Immersion, Virtualität und Affizierung in mittelalterlicher Literatur und digitalem Spiel
Zur Ausgangssituation: Perspektivenvielfalt und vage Begrifflichkeiten
In diesem Beitrag wird es um zentrale und Begriffe des Rezeptionsprozesses von Texten ebenso wie von digitalen Spielen gehen, die je nach Disziplin, die sich ihrer annimmt, mit einer Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und Definitionsversuchen verbunden sind. Dabei fällt vor allem das Konzept der Immersion auf, das aus einer Vielzahl von Forschungsdisziplin beleuchtet wurde und nur schwer eindeutig zu definieren ist.1 Damit ist das Ziel dieses Beitrags bereits formuliert: Es wird darum gehen, für die interdisziplinäre Analysepraxis von historisch-literarischen Texten (vor allem des Mittelalters) und des Computerspiels möglichst klare und medienübergreifende Begriffskonzepte bisher vielfach behandelter Rezeptionsphänomene zu erarbeiten, auf denen weitere Untersuchungen aufgebaut werden können. Dazu werden die Phänomene der Immersion, der Virtualität, Fiktionalität und Interaktivität sowie der Affizierung von Rezipierenden in den Blick genommen. Es wird nicht das Ziel verfolgt, absolut gültige Begriffsdefinitionen dieser Facetten von Rezeptionsprozessen zu liefern, sondern möglichst starke Begriffsschärfungen zu liefern, die es im weiteren interdisziplinären Dialog erlauben, anhand von zahlreichen Anwendungsfällen die Arbeitsdefinitionen fortwährend klarer zu fassen. Ein Beispiel für solch einen Anwendungsfall im Bereich der Affizierung und der Rolle von (literarischen) Figuren wird am Ende des Beitrags gegeben.
Der Anlass zur Fokussierung auf die germanistische Mediävistik und damit auch mittelalterlichen Texten und digitalen Spielen resultiert aus mehreren Aspekten. Mittlerweile existieren vereinzelte erste Schritte in Richtung einer Verbindung der Game Studies und der germanistischen Mediävistik, die in diesem Beitrag auch eine hohe Gewichtung haben, allerdings meiden die meisten dieser Arbeiten selbst den Bezug zum digitalen Spiel, obwohl er der nächste und naheliegende Schritt wäre. Das digitale Medium scheint weiterhin zu vage und unvertraut, obwohl es in seiner eindrücklichen Erzählweise und der Form der Präsentation dem Charakter mittelalterlicher Texte doch sehr nahekommt. Weniger wurden die Texte im Mittelalter gelesen als gehört und vorgetragen vor einem bestimmten Publikum, das sich die Erzählwelt gemeinsam imaginierte. Zugleich finden sich in den Erzählungen zeitgenössisch aktuelle kultur- und gesellschaftsrelevante Thematiken, die in den Erzählungen auch simulativ durchexerziert wurden – so bspw. im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach die Fragen danach, was die allgemeinen und die individuellen Konsequenzen eines gescheiterten und (hof-)gesellschaftlich hochrelevanten Gemeinschaftsrituals sind. Ebensolche Reflexions- und Präsentationsmuster bietet auch das digitale Spiel in vielfacher Weise, seien es Fragen der Selbst- und Fremdbestimmung (Bioshock), der Selbstjustiz (Last of Us) oder der Frage nach modernen Heldenbildern (God of War), um nur wenige Beispiele zu nennen. Damit diese Fragen von Rezipierenden ernst genommen und reflektiert werden können, werden sie idealerweise in die jeweiligen Erzählwelten als Aushandlungsorte solcher Fragen involviert, um einen Selbstbezug zu den verhandelten Themen und den mit ihnen assoziierten Figuren zu erhalten. Immersion ist der Schlüssel zur individuellen Relevanz zentraler Themenkomplexe mittelalterlicher Texte wie auch digitaler Spiele, deren Gewicht mithilfe immersiver Prozesse in die Wahrnehmung der Rezipierenden rückt.
Beginnend mit dem zuvor bereits genannten und nur sehr schwer zu fassenden Phänomen der Immersion kann zunächst festgehalten werden, dass es ein komplexes und multimodales Rezeptionsphänomen beschreibt, das medienübergreifend vom geschriebenen Wort bis zum audiovisuell geprägten Videospiel eine Rolle spielt.2 Immersionsphänomene werden derzeit im medien- als auch im geisteswissenschaftlichen Diskurs aufgrund der bestehenden Unschärfe des Begriffs, der aus mehreren Disziplinen heraus erwachsen ist, des Öfteren mit der narrativen Transportation in Verbindung gebracht.3 Letztere beschreibt eine Verlagerung der Aufmerksamkeit der Rezipierenden in die medial präsentierte Erzählwelt hinein auf der Grundlage einer glaubhaften und oftmals emotional involvierenden Erzählwelt – darauf wird in den folgenden Kapiteln zur Immersion noch näher eingegangen. Grundsätzlich einen die Begriffsannäherungen an das Immersionsphänomen aber vor allem der Versuch ein ästhetisch induziertes, mediales Rezeptionsphänomen zu erfassen und zu beschreiben: Es geht um das Hineinversetzen – oder je nach Ansatz um das Hineingezogen-Werden – in eine medial vermittelte fiktionale Welt, wobei zeitgleich der Bezugsrahmen zur tatsächlichen Realität, in der das Medium rezipiert wird, zugunsten einer Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die virtuelle Realität in den Hintergrund tritt. Diese stärker auf Passivität oder Aktivität beruhenden Konzepte werden in den folgenden Kapiteln zur Immersion näher behandelt.
Vor den anschließenden Überlegungen zu Mechanismen der Immersion werden zuerst die dahinterstehenden Grundannahmen in diesem Beitrag erläutert, die es ermöglichen, dieses Rezeptionsphänomen medienübergreifend vom Text bis zum digitalen Spiel betrachten zu können. Im Fokus steht dabei das Herausarbeiten von verbindenden Aspekten in der Rezeption fiktionaler Welten sowie immersiver Effekte in zunächst stark divergent wirkenden Medienvariationen. Immersion soll als Brückenkonzept verstanden werden, das als transmedialer Ansatz mittelalterliche Texte und digitale Spiele miteinander in den Dialog bringen soll. Des Weiteren wird in diesem Beitrag davon ausgegangen, dass Spiele in Parallele zu Texten als Erfahrungsräume behandelt werden können.4
Rezeption und fiktionale Welten
Zentral für alle weiteren Überlegungen ist der Begriff der Rezeption, mit dem ein Verstehensprozess während des kommunikativen Medienkonsums gemeint ist, der sich aus kognitiven und emotionalen Dimensionen zusammensetzt und von „kulturellen und persönlichen Erfahrungen beeinflusst“ wird.5 Rezeption findet also nicht in einem statischen Umfeld und überindividuell statt, sondern wird von soziokulturellen und individuellen Elementen begleitet, die in einem ständigen kommunikativen Prozess mit den jeweiligen Medien und ihren fiktionalen Welten stehen. Letztere entstehen wiederum selbst unter bestimmten soziokulturellen Rahmenbedingungen. Die Motivation dahinter, sich überhaupt auf fiktionale Welten einzulassen und Medien zu nutzen, ergibt sich dabei aus der jeweiligen Lebenssituation der Rezipierenden heraus, die im „Vergleich zwischen Geschichte und der Reflexion auf die eigene Lebenssituation“ eine abgleichende Versicherung der Lebensweise in realiter verfolgen.6 Dieses vergleichende Wechselspiel zwischen fiktionaler Welt und realer Rezeptionssituation, das jedem Rezeptionsvorgang zugrunde gelegt wird, ist – wie zu zeigen sein wird – zugleich ein wesentliches Element immersiver Mechanismen, die nicht nur das absolute Ausblenden der Physis und der reellen Rezeptionssituation der Rezipierenden erzielen.7 Sie fordern vielmehr eine ständige Interaktivität im „tilting game“, das von Marie-Laure Ryan zwischen fiktionaler Welt und ihrer reflektierten Rezeption neu verortet wurde. Es geht ihr dabei um eine aktive periodische Herausnahme aus der Immersion in einem stetigen Perspektivwechsel zwischen einer ‚fiktional-internen‘ und einer ‚fiktional-externen‘ Sicht, dem Ryan bereits für literarische Rezeptionsprozesse eine „interactivity“ zuschreibt.8 Die Grundlage für diese literarische Verortung von Interaktivität als ‚Zusammenarbeit‘ zwischen den Rezipierenden und dem Text hinsichtlich der Bedeutungsproduktion ist die Funktionsweise von Fiktionalität selbst, die den Rezipierenden eine aktive doppelte Auseinandersetzung mit dem Text als Zeichensystem abverlangt:
“As the phenomenologist Roman Ingarden and his disciple Wolfgang Iser have shown, this mental simulation requires a construction of the fictional world through which the reader provides as much material as she derives from the text. If it takes discipline to form a mental image of the fictional world, it takes an even more demanding activity to convert the temporal flow of language into a spatial configuration of meaning.”9
In der Interaktion mit einem fiktionalen Text wird eine Bereitschaft zur mentalen Konstruktion der narrativen Erzählwelt so selbstverständlich eingefordert, dass es bereits zu einem unhinterfragten Fakt geworden ist, dass fiktionale Erzählwelten aus Texten hervorgehen und diese schon immer eine Interaktivität bedingen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Interaktivität des Öfteren erst als ein Herausstellungsmerkmal digitaler Medien herausgestellt wird,10 obwohl er bereits in analogen Medienformaten verortet werden kann. Während Fiktionalität mit Blick auf moderne Literatur sogar ein eigenes Genre zukommt und die Audiovisualität digitaler Spiele klare Fiktionalitätssignale im Vergleich zur Alltagssemiotik enthält, ist ein diachroner Blick auf Fiktionalität im Mittelalter, aus dem Texte hier ebenfalls mit einfließen sollen, nicht ohne Weiteres möglich. Hinsichtlich der Rolle von Fiktionalität im Mittelalter muss festgehalten werden, dass diese im mediävistischen Kontext nicht unumstritten ist, da es keine zeitgenössischen Theorien zur Fiktionalität des Mittelalters gibt. Ohne an dieser Stelle auf die Details des Diskurses zwischen Anachronismus und neuzeitlichen Parallelstrukturen einzugehen, soll mit Sonja Glauch der Fokus auf den aktiven und ‚anderen Umgang‘ mit dem Text durch zeitgenössische Rezipierende gelegt werden:
„Ein fiktionaler Text zeichnet sich dann dadurch aus, dass er – basierend auf Konvention – zu einem anderen Umgang mit sich einlädt und dass mit ihm anders umgegangen wird als mit einem nicht-fiktionalen Text. […] Das Äußerungssubjekt ist [also] vom Rezipienten von der Verpflichtung entbunden, Sachverhalte zu berichten, die konventionell zur Wirklichkeit gerechnet werden.“11
Die generelle Abwertung von Fiktionalität im Mittelalter als fabula durch die Kirche auf der Grundlage der lateinischen Herkunft des Begriffs fictio im Sinne von ‚Täuschung‘ und ‚Lüge‘ greift Glauch vermittelnd auf. Sie stellt ihr die Möglichkeit von „Missverständnis bzw. konzeptuelle Unzulänglichkeit, […] ideologische Herabsetzung […]“ zur Seite, wobei sie auch generell darauf aufmerksam macht, dass „man sich von der Idee verabschieden [müsse], jeder Lügenvorwurf müsse die gleiche Sprache sprechen.“12 Insbesondere der Blick auf die von Dichtersängern und Schriftliteraten des Mittelalters hervorgebrachten Aussagen über Wirklichkeit zeigen, dass es weniger um eine Reflexion der Lebensrealität der Rezipierenden ging, als vielmehr „Wissen über unzugängliche Existenzbereiche“13 u.a. aus Kontingenzsituationen in Form von Sagen und Mythen, die Generationen von Menschen zur Verfügung gestellt wurden. Das bedeutet auch, dass ein Konsens darüber besteht, dass Erzählungen der Heldenepik oder des höfischen Romans auch von Zeitgenossen nicht als faktuale Erzählungen aufgefasst wurden. Selbst wenn sie Teil der Lebensrealität der zeitgenössischen Rezipierenden waren, so ist anzunehmen, dass deren Status fernab von historischer Faktizität im Bereich der Erzählungen von Ursprungsgeschichten und kulturellen Gesellschaftskonstellationen lag.14 Zwar fällt aufgrund des vorwissenschaftlichen Wirklichkeitsverständnisses die Unterscheidung fiktional/faktual für das Mittelalter in sich zusammen,15 doch findet sich ein im mittelalterlichen Erzählen grundsätzlich die Wirklichkeit überformender und damit von der reellen Rezeptionssituation faktisch unterschiedener Erzähl-Raum, der die oben genannten immersiven Mechanismen auslösen kann. Bei allen Nuancen, die es im Bereich des Fiktionalen und Faktualen vor dem zeitgenössischen Rezeptionshintergrund zu beachten gilt, so ist das Prinzip der Virtualität und ihre Verbindung zur Fiktionalität dem Mittelalter zumindest nicht fremd – im Gegenteil wird der virtuelle Raum mit Schlechtweg-Jahn zum „Bindeglied zum fiktionalen Raum der Literatur.“16 Damit ist der nächste Begriff benannt, der im folgenden Kapitel auf sein medienübergreifendes und chronologisch haltbares Konzept abgeklopft werden soll: Virtualität.
