Mythischer Gegenstand unverkäuflich: Zum mythischen Gegenstandsbewusstsein als Verbindung zwischen Mittelalter und Computerspiel
Unmögliche Dinge
Gemeinsam mit (philologischen) Nachbardisziplinen hat auch die Altgermanistik in den letzten Jahren vermehrt den Blick auf die narrative Bedeutung von Dingen in Texten gelenkt. Materialität und agency stehen dabei häufig im Fokus. Mit vergleichendem Blick auf Computerspiele, die sich einer mittelalterlich anmutenden Spielwelt bedienen, soll durch die transmediale wie transhistorische Gegenüberstellung gezeigt werden, dass Gegenstände in solchen fiktionalen Welten auch über Genre- und Mediengrenzen hinweg Strukturen aufweisen, die sich aus narrativen Traditionen speisen, die älter als das Genre selbst sind. Sowohl Avatare in Computerspielen als auch die ritterlichen Helden mittelalterlicher Erzähltexte scheinen sich dadurch auszuzeichnen, dass sie über Dinge verfügen, die auf unterschiedliche Art und Weise die Identität des Helden und sein Handeln gegenüber seiner Umwelt mitbestimmen.
Um die hier zentrale Frage genauer umreißen zu können, soll ein Gegenbeispiel zu den betrachteten Fällen herangezogen werden. Mary Poppins zieht zum Erstaunen der Kinder im gleichnamigen Musicalfilm neben anderen Gegenständen eine große Stehlampe aus ihrer Reisetasche. 1 Der Film zeigt aber gerade anhand dieser Szene die Exorbitanz des Kindermädchens. Das Staunen ergibt nur Sinn, wenn es intradiegetisch eigentlich nicht möglich sein sollte, eine Stehlampe in einer Reisetasche mit sich zu tragen. Da jeder Gegenstand ähnlicher Größe den gleichen Effekt hätte erzielen können, erscheint die Leuchte in der Szene auf ihre Materialität reduziert.
Objekte können aber auch ganz anders aufgefasst werden; ihre Materialität kann hinter dem, was sie bedeuten, gerade zurücktreten. Derartige Fälle sollen in der ausgesuchten Gruppe von Texten und Computerspielen untersucht werden. Trotz gleichartiger Ausgestaltung der fiktionalen Welt, scheint es common sense zu sein, dass die beiden Medien nicht einer gemeinsamen Gattung angehören. Wir möchten jenseits dieser differenzierenden Taxonomie einen anderen Weg wählen: Über das im Medium transportierte Gegenstandsbewusstsein in Bezug auf identitätsstiftendes Potential, Materialität und (mythische) Bedeutung eines Gegenstandes soll gezeigt werden, dass jenseits jeglicher Epochen- und Gattungsgrenzen zumindest diese durch phänotypische Ähnlichkeit der fiktionalen Welt heuristisch ausgewählte Gruppe mittelalterlicher Texte und moderner Computerspiele der gleichen ‚Architextur‘ angehört – einer Architextur, die sich nicht über Paratexte oder ihr Medium, sondern über das im Medium transportierte Gegenstandsbewusstsein definiert.
Um die multimediale Zusammengehörigkeit verschiedener Spiele und Texte zum Ausdruck bringen zu können, möchten wir Genettes Begriff des ‚Architexts‘ benutzen wie Katsaridou und Thibault es vorschlagen, um die hier analysierten Verwandtschaften zu beschreiben:
The word „architext“ […] will be used to refer to a set of text pertaining to different media which, thanks to a series of isotopies […], are commonly identified as pertaining to the same genre. […]
An analytic approach to an architext can’t simply consist in pinpointing commonalities between different texts, but it must investigate both the structural and semantic features that the texts of the same architext share. 2
Zu diesem Zweck blicken wir, entgegen der Entstehungschronologie zunächst auf die Computerspiele, um anschließend auch das Gegenstandsbewusstsein mittelalterlicher Texte so zu analysieren, wie es sich modernen Rezipienten darbietet.
Methodische Einordnung
Semiotik der Dinge
Entsprechend der großen Differenz zwischen den zu untersuchenden Medien muss zur Beschreibung der materiellen Dinge, die diese präsentieren, eine möglichst allgemeine, aber gleichzeitig auch anwendungsbezogene Sprache gefunden werden.
