"Alan Wake" – Theoriediskurs im fiktionalen Gewand

26. Juni 2013

Der öffentliche Diskurs um Videospiele schiebt seinen Gegenstand gerne, ganz der adornoschen Unterscheidung von ernster und trivialer Kunst verpflichtet, als ausschließlich dem Zeitvertreib dienendes Spielzeug für Kinder oder infantile Erwachsene beiseite. Anstatt eine kompetente Gegenposition zu beziehen, verstärken mitunter sogar die Fürsprecher und Liebhaber des Mediums diese Position, wie sich anhand eines Großteils des deutschen Videospieljournalismus nachvollziehen lässt, in dem für eine positive Rezension vor allem die visuelle Darstellung sowie die spielerische Komponente, also das Gameplay, eine Rolle spielt. In den letzten Jahren scheinen jedoch sowohl die Spieler als auch die Entwickler zunehmend unzufrieden mit der öffentlichen Wahrnehmung des Videospiels zu sein, wie sich nicht nur anhand der feuilletonistisch-theoretischen Annäherung durch einige Magazine wie der Gee und dem Retro-Magazin, sondern auch durch den Verweis der Spiele selbst auf das ihnen inhärente erzählerische Potential, nachvollziehen lässt. Der Umstand, dass sich hier eine weitere Arbeit mit der ewigen Frage nach den spielerischen und narrativen Aspekten eines Videospiels befasst, ist daher weniger der Einfallslosigkeit ihres Autors, als vielmehr einer diesbezüglich neuen Tendenz der Selbstreflexion des Mediums geschuldet. Dementsprechend stellt sich folgender Essay der Aufgabe, zu beweisen, dass Remedys Action-Adventure Alan Wake den gesellschaftlichen und theoretischen Diskurs um sein Medium reflektiert und verhandelt sowie darüber hinaus innerhalb dessen eine klare Position bezieht. 1

“My name is Alan Wake, I‘m a writer”, stellt sich die Erzählerstimme im Intro des Spiels vor. Doch bereits zuvor erwähnt eine Stephen King zugeschriebene Äußerung die Charakteristika einer im Horrorgenre zu verortenden Erzählung: „In a horror story the victim keeps asking why. But there can be no explanation. And there shouldn’t be one. The unanswered mystery is what stays with us the longest and is what we remember in the end.“ Dementsprechend werden bereits zum Auftakt des Spiels mit Verweis auf die Autorität eines der populärsten Schriftsteller unserer Zeit die narrativen Parameter, also das Genre und die damit verbundenen Konventionen benannt und die Erzählung des Spiels explizit als eine solche gekennzeichnet. Zur Deutung der ‚unanswered mystery‘ – worunter hier die Leerstellen der Narration verstanden werden – soll im folgenden Kapitel dabei zunächst eine erzähltheoretische Folie über den Text gelegt werden.

Alan Wake, der nicht nur die Rolle des Erzählers, sondern auch die des vom Spieler kontrollierten Protagonisten einnimmt, ist ein an einer Schreibblockade leidender Bestsellerautor, der in dem nordamerikanischen Provinznest Bright Falls Erholung und neue Inspiration zu finden hofft. Erst der Hinweis der Antagonistin Barbara Jagger, Wakes Texte würden die ‚realen‘ Ereignisse in der fiktiven Welt beeinflussen, bringen ihn jedoch zurück an die Schreibmaschine, in der Hoffnung seine nach ihrer gemeinsamen Ankunft in Bright Falls verschollene Ehefrau Alice zurück in sein Leben schreiben zu können. In die in fiktionalen Texten aus literaturtheoretischer Perspektive nicht verhandelbare Differenz zwischen realem Autor und fiktiven Erzähler wird somit ein mit der Erzählinstanz (vermutlich) deckungsgleicher fiktiver Autor zwischengeschaltet. 2 Alan Wake scheint an dieser Stelle auf das prekäre Verhältnis des Autors zu seinem Werk Bezug zu nehmen. Ferner konzentrieren sich Avatarfigur, Erzähler und fiktiver Autor des Erzählten in der Figur Alan Wakes, wodurch die Spielfigur als diejenige Kraft in Szene gesetzt wird, die nicht nur den Verlauf, sondern überhaupt erst ein Voranschreiten der Narration bedingt. Für fiktionale Texte konstatieren Martinez und Scheffel, dass „sie [Anm. TS: im Gegensatz zu faktualen Texten] grundsätzlich keinen Anspruch auf unmittelbare Referenzialisierbarkeit, d.h. Verwurzelung in einem empirisch wirklichen Geschehen erheben“. 3 Da die vom fiktiven Autor erschaffenen Texte allerdings tatsächlich direkten Einfluss auf die Geschehnisse der erzählten Welt zu haben scheinen, besitzt diese Feststellung zumindest innerhalb der extradiegetischen Realität Alan Wakes keinerlei Gültigkeit. Stattdessen wird diese paradoxerweise vom innerhalb der erzählten Welt erschaffenen Text hervorgebracht. Verhandelt wird an dieser Stelle also die im erzähltheoretischen Diskurs verbreitete Problemstellung, inwiefern Texte als faktual, respektive fiktional verstanden werden können und worauf sich diese Kategorien überhaupt zu beziehen vermögen.

