Disabled oder ‚frankly unfair‘? Darstellung und Verständnis von Disability in ‚Metal Gear Solid V: The Phantom Pain‘

27. März 2025
Abstract: [DE] Der Beitrag diskutiert die Darstellung und das Verständnis von Disability im Videospiel 'Metal Gear Solid V: The Phantom Pain'. Disability ist ein fester Bestandteil zahlreicher Charaktere. SpielerInnen müssen sie in ihre Spielweise einbeziehen, und erleben dabei, wie Disability als selbstverständlicher Teil der Welt von MGSV verstanden wird, der weder gerechtfertigt noch entschuldigt werden muss. Der Umgang mit Disability folgt keinem festen Muster, die Figuren setzen sich individuell mit ihr auseinander und unterliegen dabei keinem äußeren Druck. Gerade durch den Einsatz von Technik wird Disability weder negiert noch überhöht, sondern als Variante des (militärischen) Alltags uminterpretiert. MGSV bricht so typische Stereotype über Disability und disabled persons auf. [EN] This article discusses the representation and perception of disability in the video game 'Metal Gear Solid V: The Phantom Pain'. Disability is an integral part of many characters. Gamers experience how disability is understood as a natural part of the world of MGSV that neither needs to be justified nor excused. Dealing with disability does not follow a fixed pattern; the characters deal with it individually and are not subject to any external pressure. It is especially through the use of technology that disability is neither negated nor exaggerated, but rather reinterpreted as a variant of everyday (military) life. In this way, MGSV breaks down typical stereotypes about disability and disabled persons.

„Sie sollten Ihre Situation möglichst schnell verstehen.“

Annähernd zwanzig Minuten lässt sich der Prolog von Metal Gear Solid V: The Phantom Pain1  Zeit, um den SpielerInnen die Atmosphäre des Erwachens von Koma-PatientInnen vielfältig erlebbar zu machen: Variierende Schärfegrade der Kameraführung, eingeschränkte Artikulationsfähigkeit, abwechselnde dumpfe und schrille Klänge; Panik und Angst (für SpielerInnen nicht zuletzt durch vibrierende Controller spürbar), als der in einem Krankenbett liegende Charakter von einem Arzt mit seiner Situation konfrontiert  wird: „Geistige und körperliche Einschränkungen sind … unvermeidlich. […] Sie sollten Ihre Situation möglichst schnell verstehen. Ich weiß, dass es schwierig ist …“2

MGSV erschien 2015 als finaler Teil der Metal Gear Spielereihe, die weltweit über 61,7 Millionen Einheiten absetzen konnte.3 Der Erfolg der im Juli 1987 erstmals veröffentlichten Reihe wird, unter anderem, ihrer komplexen Handlung, umfangreichen, cinematischen Zwischensequenzen, der seriösen, aber mit humoristischen Elementen versehenen Erzählweise, sowie den eng verschränkten realistischen und science-fiction-artigen Spielprinzipien zugeschrieben.

MGSV besticht im Besonderen durch das Element der Aushandlung von körperlicher Einschränkung, im Folgenden als Disability bezeichnet.4 Disability ist im Spiel omnipräsent. Der Protagonist selbst ist von cerebralen Einschränkungen, Halbblindheit und einer einseitigen Amputation des linken Unterarms betroffen. Auch weitere Charaktere weisen Disabilities auf: Lähmungen, Amputationen und neurologische Einschränkungen, insbesondere posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS),5 sind in der MGSV-Welt allgegenwärtig.

Der Aufsatz fragt nach Formen, der Darstellung und dem Verständnis von Disability und disabled persons im Videospiel MGSV. Dabei orientiere ich mich an meiner Leitfrage: Wie werden Disability und disabled persons in MGSV: The Phantom Pain repräsentiert? Wie wird die Thematik in die Spielmechanik integriert, welchen Vorstellungen von Disability und disabled persons folgt das Spiel? MGSV, so wird gezeigt, bricht vielfach mit dominierenden Narrativen von Disability und disabled persons. Disabilities sind ein selbstverständlicher Teil der fiktiven Welt von MGSV, der, gerade einsatzbedingt, Allen jederzeit passieren kann. Disabilities führen deshalb nicht zu stereotyper Stigmatisierung oder gesellschaftlicher Ächtung. Sie sind vielmehr so selbstverständlich, dass sie weder erklärt noch gerechtfertigt werden müssen.6 Der Umgang mit ihnen variiert von Charakter zu Charakter und ist darauf ausgerichtet, das bisherige Leben entsprechend der neuen Situation fortzusetzen. Die dazu nötigen Maßnahmen zielen darauf ab, eine neue Variante des bereits Bekannten zu schaffen, die sich möglichst wenig vom gewohnten Alltag absetzt. Als fundamentaler Bestandteil des Spiels erleben SpielerInnen, wie durch eine Normalisierung von Disability Entstigmatisierung, Teilhabe und Ermächtigung gelingen kann.

Das Spiel zeigt die Inklusion von kriegs- und einsatzversehrten SoldatInnen in eine militärische Gemeinschaft. Diese stellt genuine Regeln, Anforderungen und Aufgaben an ihre Mitglieder, um ein bestimmtes Ziel (den Missionserfolg) zu erreichen.  Als Teil dieser Gemeinschaft entscheiden die Charaktere jedoch frei sowohl über den Umgang mit als auch über ihre Einstellungen zu ihren Disabilities. Es findet weder Zwang noch Anpassungsdruck oder Stigmatisierung des Einzelnen statt. SpielerInnen müssen, als Teil der Spielmechanik, mit den Voraussetzungen der Disability umgehen und diese entsprechend einsetzen. Spielstrategien sind dabei frei wählbar, müssen im Verlauf des Spiels angepasst werden und können sowohl vorteilhaft als auch nachteilig sein. Entscheidend ist dabei, dass aus der Disability weder stets ein Vor- noch ein Nachteil entsteht.