Ähnlich wie Valentin Christ in seiner transhistorischen narratologischen Studie zu Eneasromanen, ist auch bei den hier untersuchten Beispielen davon auszugehen, dass es „eine erzählte Welt gibt, in der erzählte Gegenstände ‚real‘ sind.“ 3 Innerhalb der Narration ist die materielle Existenz der Dinge nicht zu bezweifeln. Entsprechend der strukturalistischen Aufteilung von Ausdruck/Inhalt einerseits und Substanz/Form andererseits zählt Seymour Chatman in Story and Discourse Objekte zur Ebene der Substanz des Inhalts. 4 Wie ein Medium diese Inhalte nun vermittelt, zeigt sich auf der Ebene der Substanz des Ausdrucks. 5 Mit der Repräsentation eines materiellen Objektes geht auch die Repräsentation seiner Eigenschaften einher, die sich im Begriff der Materialität bündeln:
Materialität wird meist von mechanischen Erfahrungen her gedacht, materielle Objekte sind dann solche, die man berühren, wägen, zerteilen, aufbewahren kann; materielle Objekte sind ‚im Raum‘, sie sind schwer und träge, sie sind widerständig. 6
Dass der/die RezipientIn die Dinge innerhalb der fiktionalen Welt als real akzeptiert, bedeutet auch, dass er/sie ihre Materialität anerkennen muss. Diese unmittelbare Materialität kann von Medien aber nicht eingelöst werden. Stattdessen stehen je spezifische Zeichensysteme zur Verfügung, um auf materielle Gegenstände zu verweisen. Visuelle Medien können dazu ikonische Zeichen im Sinne von Peirce nutzen. Dieser motivierten Verweisstruktur steht die arbiträre Zeichenhaftigkeit sprachlicher Symbole gegenüber: Während Ikone visuelle Charakteristika ihrer Signifikate aufnehmen können, evozieren sprachliche Zeichen aufgrund ihrer Arbitrarität ausschließlich mentale Repräsentationen, die nicht mit ihrer ikonischen Darstellung um Deutungshoheit konkurrieren können. 7 Jenseits der Diskussion, inwieweit Computerspiele überhaupt narrative Medien sind, darf nicht vergessen werden, dass unabhängig davon Texte (jeglicher Epoche) und Computerspiele grundlegend unterschiedliche semiotische Systeme nutzen (symbolisch vs. ikonisch), um ihre Inhalte zu transportieren. Entsprechend der pragmatischen Prämisse Christs zur als real anzunehmenden Dinglichkeit in der fiktionalen Welt, blendet die Substanz des im Ausdruck vermittelten Inhalts die Zeichenhaftigkeit der fiktionalen Welt gerade aus. In den vorliegenden Texten und Spielen aber kann eine besondere Hervorhebung der Zeichenhaftigkeit gerade die dingliche Faktizität untergraben.
Mit der Überschreibung oder Übercodierung eines Zeichens beschäftigt sich auch Roland Barthes in Mythen des Alltags. Durch Überdetermination kann ein Objekt mythisiert werden. 8 Zur Formalisierung dieses Befundes greift Barthes auf de Saussures klassischen Zeichenbegriff zurück. Mythos besteht nun darin, dass das Zeichen nicht nur die Korrelation von Signifikat und Signifikant darstellt, sondern seinerseits wieder als Signifikant fungiert. In einem derartigen „sekundäre[n] semiologische[n] System“ 9 entsteht der Mythos als Bedeutung der Verbindung von primärem Zeichen als sekundärem Signifikanten und zusätzlichem Signifikat. 10 Die semiologische Analyse zeigt sich offen für die gleichzeitige Einbindung eines Gegenstandes in mehrere Bedeutungszusammenhänge und ermöglicht die Beschreibung struktureller Zusammenhänge einer fiktionalen Welt ungeachtet ihrer Medialität.
