 87. Berlin/Boston: De Gruyter 2014, S. 71-94.

Wolfman, Marv: God of War. Issue #1-1ST. DC/Wildstorm 2011.

 

Abbildungen:

Titelbild: Eigener Screenshot aus Youtube. God of War - 100% Walkthrough Part 1 [PS4] – The Marked Trees (Give Me God of War Difficulty). 20.04.2018. https://www.youtube.com/watch?v=wEoUHjepCnQ [25.03.2019].

Abb.1: https://cdn.gamer-network.net/2018/usgamer/God-of-War-Story---Ghost-of-Sparta-01.jpg/EG11/resize/640x-1/quality/70 [25.03.2019].

Abb. 2: http://cms.kotaku.co.uk/wp-content/uploads/2018/07/Deimos-kidnapped-by-Ares.jpg [25.03.2019].

Abb. 3: https://cdn.gamer-network.net/2018/usgamer/God-of-War-Story---God-of-War-01.jpg [25.03.2019].

Abb. 4: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/thumb/1/12/Kratos_God_of_War_III.png/220px-Kratos_God_of_War_III.png [25.03.2019].

Abb. 5: https://i.ytimg.com/vi/8fFgjY08oM0/maxresdefault.jpg [25.03.2019].

Abb. 6.: https://pbs.twimg.com/media/Dc7EP6gUQAAfuQw.jpg [25.03.2019].

Abb. 7: Eigener Screenshot aus Youtube. God of War - Funeral For the Wife of Kratos. 19.04. 2018. https://www.youtube.com/watch?v=o_H5nhdRB40 [25.03.2019].

Abb. 8: Eigener Screenshot aus Youtube. Kratos Death Revealed Secretly In God Of War 4. 20.04.2018. https://www.youtube.com/watch?v=IN-Xf9dR2fo [25.03.2019].

Abb. 9: https://i.ytimg.com/vi/MJh0_euxBiQ/maxresdefault.jpg [25.03.2019].