Virtualität als soziokulturelles Phänomen
Während Virtualität im modernen Kontext von virtual und augmented reality zunächst eher selten ein Sonderstatus zugeschrieben wird, so wird er im Kontext mittelalterlicher Literatur doch eher erklärungsbedürftig – vor allem wenn es darum gehen soll, letztlich ein verbindendes Konzept zwischen beiden Welten zu finden. Besondere Bedeutung kommt bei der Untersuchung von Virtualität und mittelalterlicher Literatur vor allem Silvan Wagners Ansatz eines Virtualitätsverständnisses als „markierte Realität“ bzw. eines räumlich kommunizierten Phänomens außerhalb physischer Realitätsverhältnisse zu, das folgend kurz skizziert wird.17
Mit Silvan Wagner wird in diesem Beitrag unter ‚Raum‘ ein kommunikatives Konzept angenommen, das ihn als „eine durch Ausdehnung und Inhalt bestimmte und begrenzte Entität [auffasst, F. N.], die im Einzelnen durch die Kommunikation kultureller Wahrnehmungs- und Handlungsmuster formiert wird.“18 Kommunikation selbst kann damit Raum generieren, wobei entscheidend ist, über welche In- und Exklusionsmechanismen die Ausdehnung des Raums bestimmt werden und in welchem Kontext die jeweiligen Kommunikationsteilnehmer über diese Mechanismen sozial organisiert miteinander agieren. So können sozial-gesellschaftliche Räume bspw. aus dem pädagogischen Kontext mit klarer Kommunikation hinsichtlich Inklusion und Exklusion – die Rollenverteilung von Lehrenden und Lernenden – dauerhaft Bedeutung generieren; sie erhalten diese Bedeutung unabhängig ihres physikalischen Veranstaltungsorts in einer Bildungseinrichtung, wohingegen der physikalische Standort erst seine Bedeutung durch die Anwesenheit der am Bildungs-Raum Beteiligten erhält. Der hier anvisierte Raumbegriff ist also nicht physisch zu verstehen, sondern hat seinen Sitz im gesellschaftlichen ‚Gebäude‘ sozialer Sinn- und Ordnungsstruktur.19 Das hat den Vorteil, sich nicht in einem vermeintlichen Gegensatzpaar von Virtualität und Realität zu verlieren, das spätestens mit dem Begriff virtuelle Realität erklärungsbedürftig wird. Ausgehend von einer soziokulturell-kommunikativen Raumauffassung kann das Konzept virtueller Räume transmedial und mit chronologischen Verbindungslinien bis in die Digitalität der Gegenwart nun deutlicher umrissen werden. Schlechtweg-Jahn charakterisiert den virtuellen Raum wie folgt:
„Ein virtueller Raum ist ‚real‘, insofern er vergesellschaftende Effekte auf die in ihm interagierenden Menschen ausübt, und zugleich imaginär, weil er nicht institutionalisiert ist, also nicht über die ihn schaffenden Interaktionen hinaus fortdauern kann. Der virtuelle Raum ist auch ‚real‘, weil reale Körper in einem realen Raum handeln, zugleich aber auch imaginär, weil diese Körper eine spezifische Identität annehmen, mit der sie im virtuellen Raum miteinander umgehen.“20
Wagner hingegen nimmt nicht den ontologischen Status des Raums in den Blick, sondern den kommunikativen Aspekt, indem er den virtuellen Raum als ein intersubjektives Konstrukt konsensfähiger – also vergleichbarer – Imagination Einzelner beschreibt, der auf der Grundlage eines bestimmten Regelwerks und in einer damit spezifischen Kommunikationssituation entsteht.21 Beispiel hierfür kann ein kindliches Rollenspiel sein, in dem ein bestimmter Raum von einer Gruppe von Kindern imaginiert wird – Wagner führt den Schulraum an – und für die Dauer dieses Spiels ist der virtuelle Schulraum bei den Kindern über die kollektive Imagination präsent, gleichzeitig aber unzugänglich für nicht am Spiel beteiligte, die die Regeln der kindlichen Kommunikation nicht bedienen können.22
Der virtuelle Raum zeichnet sich also mit Wagner durch seinen kommunikativen Charakter und seine „begrenzte Kommunikationszugänglichkeit“ aus, was die Verbindung zu digitalen Kontexten herstellt, in denen Virtualität und ihre kommunikative Exklusivität oftmals bereits aus der Kenntnis der dahinterliegenden Technik oder spezifischer Design- oder Programmierkenntnissen resultiert. Zugleich ist der virtuelle Raum unter diesen Bedingungen äußerst fragil, denn er ist nur über die Dauer der kollektiv-imaginativen Kommunikation existent. Derart limitierende Faktoren hinsichtlich der der Kommunikationszugänglichkeit finden sich mit einem Blick ins Mittelalter auch in Gelehrtendiskursen über bestimmte Sachverhalte, die sich bestimmter metaphorischer, metonymischer und allegorischer Verweisstrukturen bedienen, um nur einem bestimmten Adressatenkreis anzusprechen.23
Mit Blick auf die Verortung derartiger virtueller Räume, denen eine Identitätsverdoppelung inhärent ist, kann bereits ‚der Hof‘ um 1200 als Beispiel angeführt werden, da die höfisch-rituelle Kommunikation am Hof für die adeligen Teilnehmer zugleich mit der Übernahme von bestimmten Rollen des sozialen Interaktionsspiels der Hofgesellschaft verbunden war. So sind neben der semantischen Codierung von Kleidung als Rollenmarkierung bspw. auch das Einhalten formeller Begrüßungsformeln und „traditionlle[r] Verhaltensweisen“24 Hinweise auf die Übernahme der Rollenangebote dieses Interaktionsspiels. Unter Identitätsverdopplung wird also „eine Grenzüberschreitung […] zwischen einem normalen Raum (hier der Lebensraum eines Adeligen) und einem virtuellen Raum (hier der Raum des Hofes)“ verstanden.25 Die Gleichzeitigkeit eines ‚normalen‘ Raums als Ausgangsort der Verdopplung der eigenen Identität und die Übernahme bestimmter kommunikativer Rollen im virtuell eröffneten Ritualraum ist damit immer bereits mitgedacht. In gewisser Weise könnte man von der Generierung eines Avatars sprechen26, der als Schnittstelle zur Interaktion im rituell-kommunikativen Raum fungiert; er dient als Stellvertreter der an der Kommunikation beteiligten Adeligen, die mit der Einnahme bestimmter Rollen zur Stabilisierung des soziokulturellen Systems ‚Hofgesellschaft‘ beitragen. Ohne an dieser Stelle auf die Bedeutung von bspw. Kleidung, Position bei Tischgesellschaften und Begrüßungszeremonien eingehen zu können, kann festgehalten werden, dass das Abhalten einer Hofgesellschaft den klaren Übergang von einem normalen Raum der Adeligen als anreisende Gäste in den virtuellen Kommunikationsraum als Bestandteil des Macht- und Gesellschaftskonstrukts ‚Hof‘ mit festen Regeln und Abläufen bedeutete.27
Derartige soziokulturell geprägte Virtualität war zentraler Bestandteil mittelalterlichen Lebens und strukturanalog dazu fungiert im Mittelalter auch der Erzählraum als virtueller Raum. Im Akt des Erzählens wird im Idealfall ein virtueller Raum aus der Distanz als ‚ein Sprechen über diesen Raum‘ gemeinsam imaginiert und zugleich werden in der Erzählung gleich des Rollenspiels am Hof Rollenangebote formuliert, die den Rezipierenden in der Identitätsverdoppelung im imaginierten Raum ein Identifikationsangebot machen. Dieses Angebot überschreitet die Grenze zu den Rezipierenden und überwindet damit die Distanz des fiktionalen ‚als ob‘ – der Erzählraum besteht also als virtueller Raum nicht nur für die Dauer seiner Kommunikation, sondern birgt in sich zugleich die Distanz und Unmittelbarkeit seiner Rezeption.28 Um diese Dialektik abzubilden, unterscheidet Wagner den erzählten Raum, der gemeinsam imaginiert wird und den darin befindlichen Erzählraum, der von den (implizit) Rezipierenden durch Identitätsverdoppelung und vom Erzähler beschritten werden kann. Der Erzählraum ist damit zugleich anschlussfähig an den Diskurs im Bereich von raumbezogenen Involvierungsstrategien im Computerspiel, denn wie der narrative Erlebnisraum des Spiels ist der hier vorgestellte Erzählraum „mit Bedeutung aufgeladen“ – er „ist belebt und kann gelebt werden“; die Selbstverortung der Rezipierenden in diesem Erlebnisraum verleiht ihren Handlungen Bedeutung für die Zeit des Spielens so wie es die Rollenangebote auf literarischer Ebene vermögen.29 Der Erzählraum ist auch der Ort, dessen ‚Eingang‘ über die in der Erzählung eröffneten Rollenangebote markiert wird. In Anlehnung an Wagner soll diese sozial-kommunikative Raumarchitektur von Virtualität in fiktionaler Literatur – abgebildet durch die beiden skizzierten Räume – in den folgenden Analysen auch mit Blick auf digitale Kontexte zugrunde gelegt werden.
