„Der Fokus des Rollenspielers ist [...] weniger auf die fiktional modellierte Umwelt als vielmehr auf die von ihm zu steuernde Figur gerichtet.“ 1
Im Angesicht der kargen Schönheit von Himmelsrand mag diese Äußerung fast ein wenig ketzerisch klingen, doch hat Lars Zumbansen insofern Recht, dass die Charakterentwicklung ein Thema ist, auf das man als Spieler sehr viel Zeit und Überlegungen verwenden kann. Mehr Zeit und Überlegungen als eigentlich nötig wären. Die Beschäftigung mit Fragen wie „Welche Rasse wähle ich?“ und vor allem „Was levele ich als nächstes auf?“ ist ungeheuer erfüllend und motiviert teils dann noch stundenlanges Spielen, wenn andere Motivationen bereits versagt haben. Insofern verdient der Avatar in The Elder Scrolls 5 - Skyrim (2011) an dieser Stelle einmal einen eingehenden Blick, denn bei der Erstellung eines Rollenspielavatars und seiner späteren Ausdifferenzierung im Spiel geht es um weit mehr als um bloße Zahlenwerte und den Drang des Spielers nach Optimierung.
Rassen
Die erste Entscheidung, die in Skyrim zu Beginn des Spiels wie in nahezu jedem anderen Rollenspiel bei der Erstellung eines Avatars zu fällen ist, ist, welche Rasse man spielen möchte. Zur Auswahl stehen vier Menschenvölker (Nord, Bretonen, Rothwardonen und Kaiserliche), vier Elfenrassen (Altmer (Hochelfen), Dunmer (Dunkelelfen), Bosmer (Waldelfen) und Orsimer (Orks) ) und zwei anthropomorphe Tierrassen (Argonier (Echsenmenschen) und Khajiit (Katzenmenschen) ). Jedes dieser Völker besitzt einen Startbonus auf bestimmte charakteristische Fähigkeiten, sowie eine Spezialfertigkeit (beispielsweise „Blutrausch“ (Orks) oder „Tier beherrschen“ (Waldelfen) ), doch sind weder erwähnte Startboni so elementar noch die Spezialfertigkeiten so mächtig, dass eins von beidem für die Wahl ausschlaggebend sein müsste. Ebenso gut kann sich der Spieler von optischen Vorlieben oder der Kurzbeschreibung des jeweiligen Volkes leiten lassen. Was einmal aus dem Avatar werden wird, ist an dieser Stelle noch lange nicht entschieden, denn auf die Rassenwahl (zu der auch die ausgiebige farbliche und plastische Individualisierung des Avatars zählt), folgt keine Klassenwahl, was einen Bruch mit herkömmlichen Rollenspielkonzepten darstellt. Bereits in den Skyrim-Vorgängern The Elder Scrolls III - Morrowind (2002) und The Elder Scrolls IV – Oblivion (2006) wurde mit diesem Thema experimentiert 2, ehe die Entscheidung für eine „Klasse“ in Skyrim schließlich vollkommen an den Spielprozess delegiert wurde.
Perspektiven
Anstatt ihn also eine Klasse wählen zu lassen, wird der Spieler im Anschluss an die Charaktererstellung direkt in die Spielwelt entlassen, wobei ihm freigestellt ist, ob er diese aus der Ego-Perspektive oder lieber aus einer unbeteiligten dritten Person erleben möchte, denn Skyrim bietet die Möglichkeit, per Scrollrad dynamisch zwischen First- und Third-Person-View zu wechseln. Ein interessantes Feature, denn selbst unter Entwicklern herrscht die Meinung vor, der First-Person-View wäre geeigneter, den Spieler in das Spielgeschehen hineinzuziehen. Warum also sollte überhaupt jemand den Third-Person-View wählen?