Vergleichbarkeit der Medien
Die Verwendungsmöglichkeiten von Gegenständen in fiktionalen Welten lassen sich nun mithilfe semiotischer Codierungsprozesse beschreiben. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die auf einen festgeschriebenen Zweck im Plot hin determinierte Verwendung eines Gegenstandes als semiotische Übercodierung beschrieben werden kann. Ist der Gegenstand nicht Bedeutungsträger in einem sekundären semiotischen und damit mythischen System, erleichtert dies die Imagination seiner Materialität. Denn für eine sinnvolle Rezeption der Spielwelt müssen die Gegenstände, wie Christ es bereits formuliert hat, nicht auf ihren epistemologischen Stellenwert hin untersucht, sondern als Material verstanden werden. Wird die ‚unmittelbare Vermittlung‘ der Materialität durch ein einfaches Zeichensystem jedoch durch ein sekundäres semiotisches System – eine mythische Bedeutung – überschrieben, verschiebt sich der Fokus auf die Funktion des Gegenstandes als Bedeutungsträger und weg von der Materialität.
Diese Funktion kann in einem Computerspiel narrativ prädeterminiert oder der ludischen Entscheidungsfreiheit des Spielers/der Spielerin untergeordnet sein. Jan-Noël Thons Zusammenführung narrativ-prädeterminierter und kontingent-ludischer Elemente der Interaktion von Avatar und Spielwelt zeigt, dass sich Nachvollzug narrativer Linearität und ludische Entscheidungsfreiheit als Kategorien zur Beschreibung von Welterfahrung im Computerspiel ergänzen anstatt zu konfligieren. 11 Ein Text hingegen kann kein ludisches, noch nicht in seiner Bestimmung determiniertes Objekt enthalten. Dennoch kann ein Ding im literarischen Text so wahrgenommen werden, als sei sein Gebrauch noch nicht determiniert, als müsse seine Bedeutung noch kausal bestimmt werden, anstatt final in den Textverlauf eingebunden zu sein. 12 Der ludischen Freiheit im Computerspiel entspricht somit im literarischen Text die Wahrnehmung narrativer Bedeutungslosigkeit, die nicht dasselbe ist wie ludische Freiheit, aber Bedingung der Möglichkeit dieser Freiheit.
Gegenstände in Computerspielen
Rolle und Verortung des Inventars im Spielgefüge
In Third-Person-Rollenspielen kann der Avatar durch den/die SpielerIn auf unterschiedliche Art und Weise ausgestaltet werden. 13 Als Schablone einer Charakterausgestaltung besitzt der Avatar den ästhetischen Wert eines zu gestaltenden Objektes. Dieses ästhetische Potential zeigt sich besonders an der Darstellung des skill grid des Avatars (Abb. 1). Denn das Bestehen in der fiktionalen Welt hängt von den Fähigkeiten der Helden ab. Diese werden durch die Darstellung eines ‚mehr oder weniger‘ oder der binären Option ‚erworben/nicht erworben‘ in der dinglichen Metaphorik von Besitz repräsentiert.
Ebenso wie ‚Stärke‘, ‚Feuerball‘ oder ‚Schleichen‘ im hier gewählten Beispiel Risen 14 Fähigkeiten sein können, die im Laufe der Avatarbiographie angesammelt werden (Abb. 1), so bildet auch das Inventar in den meisten Fällen ein Panoptikum von Erworbenem, das aufzusammeln der/die SpielerIn beschlossen hat. 15 Häufig beginnen Spiele mit markanten Einschnitten in der Biographie des Avatars, sodass das Spielgeschehen nicht ein einfaches Anknüpfen an bisheriges ist, sondern ein deutlich markierter Startpunkt: (Missglückte) Schiffspassagen oder Gefängnisse sind dankbare Ausgangspunkte, um den Helden bei null beginnen zu lassen. 16 Dementsprechend ist auch das Inventar meist leer, sowohl ludische als auch narrative Prozesse müssen erst noch durchlaufen werden, damit sich das Inventar füllt. Es wird sich zeigen, dass dieses Füllen sowohl die freie Charaktergestaltung als auch die Progression des Narrativs ermöglicht.