Die im fiktionalen Erzählraum verortete Identitätsverdoppelung kann mit dem in der Medienpsychologie beobachteten Phänomen in Verbindung gebracht werden, dass Rezipierende „bestimmte Geschichten erzählt bekommen möchte[n], die […] eine emotionale Anregung verschaffen“, wobei das Wechseln zwischen dem hier nun angenommenen Erzählraum und dem unmarkierten – realphysischen Raum der Rezeption immer schon mitgedacht werden muss: Es findet basierend auf dem Inhalt der Erzählung ein „Vergleich zwischen der Geschichte und der Reflexion auf die eigene Lebenssituation [statt, F.N.], eine Abgrenzung, was zur Bestätigung der eigenen Lebensweise beträgt [sic!].“30 Das bedeutet für den hier anvisierten transmedialen Ansatz, dass für diesen Mechanismus der Selbstversicherung nicht zwingend aktuelle digitalen Medienformen notwendig sind, sondern gerade „traditionelle[ ] Formen des Erzählens“ eine zentrale Rolle spielen.31
In Anschluss an diesen Vorschlag Virtualität als soziokulturell fundiertes und gemeinsam temporal limitiertes Kommunikationsgeschehen für einen begrenzten Rezipierendenkreis zu verstehen, soll in einem zweiten Schritt ein in ähnlicher Weise ‚aktiv-kommunikatives‘ Immersionsverständnis erarbeitet werden.
Immersion als (inter-)aktive Ko-Konstruktion des fiktionalen Erzählraums
Mit Blick auf die ursprüngliche Beheimatung des Immersionsbegriffs im medienwissenschaftlichen Bereich und den daraus resultierenden Fokus auf audiovisuellen Medien, deren prägnante Bildwelten sicherlich ihren Teil dazu beitragen, einen Immersionseffekt zu erzielen, können die audiovisuellen Medien mit Blick auf den hier verfolgten Ansatz das Primat der Immersionserfahrung zumindest nicht allein für sich beanspruchen. Mit Hartmut Bleumer ist „das Eintauchen in einen Bildraum […] womöglich gar keine genuin optische Frage.“32 Er spricht von Immersion als einem „aktive[n], selbstbeobachtende[n] Eintauchen in imaginative Welten, die vom Betrachter als paradoxe ästhetische Objekte […] hervorgebracht werden“; es ist als „Brückenkonzept“ zwischen modernen und historischen Medienrezeptionsmodi zu behandeln.33 Ähnlich dem „tilting game“ von Ryan besteht Immersion nach Bleumer aus der reflektierenden Wahrnehmung und der unmittelbaren Präsenz des ästhetischen Objekts, die dieser Wahrnehmung entgegengesetzt wird. Gleichzeitig stellt er Überschneidungsmomente der Illusion und der Immersion heraus.34 Beide Konzepte sind eng miteinander verwoben, können aber in unterschiedlicher Weise in Bezug gesetzt werden. Verbindend ist deren Funktion als semantisch aufgeladene ‚Hineinnahme‘ der Rezipierendenwahrnehmung in den auf ästhetischen und/oder sprachperformativen Prozessen basierenden Bedeutungsräume.35 Aus ludologischer Perspektive rückt Huizinga die Illusion nahe an den Spielcharakter heran und leitet den Begriff von inludere ab, was er mit „in-play“ übersetzt36 und damit den immersiven Charakter von spielerischen Prozessen mit dem Aspekt des make-belief von religiösen Ritualen und dem ‚willing suspension of disbelief‘ aus dem literarischen Kontext fiktionalen Erzählwelten verbindet.37 Illusion und Immersion hält damit einerseits die Spannung in der Gleichzeitigkeit von realweltlichen und virtuellen Rezeptionssituation (vgl. Abschnitt zur Aufmerksamkeitslenkung) und andererseits ihr Ritualcharakter zusammen. Nimmt man den Ritualbegriff von Armin Schulz aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ernst, so stellt er eine medienübergreifende Brücke zu den bisherigen Beobachtungen dar: Das Ritual ist eine „regelhafte Kombination geordneter symbolischer Handlungen, dessen Wesensmerkmal die prinzipielle oder tatsächliche Wiederholbarkeit dieser Handlungen ist.“38 Zugleich hebt es sich von alltäglichen Handlungen ab.39 Dabei ist die Wiederholung und der Fokus auf bestimmte formalisierte Regelebenen der Kern der Ritualisierung;40 Immersion konnte im mittelalterlichen Kontext und kann auch im Kontext digitaler Spiele durch (mechanische) Wiederholung bestimmter Interaktionsprozesse mit dem jeweiligen Medium erzielt werden. So gab es Rezeptionsanweisungen für bestimmte Texte im Mittelalter, bei denen der Lesemodus streng reglementiert wurde im Sinne einer lectio continua, die den Textfluss über den tatsächlichen Inhalt stellt – Fokus war die Einübung einer bestimmten Lesehaltung. Das Eintauchen in den Text wäre damit aus Sicht der Ästhetik eigentlich ein ‚naiver‘ Lesemodus, der blind gegenüber den semiotischen Mechanismen von Textwelten ist und das Mediale übersieht.41 Die Illusion wäre damit eine rein auf das Mediale beschränkte Form der Sinnerschließung, die jedoch an der Semantik der eigentlichen Sinnvermittlung durch Vertiefung vorbeiginge. Immersion ist jedoch mehr als nur ein Zustand der ‚Medienvergessenheit‘42 durch Wiederholung, sondern sie ist eine literarische Technik, die die imaginatio der Rezipierenden anregt. Sie ist im Zusammenhang mit Wiederholungen ähnlich wie das ludologische Konzept der Ergodik43 eine mediale Erschließungsform, die durch variierende Neuerschließung des medial Präsentierten zu einem tieferen Verständnis desselben führen kann und über die dadurch den Rezipierenden sich erschließende Semantik Involvierungsprozesse auslöst. Ritualisierte Abläufe sind also in der Lage, semantisch sinnfällig zu werden, indem eine virtuelle Erzählwelt zur Plattform fortwährend vertiefender Erschließungsprozesse wird.44 Illusion und Immersion zeigen somit im Bereich von Ritualisierungsprozessen miteinander verwoben zu sein, wenn mit der wiederholten und einem Regelwerk folgenden Interaktion mit den jeweiligen Medien unterschiedliche Semantiken über Mediengrenzen hinweg transportiert werden. So ist es auch besser verständlich, wenn Bleumer die Immersion mit Blick auf das Phänomen der ‚Erlebnisillusion‘45 zum „Sonderfall semantischer Illusionen“46 erklärt . Genauer kann sie als
„eine kognitive wie eine semantische Suchbewegung des Betrachters gegenüber einem ästhetischen Objekt, das er mitkonstruiert [verstanden werden] und das ihn gerade dadurch zu einer vertieften Lektüre führt, dass es die Wahrnehmung seiner eigenen Reflexionsanteile zurücktreten lässt.“47
Bleumer verortet diese Verständnis vom Aufgehen in Semantik bei immersiven Prozessen im Raum bildhafter Kunst, deren Betrachtung er nicht auf „Sichtbarkeitseffekte“ und damit auf Visualität reduziert, sondern mit Blick auf den historisch-semantischen Charakter des Immersionsbegriffs geht er von einem „Eintauchen in den Raum der Bilder […] als intensive[s] Aufgehen in Bedeutung“ aus.48 Dieses Verständnis immersiver Phänomene als semantische Suchbewegungen deckt sich mit den vorherigen Überlegungen zur rezipientenseitigen Selbstverortung und kann unabhängig von medialer Beschaffenheit als Ausgangsbasis weiterer Konkretisierungen zum Immersionsbegriff verwendet werden. Dazu sollen nun unterschiedliche Ansätze von Immersionsphänomenen betrachtet werden, um anschließend zu dem hier vorgeschlagenen – medienübergreifenden und konzeptuell möglichst arbeitsfähigen – Verständnis von Immersion zu gelangen.
Allgemein kann von Immersion als einem „kalkulierte[m] Spiel mit der Auflösung von Distanz“ gesprochen werden.49 Ein erster Blick auf das weite Forschungsfeld zu Immersionsphänomenen zeigt jedoch darüber hinaus wenig Einigkeit und lässt grundständig zwei unterschiedliche Ansätze mit vielen Variationen erkennen, in denen den Rezipierenden eine entweder passivere oder aktivere Rolle zukommt. Beginnend mit der überblicksartigen Vorstellung exemplarischer passiver Ansätze werden anschließend aktive Ansätze fokussiert und weiterentwickelt. In den aktiven Ansätzen soll das bereits aktive Momentum, das in der Bereitstellung von Rollenangeboten und ihrer Annahme bzw. Übernahme durch die Rezipierenden bereits impliziert wird, stärker herausgestellt werden, um abschließend auf damit verbundene emotionale Involvierungsmodi und deren Verknüpfung mit (literarischen) Figuren einen Blick zu werfen.
Passivität
Mit Blick auf die ‚passiven‘ Ansätze und damit vor allem der Annahme, dass die Sogwirkung in der Rezeption vom Medium und der (narrativen) Fiktionalität selbst ausgeht, fällt auf, dass die Rezipierenden die Bewegung in die fiktionale Erzählwelt hinein eher reaktiv als "Wahrnehmungsüberlagerung" erleben – es geht um die "Erlebnisseite" einer medieninduzierten "(außer-)kontrollierten Besetzung der Wahrnehmung."50 Das Rollenangebot des Erzählraums würde sich damit geradezu aufgrund der lebensnahen Realität oder aber aus Gründen des Eskapismus51 den Rezipierenden als einzige Möglichkeit geradezu aufdrängen. Das jeweilige Erzählmedium 'ergreift' gewissermaßen die Rezipierenden und die immersive Wirkung ergibt sich aus dem "Zusammenspiel von Apparat und Disposition".52 Analog zu Klangphänomenen, die die Sinne und schließlich den Kopf vereinnahmen über das Einfallstor des unverschließbaren Gehörs53 wird von einer Performativität des Textes ausgegangen, die die imaginatio der Rezipierenden anregt und sie aus der Rolle der Betrachtenden in den Text 'hineinzieht' – ähnlich dem Konzept der phantom rides kinematisch inszenierter Zugfahrten, die den Eindruck vermitteln sollen, dass die Rezipierenden an der Spitze eines Zuges „dem Sog in die Tiefe des Raums gleichsam ausgeliefert“ sind.54 Folgt man diesen Perspektiven auf Immersion als primär erlebtes Phänomen, so 'taucht' man ein, indem man in eine künstliche Welt, d.h. in einen Zustand der Selbstvergessenheit und emotionalen Involviertheit, hineingezogen wird, wenn die Distanz zwischen Rezipierenden und Medium verringert wird. Die Grenzen zwischen ästhetisch inszenierter und realer Welt, die die Rezipierenden umgibt, beginnen zu verschwimmen.
