
Die Welt in DEINER Hand. ‚Die Sims 3: Reiseabenteuer‘ aus postkolonialer Perspektive
Die kurze Geschichte der Urlaubsreisen in Die Sims
Im Kern der Spielreihe Die Sims liegt die fantasiereiche Nachahmung des Lebens eines Menschen, orientiert an dem Lebensstil unserer Gegenwart seit dem späten 20. Jahrhundert. Zu allen Spielen der Hauptreihe gehört die Spielmechanik, die es den namensgebenden Sims erlaubt, Urlaubsreisen zu unternehmen. Um diese Funktion freizuschalten, müssen Spieler*innen in der Regel eigene Urlaubs-Erweiterungen kaufen, die den Sims das Reisen an verschiedene Urlaubsorte ermöglichen, wo sie sich erholen können. Schicken Spieler*innen ihre Sims in den Urlaub, öffnet sich eine andere Weltkarte mit eigenen Grundstücken an besagtem Urlaubsort, die – mit Ausnahme von Die Sims 4 (Maxis 2014-) – sonst nicht zugänglich sind. Im Urlaub werden die Arbeit oder der Schulbesuch der einzelnen Sims pausiert, damit andere ortsspezifische Aktivitäten unternommen werden können. Nicht pausiert dagegen werden Aktivitäten zur Erfüllung der Bedürfnisse der Sims.

Abb. 1: In einheimischen Märkten können die spieler*innengesteuerten Sims nicht nur Gegenstände zur Erfüllung der täglichen Bedürfnisse kaufen (Essen, Duschen), sondern auch Gegenstände, die für die Region stereotypisch sind – hier z.B. der Beschwörungskorb für Schlangen.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der ästhetischen Darstellung der Reiseorte und den Urlaubsreisen als Mechanismus in Die Sims 3: Reiseabenteuer. Untersucht werden das Basisspiel und dessen Urlaubs-Erweiterung im postkolonialen Kontext. Diese Sichtweise auf Die Sims 3 anzuwenden ist wichtig, da die postkoloniale Betrachtung von Videospielen traditionell sehr mit dem Aufbau von Imperien und der Ausübung von (besonders körperlicher) Gewalt verbunden ist, während Reisemechaniken sehr viel seltener untersucht werden. Im globalen Süden situierte Landschaften, kulturelle Erzeugnisse, die Bewohner*innen und ihre Interaktionen mit aus dem globalen Norden kommenden Spieler*innencharakteren werden außerhalb von Gewaltkontexten seltener thematisiert. Während die Ausbeutung der Geografie, die sowohl in Die Sims 3 als auch in Spielen anderer Genres zu sehen ist, ein bekannter Gegenstand postkolonialer Betrachtung ist, wurde die Spielmechanik der Urlaubsreise in Die Sims 3 ein noch nicht untersucht.
Im Rahmen dieses Beitrags werden Architektur und Landschaft als Mittel zur Darstellung der untersuchten Reisewelten behandelt. Diese Inhalte tragen zur Konstruktion des Anderen bei und haben eine lange Geschichte, weshalb ihre Betrachtung umso wichtiger ist. Der Kunsthistoriker Walter Denny bezeichnet die Nutzung von Bildern in seiner Untersuchung zur europäischen Orientmalerei als „Rapportage“1, die Situationen in u.a. Berichten aus Nordafrika und dem Nahen Osten einen Hauch Authentizität und Lokalkolorit hinzufügt. Diese von Denny beschriebene Authentizität beruht auf der Perspektive westlicher, vorwiegend männlicher Autoren und Künstler, die Bilder anderer Orte durch die eigenen Betrachtungsweisen ersetzt, und ist somit, trotz ihres Anspruchs, eine (objektive) Wahrheit darstellen zu wollen, subjektiv. Diese Subjektivität wird umso deutlicher, wenn die Objekte wie in Die Sims 3 interaktiv gestaltet werden und damit mit der westlich geprägten Spiellogik verbunden sind.
Postkoloniale Videospielforschung
In einfachen Worten beschäftigt sich der Postkolonialismus mit unterschiedlichen Aspekten realer Gesellschaften, die aus kolonialen Verhältnissen herauswachsen. Der indische Videospielforscher Souvik Mukherjee, der sich in seiner Arbeit auf die älteren Postkolonialismus-Forscher Ashcroft et al. bezieht, beschreibt den Postkolonialismus als eine Disziplin, die sich mit „the effects of colonization on cultures and societies“2 beschäftigt. Adressiert werden dabei die „key issues relating to the identity and subjectivity of colonised and formerly colonised peoples, and to their spatial and temporal perceptions“3. Das post in Postkolonialismus bezeichnet damit keinen kompletten Neuanfang, sondern bezieht alle verbleibenden Veränderungen in den kolonisierten Gesellschaften mit ein. Diese Veränderungen beschränken sich nicht nur auf das Materielle, sondern viel mehr und wichtiger, auf das Immaterielle, wie z.B. die Identität der Kolonisierten und der kolonisierenden Gesellschaften. In Saids Orientalismus wird dabei davon ausgegangen, dass die Erschaffung des (literarischen) Orients die Erschaffung des Okzidents nach sich ziehe: der Akt des Definierens des Anderen führt zur Definition des Selbst. Diese Andersmachung ist immer mit Werten verbunden: das gute, logische, fortschrittliche, zivilisierte Selbst braucht als Gegenspieler das böse, mystische, primitive, barbarische Andere. Die Zweitrangigkeit der Anderen heißt auch, dass ihr Wissen und ihre Praktiken gegenüber denen des Westens abgewertet oder komplett abgetan werden. Unter dem kolonialen Schema wird dieses westliche Wissen den Kolonisierten aufgezwungen. Spivak beschreibt diese Dynamik als epistemische Gewalt, als „violence exerted against or through knowledge“4.