Den zu füllenden ‚Container-Oberflächen‘ Inventar und skill grid liegt somit das Prinzip der Akkumulation zugrunde. 17 Im Falle der Charaktereigenschaften handelt es sich um das Aufhäufen verschiedener Fähigkeiten, das dreifach Sinn erfüllen kann. Gleichförmige Motivationen ließen sich auch für die ebenfalls auf Akkumulation aufbauenden Inventare beschreiben: Neben der (1.) narrativen Funktion, dass Dinge für Quests entscheidend sein können, steht (2.) die ludische Dimension des besseren Bestehens in der Welt durch bessere Ausrüstung: 18
[…] the player is often encouraged to collect various objects that are used to enhance the avatar or gameplay, to help in solving puzzles, or to aid in ultimately “winning” the game. 19
Neben dieser instrumentalen Sicht auf Dinge als Werkzeuge fragen Consalvo und Dutton nach der dritten Motivation, die für die vorliegende Betrachtung ebenfalls von Bedeutung ist: „Is the player encouraged to collect ‘stuff’ for the sake of having it, or is there utility in most objects?“ 20 Alle drei Motivationen – narrativ, ludisch und akkumulierend – sollen im Folgenden mit einbezogen werden.
Ding und Avatar I – Das Erlangen
Das Erlangen eines Gegenstandes ist stets ein Akt der Interaktion mit der Spielwelt. 21 In den meisten Fällen wird das materielle ‚In-der-Spielwelt-Sein‘ des Gegenstandes aber bereits mit einer Form von transgredienter Markierung verbunden. Gelangt der Avatar beispielsweise in einem Spiel wie Gothic 22 oder auch The Witcher 23 in die Nähe eines einsammelbaren Objektes, erhält dieses einen Schriftzug, der es identifiziert, und wird gleichzeitig heller (Abb. 2).
Beides sind Mechanismen, die nicht intradiegetisch erklärbar sind und als Formen von extradiegetischem Interface der Spielpragmatik zugeschrieben werden müssen. Interface wird hier verstanden
as any on-screen information that provides the player with information concerning the life, health, location or status of the character(s), as well as battle or action menus, nested menus that control options such as advancement grids or weapon selections, or additional screens that give the player more control over manipulating elements of gameplay […]. 24
Die aufleuchtende Schrift in Gothic oder The Witcher wäre demnach ein Element des Interfaces, das nicht Teil der Diegese ist, bei der Orientierung in dieser aber weiterhilft. Gegenstände werden somit zu ‚Points of Interest‘, die vom Avatar angesteuert werden können. Ihre Größe ist dabei irrelevant, ein Griff genügt, um einen Pilz oder auch eine Rüstung gleichermaßen einzustecken. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob es sich um einen natürlichen Gegenstand wie eine Pflanze oder um ein Artefakt handelt. 25 Bereits der Prozess des Entfernens aus der Spielwelt ereignet sich auf einem anderen Level als auf dem der Materialität der Gegenstände. Gerade durch Markierungen wie Beschriftung oder Aufleuchten wird die semiotische Konstruiertheit der Objekte hervorgehoben. Die direkte Kenntnis des Namens des Dinges zeigt die Möglichkeit an, die Gegenstände in ein Inventar einzuordnen. Die trägerlose Schrift ist kein Element der Diegese, somit auf dieser Ebene ein Immersionsbruch, hilft aber dennoch der Orientierung in der Spielwelt. Die Beziehung zum Gegenstand wird von der räumlichen Immersion 26 auf die Ebene des Interface verlagert, durch das der/die SpielerIn Kontrolle über die Diegese ausübt. Aufgrund dieser Verlagerung aus der Diegese heraus verwundert es auch nicht, dass ansonsten sehr detailfreudige Spielreihen wie The Elder Scrolls nicht einmal den graphisch umgesetzten Griff zum Gegenstand kennen, 27 sondern das ‚Objekt der Begierde‘ nur in den Interaktionsbereich des Avatars eintreten muss, um es mit einem Mausklick aufzusammeln. 28
Die Materialität der Gegenstände wird zwar nicht aufgehoben, doch wird die Konsequenz der bloßen Materialität durch die extradiegetische Markierung ihrer exponierten Zeichenhaftigkeit überformt. Damit dient die Darstellung eines Objektes als einsammelbares Ding gerade durch die Reduktion des Immersionspotentials zweifach der Komplexitätsreduktion: 29 Erstens wird das Handeln des Avatars gegenüber dem Gegenstand erleichtert, da nun über alle Gegenstände in gleicher Weise verfügt werden kann. Diese Komplexitätsreduktion findet auf diegetischer Ebene statt, denn auch alle NPCs könnten auf die gleiche Weise mit Gegenständen umgehen. 30 Die zweite Form der Vereinfachung hingegen hat metaleptischen Charakter: 31 Benennung und Aufleuchten signalisieren dem/der SpielerIn, welche Dinge in der Umwelt überhaupt relevant sein können. Erst aufgrund dieses Wissens, das auf der Ebene des Interface generiert wird, lässt der/die SpielerIn den Avatar innerhalb der Diegese handeln. 32 Gegenstände, die zur Interaktion zur Verfügung stehen, bilden die direkte Verbindung zwischen dem Avatar und der Spielwelt. Daher erscheint es nur logisch, dass sich an ihnen das Reibungspotential von räumlicher Immersion und auf Komplexitätsreduktion angewiesene Spielpragmatik am deutlichsten kristallisiert.