Auch Frans Mäyrä postuliert ein höheres Immersionspotential für Spiele mit First-Person-View: „[T]he player gets a strong sense of ‚being there’ herself, as no mediating character is brought to the centre of attention.“ 3. Für Skyrim würde das bedeuten, dass Spieler, die den in der Einführungssequenz angebotenen First-Person-View auch weiterhin bevorzugen, ‚selbst’ handeln wollen, also der Avatar ‚sind’, während sich Third-Person-View-Spieler emotional von ihrem Avatar distanzieren und sich zwar eventuell mit seiner Persönlichkeit identifizieren, jedoch die Verantwortung für sein Tun von sich weisen.
Mäyrä setzt daher für den Third-Person-View – und nur für den Third-Person-View – eine Dualität aus „playing as“ 4 und „identifying with [the avatar]“ 5 an, doch sehe ich genannte Dualität ebenso für den First-Person-View gegeben. Unvermitteltes Handeln ist im Computerspiel nicht möglich, da der Spieler ohne Hilfsmittel, zu denen der Avatar ebenso wie Maus, Gamepad oder Controller gehört 6, keinen Einfluss auf die virtuelle Spielwelt ausüben kann. Der vermittelnde Avatar ist daher immer existent – selbst in Ego-Shootern, in denen nicht einmal seine Hände oder Füße zu sehen sind. Überdies ist auch in der Egoperspektive eine Identifikation mit dem Avatar möglich. Selbst wenn nichts über die Persönlichkeit des Avatars bekannt ist, so gehört er dennoch einer Gruppe, Fraktion oder Rasse an, die sein Handeln beeinflusst, beziehungsweise die zu bewältigenden Aufgaben vorgibt, und dieses Handeln allein schließt bereits Identifikationspotential mit ein.
Für Skyrim gilt dies in besonderem Maße, denn auch hier ist der Avatar eine vom (Rollen-)Spieler zu füllende Leerstelle. Das Spiel startet aus der Ego-Perspektive eines namen- und gesichtslosen Gefangenen, der sich – eine Tradition der Elder Scrolls-Reihe – mit einigen weiteren Gefesselten auf dem Weg zu seiner Hinrichtung befindet. Um wen es sich bei dem Avatar handelt, erfährt man, beziehungsweise wird erst in dem Moment entschieden, als die kaiserlichen Soldaten vor der Hinrichtung ordnungsgemäß den Namen ihres Gefangenen erfassen möchten – dann nämlich erst öffnet sich das Charaktererstellungsmenü des Spiels.
Die Rasse, die der Spieler daraufhin wählt, mag optisch während des Spiels unter immer wuchtigeren Rüstungen verschwinden, sodass ein Ork bald nicht mehr von einem Hochelfen zu unterscheiden ist, doch Skyrim lässt den Spieler selbst in der Ego-Perspektive nicht vergessen, wer und was er ist. Die NPCs nämlich wissen, mit wem sie es zu tun haben, und so wird ein Khajiit immer wieder „Katze“ genannt werden und die Drohung hören, dass man mit seinem Fell den Boden aufwischen werde, selbst wenn sein Katzenkopf hinter einem geschlossenen Visier und sein Schwanz unter einem Umhang verborgen ist.
Und ob First- oder Third-Person-View – immer wieder werden Spieler „Ich“ sagen, wenn sie von ihrem Avatar sprechen. Ein – und sei es nur marginal – an Rollenspiel interessierter Spieler entwirft im Verlauf eines Spiels eine Identität, welche sich in das Gesamtkonzept seiner Persönlichkeit eingliedert und sich somit praktisch nicht von einer ‚real-life’-Identität unterscheidet 7. Längst ist die Forschung dazu übergegangen, Identität als „lockere Aggregatsform von Handlungsrepertoires“ 8 zu betrachten, die ein „Experimentieren mit dem eigenen Ich“ 9 und verschiedenen Rollenkonzepten zulässt, ohne dass dies im Sinne einer multiplen Persönlichkeit als pathologisch zu betrachten wäre 10.