  1. Eadicicco: The New ‚God of War‘ Game Is Different. 18.04.2018.[]
  2. Santa Monica: God of War. 2018.[]
  3. MacDonald: Angry lump of muscle. 26.04.2018.[]
  4. Martin: Doesn’t solve the problem. 23.04.2018.[]
  5. Kriska: Wrong about Kratos. 04.05.2018.[]
  6. Wo nicht explizit anders erwähnt, wird mit Bezug auf Kratos darunter das von Jürgen Sorg definierte Prinzip einer Erzählfigur verstanden, deren Konzeption sich auf Vorlagen aus der literarischen Tradition bezieht, vgl. Schröter: Figurenkonzeption. 2013, S. 23.[]
  7. vgl. grundlegend von See: Was ist Heldendichtung? 1978, sowie ders.: Held und Kollektiv. 1993, zitiert nach: Lienert: Figurenkonstitution. 2016, S. 68.[]
  8. vgl. dazu Lienert, Einführung Heldenepik. 2015, S. 9.[]
  9. Kratos findet im Spielverlauf eine Amphore, auf der er selbst als Heros mit blutigen Klingen abgebildet ist. Offenbar fasst diese Darstellung den Heros ins Bild, der in GoW IV hinter eine ‚humanisierte‘ Version des Helden zurückzutreten scheint. Unterstützt wird diese Lesart der Amphore dadurch, dass sie für eine Art Initiationsritus von Atreus genutzt wird. Er trinkt zusammen mit seinem Vater Kratos einen Schluck Wein aus der Amphore, wodurch das Bild auf der Amphore – die Geburtsstunde des Geists von Sparta, der seine Familie im abgebildeten Furor tötete – mit einer Szene kontrastiert wird, in der das genealogische Verhältnis als intakt und gestärkt inszeniert wird. Das Motiv der bildlichen Heldendarstellung auf antiken Trägermedien scheint also auf die Spielreihe rückblickend metareflexiv eingesetzt zu werden und findet damit auch Eingang in diesen Beitrag.[]
  10. vgl. dazu allgemein: Fahlenbrach, Mediengeschichte und Wahrnehmung. 2018, S. 121-178.[]
  11. vgl. ebd., S. 30-56; 117-141.[]
  12. Fuchs-Jolie: Metonymie und Metapher. 2015, S. 423ff.[]
  13. Lienert: Figurenkonstitution. 2016, S. 52.[]
  14. La versione franco-italiana della „Bataille d’Aliscans“: Codex Marcianus fr. VIII [=252], hg. v. Günter Holtus, Tübingen 1985 (Beihefte zur ZfrPh 205). Eine deutsche Übersetzung der Version M hat Fritz Peter Knapp vorgelegt: Aliscans. Das altfranzösische Heldenepos nach der venezianischen Fassung M, eingel. u. übers. v. Fritz Peter Knapp, Berlin 2013.[]
  15. vgl. dazu ausführlich: Nieser: Lesbarkeit. 2018, S. 45-65.[]
  16. Gamwell: Humanizing Kratos. 08.06.2018.[]
  17. God of War: Ghost of Sparta. Santa Monica Studios 2010.[]
  18. Dieser Konnex von Verrat, Verlust und Schuld findet sich in mittelhochdeutscher Literatur bei komplexeren Held*innenfiguren wieder. Dietrichs (tragische) Heldenvita aus den „Fluchtepen“ basiert auf dem Verrat seines Vertrauten Witege und dem dadurch verursachten Verlust seines Bruders Diether, doch bleibt ihm eine Rache an Witege wiederholt verwehrt, was als tragisches Schicksal des armen Dietrîch ausmacht (Lienert: Einführung Heldenepik. 2015, S. 104). Hier wird unvollendete Rache zu einem Makel der Heldenfigur, wohingegen exzessive Rache, die wie bei Kratos von einem Bewusstsein von Schuld am Tod von Verwandten und der eigenen Familie befeuert wird, am Beispiel der Kriemhildfigur im Nibelungenlied ein maximal destruktives Potential besitzt. Zudem kann eine Tendenz zur Dämonisierung der Figur ausgemacht werden, die bei Kriemhild sogar im Text wiederzufinden ist, wenn sie als valandine bezeichnet wird (etwa NL 2371,4).[]
  19. Wolfman: God of War (Issue #1). 2010.[]
  20. Die Rettung eines Heros durch göttliches Eingreifen (cf. deus ex machina) ist ein oft verwendetes Element in altfranzösischer Heldenepik wie der Bataille d’Aliscans (BdA), wenn es im Kampf gegen die Sarazenen auch um den Kampf um Anspruch auf ‚Wahrhaftigkeit‘ der Religionen geht, die miteinander in Konflikt stehen. So wird bspw. Guillelme – ein christlicher Kämpfer – im Kampf gleich mehrfach vor dem Tod bewahrt, weil es Gott nicht gefällt (BdA 1387.92, 1424.33).[]
  21. Rüth: Wenn Helden sterben. 2016, S. 26.[]
  22. Santa Monica Studios: God of War: Ascension. 2013.[]