Während der recht kurzen Existenz des Feldes haben internationale Autor*innen zum Diskurs der postkolonialen Game Studies beigetragen. Einige der ersten Texte wurden bereits um die Jahrtausendwende publiziert und beschäftigen sich mit Gewalt und Konflikten mit Kulturen des Nahen Ostens.5 Eine weitere Strömung untersucht die Gewaltausübung in den sogenannten 4X-Genres als Simulation von Imperien. Besonders die kartografische Erkundung (eXploration) und das damit einhergehende Wissen über die Geografie der Welt und deren mögliche Nutzung zur Verbesserung des Selbst (eXploit, eXpand) sowie zur Unterwerfung der Anderen (eXtermination) gelten als ein Beispiel der epistemischen Gewalt. Ein weiterer, ähnlicher Strang beschäftigt sich weniger mit dem Körperlichen, sondern mit dem o.g. Orientalismus. Dabei geht es insbesondere um die Erschaffung des imaginierten (menschlichen oder kulturellen) Anderen und die Affordanz der Kontakte mit diesem Anderssein, besonders aus der Position von Spieler*innen bzw. Spielfiguren aus dem globalen Norden. Im Mittelpunkt steht die Romantisierung dieser unentdeckten, passiven Orte, Kulturen und Menschen, die darauf warten, von den aktiven Spieler*innencharakteren entdeckt und geformt zu werden.6 Die vorangehend beschriebenen Stränge sind nicht voneinander isoliert, im Gegenteil ergänzen sie einander oft und zeigen verschiedene Ansätze auf, Videospiele als Objekt postkolonialer Betrachtungen zu verstehen.
Die Welt darstellen
Mit Die Sims 3: Reiseabenteuer bekommen Spieler*innen Zugang zu drei Urlaubszielen: Shang Simla, Al Simhara und Champs Les Sims, die jeweils von Ägypten, China und Frankreich inspiriert sind. Die Orte zeichnen sich durch verschiedene Landschaften und Architektur aus, die einen Eindruck der Region vermitteln sollen. Wie die Wohnwelten der Sims beinhalten alle Reiseziele sowohl bewohnte als auch unbewohnte Grundstücke, wobei letztere bebaut und unbebaut sein können, genauso wie öffentliche Grundstücke. Dabei gestalten sich die öffentlichen Grundstücke in den Reisezielen sehr unterschiedlich im Vergleich zu denen der Wohnwelten. Erstens existieren in den Welten der Reiseziele keine modernen Arbeitsorte wie etwa Bürogebäude, Krankenhäuser, Schulen u.ä. Orte, die in den regulären Nachbarschaften zu finden sind. Die einzigen Grundstücke, die als lokaler Arbeitgeber gelesen werden können, sind Restaurants und öffentliche Märkte, auf denen Spieler*innen-Sims unterschiedliche Waren kaufen können. Vor allem existieren in den Reisewelten Grundstücke, die die Besonderheit des jeweiligen Orts abbilden sollen. So gibt es in Shang Simla eine Kampfkunstakademie und in Champs les Sims einen Nektarhersteller, der an ein Weingut erinnert. Der Ankunfts- und Übernachtungsort dient bei allen drei Reisezielen als Heimatgrundstück der Sims. Zusätzlich gibt es sogenannte Gruften als Teil der Abenteuer, die die Sims bestreiten können und die im weiteren Verlauf des Beitrags näher betrachtet werden.
Shang Simla
Die Spielwelt Shang Simla ist zwar nach einem tibetischen – nicht chinesischen – Ort benannt, orientiert sich aber an der Idee eines chinesischen Palastkomplexes. Die Inspiration aus der realen Welt wird gerade mit Blick auf die Verbotene Stadt deutlich, die sich in der Mitte Shang Simlas befindet. Der Palastkomplex beinhaltet sowohl öffentliche Grundstücke, z.B. den Marktplatz, als auch leere, unbewohnte Wohngrundstücke. Südwestlich des Komplexes liegen die Häuser der einheimischen Sims, wobei dieser Teil der Karte wenig städtebauliche Ordnung aufweist, da die Grundstücke sich auf einer hügeligen Landschaft befinden. Sie sind durch eine ungepflasterte, kurvenreiche Naturstraße und Trampelpfade miteinander verbunden. Dies erweckt den Eindruck, dass die lokale Bevölkerung dort baut, wo natürlich vorhandenes, flaches Land zu finden ist. Dagegen wirken die monumentaleren, historisch inspirierten Bauten wie ein imposanter Eingriff in die Landschaft. Dies gilt nicht nur für den Palastkomplex, sondern auch für die weiteren Bauten, darunter eine Replik des Himmelstempels, ein Teil der Chinesischen Mauer oder eine Miniatur-Terrakotta-Armee, die in unterschiedlichen Ecken der Spielwelt verstreut sind. Dabei zeichnet sich die Architektur in Shang Simla besonders im Palastkomplex durch ihre geschwungenen, einheitlich dunkelroten Dächer aus. Einige der öffentlichen Gebäude außerhalb des Palastkomplexes zeigen die Vertikalität der Landschaft, die in der traditionellen chinesischen Malerei oft vorkommt. So steht z.B. das Heimatgrundstück, das die Sims im Urlaub in Shang Simla beziehen, auf einem Hügel. Die Architektur wird durch weitere dekorative Elemente, wie die runden Mondtore und Wachlöwen-Statuen, ergänzt. Neben architektonischen Kennzeichen werden von den Entwickler*innen sowohl dekorative als auch funktionelle Möbel verwendet, deren Aussehen an ostasiatische Gegenstände angelehnt ist.