Insbesondere dem Einsatz von Technik kommt eine wichtige Rolle zu. Technik zieht jedoch keine Erhöhung des Menschen nach sich, geschweige denn ist sie mit dem Erschaffen einer fortschrittlichen Form oder eines Mischwesens, etwa eines Cyborgs, verbunden. Sie kann im Spiel zwar einen temporären Vorteil bringen, ist aber letztlich nur das bloße Merkmal einer alternativen Variante der bereits geführten Lebensweise der Protagonisten. Gerade diese in MGSV gezeigte Interpretation eines Zusammenspiels von Mensch und Technik, die Betroffenen ihr gewohntes Leben ermöglicht, diese dabei aber weder entmenschlicht noch überhöht, lädt SpielerInnen ein, gewohnte Denkmuster und stereotype Vorstellungen über Disability und Leistungsfähigkeit zu hinterfragen.

Diesen Überlegungen folgend umreißt der Aufsatz zunächst die Darstellung von Disability und disabled persons, wie sie bislang (noch) typisch ist. Dabei beziehe ich mich auf die Expertise der AbleGamers Foundation, die sechs typische Narrative der Darstellung und des Verständnisses von Disability und disabled persons identifiziert. Daran anschließend setze ich mich mit dem Ansatz MGSVs auseinander, der, wie bereits umrissen, teils erheblich von herrschenden Stereotypen abweicht und so eine alternative Lesart von Disability und disabled persons anbietet. MGSV inkludiert von Disability unterschiedlich betroffene Charaktere, die individuell mit ihrer Disability umgehen und diese verschiedentlich (nicht)thematisieren. Sie unterliegen weder Anpassungs- noch Rechtfertigungsdruck und behalten ihre persönliche Agency. Schließlich ist es vor allem die Lesart des Einsatzes moderner Technik, namentlich bionischer Prothesen, der MGSV und das Verständnis von Disability auszeichnet. In MGSV wird Technik nicht genutzt, um einen neuen, überlegenen Menschen zu schaffen, der seinem Umfeld aufgrund seiner Disability gar überlegen ist; Technik wird stattdessen auf die Bedürfnisse des Charakters abgestimmt und schafft dadurch eine andere Variante einer (soldatischen) Realität, die längst Alltag ist. Gerade dieses Verständnis von Disability als eine andere Variante des Alltags kann dazu beitragen, Disability weiter zu normalisieren und zu entstigmatisieren.

Disability in Videogames– Zwischen Unsichtbarkeit und Stigma

Während eine diverse Gesellschaft auch in Videospielen immer vielfältiger abgebildet und thematisiert wird, gilt dies nach wie vor kaum für Disability und disabled persons.7 Werden sie adressiert, so geschieht dies nicht selten unter Vorbehalten, die gesellschaftliche Stereotype und stigmatisierende Vorstellungen über Disability und disabled persons spiegeln. Dies wird im konkreten Fall von MGSV überdeutlich.8 Auf die Frage, ob es sich beim Protagonisten um eine geeignete Repräsentation von disabled persons handle, antwortet die Mehrheit mit nein. Dies mag verwundern: Die Figur ist auf einem Auge blind, einseitig amputiert und weist eine partielle Zerstörung der Großhirnrinde auf.

Die Ablehnung der Disability wird damit begründet, dass die Figur nicht stark genug von ihren Disabilities benachteiligt sei. Manche würden ihr vielmehr einen ‚unfairen‘ Vorteil verschaffen. So stellt UserIn MicVencer fest: „That man is not handicapped, it is frankly unfair […] to go against him“. DismalMode7 antwortet, er/sie „never really saw disabled persons leading world class private armies […]”. UserIn electrickmessiah sieht in einem anderen Charakter die geeignetere Personifizierung für disabled persons: „I think Kaz is much better rep for physically disabled people, not only is he missing limbs, but his vision is also very impaired. And he still goes on to do some really impressive shit.“ TheNOTchosen1 ergänzt hierzu: „Wenn jemand einen Arm oberhalb des Ellenbogens verliert, ist eine Prothese irgendwie redundant. Wenn er normal erscheinen wollte, könnte er sich eine besorgen […].“ Weitere UserInnen wünschen sich ferner eine stärkere Einbindung der Disabilities in die Spielmechanik als spürbare Nachteile, etwa durch Fehlfunktionen der Prothese oder kognitive Ausfälle. Es genüge nicht, diese auf die Zwischensequenzen zu fokussieren.

Dieses Verständnis von Disability und disabled persons ist einerseits typisch und lässt anderseits bereits erahnen, dass MGSV einen anderen Weg einschlägt. Disability, so die stereotype Vorstellung, müsse ein signifikanter Nachteil sein, der gravierende Einschränkungen nach sich zieht. Folglich müsse Disability also entweder überwunden werden, um einen ‚Normalzustand‘ zu erreichen oder eine erhebliche Minderung der Leistung nach sich ziehen.9 Eine Überwindung dürfe aber auch keine Vorteile gegenüber der Norm bringen, denn dann könne schließlich keine Rede mehr von Disability sein.10 In der zitierten Umfrage werden auch die Verhandlung und Ablehnung von abweichenden Formen der Darstellung sichtbar. Disability wird nur dann als Disability akzeptiert, wenn sie für die nicht näher definierte Norm gut sichtbar ist und besagte Nachteile für die Betroffenen verursacht. Tut sie das (scheinbar) nicht, kann es sich, so der Tenor, ebenfalls nicht um eine disabled person handeln, sondern um ein überlegenes, durch Technik geschaffenes Wesen – dessen reine Menschlichkeit so unterbewusst in Frage gestellt wird.11