Diese Rollenkonzepte oder Identitäten sind jeweils an ihren spezifischen Kontext gebunden, weshalb das Rollenkonzept „Drachenblut“ 11 nicht dazu führt, dass der im Stau stehende Skyrim-Spieler „FUS RO DAH“ 12 ruft und annimmt, damit eine außerhumoristische Wirkung zu erzielen. Dennoch sind dieser Rollenkonzepte abstrahier- und übertragbar, sodass es durchaus zu Wechselwirkungen mit anderen Persönlichkeitsbereichen kommt, und in einem Computerspiel gemachte Erfahrungen auch auf andere Spiele übertragen werden können.
Charakterentwicklung
Für die Verfeinerung dieser Rollenkonzepte ist vor allem das rollenspieltypische Prinzip des Auflevelns 13 wertvoll. Häufig geht es dabei gar nicht so sehr darum, stärker zu werden. Beleg dafür ist die Tatsache, dass in Skyrim entgegen anderslautender Behauptungen die Gegner mit dem Avatar stärker werden 14. Ein Draugr-Todesfürst stellt für einen Avatar auf Level 50 eine ebenso große oder kleine Bedrohung dar, wie noch auf Level 20. Von daher kann es nicht Ziel sein, einfach nur stärker zu werden. Es geht vielmehr darum, das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten des Avatars und damit auch der eigenen zu erweitern.
Das kursierende Maximallevel 15 liegt in Skyrim bei 81, d.h. es stehen im Spiel insgesamt 81 Punkte zur Verfügung, die der Spieler nach Belieben verteilen kann. Im Bezug auf das Verbessern von Fähigkeiten funktioniert Skyrim nach dem Prinzip „learning by doing“. Was häufig eingesetzt wird, wird auch aufgelevelt; angefangen von Kampftechniken über Handwerkliches bis hin zu Überredungskünsten. Das Spiel bietet dabei achtzehn sogenannte Perks, ‚Levelbäume‘, die jeweils für eine bestimmte Fähigkeit stehen. Präsentiert werden diese Perks in einem speziellen Menü als in einem 360°-Cyclorama angeordnete Sternbilder.
Steigt der Avatar ein Level auf, erhält er neben der Verbesserung seiner Magicka, Gesundheit oder Ausdauer einen Punkt, der in einen der Perks investiert werden kann. Vorausgesetzt, der Avatar erfüllt die Anforderungen, denn neben dem Gesamtlevel des Avatars, das in der Kopfzeile angezeigt wird, besitzt der Avatar auch im Bezug auf jeden der achtzehn Perks ein spezifisches Level zwischen 1 und 100, abhängig davon, wie geübt er in einer Sache ist. Grundsätzlich arbeitet man sich in einem Perk von unten nach oben vor, jedoch besitzen alle Bäume Verzweigungen, sodass manche Talente während des Aufstiegs optional sind. Einige Perks verlaufen sogar ringförmig, sodass manche Fähigkeiten auf verschiedenen Wegen erreicht werden können. Der erste ‚Stern’ in einem der Perks ist voraussetzungslos, alle weiteren jedoch verfügen über ein Mindestlevel und benötigen darüber hinaus eine Verknüpfung zum Ausgangspunkt.
Wie bereits gesagt, existieren in Skyrim keine festgelegten Klassen, doch operiert das Spiel mit drei Grundtypen, an die man jedoch nicht gebunden ist: Der Krieger, der Magier und der Dieb. Es gibt dreizehn sogenannte Findlinge in Himmelsrand, die bei ihrer Aktivierung 16 dem Spieler verschiedene Vorteile bringen: Vier erleichtern den Stufenaufstieg, während die übrigen entweder Attribute verbessern oder einmal täglich eine Spezialfähigkeit verleihen. Jeder Findling ist einem Sternzeichen zugeordnet, jedoch gehören Findlinge und Perks zu unterschiedlichen Systemen. In den Archetypen des Kriegers, Magiers und Diebes jedoch überschneiden sie sich.
