Einleitung: Play(his)story - Gender, Queerness und Geschichte von, in und mit Digitalen Spielen
Über Digitale Spiele und Digitale Spiel(e)kultur(en) zu sprechen, bedeutet nicht zuletzt, über Gender zu sprechen. Das dürfte die wenigsten, die sich in diesem Themenkomplex bewegen, sonderlich überraschen. Gleichzeitig zeichnet sich genau dieses Spannungsfeld auch durch eine teils wechselhafte und komplizierte Geschichte aus. Das offensichtlichste und wohl am häufigsten - auch von uns in unserem Call for Papers zu dieser Sonderausgabe - zitierte Beispiel ist die misogyne Hashtagkampagne GamerGate (ca. 2014-2016): In der gängigen Erzählung der groben Leitlinien der Geschlechtergeschichte Digitaler Spiele ist diese “Allianz der Anti-Feministen”1 meist nicht nur ein internethistorischer, sondern auch ein geschlechterhistorischer Einschnitt. In der Kampagne manifestierte sich unter anderem eine “crisis of authority [of white men]”2 in Digitalen Spielen und Digitalen Spiel(e)kultur(en), die sich seitdem nur fortgesetzt hat, etwa in Form einer erstarkenden Arbeiter*innenbewegung der Gamesbranche samt dezidiert feministischer Strömungen.
In gewisser Weise spiegeln auch die Beiträge dieser Sonderausgabe dieses teils komplexe, aber sich doch in Bewegung befindliche Verhältnis wider. Die Ausgabe verfolgte von Anfang an bewusst einen historischen Ansatz, der sich dem Spannungsfeld aus Gender, Queerness und Geschichte von, in und mit Digitalen Spielen widmen sollte, um so Raum sowohl für spielehistorische als auch werkimmanente Fragestellungen anzubieten. Dabei haben wir uns auch deshalb für diese Art Zuschnitt entschieden, weil die Historical Game Studies - sofern man solche Einteilungen des Feldes wirklich aufmachen möchte - in den letzten Jahren zwar stetig gewachsen sind, ein deutschsprachiger Band, der Geschichte und Digitale Spiele dezidiert unter Aspekten von Gender und Queerness betrachtet, aber bis dato fehlte.
Die Zugänge der Autor*innen lassen sich an ganz unterschiedlichen Stellen des so abgesteckten, bewusst weit definierten Feldes verorten. Die Beiträge widmen sich einer Bandbreite von Fragestellungen und Zugängen von Mods (Van Beek, Walsdorff) über Körperlichkeit (Liemann, Lang), patriarchalen Erzählungen und Heteronormativität (Schönberg/Scuderi, Meier, Van Beek) bis hin zur Rezeption von Queer History und/oder Frauengeschichte (Dallinger/Kirchengast, Boch/Falke/Herrmann/Reimer). Was mit dieser Ausgabe hier noch komplett in dem ursprünglich abgesteckten Feld fehlt, sind allerdings tatsächlich spiel(e)kulturhistorische Zugänge, die sich nicht ausgewählten Spielen oder Figuren widmen, sondern an der (Geschlechter-)Geschichte des Mediums (insbesondere im deutschsprachigen statt z.B. US-amerikanischen Raum) interessiert sind. Hier lässt auch diese Sonderausgabe eine Lücke, wie sie zwar nicht untypisch für das Forschungsfeld ist, die allerdings verdeutlicht, wie viel mehr Potential der mit dieser Sonderausgabe aufgemachte Themenkomplex bietet und auch noch weiter bieten wird.
Um damit an den Titel anzuschließen, unter dem diese Sonderausgabe steht, der in mehrerlei Hinsicht auch inhaltlich die Beiträge verbindet: Über Digitale Spiele und Digitale Spiel(e)kultur(en) zu sprechen, bedeutet, wie eingangs erwähnt, über Gender und Queerness zu sprechen, und es bedeutet, sich mit einigen Nuancen auseinander zu setzen, die im Wortspiel “Play(his)story” enthalten sind. Geschichte von, in und mit Digitalen Spielen ist immer “Playstory” in dem Sinne, dass sie gespielte Geschichte(n) beinhaltet und aufgreift. Gleichzeitig handelt es sich auch um eine “History”, die Geschichte als Kategorie immer wieder klar an Patriarchat und Unterdrückung Marginalisierter knüpft. Zugleich verdeutlicht das Wortspiel von “Play(his)story” auch, dass auch eine scheinbare (cis) männliche Dominanz und scheinbar gesetzte Heteronormativität im Medium aller Komplexität zum Trotz konstant hinterfragt und z.B. in unabhängigen Subkulturen wie Mods unterlaufen wird. Diese Widersprüche und diese Vielseitigkeit prägen den Themenkomplex letztlich ganz grundlegend und finden sich in den meisten Beiträgen auf die eine oder andere Weise wieder.