Aktivität
Diesen Beobachtungen steht die Annahme einer stärker aktivierenden Funktion und auch von der Interdependenz zwischen der Aktion der Rezipierenden und dem Gelingen immersiver Effekte entgegen – genauer sollen fiktionale Wirklichkeiten als aktives virtuelles Konstrukt begriffen und folgend auch vertreten werden.
Das 'aktive' Konzept von Immersion fasst diese als eine sehr dichte, hybride bzw. teilweise sogar ambivalente Art der Reflexion und Wahrnehmung auf, wobei der aktive Part in einem Wechselspiel zwischen Rezipierenden und dem Erzählmedium zu verorten ist. Bleumer spricht vom "aktiven, selbstbeobachtenden Eintauchen in Vorstellungswelten, die vom Betrachter als paradoxe ästhetische Objekte produziert werden [...]"55 . Legt man das Konzept der Faszination als Emotion mit hoher kognitiver Komponente im Immersionsprozess zugrunde, so zeigt sich, dass es ein Changieren der Aufmerksamkeit zwischen dem ästhetischen Objekt und der simulierten Situation gibt. ‚Faszination‘ spielt bei der aktiven Form eine wichtige Rolle, da sie nicht nur als zentrale und historisierbare Komponente das Immersionsphänomen medienübergreifend näher fassen kann, sondern als „Emotion mit hohem kognitiven Anteil“ wiederum den Anschlusspunkt für die anschließende Betrachtung emotionaler Involvierung bildet.56 Das Changieren zwischen emotionaler und kognitiver Aktivierung bzw. Immersion verstanden als eine kognitive – genauer „semantische Suchbewegung“57 – des Betrachters hin zu einem ästhetischen Objekt, das er mitkonstruiert und das ihn zu einer emotional gefärbten, tieferen Rezeption führt, legt ein temporäres Zurücktreten der Wahrnehmung der eigenen reflektierenden Anteile offen. Dieses ‚Versetzen‘ des eigenen rezeptionsseitigen Referenzpunkts hin zur fiktionalen (Erzähl-)Welt ist mit mehreren Voraussetzungen und Folgen für die kritisch-rationalen sowie affektiven Denk- und Wahrnehmungsstrukturen der Rezipierenden verbunden; die Haltung der Rezipierenden spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Rezipierendenhaltung
Unabhängig von medialen Inszenierungsstrategien ist zu betonen, dass als transmediales Phänomen ein aktives und passives Hineinversetzen in die Virtualität eine bestimmte "Haltung" der Rezipierenden voraussetzt. Das Gelingen der gemeinsamen Imagination des Erzählraums als fiktionale Welt, die den Raum für semantischen Suchbewegungen bietet, hängt einerseits von der kognitiven ‚Einstellung‘ des Rezipierenden gegenüber dem narrativen Inhalt dieser fiktionalen Realität ab, aber auch von der Aufmerksamkeitslenkung des jeweiligen Mediums und der Affinität der Rezipierenden zur Emotionalität.
Eine annehmende und den Basiskomponenten der präsentierten fiktionalen Welt gegenüber aufgeschlossene Rezeptionshaltung ist der Kern gelingender Immersion.58 Mit Blick auf den mittelalterlich-literarischen Kontext kann die Rezeption mittelalterlicher poetischer Texte zwischen Performanz und Präsenz verortet werden.59 Sinnfällig wird dies vor allem mit Blick auf religiöse Konzepte der mittelalterlichen Literatur, die die attentio kennen, die mit Mireille Snyder die „völlige Hingabe der Geistes und Sinneskräfte an den Text [meint].“60 Diese Form der rezipientenseitigen Fokussierung auf den Text mündet in einer außergewöhnlichen Konzentration, die mit der intentio als Versenkung einfordernde Lesehaltung für geistliche Text in direkter Verbindung steht. Es geht also um eine bereits bei der Aufmerksamkeitslenkung der Rezipierenden ansetzenden Haltung vor dem eigentlichen Lesebeginn. Hintergrund einer solchen Haltung ist die Annahme, dass ein Eintauchen in eine dargestellte Bildwelt und die damit als real angenommene Präsenz am dargestellen Ort auch eine Affizierung durch die dargestellte Sache bewirkt – gewissermaßen eine momenthafte Teilhabe am bspw. eschatologischen oder soteriologischen Inhalt geistlicher Texte.61
Ein Beispiel hierfür wäre das ‚Alsfelder Passionsspiel‘ (1501-1517), in dem eine bestimmte Rezeptionshaltung (die Rezipierenden sollen still und damit fokussiert sein) vom Proklamator eingefordert wird. Jener verbindet sein ‚Vorlesen‘ des Geschehens mit den Rezipierenden durch den Bezug zur Schrift, deren Allgemeingültigkeit in der Anrede an die Menschheit die Realität der Rezeption mit der Inszenierung des aus der Schrift stammenden Passionsspiel verbindet.62 Räumlich und zeitlich versucht der Proklamator dabei eine Grenzüberschreitung zu inszenieren, was vor allem durch jene eingeforderte Haltung der Rezipierenden (mit dem Zusatz, dass ein Betreten des Spielraums die realweltliche Konsequenzen der Verdammung mit sich führe) gelingen soll – die Botschaft an die Leserschaft ist deutlich: mit andacht sollet er [der implizite Leser, F.N.] disz schawenn (APS V. 52).63 Ähnlich und mit stärker performativem Charakter gestaltet sich auch die Rezeption des Buchs Mechthilds von Magdeburg durch Heinrich von Nördlingen, der ‚das Fließende Licht der Gottheit‘ gewissermaßen auratisiert und damit nicht nur den Text in seiner linguistischen Form meint, sondern das materielle Objekt selbst.64 Es finden sich Leseanweisungen Heinrichs an die Nonnen, denen er das Buch schickt, die rituelle und öffentliche Handlungen im Kirchenraum empfehlen, die im liturgischen Zusammenhang mit der Erwirkung des Beistands für die Predigtworte steht, wodurch das Lesen einen eucharistischen Charakter erhält. Im Sinne einer lectio continua ergehen trotz des religiös erhöhten Charakters der Schrift als göttliche Präsenz im Wort Anweisungen an die Rezipierenden zur Vertiefung in den Text, wodurch sich das darin als sakral aufgefasste Wort als Text durch Wiederholung angeeignet werden soll.65 Damit soll eine Partizipation – ähnlich wie im Passionsspiel zuvor – an einem virtuellen Sakralcharakter des Texts ermöglicht werden.
Diese Form einer theologisch geprägten Lesehaltung soll hier stellvertretend für eine Varianz an unterschiedlichen ‚Einstellungen‘ zu einem erzählten Raum und einem Erzählraum samt dessen narrativer Ausgestaltung angeführt werden. Zentral ist, dass es offenbar bestimmte Lesehaltungen für spezifische – und oftmals intendierte – Formen der immersiven Partizipation an den eröffneten Erzählräumen gibt. Das bedeutet zugleich, dass nicht jedes Medium bei allen Rezipierenden zwingend immersiv wirken muss, sondern es an Vorbedingungen geknüpft ist und dass die Rezipierenden bereits mit dem Einnehmen bestimmter Haltungen den ersten aktiven Schritt der nun weiter ausgeführten Folgeschritten vollziehen, die das Gelingen immersiver Effekte bedingen.
Im Bereich digitaler Spiele werden Rezipierende durch klare Instruktionen ebenfalls an den narrativen Inhalt sowie an die Bedingungen der Rezeption über Tutorials herangeführt, die oftmals nicht nur die Mechaniken zur Interaktion des eigenen Avatars66 mit der Erzählwelt erklären und damit grundlegende Rezeptionsbedingungen erläutern, sondern auch in das ‚Setting‘ der Erzählwelt einführen.67 Zudem können durch die Auswahl bestimmter Spielgenres bereits von den Rezipierenden Vorauswahlen getroffen werden, die die jeweilige positive Haltung zum narrativen Inhalt des digitalen Spiels unterstützen, denn die unterschiedlichen Genres bringen bereits „ästhetische[ ] Qualitäten und ideologische Implikationen“ mit sich, auf die sich die Rezipierenden im Vorhinein einstellen können.68 Zur Einnahme einer spezifischen Lesehaltung kommt die Bereitschaft zur Anerkennung der rezeptionsseitigen ‚Spielregeln‘ virtueller Welten hinzu, die die Medialität der präsentierten Erzählwelt in den Hintergrund rücken lassen.69 Genauer geht es um die sogenannte Non-Medialität70, also dem Verschwinden(-lassen) des Mediums im Vermittlungsprozess der präsentierten Umgebung für die Rezipierenden. Dazu muss die Aufmerksamkeit der Rezipierenden von der eigentlichen Rezeptionssituation über die ‚transparente‘ Vermittlungsleistung des Mediums auf den virtuell-fiktionalen Raum fokussiert werden. [Die dabei ablaufenden Mechanismen und die dahinterliegenden kognitiven und emotionalen Prozesse sind vielfach untersucht worden und führten interdisziplinär zu breiten Diskursen, die hier bereits aufgrund ihrer Unabgeschlossenheit nicht abgebildet werden können und sollen.] Vielmehr soll es im Folgenden darum gehen, aufbauend auf den bisherigen Begrifflichkeiten und Überlegungen ein Modell anzubieten, das medienübergreifend immersive Effekte im Kontext mittelalterlicher Literatur und des digitalen Spiels fassbar und damit analysierbar werden lässt. Dazu sind nun zwei Teilschritte notwendig: Zunächst wird ein Modell der Aufmerksamkeitslenkung vorgestellt, das als Grundlage für den in diesem Beitrag entwickelten Immersionszyklus dient. Im Zuge der Erläuterungen zu diesem Modell wird in einem zweiten Schritt der Begriff ‚Immersion‘ folgend in einer dafür zentralen Bedeutungsfacette erläutert – als narrative Transportation.