Die AbleGamers Foundation sieht in diesem Verständnis die Reproduktion einer übergeordneten gesellschaftlichen Sichtweise über Disability und disabled persons, die in Videogames wiedergegeben wird. AbleGamers nennt sechs Hauptnarrative, die entsprechend ihrer Einschätzung und aufbauend auf ihrer Arbeit in und mit der Branche überwiegend auftreten. Charaktere werden als (1) Objekte des Bedauerns dargestellt, die entweder hilflos sind oder konstant Hilfe benötigen, wobei ständige Abhängigkeit suggeriert, mögliche Handlungs- und Gestaltungsspielräume negiert werden. Physische oder geistige Disabilities werden (2) häufig als verdrehte oder gar bösartige Eigenschaften porträtiert, Stereotype des Misstrauens oder der Angst so reproduziert. Vielen Charakteren fehlt (3) Komplexität, sie werden auf begrenzte Rollen reduziert, ohne eine Entwicklung zuzulassen. Dies geht oft mit (5) Missinterpretation und Vereinfachung von Charakteren mit Disability einher, die Tiefgang vermissen lassen. Der Wert des Charakters wird (5) zudem auf das Überwinden von Disabilities projiziert oder von diesem abhängig gemacht. Die Vorstellung vom Überwinden von Disability als einzige Möglichkeit, zu einem wertvollen Teil einer Gesellschaft zu werden prägt ein gleichermaßen stereotypisches wie stigmatisierendes Bild der Charaktere. Disability wird schließlich (6) als Token genutzt, um den Anschein von Vielfalt und Diversität zu erwecken, ohne entsprechende Charaktere substanziell in das Spiel einzubinden.12

Zwischen Motivation, Erinnerung und Verlust

MGSV schlägt einen anderen Weg ein, den manche KritikerInnen, wie dargestellt, als ungeeignet für eine realistische Darstellung von Disability und disabled persons halten. Zunächst fällt die Vielfalt an disabled persons auf, auf die man im Spiel stoßen kann. Neben dem Protagonisten sind der erste Offizier der Privatarmee, Kazuhira ‚Kaz‘ Miller, und der Ingenieur Huey Emmerich von schweren körperlichen Disabilities betroffen.13 Darüber hinaus stößt man auf Charaktere, die kleinere Rollen im Spielverlauf bekleiden und ebenfalls körperliche Einschränkungen aufweisen.14 MGSV begreift Disabilities somit weder als Token, um den Anschein der Vielfältigkeit zu wahren, noch lassen die Charaktere Tiefgang vermissen: Snake, Miller und Emmerich sind feste Bestandteile der Metal Gear Reihe, deren Geschichten über MGSV hinausragen und an Facetten überaus reich sind.

Die Auffassung über den Umgang der Charaktere mit ihren Disabilities variiert und hängt stark von ihren individuellen Motiven ab. Während Big Boss, auf den im zweiten Teil intensiv eingegangen wird, seine (körperlichen) Disabilities durch Technik in eine alternative Form seines vertrauten soldatischen Alltags umwandelt, stünde es Kaz Miller ebenfalls frei, sein verlorenes Bein und seinen verlorenen Arm zu ersetzen. Miller entscheidet sich jedoch aktiv dagegen. Anstatt auf bionische Prothesen zurückzugreifen, wählt er eine einfache Beinprothese, seinen verlorenen Arm ersetzt er überhaupt nicht. Diesen Schritt begründet er damit, dass er den Schmerz des Verlusts vor Augen behalten möchte, da ihm dies Kraft gibt, seine Pläne umzusetzen.15

Miller hält sich die Option, auf (bionische) Prothesen zurückzugreifen zwar offen. Seine aktive Entscheidung dagegen steht jedoch im scharfen Kontrast zur gängigen Vorstellung, von Disability betroffene Personen würden (und müssten) stets alles daransetzen, ihre Disability zu überwinden. Miller selbst weist diese Vorstellung von sich, indem er darauf hinweist, dass ihn seine Disabilites antreiben.16 Das nicht-Überwinden von Disability gibt ihm die nötige Kraft, mit dem Verlust seiner KameradInnen umzugehen. Dabei steht die Autorität des ersten Offiziers völlig außer Frage; sie ist weder an physische Unversehrtheit gebunden, noch wird sie durch diese gefördert.

Miller ist wie keine andere Figur in MGSV von Rache am Verantwortlichen für den Verlust seiner KameradInnen geleitet. Sein Umgang mit Disabilities ist dieser Rache unterworfen; sie weicht dennoch von gängigen stereotypen Vorstellungen ab. Miller tritt zwar als gebrochener Mann auf, der massiv unter seiner Vergangenheit leidet. Verdeutlicht wird dies auch am Phantomschmerz, der ihn immer wieder einholt.17 Dies ist aber weder der Disability geschuldet, noch ist sie es, die ihn zu dem macht, was er ist. Sie ist, wie bei seinem Freund und Waffengefährten Big Boss, ein Merkmal, das ihn jedoch nicht ausmacht. Durch die Disability wird Miller weder zum ‚Opfer‘ noch zum ‚Helden‘.

Disabilities werden bewusst mit ‚Verlust‘ assoziiert; verlorene Gliedmaße werden hierbei zu einem personifizierten Preis, den viele Mitglieder der Gruppe für ihren Lebensstil zahlen mussten. In besonderer Form gilt dies auch für den Ingenieur Huey Emmerich. Dessen Wirbelsäule ist von Geburt an geschädigt, längeres Stehen und Gehen ist ihm kaum möglich. Um nicht auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, nutzt er deswegen ein Exoskelett, welches seine Beine stabilisiert und ihm einen einschränkungsfreien Bewegungsapparat gewährt. Als klar wurde, dass Emmerich ein Doppelagent ist, wird er aus der Gemeinschaft verstoßen und in einem kleinen Boot ausgesetzt.18 Zu Wasser gelassen droht das Boot, durch die schweren Exo-Beine unterzugehen; Emmerich ist gezwungen, diese abzulegen und über Bord zu werfen.

