Editorial: Sonderausgabe „Das Ohr spielt mit - Klang im Computerspiel"

20. Februar 2019
Abstract: Klang im Computerspiel umfasst neben Musik auch Geräusche und Sprache. Die Autorinnen und Autoren dieser Sonderausgabe gehen darauf ein und darüber hinaus. Sie schreiben über die Funktionen und Wirkungen von Sprache (Ruf/Matt/Bayreuther und Stingel-Voigt), sie erforschen die Rezeption von Computerspielmusik (Roth), ihre Rhythmuswirkungen (Akkermann/Heßler) und denken die semiotischen Möglichkeiten von Computerspielklängen durch (Schwinning). Wir freuen uns als Herausgeberinnen der Sonderausgabe besonders darüber, dass unsere Autorinnen und Autoren eine Methodenvielfalt im Umgang mit dem Thema Klang im Computerspiel aufzeigen. Neben der Ludomusikologie, also der Forschung zu Musik im Computerspiel, gibt es vielfältige Ansätze aus anderen Disziplinen zum weitgefassten Thema, das auch Geräusche der Spielwelt und ihre Atmosphäre betrifft sowie Signalgeräusche wie „Auditory Icons“ und „Earcons“ neben stimmlichen Äußerungen.

Die deutschsprachige Forschung im Bereich von Klang und Computerspielen nimmt zu. Dabei sind es zunächst durchaus ökonomische Gesichtspunkte, die die Kooperationen der Computerspiel- und Musikbranche fruchtbar erscheinen lassen. Karen Collins hält fest:

„[T]he soundtrack is the key selling and marketing aspect of the game. Driver: Parallel Lines (Reflective, 2006), for instance, used popular artists in its advertising and on its soundtrack […] reinforcing the idea that the music is a key part of this game’s experience[.]“1

Aber ein besonders gut implementierter Sound fördert Immersion und Flow und trägt so zum Erfolg eines Spiels bei, wie auch Kristine Jørgensen betont:

„[S]ound works both as a usability feature and as support for the sense of presence in the game environment[.]“2

Sound spielt in den meisten Games eine wichtige Rolle, wenn er etwa bei einer Aktion ein auditives Feedback gibt, die Atmosphäre beeinflusst, unter Umständen bei der Orientierung hilft oder zur Identifikation von Figuren, Orten und Situationen beitragen kann. Sound bildet die Brücke zwischen der Realität des Spielers und der fiktiven Welt des Computerspiels. Das Gehörte wird außerhalb der Spielwelt wahrgenommen, denn es erklingt aus Lautsprechern oder Kopfhörern und wird vom Spieler rezipiert. Es verschmilzt umgehend mit der fiktiven Welt.

Spielende entscheiden sich dafür, das Spiel als vorübergehende ‚Wirklichkeit‘ anzunehmen. Die Grenze zwischen dem fiktiven und dem realem Raum wird aufgehoben. Erklären lässt sich dies mit der These von der willing suspension of disbelief. Diese besagt, dass eine Unterscheidung von Realität und Fiktion in Medien wie Film oder Computerspiel im Moment des Erlebens nicht erwünscht ist (Coleridge). Dabei „verstärkt das Computerspiel […] das Gefühl der subjektiven Kontrolle, außenorientierte Zielvorgaben erscheinen im Gewand subjektzentrierten Wollens“.3 Durch die aktive Teilhabe und Performance erlebt der Rezipient eines Computerspiels Emotionen, die seinen im richtigen Leben auftretenden Emotionen ähneln oder sogar gleichen. Sound beeinflusst unsere Wahrnehmung des Fiktiven und lässt es uns zugänglicher werden.4

Zu den Beiträgen

In allen Beiträgen wird deutlich, dass Sound (Klang) in Spielen vielfältigste Aufgaben haben kann. Er kann eine Hinweis- oder Signalfunktion innerhalb der Spielhandlung haben. Als Musik kann er ein Spiel auch schmücken, bereichern und zum Verständnis beitragen sowie expressiv wirken. Als Sprache kann er verschiedene Textsorten hörbar machen und die klangliche Atmosphäre eines Spiels mitbestimmen. Deshalb wird Klang im erweiterten Sinn als eine Reihe von spiel-immanenten, auditiven Elementen verstanden, die dem Spiel einen Mehrwert geben, nämlich Geräusche und Sounddesign, Musik und Sprache. Doch wie realistisch klingt der Schuss einer fiktiven Waffe und welche Freiheiten kann sich eine Sounddesignerin herausnehmen? Welches Geschlecht hat die Spielfigur und wird das an deren Stimme ebenso hörbar wie der momentane emotionale Ausdruck? Fragen wie diese bleiben virulent.