Aufmerksamkeitslenkung und narrative Transportation
Das spatial situation model‘ (SSM)71 von Wirth et. al. bietet ausgehend von der Annahme des Präsenzerlebens der Rezipierenden in einer medial präsentierten Welt erste Ansatzpunkte für die Identifizierung der Prozesse hinter gelingender Aufmerksamkeitslenkung. Basierend auf dem SSM müssen dazu im medialen Raum semiotische Hinweise auf die Beschaffenheit des Raums und dessen grundsätzlichen Merkmale gegeben werden, die meist metonymisch funktionieren und realweltliche Bezüge bei den Rezipierenden implizieren sollen.72 Der mediale Raum wird zum primären Bezugsrahmen, indem in einer ‚Wanderbewegung‘ der Aufmerksamkeit der unmittelbare Realitätsbezug der Rezeptionssituation in der aktiven Wahrnehmung hinter die fiktionale Umgebung zurücktritt. Der mediale Raum soll bei gelingender ‚Transportation‘ zum „primären Referenzrahmen“ werden, indem auf ihm der Fokus der rezeptionsseitigen Wahrnehmungsprozesse liegt.73 Die Bezeichnung ‚Transportation‘ – spezifischer ‚narrative Transportation‘ – wird hier in Anlehnung an van Laer et. al. verstanden
“as the extent to which (1) a consumer empathizes with the story characters and (2) the story plot activates his or her imagination, which leads him or her to experience suspended reality during story reception. Finally, narrative transportation is a form of experiential response to narratives“74
Narrative Transportation betrachtet immersive Prozesse mit Blick auf den ‚Inhalt‘ des erzählten Raums und des Erzählraums – dem Plot und den Charakteren samt den damit verbundenen Semantiken. Da es in diesem Beitrag ausblickhaft um die Entwicklung eines Immersionsverständnisses mit Blick auf Involvierungsprozesse und deren Zusammenhang mit Figurenzeichnungen gehen soll, scheint diese Einengung des Immersionsbegriffs naheliegend.
Während Aspekt (1) der Definition im anschließenden Kapitel mit Fokus auf Affizierungsprozessen Bedeutung zukommen wird, geht es im Kontext des SSM vor allem um die mentale Aktivierung der Imagination über die mit Semiotik eröffnete Wahrnehmungssemantik seitens der Rezipierenden. Dazu wird im SSM nach der Hypothesentheorie der Wahrnehmung angenommen, dass letztere kein direktes Abbild der Umwelt ist, sondern das Ergebnis des Abgleichs zwischen Erwartungen (Hypothesen) über deren Beschaffenheit und den eingehenden Informationen. Die Bedeutung von Semiotik kann ebenso auf digitale Spiele übertragen werden, vor allem auf den Bereich des Computerspielinterfaces, denn das „(in der Regel bildschirmbasierte) Zeichensysteme, das die[ ] Spielwelt konstruiert, [ist] zugleich Erzählmedium als auch Interface“.75 In Situationen der Medienrezeption werden auf der Grundlage der konkurrierenden egocentric reference frames (ERFs) zwei Hypothesen gebildet: Die erste besagt, dass der egozentrische Bezugsrahmen (ERF) der realen Umgebung des Rezipienten sein primärer egozentrischer Bezugsrahmen (PERF) ist, die zweite nimmt die Medienumgebung als PERF. Die Grundvoraussetzung für das Erleben immersiver Effekte ist damit ‚Aufmerksamkeit‘. Auf der Basis der Annahmen des SSM wird in jedem Rezeptionsvorgang ein ERF aufgebaut und dann muss fortwährend neu eruiert werden, welches der PERF der Rezipierenden ist. Je mehr Informationen über den Medienraum vorliegen, desto wahrscheinlicher ist die Akzeptanz der Medienumgebung als PERF und damit die räumliche Erfahrung von Präsenz und der Transportation hin zum Erzählraum.
Immersion als transmediale Anzeige der Fragilität fiktionaler Welten
In diesem semantischen Wechselspiel der beiden Bezugsräume – physische Rezeptionssituation und virtuell-fiktionale Wahrnehmungsorientierung – liegt das Kernelement der Interaktivität mit dem jeweiligen Medium. Dieses Wechselspiel zeigt sich bereits bei Interfacefragen des digitalen Spiels, in dem keine „totale Immersion“ erzeugt werden kann, da „die Realwelt des Spielers vollständig ausgeblendet sein [müsste], was den Spieler, der ja samt Controller unzweifelhaft noch immer in dieser Realwelt verbleibt, schlicht handlungsunfähig machen würde.“76 So ist eine Verzahnung von physischen und virtuell-fiktionalen Rezeptionsprozessen bereits durch die zeichenorientierte Interaktionshilfe des Interfaces in Computerspielen unbedingt vorhanden.
Die bisherigen Zusammenhänge von Virtualität als soziokulturell geprägter imaginativer Erzählraum, Fiktionalität als eine potenzielle Markierung dieser Erzählräume und Interaktivität als Wechselspiel der Rezeptionsebenen und Aufmerksamkeitsplateaus der Rezipierenden stellen das Fundament involvierender Effekte und damit auch affizierender Momente in der temporären narrativen Transportation der aktiven Selbstwahrnehmung und -verortung in den fiktionalen Erzählraum hinein dar. Der immersive Effekt besteht dann in einer fortlaufenden Konstruktion fragiler fiktionaler Welten durch den Rezipienten. Die Sogwirkung entsteht durch die momentane Existenz zweier Räume mit demselben Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
Diese Form der aktiven Ko-Konstruktion fiktionaler Welten und den damit verbundenen potentiell immersiven Effekten kann ebenso auf literarische wie audiovisuelle Formate angewandt werden, wobei der Grad und die Intensität vor allem der affizierenden Momente möglicherweise durch eine bestimmte Eindrücklichkeit hinsichtlich der multisensorischen Inanspruchnahme bspw. im VR und AR-Kontext im Verglich zum geschriebenen Text changieren kann – aber nicht zwingend muss. Inwiefern dies der Fall ist bzw. ob immersive Affekte und narrative Transportation überhaupt affizieren können soll nun abschließend mit einem ersten Blick auf die Wirkung von Figuren(-beschreibungen) betrachtet werden.
Affizierung und die Rolle von Figuren(-beschreibungen)
Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen zu immersiven Effekten als dirigierte semantische Suchbewegung gemeinsamer rezipientenseitiger Imagination des Erzählraums und nicht nur als bloße Absorption, soll nun ein Blick auf Strategien der Aufmerksamkeitslenkung und emotionalen Involvierung geworfen werden. Dabei soll exemplarisch die Rolle von Figuren mit in die Untersuchungen aufgenommen werden, da sie eine wesentliche Rolle im Bereich der Affizierung von involvierten Rezipierenden spielen können.
Sieht man zunächst in den literarischen Bereich, so sind bereits in der Antike Strategien der narrativen Transportation mithilfe detailreicher Beschreibungsmuster auszumachen, die in ähnlicher Weise wie die eindrückliche Audiovisualität im digitalen Spiel eine Aufmerksamkeitssteigerung und damit auch eine empathische Involvierung mit der präsentierten Erzählwelt erreichen sollen. Rutger J. Allan stellt mit Blick auf Homers ‚Ilias‘ bereits Parallelen im Prinzip der enargeia und immersiver Effekte heraus, wobei unter enargeia eine detailreiche und eindrückliche Schilderung von Szenen verstanden wird, die das Ziel verfolgt, die Rezipierenden zu ‚Augenzeugen‘ des Erzählten zu machen.77 Dabei behandeln diese detaillierten und emotional involvierenden Beschreibungen von zentralen Heldenfiguren wie Ajax (Hom. Il. 16.104-11) oder Achilles Perspektive bei der Tötung Hektors (Hom. Il. 22.317-27). Emotional involvierende descriptiones zeigen sich hier unmittelbar mit potentiell emotionalen Situationen der jeweiligen Heldenfiguren verbunden, wenn Ajax verzweifelt und mit den Kräften fast am Ende den Speeren der Trojaner standhält oder Achilles mit ungebrochener Entschlossenheit den Schwachpunkt in Hektors Rüstung identifizierend seinen Speer durch Hektors Hals treibt. Beide Konzepte – enargeia und narrative Transportation – weisen Gemeinsamkeiten in der Dichte sensorischer Detailbeschreibungen auf, die die Illusion erschaffen sollen, dass die Rezipierenden ein aktiver Part des Erzählraums seien. Die Elemente, die zum Erzielen dieses Effekts beitragen, sind beschriebene und damit eine Situation wertende Details der Figurenwahrnehmung, eine nachvollziehbare chronologische Ordnung der Ereignisse und ein erkennbares räumliches Setting.78 Das Beschriebene muss also in sich kohärent und logisch aufgebaut sein oder zumindest müssen die Rezipierenden aufgrund ihrer Erfahrungswelt daran anknüpfen können.79 Der „emotional impact of the described scene on the recipient“80 ist dabei offenbar eine wichtige Komponente, wobei hier auch davon ausgegangen wird, dass die Autoren der Antike über bestimmte desriptiones im Blick hatten, „that identification with an intradiegetic audience may steer the recipient’s emotional response“81 – insbesondere, wenn die intradiegetische Komponente Schlüsselfiguren der im Erzählraum präsentierten Erzählwelt sind. Zu den Werkzeugen, die aufgrund der nicht vorhandener Audiovisualität des Textes zum Einsatz kommen, „ganz abgesehen davon, dass visuelle Informationen zwar durch visuelle Medien am leichtesten vermittelt, doch auch textuell weitergetragen werden können“82, zählen detailreiche Schilderungen von Szenen und Rüstungsgegenständen, ‚Nahaufnahmen‘ von Mimik und Gestik zentraler Figuren und die Perspektivenüberschneidung des Erzählers mit den Figuren.83 Die damit erzeugten emotionalisierenden Präsenzeffekte sind jedoch kein exklusives Merkmal antiker Texte, sondern finden sich auch im Mittelalter wieder und reichen bis in die Gegenwart. So zeigt Baisch auf, dass auch „die Autoren mittelalterlicher Texte sich in der Lage [sahen, F.N.], ihre Werke für eine Rezeption so zu gestalten, dass diese auf Erzeugung von gesteigerter Aufmerksamkeit und emotionaler Involvierung abzielt. Letzteres wird durch Ekphrasen, Dingbeschreibungen, aber auch „Figurenkonzeptionen und Figurenkonstellationen“ oder deren „poetische[r] Ausgestaltung“ erzielt.84 Diese Beschreibungen sollen „eine imaginative Intensivierung“ des Erzählraums erzeugen – es geht dabei um die vor Augen stellende Ekphrasis ähnlich der enargeia, um eine virtuelle „Präsenz des Erzählten“ zu erzeugen.85 Ein Beispiel dafür wäre im ‚Herzog Ernst‘ die Grippia-Episode, in der (bezogen auf die Protagonisten der Erzählung) „Effekte der Immersion […] über das Mittel der [erzählten, F.N.] Visualität gesteuert“ werden und erst durch ‚störende‘ Akustik (fremde und verstörende Stimmen der Kranichmenschen) wieder gebrochen wird (V. 2817-2829).86 Zudem wären Überlegungen im Kontext der Vereinnahmung von literarischen Figuren durch Frau Minne im höfischen Roman (bspw. die Blutstropfenepisode im ‚Parzival‘) denkbar; diese vereinnahmt die Sensorik verschiedener Protagonisten und bedingt damit eine empathische Reaktion der Rezipierenden als Augenzeugen der in imaginär-visuellen Erinnerungsräumen an die Minnedame gefangenen Figuren. Hier wären gewissermaßen zwei virtuelle Räume innerhalb des Erzählraums eröffnet: der gemeinsam imaginierte Raum der Erzählwelt samt den Figuren und Rezipierenden als Leser- oder Zuhörerschaft sowie der von den Figuren imaginierte Raum der fast schon präsentischen Minnedame. Diese Form einer Binnen-Virtualität im Erzählraum literarischer Texte des Mittelalters und damit auch die Möglichkeit der autoreflexiven Thematisierung von immersiven Effekten auf Erzählebene für Figuren in Trancezuständen soll hier nur angezeigt werden.