Die Szene besitzt immensen symbolischen Charakter. Die Figur wird verstoßen; es wird festgestellt, dass sie kein Teil der sinnstiftenden Gemeinschaft mehr ist. Essenzieller Teil der Bestrafung, die dem Verrat, nicht der körperlichen Verfassung geschuldet ist, ist aber gerade auch der Zwang, Verlust zu erleben.19 Der Verlust beschränkt sich hierbei aber nicht auf die Verstoßung aus der Gemeinschaft, er wird auch mit der individuellen Disability verknüpft. Das Aussetzen in einem kleinen Beiboot auf hoher See stigmatisiert Emmerich, der nunmehr physisch allein ist und seinen sozialen Halt verloren hat. Möchte er nicht untergehen, so muss Emmerich sich jedoch auch von dem Skelett trennen, seinem individuellen Element, das ihm persönlichen Halt gibt. Der immense Preis, der dem Charakter abverlangt wird, spielt unmissverständlich auf dessen Abhängigkeit von seinem Exoskelett als lebensqualitäts- und sinnstiftend an.

Andererseits räumt MGSV dem Charakter erneut ein Maß an Handlungshoheit ein. Emmerich trennt sich ohne zu zögern oder zu klagen von den metallenen Beinen. Er verzweifelt nicht an seiner Situation und beweist, dass sein Gehen, nicht jedoch seine Existenz von den Prothesen abhängig oder (im wahrsten Sinne) mit diesen verbunden ist. Dem Charakter wird so, entgegen aller Ausweglosigkeit, noch ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit eingeräumt, die ihn nicht vollständig hilflos seinem Schicksal überlässt.

Disability in der Spielmechanik: Eine andere Interpretation der Realität?

SpielerInnen erleben Disability (und ihre Interpretation) am präsentesten als Teil der Spielmechanik. Sie schlüpfen im Gameplay in die Rolle des Big Boss aka Venum/Punished Snake, einer bemerkenswerten Figur, die jedoch weder unverwundbar noch ein übermenschlicher Supersoldat ist.20 Vorbereitung und Taktik (insbesondere in höheren Schwierigkeitsgraden) sind der Schlüssel zum Missionserfolg, Strategien können dabei frei entworfen und müssen regelmäßig angepasst werden.21

In der Anfangssequenz erwacht Big Boss in einem Krankenhaus. Der behandelnde Arzt erklärt, dass ein Schrapnell frontal in die Großhirnrinde eingedrungen sei und bleibenden kognitiven Schaden hinterließ.22 Während sich dies vor allem in den Zwischensequenzen des Spiels bemerkbar macht und thematisiert wird, etwa durch Halluzinationen, greift die Spielmechanik dieses Merkmal hinsichtlich des Sprachverständnis auf. Als Snake in Afghanistan auf sowjetische Soldaten stößt, versteht er sie nicht mehr, obwohl er des Russischen mächtig war. Dies wird mit dem ‚Horn‘ in seinem Kopf erklärt, welches das Sprachzentrum im Kopf beschädigte.23 Als Lösung wird eine Simultanübersetzung eingebracht, die ein Operator (der zunächst rekrutiert werden muss) in der Basis während den Missionen übernimmt.

Disability stellt zunächst ein Hindernis dar, welches jedoch institutionell durch die Bereitstellung einer adäquaten Lösung ausgeglichen und an einen geforderten Normzustand zur Erfüllung des Auftrags angepasst wird. Bezeichnend ist hierbei, dass die Sprachbarriere, im Fall der Spielfigur, zwar aufgrund einer Disability entstanden, es aber nicht die kognitive Einschränkung selbst ist, die als problematisch angesehen wird. Vielmehr gilt es, die mangelnde Fähigkeit der Informationsgewinnung auf einer strategischen Ebene auszugleichen.24 In anderen Worten: Nicht die Disability, sondern die mangelnde soldatische Fähigkeit des Gewinnens und Auswertens relevanter Informationen wird problematisiert und letztlich gelöst.

Soldatische Fähigkeiten sind in der gesamten Spielreihe entscheidend; sie setzen sich aus den individuellen Fähigkeiten der Spielfigur, welche über einen einschlägigen Hintergrund und entsprechendes Training verfügt, sowie aus deren Ausrüstung zusammen, die für den Missionserfolg entscheidend ist. Auch hinsichtlich der Ausrüstung wird Disability nicht, wie häufig üblich, als Einschnitt, Bürde oder Stigma gedeutet, was besonders an der Bedeutung der Armprothese von Big Boss deutlich wird.

Dessen bionischer Arm25 wird als eigener Reiter im Waffen- und Ausrüstungsmenü geführt und kann im Verlauf des Spiels wie in Abbildung 1 angepasst und abgestimmt werden.

Abb.1: MGSV – Ausrüstungsmenü mit bionischem Arm, hier bereits optionalisiert (Eigener Screenshot).