Gewöhnlich steht jeder Findling für sich, an verborgenen oder schwer zugänglichen Orten, doch über dem Ilinaltasee, an der Straße von Helgen nach Flusswald 17 thront die Triade der sogenannten Wächtersteine: Der Diebesstein, der Magierstein und der Kriegerstein.
Diese korrespondieren mit einer Triade, die sehr viel später im Spiel in der Daedra-Quest „Die Entschlüsselung des Übernatürlichen“ von Bedeutung ist. Im Rahmen dieser Quest erwirbt man das Oghma Infinium, ein Buch, welches das persönliche Artefakt des daedrischen Prinzen 18 Hermaeus Mora ist, und dem Spieler die Möglichkeit gibt, das aktuelle Level von sechs seiner achtzehn Perkbäume um jeweils fünf Punkte zu erhöhen. Welche das sind, ergibt sich aus der Wahl zwischen den Kapiteln „Weg der Macht“, „Weg der Magie“ und „Weg des Schattens“, ohne dass ersichtlich ist, welche Perks welchem Weg zugeordnet wären. Bei manchen ist dies zwar eindeutig, bei anderen allerdings kaum zu entscheiden. Empirisch lässt sich feststellen: Der Kriegerstein, beziehungsweise der Weg der Macht, nimmt Einfluss auf die Perks „Schmiedekunst“, „Schwere Rüstung“, „Blocken“, „Zweihändig“, „Einhändig“ und „Schießkunst“. Der Diebesstein beeinflusst „Leichte Rüstung“, „Schleichen“, „Schlossknacken“, „Taschendiebstahl“, „Redekunst“ und „Alchemie“. Der Magierstein und damit auch der Weg der Magie betreffen die Bäume „Illusion“, „Beschwörung“, „Zerstörung“, „Wiederherstellung“, „Veränderung“ und „Verzauberung“.
Von den 250 Punkten, die nötig wären, um alle drei Wege vollständig aufzuleveln, entfallen 91 auf den Weg der Macht (Krieger), 85 auf den Weg der Magie (Magier) und 74 auf den Weg des Schattens (Dieb). Es kann also mit den 81 maximal zur Verfügung stehenden Levelpunkten einer der herauskristallisierten Grundtypen vollständig oder zumindest annähernd vollständig ausgebildet werden. Doch ist dies selbstverständlich nicht Sinn und Zweck eines so flexiblen Levelsystems – es geht vielmehr um geschickte Kombination und das individuelle Verständnis davon, was eine bestimmte Klasse können sollte. Im Perk „Schleichen“ (Dieb) beispielsweise gibt es eine für Bogenschützen wertvolle Verbesserung „Blattschuss“ (Schleichangriffe mit Bögen verursachen dreifachen Schaden), der Perk „Schießkunst“ jedoch ist dem Krieger zugeordnet. Es gibt unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten und jede Kombination ist potentiell erfolgreich. Warum sollte ein Krieger mit einer Einhandwaffe nicht mit der freien linken Hand Heilzauber wirken? Oder sich ein Magier nicht an seine Gegner heranschleichen, um genug Zeit zu haben, unbemerkt seine mächtigsten Zauber zu wirken? Dinge wie „Schlossknacken“ und „Redekunst“ (beides Kernkompetenzen des Diebes) empfehlen sie ohnehin für jeden.
Praktisch kann Leveln in Skyrim beispielsweise so aussehen: Der Spieler begibt sich mit seinem Avatar in eine der vielen Minen Himmelsrands und baut dort Eisenerz ab. Er möchte aber Amulette herstellen, für die er Gold braucht, deswegen wendet er mehrfach den Veränderungs-Zauber „Mineral umwandeln“, der unedle Metalle in edle verwandelt, auf das Erz an und verbessert dadurch seine Veränderungsfähigkeit (Veränderung --> Level up). Er schmilzt das erhaltene Golderz ein und erhält dadurch Goldbarren, aus welchen er in der Schmiede Amulette herstellt (Schmiedekunst --> Level up). Diese Amulette verzaubert er nun (Verzauberung --> Level up) und verkauft sie an einen Händler (Redekunst --> Level up). Damit hat er zwei Magier-, eine Krieger- und eine Diebesfähigkeit verbessert.