Ein eindrückliches Beispiel für die Verknüpfung von Emotionalität und Rezeptionsprozess liefert mit Blick auf das 19. Jhd. Hier wird die bisher beschriebene „Verbindung von medialen Phänomenen mit körperlichen Zuständen“ besonders deutlich, wenn die starke affektive Involvierung von literarisch Rezipierenden dazu führt, dass es nicht nur ‚falsche‘ – zu emotionale – Arten des Lesens gibt, sondern zugleich „das Geschlecht der Körper auf das der Medien übergeht.“87 Lesen als Selbstzweck, der gewissermaßen die rationale Zusammenschau literarischer Komposition zugunsten einer emotional besetzten ‚Lesesucht‘ vernachlässige, wurde weiblich konnotiert und als nicht korrektes Lesen beschrieben.88 Die „Medien-Körper-Verbindung“ galt in diesem Sinne als gescheitert, da ein emotional „gereizter Körper […] nicht mehr selbstbestimmt (autonom), sondern automatisch“ reagiere und der Leseprozess damit nur noch für das Wohlgefallen am rationalen Bewusstsein vorbeilese.89 Ohne an dieser Stelle auf die noch heute geltenden Gendergewichtungen im Bereich der Game Studies eingehen zu können, die sich in Sachen Rezeptionsverhalten weiterhin halten, sollen anhand dieses Beispiels zwei Faktoren verdeutlicht werden: Medienrezeption – auch im nicht audiovisuellen Bereich – ist stark emotional besetzt und besitzt immer auch eine physisch-emotionale Dimension; zugleich bewegen sich diese Rezeptionsprozesse wie zuvor beschrieben in einem konstanten Wechselspiel zwischen Emotionalität und Rationalität, einer involvierenden Lektüre und ihrer fortwährenden rationalen Durchdringung. Werden beide Dimensionen nicht gleichermaßen in die Analysen und Überlegungen zu Rezeptionsprozessen einbezogen, kann dies die Ausmaße des Lesesucht-Diskurses annehmen – mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen bis hin zur Auffassung, es existieren ‚falsche‘ Rezeptionsarten oder Rezipierendengruppen. Immersion und Involvierungsprozesse müssen in ihrer Komplexität und ihrem damit spannungsvollen Grundcharakter ernst genommen werden, um derart wertenden Prozessen hinsichtlich medialer Präsentationen und Rezeptionsmodi entgegenzuwirken.
Mit Blick zurück auf die Schaffung eines bildhaften Illusionsraumes mit modernen Mitteln digitaler Medien ist festzustellen, dass es sich um eine Erneuerung des bereits identifizierten Grundgedankens der tiefen Verbindung zwischen der erzeugten Welt und der Person, die diese empfängt und interpretiert, handelt. Ohne an dieser Stelle in die Details einer Leser/Spieler-Bindung zur eingenommen Rolle bzw. der Nutzung eines Avatars in der medial präsentierten Erzählwelt eingehen zu können, soll grundsätzlich an dieser Stelle auf Aschers Untersuchungen zum Thema hingewiesen werden. Sie stellt hierzu exemplarisch heraus, dass das Vorhandensein eines Avatars bzw. im Kontext dieses Beitrags auch die Einnahme einer Rezeptionsrolle im Erzählraum immer mitgedacht werden muss; diese Elemente müssen „heuristisch ergänzt werden, auch wenn ein solcher [Avatar, F.N.] nicht dargestellt ist.“90
Das bildhafte Voraugenstellen im Kontext digitaler Spiele hängt sicherlich wenig von literarischen Beschreibungstechniken ab, doch sind die Fragen an die Herstellung immersiver Effekte auch beim Computerspiel Fragen der Darstellung. Günzel verweist hier auf den Unterschied physischer und psychisch involvierender Darstellungsmodi. Im Falle von VR bspw. rücken die Wahrnehmungsgrenzen des materiellen Bildträgers aus dem Sichtfeld der Rezipierenden und schaffen damit ein totales Bild.91 Außerhalb der entgrenzenden Bilddarstellung kann mit Blick auf den ‚Normalfall‘ von Computerspielen ähnlich wie bei Literatur zuvor von „Faszination für die Bilderzählung“ gesprochen werden.92 Doch gilt es hier mit McMahan bezüglich immersiver Effekte bildlicher Darstellungen Vorbedingungen zu beachten, die zu einem Gelingen immersiver Effekte unbedingt gegeben sein müssen; dazu gehören die Kohärenz des Dargestellten und die Interaktionsmodi mit den Bildobjekten sowie eine mit dem Dargestellten vermittelte Präsenz im Dort als „eingeschlossene Anwesenheit der Betrachter“.93 Günzel reformuliert die bereits identifizierte Sogwirkung in der Konkurrenz der beiden rezeptionsseitigen referentiellen Bezugsräume mit dem Aurabegriff Benjamins und Boris Groys‘, denn „die Relation zwischen Benutzer und Bild oder genauer gesagt, der Umstand, wer von beiden sich bewegt“ ist entscheidend.94 Bei gelingender Faszination und damit der Generierung der immersiven Sogwirkung bei den Rezipierenden bewegen sie sich hin zum Bild – parallel zu den bereits identifizierten Verlagerungsprozessen in der Rezeptionsaufmerksamkeit. Britta Neitzel schreibt auch beim Computerspiel der Perspektive eine Funktion als Vermittlungsinstanz zu, denn „über die Perspektive wird eine Verschränkung von physischer und digitaler Welt vorgenommen“, wodurch die realweltliche und virtuelle Rezeptionssituation miteinander verschränkt werden.95 Immersive Effekte bergen Potential zur emotionalen Involvierung, wie das bereits Ryan mit der Empathie mit zentralen Figuren eines Texts oder des Films herausgestellt hat.96 Dabei muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen der Empathie mit literarischen Figuren und Identifikationsmechanismen mit dem Avatar als Schnittstelle zur Interaktion mit der Spielwelt:
„Diese Identifikation wird zumeist an Merkmalen des oder der menschlichen oder menschenähnlichen Protagonisten festgemacht wie Geschlecht, Alter, Persönlichkeit oder Lebenssituation. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass Identifikation nicht unbedingt emotionale Identifikation meinen muss. Vom Computerspiel her wissen wir, dass Identifikation als psychomotorische Synchronisation und somit kinästhetisch verstanden werden kann.“97
Eine Möglichkeit emotional zu involvieren besteht über den Faktor des Leidens literarischer Figuren und damit einer möglichen narrativen Involvierung der Rezipierenden, weil sie nicht aktiv eingreifen können. Im Kontext des digitalen Spiels muss entweder der Werkzeugcharakter des Avatars in den Hintergrund treten oder aber weitere Figuren der Spielwelt (NPCs) treten an die Stelle literarischer Figuren.98
In diesem Beitrag soll es nun abschließend darum gehen, einen ersten Blick auf mögliche Themen und Wirkmechanismen emotionaler Involvierung und Figurenzeichnungen zu geben, die auf der Basis der hier vorgestellten Überlegungen und versuchten Begriffsschärfungen bestenfalls die Grundlage für anschließende Untersuchungen bieten können. So kann an dieser Stelle nicht auf die jeweiligen Einzelbedingungen in der jeweiligen Figurenzeichnung eingegangen werden, die eine Transportation in die präsentierte Erzählwelt hervorzurufen imstande ist, aber es gibt es erste Hinweise darauf, dass der Involvierung in virtuelle Erzählräume ein emotionales Moment zukommt, das nicht nur mit dem Inhalt des Dargestellten, sondern auch mit den beteiligten Figuren99 in Verbindung steht. Die Verbindung von Transportations- und Affizierungsmechanismen in Kombination mit Figurendarstellungen wäre also ein Thema, das von weiterführenden Untersuchungen profitieren würde.100 Im Bereich der Affizierung gibt es mehrere mögliche Ansatzpunkte. Einerseits könnte ihre Rolle zusammen mit unterschiedlichen Modi einer emotionalen Involvierung der Rezipierenden näher untersucht werden. Es gibt bereits Analysen dazu, dass immersive Effekte die kritisch-rationale Urteilskraft bei steigender emotionaler Involviertheit beeinflussen. Dadurch besteht die Möglichkeit, emotional besetzte Fragestellungen durch Involvierungs- und damit auch Identifizierungsangebote mit Figuren, die einen möglichen Umgang mit solchen Fragen demonstrieren, nach einem solchen ‚erlebten‘ Durchexerzieren anders zu beantworten, also zuvor. Allgemeiner müsste der Frage nachgegangen werden, welche Rückschlüsse von den immersiv fundierten Identifikationsangeboten mit Figuren gezogen werden können, die als ‚Aufbewahrungsorte‘ einer identitätsstiftenden Vergangenheit desjenigen kulturellen Kollektivs fungieren, das sich ihre Geschichten erzählt.101
Dazu muss Fragen nach einer gezielten Koppelung immersiver Effekte an zentrale Figuren nachgegangen werden, die mithilfe gezielter Beschreibungstechniken oder visueller Präsentationsmechanismen hergestellt wird. Ziel dieser Verbindung von Involvierungsmechanismen und Figurenpräsentation ist eine Erleichterung der Identifikation bzw. umgekehrt die Schaffung von Distanz über Immersionsbrüche und Antipathien. Eine solche Forschungsperspektive zielt auf einen Interaktionseffekt zwischen immersiver Rezeption und der präsentierten Figurenkonstitution samt ihrer Handlungen ab, sodass man anhand der eingesetzten immersiven Präsentationstechniken die Rezipierenden nicht nur in der virtuellen Erzählwelt ‚engagiert‘, sondern innerhalb dieses Prozesses eine Form der dirigierten Distanz und Nähe zu bestimmten Figuren ausmachen kann. Dazu abschließend einige wenige Ausführungen zu Heldenfiguren als Immersionsfaktoren in mhd. Literatur und dem digitalen Spiel.