Während die Prothese zunächst ein reiner Ersatz für den verlorenen linken Arm ist, können SpielerInnen im Verlauf des Spiels auf verschiedene ergänzende Mechanismen zurückgreifen, darunter einen Taser oder eine integrierte Drohne.26

In diesen Optionen liegt der Hauptvorwurf des ‚unfairen Vorteils‘ und die Frage, ob denn überhaupt noch die Rede von Disability sein könne, begründet: Die Prothese vermag Übermenschliches, für einen ‚normalen‘ Arm Unmögliches zu leisten. Dem sind zwei Argumente entgegenzusetzen. Wie bereits ausgeführt passt sich die KI an den Stil der SpielerInnen an. Überdenken diese ihr Vorgehen nicht kontinuierlich und verlassen sich stattdessen auf nur einen Ausrüstungssatz, wird der Missionserfolg zunehmend unwahrscheinlicher. Dies sorgt im Gameplay für Abwechslung, verhindert übermächtige Ausrüstungssets und führt so die Idee der Prothese als bessere Version eines Armes ad absurdum. Es handelt sich bei ihr um eine Option, auf die SpielerInnen zurückgreifen können, keine Abkürzung zum Erfolg. Letztlich scheint der Einwand, der bionische Arm sei ein dramaturgisches Element der EntwicklerInnen, angebrachter als der Vorwurf, die Prothese wäre dem Arm aus Fleisch und Blut überlegen.27

Interpretiert man Snakes Prothese nunmehr als die bloße Kombination aus menschlichem Arm und Waffe und fragt nach potenziellen Alternativen, so liegt der Schluss nahe, dass der bionische Arm eher eine Variante des längst Alltäglichen als ein Produkt übermenschlicher Entwicklung ist. Es wirkt gleichermaßen spektakulär wie fantastisch, wenn eine Prothese in der Lage ist, mit einem Elektroschocker oder einer Drohne ausgestattet zu werden. Wie dargestellt wirkt sich das aber weder grundsätzlich vorteilhaft hinsichtlich des Gameplays aus, noch ist das Produkt selbst das Ergebnis einer utopischen (oder dystopischen) Zukunft.

Eine Prothese ersetzt ein verlorenes Glied, ermöglicht die Handhabung von Gegenständen, das Ausführen von Tätigkeiten und soll nicht zuletzt auch ein visuell harmonisches Gesamtbild erzeugen. Gerade TrägerInnen von bionischen Armen profitieren in ihrem Alltag immens von dessen zunehmend ausgefeilten Funktionen; Prothesen werden dabei entsprechend der individuellen Bedürfnisse angepasst und auf diese abgestimmt. Dadurch steigt die Lebensqualität deutlich; TrägerInnen können ihr gewohntes Leben barrierefreier fortzusetzen und erleben positive Effekte hinsichtlich des Selbstbewusstseins und ihres Platzes in der Gesellschaft.28 Durch zunehmenden technischen Fortschritt werden auch die Funktionen bionischer Prothesen immer vielfältiger.29 Eine Neuaushandlung über das vorherrschende Verständnis von Disability, Teilhabe und Ermächtigung ist dadurch vorgezeichnet – und am Beispiel von MGSV vielleicht bereits sichtbar.

Das Spiel verwischt Grenzen des technisch Machbaren ohne jedoch den Grundsatz der bionischen Prothetik, zusammengefasst als ‚maximale Ermöglichung des Gewohnten‘, zu brechen. Die Ansicht, die Prothese sei ein überlegenes Element, die Disability in eine Superkraft umwandelt, zeigt gängige gesellschaftliche Vorstellungen darüber, wie leistungsfähig disabled persons sein dürfen, um noch als disabled wahrgenommen zu werden. MGSV bietet zu den stereotypen Ideen von Stigma, Malus und Schwäche eine alternative Interpretation, die Disability nicht ablehnt, aber auch nicht überhöht: Sie schlägt Disability stattdessen als Variante des Alltags vor. Selbst die fantasiereiche Verbindung aus Arm und Drohne wird kein exklusiver Vorteil, sobald man nach Alternativen hierzu fragt. Tragbare First Person View (FPV) Drohnen, die von beinahe jedem denkbaren Punkt aus gestartet und gesteuert werden können, sind längst Teil des militärischen Alltags; sie sind eine Form des infanteristischen Kampfes, auf den eine Vielzahl an SoldatInnen zurückgreifen.30 Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine macht die Relevanz, den (militärischen) Wert und die Vielseitigkeit dieser Drohnen überdeutlich. Sie sind wenige hundert Gramm schwer, schnell, wendig, mit hochauflösenden Kameras versehen und werden mit videospielartigen Controllern gesteuert. Kleinst- und Kompaktdrohnen leisteten zunächst Aufklärungsdienste, ehe begonnen wurde, sie mit Sprengstoff auszurüsten und sie so zu potenten Wirkmitteln umzuwandeln. FPV-Drohnen können problemlos von einzelnen SoldatInnen mitgeführt, gestartet und ins Ziel geführt werden, wobei die Verteidigung gegen diese Art der Mittel ein erhebliches Problem darstellt.31

Abb. 2: MGSV – Armprothese gesteuert über große Entfernung als Drohne (Eigener Screenshot)

Die Drohne wird in MGSV exakt so genutzt, wie reale SoldatInnen es tun, was in Abbildung 2 verdeutlicht wird. Der Charakter nutzt seinen Arm als Drohne um Gegner aus einem sicheren Versteck heraus anzugreifen. Letztlich ist lediglich die Gestaltung und Verwahrung der Drohne ist neu interpretiert und auf die Dramaturgie des Spiels abgestimmt. Eine Interpretation dieser Mechanik als ‚unfairer‘ Vorteil verkennt eine längst existierende Wirklichkeit. MGSV verbindet gängige militärische Praktiken mit den Bedingungen der Disability der Spielfigur und integriert diese in die Spielmechanik. Dabei werden jedoch keine stereotypen Narrative von Über- oder Unterlegenheit reproduziert. Die Kombination von Prothese und Waffe bietet letztlich die gleichen Vor- und Nachteile (auch im Spiel fliegt die Drohne nicht autark, es bedarf des konzentrierten Steuerns durch die SpielerInnen), über die alle SoldatInnen – wenngleich auch in anderer Form – verfügen können.

Conclusio

MGSV handelt von Verlust, von Rache und der Frage, wohin diese führt. Weder Disability noch disabled persons werden als Hauptthema betrachtet – und doch sind sie allgegenwärtig. Sie sind ein so fester, nicht wegzudenkender Bestandteil des Spiels, seiner Handlung und Spielmechanik, dass sie nicht mehr erklärt und nicht mehr verhandelt werden müssen. Es ist dieses Verständnis von Disability als eine Variante eines Alltags, die SpielerInnen ein bemerkenswertes, weil unaufgeregtes Bild eines Zustands vermittelt, der nach wie vor von Stigmatisierung und Vorurteilen dominiert wird.