Die Beiträge
Alan van Beek widmet sich Queerness in und durch Mods am Beispiel von Dragon Age: Origins (2009). Am Beispiel der Arbeit Robert Yangs und insbesondere der Figur des Alistairs analysiert they, wie Dragon Age entlang dieser Figur einerseits mittelalterliche Konzepte von Genealogie rezipiert und wie andererseits Mods in diesem Kontext zu einer Form von Queer Empowerment beitragen können, selbst wenn sie in diesem speziellen Fall dann doch an der Heteronormativität des Spiels scheitern.
Finja Walsdorff betrachtet in ihrem Beitrag ebenfalls Mods und Modding als eine Form von Empowerment und arbeitet dabei heraus, wie Mods als Diversifizierungsstrategie dienen können. Dazu analysiert sie Interviews mit Modderinnen, die dezidiert Mods zu weiblicher Sexualität und Erotik für The Elder Scrolls V: Skyrim (2011) entwickeln, und hebt die Bedeutung dieser u.ä. Entwickler*innen hervor.
Christina Liemann widmet sich in ihrem Beitrag der (De-)Konstruktion von Geschlecht in Cyberpunk 2077 (2020) unter dem Aspekt einer möglichen Subversion des Male Gaze durch eine Kameraperspektive aus der ersten Person. Sie bettet dabei ihre Analyse in den maskulinen Entstehungskontext des Cyberpunks im Allgemeinen ein und untersucht dann die Blickangebote des Spiels auf weibliche wie männliche Körper im Verlauf des Spiels.
René Lang untersucht ebenfalls Formen von (virtueller) Körperlichkeit und Geschlecht. Dazu widmet er sich als Fallbeispiel A Plague Tale: Innocence (2018) und argumentiert, dass der Avatar als separater Körper auftritt. Er analysiert, wie die Protagonistin des Spiels, Amicia de Rune, über bestimmte Attribute entlang von Gender, Alter und Klasse charakterisiert und als ‘anders’ inszeniert wird.
F. Schönberg und Miriam Scuderi betrachten patriarchale Erzählweisen und Muster in Dragon Age (2009-2014) und nehmen dazu die gesamte Reihe und ihren Schauplatz Thedas in den Blick. Dabei widmen sie sich verschiedenen prominenten weiblichen und/oder queeren Figuren und arbeiten heraus, wie Dragon Age trotz seines progressiven Rufs Mythen von ‘Realismus’ und Geschichte naturalisiert.
Sebastian Dallinger und Benjamin Kirchengast untersuchen Queerness und Intersektionalität in den Widerstandsgeschichten von Through the Darkest of Times (2020). Sie analysieren, wie sich Zuschreibungen von Geschlecht, Queerness und Race auf den Verlauf des Spiels auswirken und wie/ob vor dem Hintergrund der häufig heteronormativen Aufarbeitung des Nationalsozialismus Through the Darkest of Times als dezidiert queerhistorischer Beitrag verstanden werden kann.
Marie-Luise Meier widmet sich Frauenfiguren in Spielen mit mittelalterlich inspirierten Fantasy-Setting. Dazu beleuchtet sie Geschlechterrollen im Kontext von Authentizität und ‘Mittelalter’ als Setting und ihr Verhältnis von Fantasy als Ermächtigungsinstrument.
Lukas Boch, Anna Klara Falke, Mathias Herrmann und Martin Reimer nähern sich dem Themenkomplex von Gender, Geschichte und Digitalen Spielen über eine historische Frauenfigur im Kontext des Mediums. Sie untersuchen die Darstellung der Jeanne d’Arc im Echtzeitstrategiespiel und betten diese Analyse in den erinnerungskulturellen und kirchenhistorischen Kontext des Mythos der Jungfrau von Orleans ein.
Medienverzeichnis
Literatur
Cote, Amanda C.: Gaming Sexism. Gender and Identity in the Era of Casual Video Games. New York 2020.
Keinen Pixel dem Faschismus! In: GamerGate, eine Retrospektive. 2020. URL: https://keinenpixel.de/2020/11/16/gamergate-eine-retrospektive-download/.