Darüber hinaus referiert dieses Detail auf die auch im Diskurs der Game Studies wiederholt aufgeworfene Fragestellung, inwiefern die Erzählung eines Videospiels erst durch den Rezeptionsvorgang hervorgebracht wird. 4 Im Gegensatz zu anderen Medien ist der Rezipient in diesem Fall allerdings nicht nur der passive Konsument, sondern auch der für den Erzählvorgang – metaphorisch gesprochen die Aufführung – unabdingbare ,Puppenspieler’, der Wake durch die fiktionale Welt manövriert und dementsprechend die Handlungstrigger auslöst. Diese dem Medium inhärente Fremdsteuerung der Figuren wird auf der inhaltlichen Ebene Alan Wakes selbstreflexiv aufgegriffen: Bright Falls wird von einem schwarzen Nebel heimgesucht, der die Bewohner zu Besessenen macht, welche die vom Spieler, beziehungsweise von Wake, zu überwindenden Gegner darstellen. Doch auch Figuren von größerer narrativer Relevanz, wie die Hauptantagonistin Jagger, stehen unter dem Bann der rätselhaften Macht und sind darüber hinaus in der Lage diese wiederum zur Manipulation Anderer zu nutzen. Beispielhaft für das Puppenmotiv erscheint dabei eine Cutscene, in der Jagger nicht nur den Körper der Kellnerin Rose Marigold beherrscht, sondern ihr darüber hinaus die auszusprechenden Sätze im wahrsten Sinne des Wortes in den Mund legt. Diesem wenig subtil an Marionetten gemahnenden Status der Spielfiguren unterliegt dabei ebenfalls der Protagonist Alan Wake, was sich anhand einer Filmsequenz belegen lässt, in der er von Jagger mit ‚sanfter’ Gewalt an die Schreibmaschine geführt wird. Diese explizit gemachte Fremdsteuerung der NPCs, aber noch mehr die der Gegner und des Avatars, kann als Analogie auf die spielerische Auseinandersetzung der beiden tatsächlich die Figuren kontrollierenden Mächte, also der Wettbewerb zwischen künstlicher Intelligenz des Programms und Spieler, gelesen werden. Alan Wake ist sich somit sowohl seiner interaktiven, also die den spielerischen Pol konstituierenden Aspekte, aber auch über deren Relevanz für die unzweifelhaft vorhandenen narrativen Strukturen vollends bewusst. Das lässt sich noch einmal am Finale des Spiels, in welchem das Betätigen eines magischen Lichtschalters – nichts Anderes als eine Anspielung auf den Einfluss des Knopfdrucks des Spielers auf die Narration – die Antagonistin endgültig vernichtet, besonders prägnant nachvollziehen. 5

Doch nicht nur eine Vielzahl an Motiven, sondern auch die strukturelle Beschaffenheit der Erzählung referiert auf narrative Dimension des Computerspiels. Spieler und Spielfigur finden über das komplette Spiel hinweg Manuskriptseiten eines von Wake verfassten Schauerromans, welche meist zukünftige Ereignisse der Handlung vorwegnehmen. Dabei handelt es sich um die bereits problematisierte von Wake verfasste intradiegetische Erzählung, welche das Geschehen der primären Erzählebene hervorbringt und dementsprechend mit dieser weitestgehend identisch ist. Die Textelemente stehen zwar nur bedingt in einem chronologischen Zusammenhang, vermitteln die Erzählung aber – und das ist der hier wesentliche Punkt – häppchenweise Stück für Stück. Es handelt sich hierbei also zweifelsfrei um „eine Folge ähnlicher Dinge, [welche] mit wiedererkennbaren Figurenensembles und Settings Narrationen kreieren, die periodisch fortgesetzt werden“ 6. Sprich: Es handelt sich ihrer Form zufolge um eine serielle Erzählung.