Disability wird in MGSV als Rekalibrierung, nicht als das Ende des bisherigen Lebens der Charaktere verstanden, die sich weder für ihre Disabilities noch für daraus resultierende Besonderheiten rechtfertigen müssen. Die Charaktere verfolgen unterschiedliche Strategien, mit Disabilities umzugehen, die jedoch alle von ihnen selbst bestimmt und von der Gruppe akzeptiert werden. Stereotype Darstellung, wie AbleGamers sie nach wie vor als die Thematik dominierend ansieht, werden in MGSV aufgebrochen, obgleich gerade die enge Verbindung von Disability und Verlust problematisch sein kann: Sie mag im Kontext der militärischen MGSV-Welt passen, übergreifend (etwa hinsichtlich angeborener Disabilites) aber unzutreffend sein.

Bezeichnend ist, dass bei näherem Betrachten auch die aus der Disability heraus entstehenden Fähigkeiten eher eine Variante des (hier vornehmlich militärischen) Alltags als das Produkt der Fantasie sind. Der Einsatz von Technik wird derart interpretiert, dass Technik dem Menschen seinen gewohnten Alltag ermöglicht, ihn aber nicht überhöht oder gar ersetzt.

Disabled persons werden weder als beklagenswert noch als überhöhte HeldInnen dargestellt. Disability wird als selbstverständlich begriffen, als nicht weiter der Rede wert, weder im positiven noch im negativen Sinn. Diese Normalisierung führt zu einem bemerkenswerten Grad an Inklusion und Ermächtigung. Dieses Verständnis von Disability zeigt SpielerInnen, wie das Hinterfragen dominierender Vorstellungen zu einer Rekalibrierung herrschender gesellschaftlicher Ideen, Erwartungen und umfassender Normen bezüglich Disabilities und disabled persons beitragen kann. Disability muss weder Barriere sein, die die Ausführung der gewohnten und angestrebten Tätigkeit unmöglich macht, noch müssen disabled persons als die ‚neuen‘ SuperheldInnen überhöht werden, die dank ihrer Disability auf überlegende Technik zurückgreifen können.

 

Medienverzeichnis

Spiele

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Texte

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Bilder

Titelbild Cover des Startbildschirms (Eigener Screenshot aus MGSV (2015).

Abb.1:  MGSV – Ausrüstungsmenü mit bionischem Arm, hier bereits optionalisiert (Eigener Screenshot).

Abb. 2: MGSV – Armprothese gesteuert über große Entfernung als Drohne (Eigener Screenshot).

 