Narrativität des Auflevelns
Lars Zumbansen argumentiert mit Jurij Lotman 19 für eine eher schwache Narrativität des typischen Rollenspiels, weil es einer strikten Steigerungslogik folgt, innerhalb derer keine Grenzüberschreitungen passieren 20. Der Spieler erweitert zwar permanent die ihm bzw. seinem Avatar gesetzten Grenzen, doch bleibt er dabei stets innerhalb des Systems, denn er kann das Computerspiel mit seinem Avatar nicht verlassen und muss sich deswegen seinen Regeln beugen. Zumbansen sieht im Rollenspielavatar „prototypische Modelle des modernen Subjekts im Foucault’schen Sinne“ 21, denn wie bei Foucault ist der Prozess der Individualisierung im Rollenspiel „Resultat von diskursiven Machtpraktiken, die jedoch nicht von außen auf das Subjekt einwirken, sondern von diesem selbst inkorporiert werden“ 22. Mit anderen Worten: Um aus seinem Avatar ein unverwechselbares „Individuum“ zu machen, muss der Spieler sich der Spielmechanik unterwerfen, ihre Funktionsweise erlernen und sie erfolgreich anwenden.
Narrativität aber würde echte Grenzüberschreitungen voraussetzen – den Bruch einer impliziten oder expliziten Norm – welche Zumbansen im normalen Spielprozess nicht gegeben sieht, da gemäß Lotman nur dann Narration entstehen kann, wo Ereignisse, beziehungsweise Grenzüberschreitungen stattfinden. Steigerungslogische Spielhandlungen sind somit sujetlos 23.
Der Avatar ist für Zumbansen die „Inkorporation des Steigerungsspiels“, somit ist das Thema der Charakterentwicklung in seinen Augen genuin narrationsfeindlich und kann allenfalls spielerische Reize aufweisen.
Würde ich in Rollenspielen tatsächlich dieselbe ungebrochene Steigerungslogik ausmachen wie Lars Zumbansen, so würde ich ihm in darin Recht geben. Nach allem aber, was ich bisher über Skyrim herausarbeiten konnte, glaube ich nicht, dass Zumbansens Argumente im Fall von Skyrim greifen. Dass es höchst zweifelhaft ist, in einem Spiel, in der die Stärke der Gegner vom Level des Avatars abhängt, von Steigerung zu sprechen, wurde bereits gesagt. Was sich erweitert, sind die Möglichkeiten des Avatars, wie auch Zumbansen sagt, doch bedeutet eine neue Möglichkeit nicht unbedingt eine Stärkung des Avatars. Im Skyrim-Perk „Schleichen“ beispielsweise gibt es eine Verbesserung namens „Lautloses Abrollen“. Beschreibung: „Wenn du beim Schleichen sprintest, machst du eine Vorwärtsrolle.“ Auf dem Weg zum „Schattenkrieger“, der höchsten Vollendung der Schleichkunst, ist diese Fähigkeit obligatorisch, doch hat sie, wie Spieler bemängeln, keinerlei praktischen Nutzen. Vielmehr stellt sie einen optischen und darüber hinaus auch narrativen Mehrwert dar, denn sie illustriert das Bild vom Schattenkrieger und seinen erstaunlichen Fähigkeiten.