Im Beitrag von Oliver Ruf, Markus Matt und Rainer Bayreuther wird die Spielerin als aktiv hörende Person mit einbezogen, denn es wird untersucht, wie das Hörempfinden die Spielrezeption mitgestaltet und wie Klang selbst zu einer Spielmechanik avanciert. In Hellblade: Senua’s Sacrifice5 wird der Sound zum Spiel selbst, wird auch in einer dunklen, Audio-only Spielepisode Teil der zu lösenden Aufgaben. Hauptbestandteil der klanglichen Gestaltung sind im Spiel Stimmen, die sich selbst teilweise überlagernd auf erschreckend realistische Weise eine psychotische Störung abbilden und zumindest auditiv nachempfinden lassen.

Inwiefern der Klang einer Stimme in Computerspielen Rückschlüsse auf eine Person/Figur zulassen und Empathie ermöglichen, wird bei Yvonne Stingel-Voigt aufgezeigt. Dabei werden unterschiedliche Funktionen von Sprachklang in Spielen eingeführt, diese reichen vom Erzähler, über Voice-Over zum Screwball-Dialog.

Musik, Sounddesign und Sprache übernehmen neben expressiven Funktionen auch dramaturgische und strukturelle Funktionen analog zu Filmmusik. Sound kann also Spannung erzeugen, Übergänge hervorheben, als Leitmotiv auf spielrelevante Gegenstände hinweisen oder als diegetischer Klang schlicht die Spielwelt ‚realistischer‘ wirken lassen. Reinke Schwinnings Beitrag widmet sich den Voraussetzungen für die Übertragung von spielrelevanten Informationen durch Computerspielmusik. Als Bestandteil der Schnittstelle zwischen Spiel und Spielenden vermittelt Musik Informationen. Dazu muss sie Sinn oder Bedeutung tragen oder generieren.

Über den Einsatz auditiver Elemente im einzelnen Spiel hinaus wird auch die weitreichende Rezeption und Akkulturation von Gamesound bedacht. Kevin Roth stellt eine Studie vor, die sich damit befasst, inwiefern die in Videospielen enthaltene Musik einen Einfluss auf den Musikgeschmack der Videospielerinnen haben kann. Auch die Frage, ob die Musik eines Computerspiels eine Person dazu animiert habe, selbst ein Musikinstrument spielen zu lernen, wird in dieser Umfrage-basierten Studie beantwortet.

Mit Musikspielen beschäftigen sich Miriam Akkermann und Daniel Heßler. Hier geht es vor allem um die Wechselwirkung zwischen Musik, Rhythmus und Gameplay bzw. um ludischen Erfolg. Sie zeigen auf, dass gerade in Spielen wie Donkey Konga6 und Vib Ribbon7 Entrainment von musikalischem und performantem Rhythmus die zentrale ludische Herausforderung darstellt.

Ausblick

Freilich kann auch diese Ausgabe nur einen kleinen Ausschnitt eines riesigen Themenfeldes bedienen. Zahlreiche weitere Untersuchungen sind denkbar. So könnte beispielsweise untersucht werden, inwieweit bei Musikvorkommen in Computerspielen Wert auf historische und ethnologische Authentizität gelegt wird. Eine Betrachtung, welche musikalischen Elemente, beispielsweise Melodien, welche stil- oder kulturübergreifenden Wege gehen, also migrieren und sich genreübergreifend beispielsweise in Popsongs oder in Klassischer Musik wiederfinden lassen oder die Spielidentität in der Filmadaption stützen, wäre ebenfalls lohnenswert. Im Bereich Sprache wären Untersuchungen zu „Teamspeak“, den Absprachen der Spielenden in Mehrpersonen online-Spielen interessant, welcher eine zusätzliche Soundcollage für das jeweilige Spiel bildet. Das Spiel als reines Musikerlebnis, nämlich entweder als Kunstform8 oder als Musikinstrumenten-Spiel kann außerdem Gegenstand einer Untersuchung sein. Ein ähnlicher Wechsel der Ebene ist der Formatwechsel von Kompositionen, die als Computerspiel-App re-komponiert werden, beispielsweise von Björk oder von Annesley Black. Alle diese Untersuchungsansätze, bei denen das Ohr mitspielt, sind relevant für das Thema Klang und Computerspiel.

Medienverzeichnis

Spiele

Namco Limited: Donkey Konga (GameCube). Redmond, Washington: Nintendo of America Inc. 2004.

NanaOn-Sha Co., Ltd.: Vib-Ribbon (PlayStation). Tokio: Sony Computer Entertainment Inc. 2000 (US-Version, jap. Original 1999).

Ninja Theory: Hellblade: Senua’s Sacrifice. Cambridge: Ninja Theory 2017.

Literatur

Berndt, Axel: Musik für interaktive Medien. Arrangement- und Interpretationstechniken, München: Verlag Dr. Hut 2011.