Abb. 2: Shang Simla unterscheidet sich von den anderen Reisezielen, da kein Wohnviertel, sondern ein Palastkomplex den Mittelpunkt der Karte nimmt.
Al Simhara
Der Name Al Simhara stammt zwar aus der hocharabischen Sprache, das Spiel lehnt diese Reisewelt jedoch insbesondere an Ägypten an. Der Ort liegt an der Mündung eines Flusses, der als wichtigstes geografisches Merkmal der Karte dient. Er bringt nicht nur das für die grüne Fläche benötigte Süßwasser in die Wüste, sondern teilt auch die Karte in mehrere Teile. Die linke Seite besteht aus einer hügeligen Landschaft. Ein deutlich gekennzeichnetes Wohnviertel mit einem offenen Basiscamp aus Zelten dient als Zentrum der Karte. Am linken Rand sind Nachbauten der beiden Tempel von Abu Simbel und Hatschepsut und eine Pyramide zu sehen. Die rechte Seite des Flusses ist teilweise offener und bietet einen Blick auf die drei Pyramiden, die nebeneinander stehen. Hinter ihnen ragt eine Hügellandschaft hervor, hinter der sich einige Oasen verstecken. Der untere Teil ist der kleinste. Er beinhaltet eine versteckte Gruft und zwei bebaute, aber unbewohnte Grundstücke, auf denen jeweils ein Haus steht, von denen eins ein Kuppeldach hat. Beide Gebäude sind leer und können von Spieler*innen für ihre Sims gekauft werden. Dabei stehen sie durch ihre betont prächtige Architektur im Kontrast zu den kleineren Häusern der lokalen Sims, die eher flache Dächer und erdige Wandfarbe aufweisen. Trotz der Unterschiede zu Shang Simla dienen auch hier die mit unebenen Steinen gepflasterten Straßen und die Nutzung stilisierter Möbel zur Konstruktion einer ‚ägyptischen‘ Atmosphäre.

Abb. 3: In Al Simhara wird ‚ägyptisch‘ mit ‚pharaonisch‘ gleichgesetzt. Außerhalb des kleinen Bevölkerungszentrums sind Pyramiden und Tempel aus vor-muslimischen Zeiten zu finden.
Champs les Sims
Das dritte Reiseziel – Champs les Sims – ist einer französischen Stadt nachempfunden und kann als guter Vergleich zu den anderen Reisezielen dienen. Auch hier gibt es wieder einen Fluss. Teile des Flussufers sind aber, anders als bei den anderen Reisezielen, von Mauern gesäumt, um die dort gebauten Häuser vor Erosion zu schützen. Dabei fungiert der Fluss erneut als Teiler der Karte. Auf der rechten Seite liegt das Zentrum des Wohnviertels mit einzelnen Einkaufsgebäuden und einem Wohngrundstück, das zwar am Stadtrand platziert ist, aber dennoch noch Teil des Stadtzentrums ist. Außerhalb des Wohnviertels in der weiten Landschaft des rechten Teils der Karte liegen verschiedene kleinere Häuser und größere Villen samt einiger verlassener Gebäude, ein Friedhof, eine Kunstgalerie, mehrere Weinfelder und ein Weingut. Die linke Seite ist kleiner und weniger dicht besiedelt und kennzeichnet sich durch ein einziges imposantes Gebäude: ein leeres, bewohnbares Schloss am äußeren linken Rand der Karte. Verbunden werden die meisten Gebäude nicht mit Naturstraßen wie in Shang Simla und Al Simhara, sondern mit einer steinernen Straße mit Fußgängerzone. Was dagegen erneut vorkommt ist die Nutzung architektonischer Merkmale zur Konstruktion einer lokalen Identität. Die Gebäude haben sandsteinfarbene Wände und haben in der der Regel hellbraune Sattel- oder Walmdächer.

Abb. 4: In Champs les Sims wird die Lokalität des Ortes hervorgehoben: Bekannte Bauten werden durch allgemeinere, lokale Schlösser, eine Kunstgalerie und Weinfelder ersetzt.
Wohnwelten und Reisewelten
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Reiseziele grundlegend anders aufgebaut sind als die Wohnwelten der Sims. Dabei muten verschiedene Dinge merkwürdig an: Die Reisewelten sind nicht nur durch auffällig einheitliche Architekturstile geprägt, sondern zeichnen sich auch durch eine überdeutliche Präsenz älterer Bauten und eine gleichzeitige Abwesenheit modernerer Bauten aus. Damit werden diese Orte historisiert: Sie sind Resultat der Vorstellungen der Entwickler*innen und erwecken den Eindruck, als wären sie in der Vergangenheit verblieben. Bekannte Symbole aus der realen Welt (Gebäude und Objekte) werden ästhetisch entweder eins zu eins verwendet oder als Inspiration für eine Nachbildung angepasst. Dabei kommt die historische, geopolitische und kulturelle Bedeutung der realen Bauten bestenfalls untergeordnet vor oder wird durch humoristische Beschreibungen sogar ins Lächerliche gezogen. Damit geht auch eine Entkontextualisierung der Bauten und Gegenstände einher: Sie dienen im Spiel zwar noch als Symbole unterschiedlicher kultureller Identitäten, die jedoch durch diese Reduktion weit von ihrer realen Inspiration entfernt werden.