An die bisherigen Überlegungen anschließend soll nun skizziert werden, dass Immersion als aktive Ko-Konstruktion fiktionaler Welten nicht beim ‚Setting‘ des Erzählraums stoppt, sondern sich in der Ko-Konstruktion von Figurenkonstitutionen fortsetzt und damit Momente der Affizierung mit sich bringt. Diese können verstärkend oder hemmend auf die Involvierung der Rezipierenden wirken. Genauer geht es darum, dass ein Kohärenzstreben und die Vervollständigung logischer Lücken in narrativen Weltkonstruktionen zum Tragen kommt, die zur „Aktualisierung latenter Bedeutungsstrukturen fiktionaler Gebilde“ wie Figurenkonstitutionen ‚dienen‘. Der Schlüssel dazu sind zu ergänzende Details bspw. aufgrund hermetischer Innenwelten, Logikbrüche oder abgewiesener aber angezeigter Handlungsalternativen seitens des Rezipienten zur Kohärenzstiftung. Es geht mit Voss im Bereich des Virtuellen – und damit auch seiner Figuren – um die ‚Realisierung‘ eines aus dem realen Kontext gelösten Dargestellten, das jedoch aus der realen Welt bekannt ist und dessen Verortung im Irrealen:102
„Dabei wird ein realitätsbezogenes Erfahrungswissen mit phantasiehaften Abweichungen anhand der Materialkonstellation der medialen Vorlage zu einer imaginären Darstellungsform eigener Realität und Intentionalität transformiert“103
Damit bestätigen sich die vorherigen Überlegungen zur Immersion als aktivem Prozess, denn die Rezipierenden sind in immersiven Prozessen immer schon auf der Grundlage ihres Wissens und dem Streben nach Sinnbildung im virtuell-fiktionalen Raum engagiert. Ähnlich auch Ryans Beobachtung:
“The reader of a fiction knows that the world displayed by the text is virtual, a product of the author's imagination, but she pretends that there is an independently existing reality serving as referent to the narrator's declarations.”104
Die Rezeption virtueller Erzählwelten gelingt über ihre aktive Ko-Konstruktion durch die Rezipierenden – und damit auch ihrer Figuren. Dazu soll abschließend ein kurzer Blick auf die Konstitution von Heldenfiguren und Avatarkonstruktionen geworfen werden. Im Computerspiel ist der Avatar grundsätzlich „ein Werkzeug zur Manipulation der Spielwelt, aber auch eine in diese Spielwelt integrierte Figur.“105 Er kann zu ludonarrativer Dissonanz führen, wenn Spielerhandlungen und Avatarhandlungen in gescripteten Szenen auseinanderdriften oder aber selbst ein Medium sein, „über das der Rezipient immersiv in die dargestellte Welt ›eintauchen‹ kann, denn als detailliert ausgearbeitete Figuren, deren individuelle Charakteristika möglicherweise eine Identifikation erschweren könnten.“106 Immersive Effekte mit einem solchen Avatar werden über die Handlung erreicht, wenn die über die Spielmechanik intentional vermittelte Aktion der Rezipierenden zur Handlung des Avatars wird.107 Eine derartig direkte Form des Kurzschlusses über den Aspekt der agency kann zwar nicht in gleicher Form für die Figuren mittelalterlicher Literatur behauptet werden, aber ein Blick zur mhd. Heldenepik zeigt bereits, dass Detailreichtum von Figuren - ähnlich wie bei Avataren – nicht zwingend ein Auszeichnungsmerkmal ist. Elisabeth Lienert nennt als wesentliche Merkmale in „vormodernem Erzählen“ u.a. den „Namen, […], Eigenschaften und Affektäußerungen [und] ihre Geschichte, gelegentlich ihre Fama und/oder tradierte Rollenvorgaben.“108 Dabei ist zentral, dass eine „stark begrenzte Innenweltdarstellung, widersprüchliche Wertungen, fehlende Stimmigkeit“ wesentliche Bestandteile der Handlungen einer Heldenfigur sind.109 Es kommen unterschiedliche Mittel zum Einsatz, um die Fokussierung des Geschehens und des fiktiven Raums an eine bestimmte Figur zu binden, was in Parallele zur Überblendung der Handlungsebenen in der Spieler-Avatar-Beziehung ein empathielenkendes Mittel ist, da hierüber eine klare Bindung der Rezeptionsperspektive an die Figur erfolgt.110 Aufgrund der wenigen Details zu Innenwelten der Figuren sind dirigierte Ergänzungen zu diesen wenigen Informationen zur Figurenkonstitution umso wichtigere Affizierungsstrategien, die indirekt als semiotisch-kommunikative Marker auf mögliche Zustände (Körperzustände, Mimik und Gestik) oder direkt (Erzählerperspektive, Figurenrede) erfolgen können.111
Während also vor allem auf der Ebene der Handlung ein Identifikationsprozess zwischen Avatar und Spielenden in Gang gebracht werden kann, fungieren die literarischen Heldenfiguren als Erzählkerne, die Grundkonstanten des Alltagslebens der Rezipierenden im virtuellen Erzählraum in unterschiedlichsten Szenarien beleuchten.
Man könnte hier sogar so weit gehen, dass eine verbindende Möglichkeit der Identifikation mit literarischen und digitalen (Spiel-)figuren auf eine Konzeption als ‚Binnen-Erzählräume‘ der inszenierten Erzählwelt hinweist, wenn ihre exorbitante Inszenierung der Verhandlung von emotional geprägten Kontingenzsituationen dient.112 Figuren und Avatare bewegen sich ähnlich wie der virtuelle Raum im Dazwischen von Distanz zur dargestellten Figurenzeichnung und einer Unmittelbarkeit über ihre jeweiligen Identifikations- und Interaktionsangebote. Dieses Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdverortung der Rezipierenden – sie sind Beobachtende und Partizipierende an den Figurenhandlungen oder Handlungskontexts – bildet wie das konstante Changieren der Aufmerksamkeit in Immersionsprozessen die Grundlage für involvierende Effekte bei der Figurenwahrnehmung. Zugleich liegt in dieser Beanspruchung der Rezipierendenwahrnehmung durch die gleichzeitige Distanz zur Figur als Darstellung und ihrer Unmittelbarkeit als virtuelles Identifikationsangebot im Erzählraum der Kern für die Affizierung der Rezipierenden. Mit anderen Worten können Figurenkonstitutionen und Avatarkonstruktionen ein mise en abyme der Virtualität von erzähltem Raum und Erzählraum abbilden, indem sie selbst konstituierende Faktoren der Erzählwelt sind und zugleich Identifikationsangebote machen, die weit über die Kohärenzstiftung des Settings hinaus emotionale Involvierung bei den Rezipierenden auslösen kann. Figuren werden damit zu immersiven Spielräumen menschlicher Kontingenzsituationen, die sich auf einer Mikroebene denselben immersiven Effekten bedienen wie die virtuelle Umgebung, in denen sie beheimatet sind.
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Witthöft, Christiane: Der Schatten im Spiegel des Brunnens. Phänomene der Immersion in mittelalterlichen Tierepen und Fabeln (Reinhart Fuchs), in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Bd. 42, 167 (2012), S. 124-146.
Wolf, Werner: Ästhetische Illusion und Illusionsbrechung in der Erzählkunst: Theorie und Geschichte mit Schwerpunkt auf englischem illusionsstörenden Erzählen. Anglia 32 Tübingen 1993: Niemeyer.
- Vgl. dazu u.a. zum Phänomen im Mittelalter die Ausgabe der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Bd. 42, 167 (2012) mit dem Thema ‚Immersion im Mittelalter‘. Aus dem medienwissenschaftlichen Bereich sei hier aus der Vielzahl der Ansätze und Perspektiven u.a. auf folgende Beiträge und Zeitschriftenausgaben verwiesen: Das Kapitel ‚Involvement‘ von Britta Neitzel im Game Studies Handbuch, S. 219-234, die Ausgabe der Zeitschrift montage AV (17/2/2008) mit dem Thema ‚Immersion‘; Ermi/ Mäyrä, Gameplay Experience; Thon, Immersion Revisited; Calleja, In-Game; Agrawal et. al., Defining Immersion; Ryan, Immersion vs. Interactivity; McMahan: Immersion.[↩]
- Vgl. dazu u.a. Wirth/Hofer, Präsenzerleben, S. 163; Ermi/Mäyrä, Gameplay Experience, S. 8; Thon, Immersion Revisited, S. 34; Agrawal et. al.; Defining Immersion, S. 2, 4.[↩]
- Zu den Einzelbegriffen und überblicksartigen Abgrenzungen der Begriffe Flow, Presence, Transportation und Immersion vgl. Agrawal et. al., Defining Immersion, S. 6-10. Zum Begriff der narrativen Transportation vgl. van Laer et. al., extended Transportation-Imagery-Model.[↩]
- Rauscher 2018, Story, S. 65 mit Bezug auf Murray, Holodeck, S. 144.[↩]
- Langer, Nutzererleben, S. 54.[↩]
- Ebd., S. 56.[↩]
- Vgl. McMahan, A., Immersion, S. 77: “The second [psychological immersion, F.N.] results from the user's mental absorption in the world.” Zuvor wird argumentiert, dass der Eindruck der Anwesenheit in einer virtuellen Welt vor allem über das komplette Blockieren der Sinne – gemeint ist die Vereinnahmung derselben – erreicht wird.[↩]
- Ryan, Immersion vs. Interactivity, S. 126: “The object of the reflexive activity is as much the phenomenon of immersion as the artificiality of fictional worlds. We may call interactivity this switch in perspective from world-internal and immersive to world-external and reflexive. Under this interpretation, periodic de-immersion is essential to the ‘tilting game’ of interactive reading.”[↩]
- Ryan, Immersion vs. Interactivity, S. 125.[↩]
- Vgl. dazu bspw. Langer, Nutzererleben, S. 56f. Dort wird erst im Zusammenhang mit „neuartige[n] Medienangebote[n]“ wie VR und AR der Begriff Interaktivität hinzugezogen; vgl. auch Neitzel, Facetten räumlicher Immersion, S. 153.[↩]
- Glauch, Fiktionalität im Mittelalter, S. 387.[↩]
- Ebd., S. 388.[↩]
- Ebd., S. 390.[↩]