Natürlich gibt es Spieler, die von sich behaupten, Skyrim ohne irgendein rollenspielerisches Konzept im Hinterkopf zu spielen, für das ein solcher Zugewinn relevant sein könnte, sondern lediglich die Möglichkeiten des Spiels austesten zu wollen. Ein solches Vorgehen ist zweifellos möglich, doch konsequent durchgezogen, führt es in die Frustration, denn zum einen ist es kaum möglich, in der riesigen Spielwelt wirklich alles zu entdecken, was es zu entdecken gibt, zum anderen müsste man das Spiel aus rein rechnerischen Gründen (250 : 81 = 3,09) mit drei verschiedenen Charakteren durchspielen und hätte selbst dann noch nicht alle Fähigkeiten einmal erworben. Ein Spieler hingegen, der für sich beschlossen hat, aus seinem Avatar einen großen Magier zu machen, wird sich nicht daran stören, dass ihm, wenn er dieses Ziel erreicht hat, keine Punkte mehr übrigbleiben, um „Zweihändig“ und „Schwere Rüstung“ zu skillen. Die Frage „Was will ich?“ wird damit hinfällig, die Frage ist: „Was passt zu meinem Avatar?“.
Roger Caillois 24 nennt Rollenspiel (Mimikry) als eine seiner vier Subkategorien von Spielermotivationen neben Wettstreit (Agôn), Glücksspiel (Alea) und Rausch (Ilinx). Rollenspiel ist ein starker Motivationsfaktor, insofern wird Caillois ihm mit einer eigenen Kategorie absolut gerecht, doch verstellte seine explizite Nennung etwas den Blick darauf, aus was sich diese Motivation zusammensetzt. Im Avatar nämlich vereinigen sich spieltechnische Belange mit narrativen Elementen.
Der normative Bruch, den Zumbansen in der Charakterentwicklung von Rollenspielen vergeblich sucht, ist in Skyrim evident, wenn aus dem zum Tode Verurteilten im Verlauf der Hauptquest ein Held von Himmelsrand wird und dieser Prozess manifestiert sich nicht zuletzt in seinem Levelaufstieg und der Meisterschaft in bestimmten Perks.
Natürlich wird dadurch nicht der Rahmen des Computerspiels gesprengt, wie Zumbansen es zu erwarten scheint, doch wäre es auch absurd dies als Vorbedingung für Narrativität zu fordern – vergleichbar damit, ein literarisches Werk nur dann als narrativen Text anzuerkennen, wenn es geeignet ist, seine Leserschaft zu schockieren. Aus den normativen Vorstellungen der Mehrheit der NPCs von Himmelsrand heraus, welche diese in vielfältigen Kommentaren zum Ausdruck bringen, stellt der verblüffende Aufstieg des Avatars mit Sicherheit einen Tabubruch dar – umso mehr, wenn aus dem namenlosen Fremdling ohne besondere Talente kein strahlender Held, sondern ein gefürchteter Assassine wird.
Verzeichnis der verwendeten Texte und Medien
Spiele
Bethesda Softworks: The Elder Scrolls 3. Morrowind (PC). Ubisoft 2002.
Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls 4. Oblivion (PC). Bethesda Softworks; 2K Games 2006.
Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls 5. Skyrim (PC. Bethesda Softworks 2011.
Texte
Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Frankfurt am Main: Ullstein Verlag 1982.
Döring, Nicola: Sozialpsychologie des Internet: Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen: Hogrefe-Verlag 1998.
Eisenrieder, Veronika: Von Enten, Vampiren und Marsmenschen – von Männlein, Weiblein und dem ‚Anderen’. Soziologische Annäherung an Identität, Geschlecht und Körper in den Weiten des Cyberspace. München: Utz Verlag 2003.
Keupp, Heiner: Diskursarena Identität. Lernprozesse in der Identitätsforschung. In: Keupp, Heiner; Höfer, Renate (Hg.): Identitätsarbeit heute. Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1997.
Mäyrä, Frans: An Introduction to Game Studies. Games in Culture. London: SAGE Publications 2008.
Waggoner, Zach: My Avatar, my Self. Identity in Vido Role-Playing Games. Jefferson: McFarland Publishers 2009.
Zumbansen, Lars: Dynamische Erlebniswelten. Ästhetische Orientierung in phantastischen Bildschirmspielen. München: Kopaed Verlag 2008.