Dieser Zugriff auf serielle Erzählstrukturen erweist sich als eines der wesentlichen Charakteristika Alan Wakes, so erzählt es seine Geschichten in verschieden langen Episoden, die ab der zweiten Folge mit einem ‚Previously on…’, also einem Rückgriff auf das Vorgeschehen beginnen und mit einem Abspann enden: allesamt Eigenschaften der neueren US-amerikanischen Fernsehserien. In diesem Fall ist diese Stückelung jedoch anders als in den TV-Produktionen weder ökonomischen, beziehungsweise publikationspolitischen Zwängen 7 – wie sich unter anderem auch bei den Telltale Adventures beobachten lässt – noch den Konsumgewohnheiten des Rezipienten geschuldet. Vielmehr wurde das Spiel als ein vollständiges Paket veröffentlicht 8 und wird – genau an diesem Punkt unterscheidet sich die Rezeption eines Computerspiels von der einer Fernsehserie – für gewöhnlich nicht Kapitel für Kapitel gespielt. Die Rezeption des Spiels wird stattdessen – vergleichbar zur Lesepraktik eines Romans – unabhängig der ihm inhärenten Erzählstruktur willkürlich beendet und wieder aufgenommen. Anstatt also den unkomplizierten Konsum einer Erzählung zu garantieren, funktioniert die Serialität hier als ein Selbstzweck und dementsprechend als bloßes Sichtbarmachen, als autoreflexiver Verweis auf das Existentsein narrativer Strukturen.

Möglicherweise ist es genau dieser Irritationsmoment, aber auch die unzähligen intertextuellen Verweise auf andere serielle Erzählformate wie Twin Peaks oder Lost, die den Ausschlag geben, das Spiel als ein radikales Statement für die Kategorisierung des Computerspiels als narratives Medium lesen zu müssen.

  1. Der vorliegende Text versteht sich dabei weniger als wissenschaftliche Arbeit, als vielmehr eine zwar methodisch geprägte, aber dennoch eher essayistisch, beziehungsweise feuilletonistisch konzipierte Interpretation des Spiels. []
  2. Die am Ende aufkommende und unmöglich zu beantwortende Frage ob nun Thomas Zane oder tatsächlich Alan Wake die Autoren der Erzählung sind, soll hier zugunsten der den Großteil des Spiels einnehmenden Annahme von als Wake dem Schöpfer der Welt zurückgestellt werden. []
  3. Matias Martinez; Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie. München: C.H. Beck 2003. S. 13. []
  4. Vgl. Mathias Mertens: Computerspiele sind nicht interaktiv. In: Christoph Bieber; Claus Leggewie (Hg.): Interaktivität ein transdisziplinärer Schlüsselbegriff. Frankfurt: Campus 2004. S. 275. []
  5. Paradoxerweise ist es die narrative Dimension die (ist das dann noch selbstreferentiell?) auf das Vorhandensein der spielerischen Aspekte verweist. Die Frage ist hierbei inwiefern der spielerische Pol überhaupt zur semiotischen Praxis der (Selbst)-Referenz in der Lage ist. []
  6. Gabriele Schabacher: Serienzeit. Zu Ökonomie und Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer US-amerikanischer TV-Serien. In: Arno Meteling; Isabell Otto; Gabrielle Schabacher (Hg.): ‚Previously on…’. Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien. München: Wilhelm Fink 2010. S. 23. []
  7. Vgl. Ebda. S. 30. []
  8. Der DLC soll in dieser Untersuchung vollständig ignoriert werden. []

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Schwaiger, Tobias Martin: ""Alan Wake" – Theoriediskurs im fiktionalen Gewand". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 26.06.2013, https://paidia.de/alan-wake-theoriediskurs-im-fiktionalen-gewand/. [21.11.2024 - 10:18]

Autor*innen:

Tobias Martin Schwaiger