  1. Im Folgenden als MGSV abgekürzt.[]
  2. Kojima Productions (2015): Metal Gear Solid V: The Phantom Pain (Xbox 360): Prolog, Evangelos Constantinou.[]
  3. Konami, Digital Entertainment Business:  Principal Business, Digital Entertainment Business (Japan, Americas, Europe, Asia, Oceania, and Africa, Developing High-Profile Titles in Japan and Overseas). Online <https://www.konami.com/corporate/en/business/digitalentertainment.html> [08.10.2024].[]
  4. Gemäß CDC bezeichnet Disability die „Erfahrung eines Zustands, der es einer Person erschwert, bestimmte Tätigkeiten auszuüben oder gleichberechtigten Zugang zu einer bestimmten Gesellschaft zu haben.“ Centers for Disease Control and Prevention (CDC): Disability and Health Overview. Online <https://www.cdc.gov/ncbddd/disabilityandhealth/disability.html> [18.10.2024]. Menschen, die von einer Form von Disability betroffen sind, werden im Folgenden als disabled persons bezeichnet.[]
  5. Bei PTBS handelt es sich um eine psychische Erkrankung, anerkannt gemäß der ICD-10, die als Reaktion (Erleiden oder Miterleben) auf ein traumatisches Ereignis auftreten kann. Die Symptome sind vielfältig und reichen vom Wiedererleben des Traumas (etwa durch Flashbacks oder Albträume) über Gefühllosigkeit, Entfremdung, Schlafprobleme, Reizbarkeit, Wutausbrüche, bis hin zu Halluzinationen. Medizin und Rechtsprechung weisen auf die Komplexität des Krankheitsbildes hin, die Anerkennung und Einstufung des Grades unterliegt hohen Hürden. Einigkeit herrscht darin, dass Betroffene teils erhebliche Einschränkungen in ihrem Leben erleiden können, welche über die Dauer ihres Bestehens auch als Disabilities anerkannt werden können. Aufgrund ihrer Einstufung als Krankheit und ihrer Besonderheit, soll die Darstellung von PTBS in der Metal Gear Welt andernorts näher thematisiert werden.[]
  6. Vgl. Universität Hamburg: Normalität. Online <https://www.sign-lang.uni-hamburg.de/projekte/slex/seitendvd/konzeptg/l53/l5311.htm> [15.10.2024].[]
  7. Vor allem die Zugänglichkeit von Videospielen für disabled persons wird diskutiert, deren Repräsentation in Spielen bleibt eine Seltenheit. Shell, Jethro: What Do We See: An Investigation into the Representation of Disability in Video Games, in: arXiv preprint arXiv:2103.17100, S. 3-4. Siehe auch: Ellis, Katie; Leaver, Tama; Kent, Mike (Ed.): Gaming Disability. Disability Perspectives on Contemporary Video Games. Abingdon, New York: Routledge 2023 und Spöhrer, Markus; Ochsner, Beate (Hg.): Disability and Video Games. Practices of En-/Disabling Modes of Digital Gaming. Palgrave Game in Context, Bd. 9. London: Palgrave Macmillan 2024.[]
  8. So existieren z.B. verschiedene Umfragen auf reddit, darunter „Is Venom Snake a good handicapped representation for a protagonist?” Online <https://www.reddit.com/r/metalgearsolid/comments/1cyopis/is_venom_snake_a_good_handicapped_representation/, <[18.10.2024] und “Ich habe mich gefragt, warum Big Boss eine Prothese bekommt und Kaz nicht“. Online <https://www.reddit.com/r/metalgearsolid/comments/3ehnup/ive_been_wondering_why_big_boss_gets_a_prosthetic/?tl=de> [18.10.2024].[]
  9. Diese Sichtweise wurde nicht zuletzt lange Zeit durch die Medizin, insbesondere die Rehabilitationsmedizin und die Heilpädagogik geprägt. Waldschmidt, Anne; Karim, Sarah: Was sind Disability Studies Profil, Stand und Vokabular eines neuen Forschungsfeldes. In: Waldschmidt, Anne (Hg.): Handbuch Disability Studies. Unter Mitarbeit von Sarah Karim.Wiesbaden: Springer VS 20222. S. 1-15, S.4. Vgl, auch Waldschmidt, Anne; Schillmeier, Michael: Theorieansätze in den Disability Studies. In: Waldschmidt: Handbuch Disability Studies. S. 73-91, S. 75.[]
  10. Mit der Idee des Überwindens von Disability, die stattdessen in eine ‚Superkraft‘ umgewandelt wird, spielen auch manche Prothesenhersteller. Die amerikanische Firma open bionics bezeichnet ihr Produkt als „Hero Arm“ und ging eine Kooperation mit Marvel ein. Gerade für Kinder werden Prothesen hergestellt, die an bekannte Superhelden wie Deadpool, Wolverine oder Spiderman angelehnt sind. Während Vermarktungsstrategien sicherlich eine Rolle spielen, sei jedoch auch daran gedacht, dass insbesondere für Kinder so eine Form des Eskapismus geschaffen wird, der eine Identifikation mit Helden und Vorbildern ermöglicht. Open Bionics: Meet the Hero Arm. Online <https://openbionics.com> [24.10.2024]. []
  11. Diese Sichtweise wird auch im Sport sichtbar. Der unterschenkelamputierte Weitspringer und Sportsoldat Markus Rehm hält mit 8,72 Metern den paralympischen Weltrekord und sprang 24 cm weiter als Miltiadis Tendoglou, der 2024 in Paris ebenfalls eine olympische Goldmedaille gewann. Bis heute ist Rehm daran gescheitert, bei den olympischen Spielen zu starten. Die Öffentlichkeit, AthletInnen, FunktionärInnen und WissenschaftlerInnen blockieren eine Teilnahme mit der Frage, ob Rehms Prothese einen unfairen Vorteil gegenüber seiner nicht amputierten Konkurrenz bedeutet. Dabei wird der Mensch Markus Rehm teils unverhohlen auf die Technik, die seinen Körper ergänzt, aber nicht definiert, reduziert. Vgl. Davydov, Alexander: Die Geschichte hat mich belastet“. Para-Weitspringer Markus Rehm. Online <https://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/para-weitspringer-rehm-zu-klage-vor-sportgerichtshof-hat-mich-hart-belastet-19031013.html> [22.10.2023].[]
  12. AbleGamers Foundation: Video Games and Disability Representation. Online <https://ablegamers.org/video-games-disability-representation/> [09.10.2024].[]
  13. Fraglich ist, inwieweit die Scharfschützin Quiet ebenfalls zu dieser Gruppe gezählt werden kann. Sie erlitt schwere Verbrennungen und wird nur durch einen speziellen Virus am Leben erhalten, der ihr gleichzeitig auch übermenschliche Fähigkeiten verleiht. Da dies jedoch ein reines Produkt der Fiktion ist, wird auf diesen ansonsten interessanten Charakter nicht näher eingegangen.[]
  14. MGSV (2015): Diamond Dogs Mother Base staff, Glaz & Palitz. Japan: Konami 2015.[]
  15. MGSV (2015): Ocelot: „It was no mean feat to get hold of Snake's arm. I couldn't get one for you at the time, but you know, now…” Miller: „Forget it. I've no intention of relying on bionics. Right now, I need to keep the pain fresh in my mind.”[]
  16. MGSV (2015): Miller: „Do you know how many men I saw die that day? There's nothing we can do to bring them back, and you expect me to care about getting a measly arm and leg back?!”[]