- Zumbansen 2008, S. 136.[↩]
- So wurde beispielsweise nach einer kurzen Spielphase eine Empfehlung im Bezug auf die am besten zur individuellen Spielweise des Spielenden passende Klasse ausgegeben, welcher der Spieler dann folgen, die er aber ebenso gut negieren konnte.[↩]
- Mäyrä 2008, S. 107.[↩]
- Mäyrä 2008, S. 107.[↩]
- ebda.[↩]
- Obgleich er natürlich auf der anderen Seite der Schnittstelle, nämlich im virtuellen Raum, angesiedelt ist.[↩]
- Vgl. Waggoner 2009, S. 1.[↩]
- Keupp 1997, S. 22.[↩]
- Eisenrieder 2003, S. 60.[↩]
- Vgl. Döring 1998, S. 258.[↩]
- Welchen Avatar der Spieler auch erstellt, er wird sich im Verlauf der Haupthandlung immer als „Dovahkiin“, auf Deutsch "Drachenblut", erweisen. Als solches kann die Spielfigur die Seelen getöteter Drachen in sich aufnehmen und damit Drachenschreie mit unterschiedlichen magischen Wirkungen freischalten.[↩]
- Die Worte FUS, RO und DAH bedeutet in der Drachensprache „Kraft“, „Gleichgewicht“ und „Drücken“. Zu einem Schrei kombiniert bewirken sie, dass Gegner zurückgestoßen und durch die Luft gewirbelt werden. Von allen Drachenschreien in Skyrim ist dieser wohl der beliebteste und Gegenstand zahlreicher Videos und Insiderwitze.[↩]
- Der Anglizismus „aufleveln“ mag etwas unschön klingen und sich auch erst im Sprechen über das Medium Computerspiel entwickelt haben, doch ist er im Bezug auf Rollenspiele als unverzichtbares Fachvokabular zu betrachten, da partielle Synonyme wie „eine Stufe aufsteigen“ nicht in der Lage sind alle Implikationen des Begriffes zu transportieren. Selbiges gilt in ähnlicher Form auch für andere Spezialausdrücke, die in diesen Artikel zum Einsatz kommen werden.[↩]
- Die Art und das Ausmaß, in dem sie es tun, ist lediglich sinnvoller als in The Elder Scrolls IV – Oblivion. Nachzulesen auf: http://www.pcgames.de/The-Elder-Scrolls-5-Skyrim-PC-128680/Tests/The-Elder-Scrolls-5-Skyrim-im-Test-Rollenspiel-Riese-mit-grenzenloser-Freiheit-jetzt-auch-mit-PC-Wertung-Test-des-Tages-853839/3/ [↩]
- Von offizieller Seite wurde nie ein Maximallevel genannt, doch wurde die Existenz eines solchen von Spielern empirisch festgestellt.[↩]
- Der gewählte Stein kann beliebig oft gewechselt werden.[↩]
- Diese Straße ist normalerweise die erste, welcher der Spieler folgt, sobald er der Hinrichtung durch die kaiserlichen Soldaten entgangen ist, sofern er sich der Hauptquest, welche zu diesem Zeitpunkt seine einzige Quest ist, nicht verweigert.[↩]
- Die Daedra sind eine definitorisch schwer fassbare übernatürliche Spezies, die aus dem in The Elder Scrolls IV – Oblivion thematisierten Reich des Vergessens stammt und die den Daedrafürsten oder daedrischen Prinzen untersteht. Aufgrund ihrer häufigen Bösartigkeit sind sie wohl am ehesten mit Dämonen zu vergleichen.[↩]
- Lotman, Jurij (1993): Die Struktur literarischer Texte. UTB Verlag, München.[↩]
- Vgl. Zumbansen 2008, S. 144f.[↩]
- Zumbansen 2008, S. 135.[↩]
- ebda.[↩]
- Vgl. Zumbansen 2008, S. 145.[↩]
- Caillois, Roger (1982): Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch. Ullstein Verlag, Frankfurt am Main.[↩]