Champs les Sims wird zwar auch als Parodie einer französischen Stadt dargestellt, allerdings auf andere Weise als Shang Simla und Al Simhara: Die Exotisierung von Champs les Sims geschieht nicht durch das Hinzufügen bekannter monumentaler Bauten innerhalb der Spielwelt, sondern durch den Fokus auf das Lokale. Statt einzigartigen Bauten sind hier allgemeine, stereotypisch europäische Lokalitäten zu finden: eine pseudo-mittelalterliche Burg, ein neueres Schloss, eine Kunstgalerie und eine Megalithstätte. Der Eiffelturm existiert zwar auch im Spiel, allerdings nur als Schatten im fernen Hintergrund außerhalb der spielbaren Karte. In der Innenstadt gibt es einige Läden der Bewohner*innen von Champs les Sims, die trotz ihrer Nähe jeweils auf einzelnen Grundstücken stehen. In Al Simhara und Shang Simla gibt es nur ein einziges Grundstück als Handelsort, auf dem alle Geschäfte zu finden sind. Diese Entscheidung lässt sich auf die Baumechaniken des Spiels zurückführen: Um in Die Sims mehrere Gebäude besonders dicht nebeneinander bauen zu können, müssen sich diese Gebäude auf einem einzigen Grundstück befinden, da an der Grenze eines Grundstücks keine Wände gebaut werden können. In Shang Simla und Al Simhara sind deshalb auf dem Marktgrundstück einige Gebäude direkt nebeneinander gebaut. Ein letzter Unterschied zwischen Champs les Sims und den anderen Reisezielen ist an den Straßen erkennbar: Auch Champs les Sims hat zwar keine asphaltierten Straßen, dafür sind sie allerdings mit Kopfsteinpflaster, Gehwegen und Straßenübergängen für Fußgänger*innen ausgestattet und damit an einen modernen Straßenverkehr angepasst.
Diese letzte Beobachtung in Bezug auf die Straßen mag zwar banal klingen, zeigt allerdings das orientalisierende Othering im Spiel: Das exotische Andere wird mit als historisch inszenierten und damit einhergehend technologisch wenig fortschrittlichen Orten gleichgesetzt. Dies gilt nicht nur im Vergleich zwischen den Wohn- und Reisewelten im Allgemeinen, sondern auch mit Blick Al Simhara und Shang Simla im Vergleich zu Champs les Sims. Die nicht-westlichen Reisewelten sind Orte, in denen nach Mystik, Wildnis, verfallenen Ruinen und vergangener Größe gesucht wird, während die westliche Reisewelt schon Anzeichen von Modernität aufweist: eine durch fortschreitende und fortschrittliche Technologie gezähmte Landschaft und Kultur, gekennzeichnet durch ihre (Stadt-)Architektur und ihre Funktionen. Champs les Sims enthält innerhalb der abgebildeten geografischen Region Bauten, die unterschiedliche Zeiten darstellen sollen. Dagegen finden sich in Al Simhara und Shang Simla jeweils Monumentalbauten aus unterschiedlichen Teilen Ägyptens und Chinas, die alle scheinbar keinen historischen Fortschritt vorweisen. Al Simhara scheint besonders durch den Überfluss pharaonischer Architektur wie gefangen in der vormuslimischen Zeit. Diesen Mangel an historischer Veränderung hat Said schon als Teil von Orientalismus eingeordnet: „But Orientalism has taken a further step than that: it views the Orient as something whose existence is not only displayed but has remained fixed in time and place for the West.“7
In der Welt spielen
Um eine Die Sims3-Erweiterung spielen zu können, müssen Spieler*innen immer zuerst das Basisspiel besitzen und bestimmte Schritte durchlaufen, um auf die Inhalte der Erweiterung zugreifen zu können: Sie müssen eine Wohnwelt auswählen, einen oder mehrere Sims erstellen und in der Spielwelt platzieren, um dann zunächst genug Geld zu verdienen, um eine Reise unternehmen zu können. Die Ästhetik und Gestaltung der Reisewelten wurden vorangehend bereits diskutiert. Die neuen Inhalte aus Die Sims 3: Reiseabenteuer betreffen allerdings nicht nur den Urlaub in einer anderen Spielwelt, sondern bereits die ersten Schritte des Spiels – nämlich die Erstellung des zu spielenden Sims. Neben dem Aussehen der Sims müssen Spieler*innen Charaktereigenschaften und Lebensziele für ihre Spielfigur wählen. Mit der Erweiterung werden drei neue Eigenschaften hinzugefügt, die gewählt werden können: „abenteuerlustig“, „diszipliniert“ und „Fotografenblick“. Alle drei Eigenschaften sind mit Fähigkeiten und Gegenständen verbunden, die erst durch den Besuch eines Reiseziels entsperrt werden können. Die Eigenschaft „abenteuerlustig“ beeinflusst allgemein das Reisen und die Erkundung von Grüften: Sims mit dieser Eigenschaft bekommen mehr Belohnungen auf ihren Reisen und haben weniger Nachteile während der Erkundung von Grüften. „Diszipliniert“ und „Fotografenblick“ dagegen sind mit Fähigkeiten der Kampfkunst und Fotografie verbunden. Um in der Kampfkunst aufzusteigen, müssen Sims an einer Übungsholzpuppe trainieren, die es nur in Shang Simla zu kaufen gibt, wobei auf traditionell-chinesische Kampfkünste referenziert wird. Das Gleiche gilt für die Nektarherstellung, für die Sims eine Nektarmaschine aus Champs les Sims brauchen, hier wiederum eine Referenz zur französischen Weinherstellung. Fotografie dagegen kann zum Releasezeitpunkt der Erweiterung nur mit einer Kamera von einem der Märkte der Reiseziele geübt werden. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten bilden dann die Möglichkeit, einen von dem*der Spieler*in ausgewählten, mit dem Reisen verbundenen Lebenswunsch zu erfüllen, wie z.B. die Beherrschung der Fähigkeiten Malerei und Fotografie oder den Besitz einer Reliquiensammlung mit einem Gesamtwert von zwanzigtausend Simoleons (die In-Game-Währung in Die Sims).