  23. Santa Monica Studios: God of War: Chains of Olympus. 2008.[]
  24. Santa Monica Studios: God of War. 2005.[]
  25. Santa Monica Studios: God of War II. 2007.[]
  26. Santa Monica Studios: God of War III. 2010.[]
  27. https://godofwar.fandom.com/wiki/Hope [25.03.2019].[]
  28. Rüth: Wenn Helden sterben. 2016, S. 25.[]
  29. Kratos in der Rolle des Vaters wird bereits in GoW III im Zusammenhang mit der Figur der Pandora thematisiert, wenn er sie aus ihrer Gefangenschaft befreit und zögert, als sich herausstellt, dass er sie den Flammen des Olymps opfern muss. Während Pandora sich für Kratos opfern möchte, hält Kratos sie zunächst zurück, bis die Aussicht auf die scheinbar nur durch den Tod des Mädchens zu realisierende Rache dominiert: „Ultimately, Kratos’ hatred towards Zeus proved greater than his desire to safeguard Pandora. Kratos lashed out at Zeus, while Pandora disappeared into the flames“: https://godofwar.fandom.com/wiki/Pandora [25.03.2019]. Für diesen Hinweis danke ich Robert Baumgartner.[]
  30. Martin: Doesn’t solve the problem. 23.04.2018.[]
  31. Zur Rolle von erwartbarem Vorwissen bei der Figurenkonzeption vgl. u.a. Nieser: Lesbarkeit. 2018, S. 2-23; Lienert, Figurenkonstitution. 2016, S. 51 mit Bezug auf Jannidis: Figur und Person. 2004 sowie Schulz: Erzähltheorie. 2012, S. 330.[]
  32. Kriska: You were wrong. 04.05.2018.[]
  33. Lienert: Figurenkonstitution. 2016, S. 52.[]
  34. Ebd., S. 52f.[]
  35. Zudem wechselt sie aus literarischer Perspektive in einen Raum, dessen Skaldendichtung aus dem 9.-11. Jhd. Zorn, Rache und Verängstigung der Kontrahenten als zentrale Eigenschaften der heroischen Anführer der Wikinger ins Zentrum stellt. Nach Diana Whaley ist dabei eine Tendenz einer ‚Naturalisierung‘ von Gewalt zu erkennen, indem bspw. das Element Feuer bei Brandschatzungen die menschliche agency in Form von rücksichtsloser Gewalt gegen Familien depotenziert (Whaley: Fury of the Northmen. 2014, S. 81). Dieser Aspekt des Raumwechsels zusammen mit den Umständen der Tötung von Kratos’ Familie und ihres Verbrennens im Kontext einer Dorfplünderung fügt sich jedenfalls sehr gut in die neue Akzentuierung des Protagonisten und seiner Vergangenheitsbewältigung.[]
  36. Lienert: Figurenkonstitution. 2016, S. 55.[]
  37. Ebd.: S. 56.[]
  38. Bastert: Fremde Helden. 2014, S. 394. Darunter versteht er Anspielungen in mhd. Texten auf frühere oder parallele Sagentraditionen, die nur von Rezipienten erschlossen werden können, die über ein Wissen aus diesen Traditionen verfügen.[]
  39. Bezüge zu John Campbell Heldenreise wie dessen aktualisierender Adaption von Christopher Vogler in ‚The Writer’s Journey‘ liegen hier nahe, vor allem in der Form, wie sie von Robert Cassar in seiner narrativen Analyse der ersten drei GoW-Teile vorlegt. Dabei teilt er die einzelnen Stationen der Heldenreise in drei Akte: „Act 1 - Departure/Separation“, „Act 2 – Descent Initiation, Penetration“ und „Act 3 – Return“ (Cassar: A Narrative Analysis. 2013). Eben diese Stationen durchläuft Kratos nicht nur in GoW I-III, wie es Cassar aufzeigt, sondern in sehr klarer Form auch in GoW IV, wenn nach dem Aufbruch dem Vater-Sohn-Gespann vielfach Herausforderungen und Kämpfe mit mythischen Wesen wie Trollen und Drachen bevorstehen, bevor sie nach der erfüllten Aufgabe an den Anfangspunkt ihrer Reise zurückkehren.[]
  40. Zudem wird die Axt nicht als Waffe, sondern als Werkzeug eingeführt, das erst im Spielverlauf zur Waffe wird.[]
  41. van den Hoff: Media for Theseus. 2010, S. 163.[]
  42. vgl. u.a. van den Hoff: Media for Theseus. 2010, S. 161; Lienert: Einführung Heldenepik. 2015, S. 9-23.[]
  43. Rüth: Wenn Helden sterben. 2016, S. 26; siehe auch Centner: Rückkehr eines Helden? 2017, S. 61.[]
  44. Meyer: Alter Ego. 2012, S. 25.[]
  45. Lienert: Einführung Heldenepik. 2015, S. 9.[]
  46. Ebd.[]
  47. Ebd.: S. 9f.[]
  48. Rüth: Wenn Helden sterben. 2016, S. 28.[]
  49. Friedrich: Held und Narrativ. 2014, S. 176; vgl. auch Centner: Rückkehr eines Helden? 2017, S. 61.[]