- Vgl. ebd.[↩]
- Vgl. dazu auch Schneider, Fiktionalität im Mittelalter, S. 87.[↩]
- Wagner, Erzählen im Raum, S. 34 mit Bezug auf Schlechtweg-Jahn, Virtueller Raum, S. 70.[↩]
- Wagner, Erzählen im Raum, S. 31. Vgl. dazu auch den Beitrag von Thomas Poser: Game Studies als Heuristik, der mit Blick auf Wagner festhält, dass er den Virtualitätsbegriff sehr weit ausdehne auf das „Verhältnis von erzählter Welt und extradiegetischer Erzählsituation“, doch wird eben diese Ausdehnung für den hier verfolgten Ansatz genutzt, um darauf aufbauend eine analytische Basis zur Untersuchung von transmedialen Rezeptionsprozessen zu schaffen. Die bemängelte Unschärfe über die „die Figuren innerhalb der erzählten Welt“ hinaus, wird über die Affizierungsprozesse in einem weiteren Schritt enger gezogen und an die Analyse immersiver Prozesse gekoppelt, wodurch der Fokus eine Richtung einschlägt, die weniger die genaue Verzahnung von Fiktionalität und Virtualität, sondern das Zusammenspiel von Virtualität, Immersion und Affizierung verfolgt.[↩]
- Wagner, Erzählen im Raum, S. 37.[↩]
- Vgl. dazu ebd., S. 40f.[↩]
- Schlechtweg-Jahn, virtueller Raum, S. 73.[↩]
- Vgl. Wagner, Erzählen im Raum, S. 41f.[↩]
- Vgl. ebd., S. 43.[↩]
- Wagner führt hier das Viella-Beispiel als imaginärer und virtueller Ordnungsraum, der sämtliche Saiteninstrumente inkorporiert und als physisches Instrument im Gelehrtendiskurs an: S. 45f.[↩]
- Traut, Ritualisierte Imagination, S. 26.[↩]
- Ebd., S. 53.[↩]
- Vgl. dazu Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 144.[↩]
- Vgl. Wagner 2015, Erzählen im Raum, S. 52f. und zur Rolle von Ritualen und ritueller Kommunikation am Hof vgl. Nieser, Lesbarkeit, S. 80-85.[↩]
- Vgl. Wagner, Erzählen im Raum, S. 55f.[↩]
- Neitzel, Involvement, S. 228.[↩]
- Langer, Nutzererleben, S. 56.[↩]
- Ebd., S. 56 mit Bezug auf Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 213.[↩]
- Bleumer, Immersion, S. 8.[↩]
- Ebd., S. 7.[↩]
- Auf die u.a. auch Christiane Ackermann mit Blick auf die Kunstgeschichte hinweist, wenn sie schreibt, dass die Erschaffung eines bildlichen Illusionsraums mit modernen Mitteln eine Erneuerung der grundsätzlichen Idee einer tiefen Verbindung zwischen erzeugtem Bild und rezipierendem Menschen sei, die eine lange kunsthistorische Tradition hat: Ackermann, Schwellengänge, S. 83 mit Bezug auf Grau, Virtuelle Kunst, S. 16. [↩]
- Sprachperformativ wäre im religiösen Kontext bspw. der Taufprozess, der im engeren Wortsinn immersiv – eintauchend – ist und den theologischen Ursprung des Immersionsgedankens darstellt. Das Eintauchen zusammen mit der Taufformel als sprachperformativer Akt ist eine semantische Erfahrung, die ein „intensives Aufgehen in Bedeutung“ in einem gemeinsam imagginierten und performativ eröffneten Bildraum ermöglicht. Zitat nach Bleumer, Immersion, S. 9. Vgl. dazu auch die Sprachperformativität von Sprechakten im Rollenspiel, mit denen die imaginierte Welt erst realisiert wird in Traut, Ritualisierte Imagination, S. 29-31.[↩]
- Huizinga, Homo Ludens, S. 10.[↩]
- Vgl. Ryan, Immersion vs. Interactivity, S. 115.[↩]
- Schulz, Erzähltheorie, S. 66.[↩]
- Traut, Ritualisierte Imagination, S. 23.[↩]
- Vgl. ebd., S. 25.[↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 42f.[↩]
- Chihai, Der Golem-Effekt, 14.[↩]
- Vgl. dazu Wiemer, Zeit, S. 31f.[↩]
- Vgl. dazu Trauts Beobachtung zur Realisierung des Mythos im Ritual, Ritualisierte Imagination, S. 27.[↩]
- In Anlehnung an Wolf, Ästhetische Illusion, S. 487f., Anm. 12.[↩]
- Bleumer, Immersion, S. 9[↩]
- Ebd., S. 11.[↩]
- Ebd., S. 9.[↩]
- Witthöft, Schatten im Spiegel, S. 124 mit Bezug auf Bieger, Ästhetik der Immersion, S. 9.[↩]
- Lechtermann, Momente des Vergessens, Immersion als Erwartung, S. 105.[↩]
- Vgl. dazu bspw. Untersuchungen zu Eskapismusvarianten und eskapistischer Mediennutzung: Kuhlmann / Gehrau, Auf der Flucht. [↩]
- Nemes, Der involvierte Leser, S. 43 mit Bezug auf Wolf, Ästhetische Illusion, S. 37. Vgl. dazu auch Neitzel, Involvement, S. 220.[↩]
- Vgl. dazu Kittler, Friedrich, Der Gott der Ohren.[↩]
- Britta Neitzel: Facetten räumlicher Immersion, S. 150.[↩]
- Bleumer, Immersion, S. 7. Mit Baisch, Immersion und Faszination, S. 71 ist sie der „ungenannte[ ] Mittelpunkt ästhetischen Denkens“.[↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 68-71.[↩]
- Bleumer, Immersion, S. 11.[↩]
- Vgl. Schneider, Fiktionalität im Mittelalter, S. 94: Er spricht von einer „angemessenen“ Haltung der Rezipierenden.[↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 64.[↩]
- Ebd., S. 65 mit Bezug auf Snyder, Kunst der Vergegenwärtigung und auf Carruthers, The Craft of Thought.[↩]
- Vgl. dazu Baisch, Immersion und Faszination, S. 66.[↩]
- Ackermann, Schwellengänge, S. 89.[↩]
- Zitiert nach Ebd., S. 90.[↩]
- Nemes, Der involvierte Leser, S. 51.[↩]
- Ebd. S. 52f.[↩]
- Avatar verstanden als „ein Werkzeug zur Manipulation der Spielwelt, aber auch eine in diese Spielwelt integrierte Figur“ und damit in der Doppelrolle als Teil des erzählten Raums (Vehikel der Rezeption) und als Teil des Erzählraums (Figur innerhalb der Erzählwelt). Vgl. dazu Beil/ Rauscher, Avatar, S. 210.[↩]
- Vgl. dazu Schröter, Figur, S. 114.[↩]
- Jochen Venus, Gewalt, S. 332.[↩]
- Nemes, Der involvierte Leser, S. 60.[↩]
- Vgl. dazu u.a. Wirth/Hofer, Präsenzerleben, S. 160; Appel/Richter, Transportation, S. 8; Agrawal et. al., Defining Immersion, S. 8; Ermi/Mäyrä, Gameplay Experience, S. 4.[↩]
- Vgl. Wirth/Hofer, Präsenzerleben, S. 159-175.[↩]
- Ebd., S. 163[↩]
- Ebd., S. 164.[↩]
- Laer, Extended Transportation-Imagery-Model, S. 799f.[↩]
- Schemer-Reinhard, Interface, S. 160.[↩]
- Schemer-Reinhard, Interface, S. 161 sowie S. 162.[↩]
- Allan, Narrative Immersion, S. 21.[↩]
- Ebd., S. 31. [↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 68.[↩]
- Allan, Narrative Immersion, S. 21.[↩]
- Ebd.[↩]
- Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 219.[↩]
- Vgl. Allan, Narrative Immersion, S. 22-25.[↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 72.[↩]
- Ebd., S. 74 mit Bezug auf Reich, Björn: Name und ‚maere’. Eigennamen als narrative Zentren mittelalterlicher Epik. Mit exemplarischen Einzeluntersuchungen zum ‚Meleranz’ des Pleier, ‚Göttweiger Trojanerkrieg’ und ‚Wolfdietrich D’, Heidelberg 2011, S. 52.[↩]
- Baisch, Immersion und Faszination, S. 79f.[↩]
- Günter, Vorhof der Kunst, S. 61.[↩]
- Vgl. ebd., S. 64.[↩]
- Ebd.[↩]
- Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 150.[↩]
- Günzel, Egoshooter, S. 73.[↩]
- Vgl. ebd.[↩]
- Ebd., S. 75.[↩]
- Ebd., S. 76.[↩]
- Neitzel, Involvement, S. 227.[↩]
- Ebd. S. 228f.[↩]
- Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 229.[↩]
- Neitzel, Involvement, S. 229. Im digitalen Spiel kommt noch ein weiterer Faktor - die musikalische Untermalung – hinzu. Das musikalische Element trägt zusätzlich zur eindrücklichen Visualität zur Affizierung bei, denn zum Wirkungsspektrum akustisch unterstützter immersiver Effekte im digitalen Spiel gehört es „Bildinhalte zu illustrieren [und] den Spieler emotional in das Geschehen zu involvieren oder Figuren zu charakterisieren.“, vgl. dazu u.a. Fritsch, Musik, S. 94. [↩]
- Mit Blick auf die Rolle von Figuren bzw. Avataren als Protagonisten im digitalen Spiel kann mit Ascher die Relation von Rezipierenden und virtuellem Rollenangebot/Avatar-Beziehung in den Blick genommen werden: „Drei Instanzen kommen im Computerspiel prinzipiell als Entscheidungsträger infrage: Der Protagonist, der Avatar und der Spieler. Der Avatar aber kann nicht entscheiden, weil er nur eine leere Hülle ist, die den Willen des Spielers ausführt. Anders verhält es sich mit dem Protagonisten. Der Protagonist kann durchaus entscheiden – reine Protagonisten-Entscheidungen, an denen der Spieler nicht beteiligt ist, sind jedoch selten, da sie den Spieler seiner Agency berauben und mit dem Versprechen der Interaktivität brechen. Wenn es doch einmal geschieht, dann meist am Ende des Spiels.“ Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 139.[↩]
- Zur Rolle der Psychomotorik im Kontext emotionaler Involvierung vgl. ebd., S. 239 am Beispiel des ‚Nibelungenlieds‘: „Darum zeigen sich im zweiten Teil auch verstärkt exorbitante Züge an Gunther, aber auch an seinen Gefährten, die im ersten Teil von Siegfried überstrahlt wurden. Plötzlich werden andere Figuren als Avatar für das Körperschema des Rezipienten attraktiv. Und die psychomotorische Synchronisation mit ihnen macht es leichter, über den Mord am vorherigen Avatar hinwegzusehen, sodass die psychomotorische als Wegbereiterin einer emotionalen Identifikation fungieren kann.“[↩]
- vgl. u.a. van den Hoff: Media for Theseus. 2010, S. 161; Lienert: Einführung Heldenepik. 2015, S. 9-23.[↩]
- Voss, Fiktionale Immersion, S.80f.[↩]
- Vgl. ebd., S. 81.[↩]
- Ryan, Immersion vs. Interactivity, S. 115.[↩]
- Beil/ Rauscher, Avatar, S. 201.[↩]
- Ascher, Erzählen im Imperativ, S. 12.[↩]
- Ebd., S. 151.[↩]
- Lienert, Figurenkonstitution, S. 52.[↩]
- Ebd., S. 52f.[↩]
- Vgl. Barthel, Empathie, S. 61f.[↩]
- Vgl. ebd., S. 54; 62.[↩]
- Vgl. dazu Nieser, Is everything different, S. 25.[↩]