Abb. 5: Bei dem Lebenswunsch ‚privates Museum‘ geht es hauptsächlich ums Besitzen. Die Objekte können, müssen aber nicht nach einer bestimmten Logik ausgestellt werden. Somit sind sie auf ihren physischen Wert reduziert.
Um eine Reise zu unternehmen, muss ein Sim auf dem eigenen Handy zunächst eine Reise buchen. Daraufhin öffnet sich ein Fenster, in dem Spieler*innen das Reiseziel sowie den Preis und die Besuchsdauer wählen und außerdem entscheiden können, ob und wie viele Sims aus einem Haushalt mitfahren. Zu Beginn können Sims nur für drei Tage verreisen, mit einem höheren Visumssniveau können sie später allerdings auch einen längeren Zeitraum an den Reisezielen verbringen. Gespielte Sims können dabei nie komplett in die Welten der Reiseziele migrieren, sondern sie nur besuchen. Der Preis der Reisen unterscheidet sich von Ort zu Ort: Eine Reise nach Shang Simla kostet 1300 Simoleons, eine nach Al Simhara 1600 Simoleons und eine nach Champs les Sims wiederum 1900 Simoleons. Diese Preise gelten jeweils für die erste Person in einem Haushalt, für jeden weiteren Sim fallen weitere 1000 Simoleons an. Nach kurzer Zeit werden alle reisenden Sims von einem Taxi abgeholt und damit zum Rand der Wohnwelt gefahren. Nach einem Ladebildschirm bekommen Spieler*innen wieder Kontrolle über ihre Sims und können mit der Reisewelt interagieren.

Abb. 6: Das Basiscamp ist das automatische Heimatgrundstück für Sims, die sich in den Reisezielen befinden. Nachdem ein Sim den höchsten Visumsrang erreicht hat, kann er ein Urlaubshaus erwerben, das dann als neues Heimatgrundstück funktioniert. In Al Simhara hat man kein Gebäude, sondern ein Zeltlager als Basiscamp.
Die Ankunft in der Reisewelt beginnt für jeden Sim ohne Urlaubshaus vor dem Eingang des Basiscamps. Davor kann mit einem schwarzen Brett interagiert werden, um eine Quest in Form eines Abenteuers zu beginnen. Die Beschreibung des Abenteuers gibt Hinweis auf die zu erfüllende Aufgabe und die Belohnung nach erfolgreichem Abschluss. Die damit verbundenen Aufgaben können vom Sammeln z.B. von einheimischen Erzen über die Erkundung von Grüften auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand bis hin zum Befreunden einheimischer Sims reichen. Als Belohnung können Sims entweder Simoleons, alte Münzen und/oder einen Fortschritt bei der Steigerung ihres Visumniveaus bekommen. Letzteres ist auch eine der wichtigsten Funktionen der Abenteuer, weil Sims nur dadurch Visumspunkte für ein höheres Visumniveau bekommen können.
Die Grüfte befinden sich sowohl auf privaten als auch auf öffentlichen Grundstücken. In allen Reisewelten existieren mindestens sechs Grüfte, wobei sich in Shang Simla sieben und Al Simhara zwölf Grüfte finden. Im Vergleich zu normalen Grundstücken sind die Räume einer Gruft – mit Ausnahme des Eingangs – für Spieler*innen nicht sichtbar, sondern stattdessen in Dunkelheit gehüllt. Erst mit dem Betreten der Räume durch einen Sim wird ein Großteil des Inneren eines Raums, abgesehen von versteckten Fallen, sichtbar. Diese Fallen können tödliche Verbrennungen oder Stromschläge bei den Sims verursachen. Neben den Fallen können Grüfte Sarkophage mit feindlichen Mumien beinhalten. Spieler*innen können den Mumien entkommen oder sie im Kampf stellen und so ggf. vertreiben, dabei riskieren sie allerdings, dass die Mumie die gespielten Sims verflucht. Zugänge zu anderen Räumen können durch verschlossene Türen, Trümmer oder Felsblöcke blockiert werden. Um diese Hindernisse zu beseitigen, müssen die Sims nach Schlüsseln für die Türen suchen oder die Trümmer zur Seite räumen. Einen Sonderfall stellen Felsblöcke dar, die nur mit der Axt von Pangu und damit einem besonderen Gegenstand beseitigt werden können, der ausschließlich in einer chinesischen Gruft durch Plünderung gefunden werden kann. Darüber hinaus lassen sich weitere allgemeine oder kulturspezifische Objekte und Schätze wie etwa Edelsteine oder Fossilien in Grüften finden. Diese haben unterschiedliche Werte und können für unterschiedliche Preise verkauft oder im Inventar gesammelt bzw. im Heimatgrundstück des Sims gezeigt werden.