  50. Meyer: Alter Ego. 2012, S. 26.[]
  51. Meyer: Alter Ego. 2012, S. 26.[]
  52. Ebd.: S. 31.[]
  53. Ebd.: S. 33.[]
  54. Ebd.: S. 36.[]
  55. Lienert: Einführung Heldenepik. 2015, S. 9f., Zitat: S. 10.[]
  56. Friedrich: Held und Narrativ. 2014, S. 176.[]
  57. Ebd.: S. 178.[]
  58. Ebd.: S. 181.[]
  59. Ebd.: S. 183 mit Bezug auf Müller-Funk: Die Kultur und ihre Narrative. 2008, S. 119.[]
  60. Barthel: Empathie. 2008, S. 31-54.[]
  61. Lienert: Figurenkonstitution. 2016, S. 52.[]
  62. Barthel: Empathie. 2008, S. 67, versteht darunter das besondere Gewicht des Ersteindrucks einer Figur, der auf ihrer ersten Vorstellung beruht und später nur schwer zu revidieren ist.[]
  63. vgl. zu Sexismus in Spielen auch in Bezug auf GoW u.a. Batchelor: Interview mit Anita Sarkeesian. 19.05.2017; Gertz: #Gamergate. 21.11.2014; Neurkar: In Defense of a violent, misognistic serial killer. 14.10.2012; Joho, Jess: Toxic masculinity. 26.04.2018.[]
  64. Friedrich: Held und Narrativ. 2014, S. 179.[]
  65. Auf ludischer Ebene wird die Abgrenzung zu dieser Antiheldenposition dadurch bedingt, dass beim player character als „Schnittstelle der Interaktion des Spielers mit der Spielwelt […] Spielziele zu persönlichen Zielen fiktiver Wesen werden“: Schröter: Figur. 2018, S. 109.[]
  66. Schröter: Figur. 2018, S. 110.[]
  67. Schröter: Figur. 2018, S. 114.[]
  68. vgl. dazu Rauscher: Raum. 2018, S. 3-26.[]
  69. vgl. zu den Rezeptionsmodi Fahlenbrach; Schröter: Game Studies und Rezeptionsästhetik. 2015.[]
  70. Schröter: Figur. 2018, S. 118.[]
  71. Ebd.: S .117f.[]
  72. Ebd.: S. 117.[]
  73. C. Klimmt: Identity. 2009, S. 352.[]
  74. https://godofwar.fandom.com/wiki/The_Cycle_of_Patricide [25.03.2019].[]
  75. Dieser Zirkel wird durch die Beziehung Baldurs zu seiner Mutter Freya in GoW IV gespiegelt, denn nachdem Baldur durch die Pfeilspitze aus Mistel an Atreus’ Jacke von seinem ‚Fluch‘ befreit wird, möchte er seine Mutter Freya töten. Mit diesem drohenden Elternmord konfrontiert, schreitet Kratos ein und tötet Baldur mit dem Hinweis darauf, dass Kratos und Atreus als Götter nun besser sein müssten – sich also aus diesem Zirkel genealogischer Tötung befreien müssen, in dem sich Kratos in GoW I-III befand und mit dem er erneut in Helheim in GoW IV konfrontiert wird: „Quoting his father, Kratos claims that the cycle must end and that they all should be better, as he snaps Baldur's neck a second time, killing him once and for all”: https://godofwar.fandom.com/wiki/Baldur [25.03.2019].[]
  76. Bojahr; Herte: Spielmechanik. 2018, S. 240.[]
  77. Ebd.: S. 358.[]
  78. https://godofwar.fandom.com/wiki/The_Cycle_of_Patricide [25.03.2019].[]
  79. Bastert: Fremde Helden. 2014, S. 394.[]
  80. Assmann: Der lange Schatten, S. 68. Zitiert nach: Centner: Rückkehr eines Helden? 2017, S. 59.[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Nieser, Florian: "Is everything different, boy? - Überlegungen zur Humanisierung einer heroischen Heldenfigur in God of War (IV)". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 16.04.2019, https://paidia.de/is-everything-different-boy-ueberlegungen-zur-humanisierung-einer-heroischen-heldenfigur-in-god-of-war-iv/. [14.11.2024 - 00:29]

Autor*innen:

Florian Nieser

Florian Nieser (Dr.phil.) ist derzeit Geschäftsführer des Heidelberg Center for Digital Humanities an der Universität Heidelberg. Seit Juni 2018 ist er Mitglied der Redaktion von PADIA und seit Beginn 2020 in der Redaktion des Open Access Projekts: „Mittelalter: Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte“. Er schloss seine Promotion 2018 in Germanistischer Mediävistik mit der Arbeit 'Die Lesbarkeit von Helden. Uneindeutige Zeichen in der 'Bataille d'Aliscans' und im 'Willehalm' Wolframs von Eschenbach' ab. Derzeitige Forschungsschwerpunkte sind Digital Humanities, semiotische Codierungen von Heldenfiguren (Heldenepik, höfischer Roman), Dingsemiotik, Game Studies sowie Inter- und Transmedialität.