Böcking, Saskia; Wirth, Werner; Risch, Christina: Suspension of Disbelief: Historie und Konzeptualisierung für die Kommunikationswissenschaft. In: Gehrau, Volker; Bilandzic, Helena; Woelke, Jens (Hg.): Rezeptionsstrategien und Rezeptionsmodalitäten. München: R. Fischer Verlag2005, S. 39-57.

Bullerjahn, Claudia: Musik und Bild. In: Bruhn, Herbert;  Kopiez, Reinhard;  Lehmann, Andreas C. (Hg.):  Musikpsychologie. Das neue Handbuch. Hamburg: rowohlt 2011, S. 205–222.

Coleridge, Samuel Taylor: Biographia Literaria. London: R. Fenner 1817.

Chion, Michel: Ton und Bild – eine Relation? Hypothesen über das Audio-Divisuelle. In: Butte, Maren; Brandt, Sabina (Hg.): Bild und Stimme. München: eikones 2011, S. 49–65.

Collins, Karen; Wharton, Alexander: Subjective Measures of the Influence of Music Customization on the Video Game Play Experience: A Pilot Study, Kopenhagen: 2011. http://gamestudies.org/1102/articles/wharton_collins [12.02.2019]

Collins, Karen: Making gamers cry. In: Proceeding AM '11 Proceedings of the 6th Audio Mostly Conference A Conference on Interaction with Sound, New York: ACM 2011, S 39-42.

Collins, Karen: Game Sound. An Introduction to the History, Theory and Practice of Video Game Music and Sound Design, Cambridge Massachusetts: MIT Press 2008.

Csíkszentmihályi, Mihály: Das flow-Erlebnis. Stuttgart: Klett-Cotta 1985.

Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.

Flückiger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg: Schüren 2002.

Jørgensen, Kristine: Audio and Gameplay: An Analysis of PvP Battlegrounds. In World of Warcraft, Game studies. The international journal of computer game research, volume 8 issue 2, 2008. http://gamestudies.org/0802/articles/jorgensen [12.02.2019]

Jørgensen, Kristine: Left in the dark. In: Collins, Karen (Hg.): From Pac-Man to Pop Music. Interactive Audio in Games and New Media, Cornwall: Ashgate 2008, S. 163–176.

Jørgensen, Kristine: What are Those Grunts and Growls Over There? Computer Game Audio and Player Action, Ph.D. dissertation. Department of Media, Cognition and Communication, Copenhagen University, 2007. http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.712.8909&rep=rep1&type=pdf [12.02.2019]

Stingel-Voigt, Yvonne: Soundtracks virtueller Welten: Musik in Videospielen, Glückstadt: vwh 2014.

Stingel-Voigt, Yvonne: Funktionen von Sound in Computerspielen. In: Thon, Jan-Noël; Wilke, Thomas (Hg.): Sound in den Medien/Sound across Media, Berlin: Peter Lang 2017, S. 163-183.

Zumbansen, Lars: Dynamische Erlebniswelten. Ästhetische Orientierungen in phantastischen Bildschirmspielen. München: kopaed 2008.

Artikelbild

Foto: Marc Voigt

  1. Collins: Subjective Measures of the Influence of Music Customization. 2008, S. 116.[]
  2. Jørgensen: What are Those Grunts and Growls Over There? 2007, S. 107.[]
  3. Zumbansen: Dynamische Erlebniswelten. 2008, S. 138.[]
  4. Vgl. Stingel-Voigt: Funktionen von Sound in Computerspielen. 2017.[]
  5. Ninja Theory: Hellblade: Senua’s Sacrifice. Cambridge: Ninja Theory 2017.[]
  6. Namco: Donkey Konga. 2003.[]
  7. SIE Japan Studio: Vib Ribbon. 1999.[]
  8. Vgl. beispielsweise Small Fish, Kammermusik mit Bildern für Computer und Spieler von Kiyoshi Furukawa, Masaki Fujihata und Wolfgang Münch.[]

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Spiele: 

So zitieren Sie diesen Artikel:

Schröder, Julia H.Stingel-Voigt, Yvonne: "Editorial: Sonderausgabe „Das Ohr spielt mit - Klang im Computerspiel"". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 20.02.2019, https://paidia.de/editorial-das-ohr-spielt-mit/. [21.11.2024 - 12:01]

Autor*innen:

Julia H. Schröder

Julia H. Schröder (Dr. phil.) ist Musikwissenschaftlerin mit folgenden Forschungsschwerpunkten: zeitgenössische Kunstmusik, Klangkunst und Sound Studies. Nach Forschungs- und Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten ist sie seit Mai 2018 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsprojekt ARS – CUPRAS an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und lehrt am Masterstudiengang Sound Studies and Sonic Arts der Universität der Künste Berlin.

Yvonne Stingel-Voigt