Außerhalb des Sammelns von Gruftbelohnungen können Sims in den Reisewelten auch andere lokale Objekte sammeln. Ländertypische und imaginierte Esspflanzen, Fische, Insekten und Erze können gesammelt oder geangelt werden, während ortsspezifische Kochrezepte, Fähigkeitsbücher, Köder-Tippbücher und Liedertexte in Märkten zu kaufen sind. Das Erwerben dieser Gegenstände hat keine beziehungsweise nur minimale Wirkung auf die Lebenswünsche aus dem Basisspiel, da diese so gestaltet wurden, sodass sie ohne Erweiterung erfüllbar sind. Dennoch trägt den Erwerb dieser Gegenstände dazu bei, die Fähigkeiten der gespielten Sims-Figuren zu verbessern, sei es durch Wissenserwerb, Erfüllung von allgemeinen Wünschen, das Verkaufen von Sammelbarem oder den Erwerb von dekorativen Gegenständen für das Heimatgrundstück des Sims. Hier lässt sich dann schon feststellen: Trotz Ausgaben sollen Urlaubsreisen und die damit verbundenen extraktiven Tätigkeiten einen Netto-Gewinn für die reisenden Sims bringen.
Kolonialismus spielen
Die Sims 3: Reiseabenteuer führt mehrere neue Spielmechaniken ein, die Ähnlichkeiten mit Mechaniken aus anderen Genres haben, die in der Forschung zur Schnittstelle zwischen Postkolonialismus, Orientalismus und Game Studies schon ausführlicher erforscht worden sind. Bisher erschienene Studien beschäftigen sich beispielsweise mit Spielen, die feststehende Protagonist*innen haben, sei es Far Cry 3 mit Jason8, Tomb Raider mit Lara Croft9 oder die militärischen Shooterspiele, deren Protagonist*innen oft als Teil des weißen US-amerikanischen bzw. europäischen Militärs auftreten. Die Die-Sims-Reihe dagegen bietet die Möglichkeit, eine nicht-weiße Figur zu erstellen. Das heißt, der*die Spieler*in kann das Aussehen der eigenen Sims in der Spielwelt frei anpassen. In Die Sims 3 wohnen die Figuren dabei allerdings vorwiegend in amerikanisierten Wohnwelten, die örtlich und spielmechanisch die Idee der westlichen Freiheit zur Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen. In seiner Betrachtung zu Far Cry 3 hält der indonesische Game-Studies-Forscher Jiwandono zum Thema Weißsein und Freiheit zur Selbstbestimmung fest: „The whiteness of digital games often becomes invisible as games are often imbued with values which are often construed as positive but are, in actuality, rooted in western civilization’s values, such as self-determination and the pursuit of personal goals.“10 Während Jiwandono das Weißsein und die westliche Subjektposition („rooted in western civilization’s values“11) verbunden sieht, bietet Die Sims die Möglichkeit, sich dem körperlichen Aspekt zu entziehen. Diese Entkopplung von Hautfarbe und anderen körperlichen Merkmalen lässt sich als identity tourism nach der Geschlechts- und Identitätsforscherin Nakamura beschreiben: Spieler*innen haben durch die imaginierte Eigendarstellung in fiktiven Welten die Gelegenheit „to indulge in a dream of crossing over racial boundaries temporarily and recreationally […] without any of the risks associated with being a racial minority in real life“12. Diese Minderung der Risiken geschieht in der Die-Sims-Reihe dadurch, dass es keine oder nur sehr wenige negative Zuschreibungen basierend auf Geschlecht, Sexualität oder Hautfarbe für die Sims gibt. Dabei funktioniert die Wohnwelt der gespielten Sims als die bestimmende Spielmechanik zur Minderung dieser Risiken und erlaubt die von Jiwandono erwähnte Selbstbestimmung und Verfolgung persönlicher Ziele. Die Wohnwelt geht dabei mit einer westlichen Subjektposition einher, unabhängig von der Hautfarbe der Sims. Sie bietet alle Möglichkeiten, sämtliche Lebensziele einer Spielfigur zu verfolgen. Das Weißsein in Die Sims impliziert damit keine Hautfarbe, sondern eine Situierung der Möglichkeiten des Westens inklusive des Vorhandenseins eines Lebenswunsches, was dann als Hauptgegenteil zu den Sims aus der Reisewelten funktioniert. So listet die Seite The Sims Wiki13 alle Familien aus Reisewelten. Beim Betrachten der erwachsenen Sims lässt sich feststellen, dass diese – anders als die Sims aus den regulären Spielwelten – statt eines Lebenswunschs die verborgenen Eigenschaften ägyptischer, chinesischer oder französischer Kultur besitzen.