  17. MGSV (2015): Miller: „Every night, I can feel my leg and my arm… even my fingers. The body I’ve lost… the comrades I’ve lost won’t stop hurting. It’s like they are still there. You feel it too, don’t you?”[]
  18. MGSV (2015): Big Boss: „Prepare a life raft. Big enough for one. Food and water, too.”[]
  19. Zuvor wurde ihm durch Miller vorgeworfen, der Einzige zu sein, der nichts verloren habe.[]
  20. Präziser ist ein Verständnis von Big Boss als ein Elitesoldat bzw. eine Spezialkraft. Dies wird deutlich, vergleicht man die Missionen, Anforderungen und das Vorgehen in MGSV mit dem Profil eines typischen militärischen Spezialverbandes, wie etwa dem deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK). Das KSK definiert seine Hauptaufgaben als Geiselbefreiung, dem Bekämpfen und/oder Festsetzen strategischer und operativer Hochwertziele, dem Gewinnen von Schlüsselinformationen sowie der Ertüchtigung ausgewählter Partnerspezialkräfte im Ausland. KommandosoldatInnen des KSK sind befähigt, in verschiedenen Klima- und Umweltzonen zu operieren, unterschiedliche Rollen (etwa als FallschirmspringerIn, SprengstoffexpertIn, etc.) einzunehmen, unterschiedliche Ausrüstung zu handhaben und das Zielgebiet auf verschiedene Wege zu betreten oder zu verlassen, z.B. durch Infiltration zu Fuß oder durch die Luft in Hubschraubern. Kommando Spezialkräfte, Online <https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/organisation/division-schnelle-kraefte/kommando-spezialkraefte> [21.10.2024]. Vgl. auch Ammon, Hans-Christoph: Das Kommando Spezialkräfte. In: Strategie und Technik. Jg.51, H. 4 (2008), S. 21-26. Die Vorstellung des Charakters als Elitesoldat, nicht als ‚einmaliger Held‘ wird handlungsbezogen auch darin unterstützt, dass dieser eigentlich nicht der legendäre Big Boss ist, als der er auftritt. Während seines Krankenhausaufenthalts wurde ihm durch plastische Chirurgie und Tiefenhypnose die Identität des eigentlichen ‚Big Boss‘ gegeben, damit dieser unerkannt agieren konnte. Beim spielbaren Hauptcharakter handelt es sich um einen Doppelgänger, einen hervorragend ausgebildeten Soldaten, der jedoch jeder hätte sein können.[]
  21. Die KI zieht aus den Vorgehens- und Verhaltensmustern in vorangegangenen Missionen Rückschlüsse und stellt sich (schwierigkeitsgradabhängig) darauf ein. Aggressive Spielstrategien führen z.B. zu mehr Wachen, häufige Attacken gegen den Kopf zum Tragen von Helmen, etc. Hideo Kojima selbst beschreibt die KI des Gegners als „unvorhersehbar“. Ruch, Thomas: Metal Gear Solid 5: Die KI ist unvorhersehbar, sagt Hideo Kojima. Online <https://www.play3.de/2013/09/18/metal-gear-solid-5-die-ki-ist-unvorhersehbar-sagt-kojima/> [15.10.2024].[]
  22. MGSV (2015): Doctor: „ […] Some of the fragments still remain. They are located near your heart, and in your skull. […] The fragments are lodged deep within your cerebral cortex. […] Mental and physical impairment are … unavoidable.”[]
  23. MGSV (2015): Ocelot: „Boss, you don't understand what he said? Ahh... I guess that makes sense... It looks like that "horn" stuck in your head has impacted the language center of your brain.”[]
  24. MGSV (2015): Kazuhira Miller: „He [Soviet soldier] speaks Russian. What we need is an interpreter. The main principle of intelligence work is intel gathering. That's a problem if you don't speak the enemy's language. We need a staff member with the interpreter skill to simultaneous interpretation.”[]
  25. Bionische Arme sind längst kein Produkt der Fantasie mehr, sie stellen die modernste Form der Armprothetik dar. Mittels moderner Sensorik wird die Prothese mit vorhandenen Nerven und Muskeln verbunden, was TrägerInnen eine intuitivere Benutzung und wesentlich mehr Nutzungsmöglichkeiten als etwa mechanische Prothesen bietet. Die Technik entwickelte sich insbesondere in den letzten zwanzig Jahren rasant weiter und ist zunehmend in der Lage, auch Fein- und Feinstmotorische Bewegungen zu absolvieren. Vgl. Paskett, Michael D. et al.: Activities of daily living with bionic arm improved by combination training and latching filter in prosthesis control comparison. In: Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation. Vol. 18, Article 45 (2021).[]
  26. MGSV (2015): Bionic Arm menu description.[]
  27. Diese Überlegung wird vom Umstand gestützt, dass Disability in MGSV zwar ein omnipräsentes, jedoch nicht weiter handlungsrelevantes Motiv ist.[]
  28. Middleton, Alexandra; Ortiz-Catalan, Max: Neuromusculoskeletal Arm Prostheses: Personal and Social Implications of Living with an Intimately Integrated Bionic Arm. In: Frontiers in neurorobotics. Vol. 12, Article 39 (2020).[]
  29. Festin, Christopher et al.: Creation of a biological sensorimotor interface for bionic reconstruction. In: Nat Commun. Vol. 15, Nr. 5337 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-49580-8.[]
  30. NATO-Länder modernisieren unter dem Begriff „Future Soldier“ die Rolle und Ausrüstung der modernen Infanterie, da sich der Anspruch an diese zunehmend wandelt. Neben dem Einsatz von Drohnen gehört auch das Nutzen von Robotern oder leistungssteigernder Exoskelette, die nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern bspw. auch in der Logistik zum Einsatz kommen. Siehe u.a. Minculete, Gheorghe; Virca, Ioan: Essential Approaches to the Future Soldier’s Necessity to Use the Passive Exoskeleton. In: Land Forces Academy Review. Vol. 29, Nr. 2 (2024) S. 290-297.[]
  31. Milasauskas, Tomas; Jaškūnas, Liudvikas: FPV drones in Ukraine are changing modern warfare. Online <https://www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/fpv-drones-in-ukraine-are-changing-modern-warfare/> [24.10.2024].[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Platzer, Niklas: "Disabled oder ‚frankly unfair‘? Darstellung und Verständnis von Disability in ‚Metal Gear Solid V: The Phantom Pain‘". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 27.03.2025, https://paidia.de/disability-in-metal-gear-solid-5-phantom-pain/. [30.03.2025 - 09:22]

Autor*innen:

Niklas Platzer

Niklas Platzer studierte Geschichte und Osteuropastudien in München (LMU). Seit 2023 promoviert er, nach einem Prä-Doktorat in Regensburg und Forschungsaufenthalten in Triest und Haifa, als Doctoral Researcher am European University Institute (EUI) in Florenz. Zu seinen Forschungsinteresssen zählen die Geschichte Zentraleuropas im 19. und 20. Jahrhundert, insbesondere in Form der Medizin-, Umwelt- und Militärgeschichte.