Die hier beschriebene Etablierung des ‚Westlich-seins‘ ist relevant, wenn die Aktionen der Sims in der Reisewelt als koloniale Unternehmungen untersucht werden. Dabei spielen die Affordanzen und Grenzen der Spielmechanik in der Reisewelt im Allgemeinen als auch spezifische Teile davon wie z.B. die Grüfte eine Rolle. Die Sims 3: Reiseabenteuer verwendet dabei die Logik der zwei Welten von Wohn- und Reisewelt, die durch die gespielten Sims erlebbar gemacht werden. Eine gute Beschreibung dieser Zwei-Welten-Logik lässt sich in Ömer Kemal Buharis Untersuchung zur Verbindung zwischen dem Okzident und Orient in Anno 1404 finden.14 Seine Betrachtung orientiert sich wiederum an Saids Gedanken zum Orientalismus, mit der Präsenz zweier ungleicher Hälften, wobei die eine Welt von der anderen profitiert:
The only reason for this relationship seems to be that the Occidental inhabitants need natural resources, raw materials, and products from the Orient. The reverse is not the case since the Oriental inhabitants do not consume anything produced in the Occident. The direction of trade is interestingly one-sided. Therefore, it might be argued that the Orient’s existence is secondary, and its raison d’être is to provide for the needs of the Occident.15
Diese am Beispiel von Anno 1404 entwickelte Beschreibung ist insofern auch für Die Sims zutreffend, als dass kein Sim aus den Reisewelten Lebenswünsche hat, wie vorangehend bereits beschrieben wurde. Somit werden die Sims in den Reisezielen in eine bestimmte Rolle versetzt, nämlich nur noch als Kulturbot*innen, mit denen alle Heimatwelt-Sims interagieren können, die aber für sich selbst keine größeren Wünsche formulieren dürfen. Sie sind schlichtweg da, um die körperlich-kulturellen Bedürfnisse und Wünsche der Heimatwelt-Sims zu erfüllen.
Eng verbunden mit dem Westlich-sein ist auch die extraktiv-wirtschaftliche, ja sogar gewinnorientierte Logik. Fast alle Inhalte der Reisewelt lassen sich mit geringen Kosten extrahieren: Die Sims können Edelsteine und Erze abbauen, Fische fangen, Pflanzen und Artefakte sammeln oder Fotos machen. So können sie die nötigen Gegenstände erhalten, um durch deren Verkauf die finanziellen Möglichkeiten eines Sims zu steigern oder durch Tätigkeiten wie das Sammeln zur Erfüllung des Lebenswunsches eines Sims beizutragen. Für die Sims der Heimatwelten soll eine Reise nicht nur einen positiven Effekt auf ihre Lebenszufriedenheit haben, sondern auch auf ihre wirtschaftliche Lage. Die einheimischen Sims haben keine Lebenswünsche und ziehen damit auch keinen gezielten Nutzen aus ihrer Umgebung. Sie betreiben zwar auch Handel, nehmen aber nicht wie die Sims der Heimatwelten an der amerikanisierten Lebensweise teil: Sie gehen nicht zu gewöhnlichen Arbeitsorten, wie etwa ins Büro, Krankenhaus, die Schule usw. – genauer existieren diese Einrichtungen in ihren Welten gar nicht. Darin äußert sich dieselbe Dichotomie zwischen Westen und Nicht-Westen, die auch Buhari bereits pointiert beschrieben hat16: die nicht-westlichen Sims nehmen auch nicht am westlichen Lebensstil teil. Gleichzeitig sind sie für das westliche Leben nicht nur da, sondern sogar benötigt.
Relevant für das Kolonialismus spielen in Die Sims 3: Reiseabenteuer sind auch die Grüfte mit ihren Geheimnissen und Symbolen. Hier lässt sich eine Spielmechanik aus dem 4X-Genre in Verbindung mit Kolonialismus beobachten. Mukherjee vergleicht die Entdeckung der Spielkarte in 4X-Spielen und die Entdeckungsreisen westlicher Reisender wie folgt: „the removal of the ‚fog of war‘ to show the hidden sections of the game’s map in Age of Empires finds a classic parallel in the removal of unexplored blank spaces on the colonial explorer’s map“17. Dieses Erkunden der Umgebung hat Andrei Nae aus postkolonialer Perspektive auch mit Blick auf die Tomb-Raider-Reihe als koloniales Symptom in Abenteuerspielen adressiert:
The Tomb Raider games […] employ somewhat different cartography mechanics, but they amount to an ideological effect similar to the one of the real time strategy games discussed by Mukherjee […] the more the player explores the gamespace, the richer and denser the maps become, offering the player a variety of means to interact with the game world […].18
Die Entdeckung eines Raums in einer Gruft in Die Sims 3: Reiseabenteuer dagegen legt potenzielle Gefahren, aber auch Belohnungen offen. Letztere können dann wiederum von den Sims verwendet werden, um ihre Aktivitäten in der Reisewelt, wozu auch die Erkundung weiterer Grüfte gehört, zu unterstützen. In seiner Betrachtung von Civilization V diskutiert Dom Ford derlei Mechaniken in Verbindung mit der Entdeckung und eventuellen Nutzung wertvoller Ressourcen durch Spieler*innen: „the fog of war masks strategic resources and must be traversed through to uncover those resources“19. In Die Sims 3: Reiseabenteuer lässt sich diese aus dem 4X-Genre stammende Spiellogik des Entdeckens, Absicherns und Ausbeutens – in dieser Reihenfolge – in leicht veränderter Form finden. Wird in klassischen 4X-Spielen eine Einheit zu einem gewünschten Punkt bewegt, so wird in der Gruft in Reiseabenteuer eine Tür geöffnet. Dabei bilden unterschiedliche sichtbare und unsichtbare Fallen, Labyrinthe und Tauchbrunnen passive Hindernisse. Mitunter taucht gar eine stereotypisch dargestellte ägyptische Mumie auf, die einen Sim verfolgt und zum Kampf zwingen möchte – eine Form von Othering, die sich aufgrund einer versteckten Spielmechanik in Die Sims 3: Reiseabenteuer (alle nicht spielbare Sims werden von Grüften ferngehalten – d.h. nur spielbare Sims können Grüfte entdecken) mit einer gegnerischen Fraktion in 4X-Genres vergleichen lässt.

Abb. 7: Um in Grüften weiterzukommen, müssen Spieler*innen ihre Sims dazu bewegen, Rätsel zu lösen. Abbildung 7 zeigt das Rätsel vor der Lösung.

Abb. 8: Nach der Lösung des Rätsels wird der nächste Abschnitt freigeschaltet, wie hier zu sehen ist.

Abb. 9: Am Ende einer Gruft stehen zu plündernde Kisten, die die spezifische Reliquie der Gruft beinhalten. Neben ihrem physischen Wert symbolisiert diese Reliquie das Bezwingen der spezifischen Gruft.
Während der Gruftentdeckung können Sims Gegenstände plündern, die sich verkaufen oder sammeln lassen. Das Sammeln von Reliquien – besonders für den Lebenswunsch ‚privates Museum‘ – fügt diesen Objekten einen weiteren Kontext zu, denn nach Pieter ter Keurs ist das Sammeln „never a neutral activity. […] It concerns a power relationship between the owner of an object and the collector who desires the object. Although both parties had ways of manipulating each other, in the colonial situation this power relationship was often asymmetrical“20. Dabei kommentiert ter Keurs diese asymmetrische Beziehung in einem Aufsatz zur anthropologischen Sammlung aus Indonesien in den Niederlanden.
Nicht nur das Sammeln, sondern auch das Ausstellen ist ein Akt der De- und Rekontextualisierung von Objekten aus nicht-westlichen Kulturen. Diesbezüglich kommentiert der Lateinamerikaforscher Yoel Villahermosa Serrano: „With their appropriation, these relics are decontextualized, but remain frozen in time, reduced to spaces such as an in-game inventory, not unlike a curio cabinet“21. Obwohl Serrano hier spezifisch Gegenstände aus präkolumbianischem Kontext in Videospielen untersucht, gilt dieses Argument allgemein für nicht-westliche Gegenstände, denn der westlich positionierte Sim übt mit der Platzierung (oder auch dem Behalten im Inventar) von ‚gesammelten‘ kulturell-inspirierten Gegenstände seine eigene Interpretation aus. Dekontextualisiert werden die Gegenstände aber nicht nur im Spiel selbst, wo der Sim sie aus der Reisewelt entnimmt und ggf. zu Hause ausstellt, sondern bereits durch die Vorstellung der Entwickler*innen und die Entfremdung der Gegenstände von ihrem realweltlichen Kontext. Für den Sim-Lebenswunsch ‚privates Museum‘ gilt die Dekontextualisierung darüber hinaus nicht nur doppelt, sondern sogar dreifach: die Gegenstände müssen im Heimatgrundstück platziert, aber nicht zwangsläufig präsentiert werden. Somit werden Spieler*innen durch Platzierung und Präsentation quasi gezwungen, diese Gegenstände mit einem neuen, selbsterdachten Kontext zu befüllen. Dabei schließt sich der Zyklus der Ausbeutung des Anderen: in den Händen des Westens sprechen die Gegenstände nicht länger für sich selbst, sondern für ihre westlichen Sammler*innen.
Schluss
In der Erweiterung Reiseabenteuer haben Spieler*innen erstmals in Die Sims 3 die Möglichkeit, nicht-amerikanisierte Orte zu bereisen. Die damit verbundene Affordanz, das Andere zu erleben, birgt mehr oder weniger bewusst koloniale Implikationen. Landschaft, Architektur und Objekte bilden ästhetisch ein Bild des Anderen ab. Die Spielmechaniken der Erweiterung, wie etwa die neuen Lebenswünsche und Fähigkeiten, ermutigen Spieler*innen dazu, mit den Reisewelten, deren Bewohner*innen und Objekten zu interagieren. Diese Interaktion findet allerdings nie auf Augenhöhe statt. Durch die Spielmechaniken wird das Andere als Ort der Ausbeutung zum Zweck der Selbstverwirklichung der spielbaren, westlich positionierten Sims inszeniert.
Reiseabenteuer zeigt, dass die Hinterlassenschaften des Kolonialismus und Imperialismus sich in Spielen verschiedenster Genres finden lassen. Dieser Beitrag macht deutlich, wie und warum diese Videospiele und ihre Genres als Texte kritisch betrachtet werden können und sollten. Schließlich liegen die Forschung kritischer Themen – wie in Reiseabenteuer – in unseren Händen.
Medienverzeichnis
Spiele
Blue Byte, Related Designs: Anno 1404 (Microsoft Windows). Deutschland, Frankreich: Ubisoft 2009.
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Crystal Dynamics: Tomb Raider (mehrere Konsolen). Vereinigte Staaten von Amerika: Square Enix Europe 2013. https://www.tombraider.com/ [06.10.2025].
Eidos-Montréal: Shadow of the Tomb Raider (mehrere Konsolen). Kanada: Square Enix Europe 2018. https://www.tombraider.com/ [06.10.2025].
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Maxis: Die Sims 3 (Microsoft Windows). Vereinigte Staaten von Amerika: Electronic Arts 2009. https://www.ea.com/de/games/the-sims/the-sims-3 [06.10.2025].
Maxis: Die Sims 3 Reiseabenteuer (Microsoft Windows). Vereinigte Staaten von Amerika: Electronic Arts 2009. https://www.ea.com/de/games/the-sims/the-sims-3/buy/addon/the-sims-3-world-adventures [06.10.2025].
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Texte
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