Ding und Avatar II – Das Ding im Inventar
Nach der Aneignung, die auch im Beispiel Risen durch die metaleptische Markierung getriggert wurde, ist das Objekt im Inventar des Helden einsehbar. Weder der/die SpielerIn noch NPCs sehen die Ausdehnung des Inventars innerhalb der Diegese, erst als Interface wird es für den/die SpielerIn einsehbar. Consalvo und Dutton stufen alle Formen von extradiegetischen Interfaces – also auch das Inventar – als eigene, zu analysierende Kategorie eines Computerspiels ein. 33 Das Einsehen des Inventars findet ohne Ausblendung der Spielwelt statt (Abb. 3).
Risen bindet innerhalb der Interface-Ebene das Inventar durch ein Rucksack-Zeichen ikonisch wieder an die Diegese (Abb. 4a, b). 34 Somit wird das ikonische Zeichen des Inventars zum Ikon für etwas, das eine sinnvolle Referenz in der Welt des Spielers/der Spielerin aufweist, aber nicht in der Spielwelt repräsentiert wird. Möglich ist diese ‚referenzlose Ikonizität‘ im Spiel aber nur, weil die ikonische Zeichenhaftigkeit der Gegenstände ihre Materialität im Inventar nun gänzlich überschreibt. Gothic oder Risen gewähren dem/der SpielerIn ein unbegrenztes Inventar, sodass Gegenstände weder Gewicht noch Ausdehnung haben. Repräsentiert werden alle Gegenstände jeweils über ein Abbild, die Bezeichnung sowie eine kurze Beschreibung der Eigenschaften. Das Inventar ist somit ein Verzeichnis Peirce’scher Ikone. 35
Eine Abwertung der untersuchten Computerspiele aufgrund von verfehlter Mimesis 36 soll damit jedoch in keinem Fall impliziert werden. Wie aber lässt sich die Bereitschaft der SpielerInnen erklären, sich trotz aller Widerstände gegen die realweltliche Physik auf die alteritäre Spielwelt 37 als Simulationsraum einzulassen, während das Inventar als Interface doch einen klaren Immersionsbruch bedeuten würde? Jan-Noël Thon hat das Konzept der Immersion für Avatar-basierte Computerspiele ausdifferenziert und in die Kategorien der räumlichen, ludischen, narrativen und sozialen Immersion aufgeteilt. Objekte gehören genuin der räumlichen Ebene an: „The level of spatial structure refers to the game space and the objects therein.“ 38 Zwar ist auch die ludische Immersion primär diegetisch gedacht: „The level of ludic structure refers to the rules of the game as well as their effects.“ 39 Eine Ausweitung auf die von Consalvo und Dutton beschriebene Interface-Ebene kann jedoch helfen, das hier vorgestellte Problem zu lösen: 40 Dass sich unmöglich viele Gegenstände herumtragen lassen, ist nicht Teil der räumlich-gegenständlichen, wohl aber der ludischen Immersion, also Teil des konzeptuellen Rahmens der Interaktion mit der Spielwelt. Die zeichenhafte Konsistenz der Dinge als Teil der Regelhaftigkeit der Spielwelt hegt den Bruch der räumlichen Immersion und damit die Suspendierung materieller Mimesis ein.
Ding und Avatar III – Der Gebrauch
In den bisherigen Analysen ist gezeigt worden, inwieweit sich die Materialität der ludischen Pragmatik unterordnet und somit die eigentliche Spielmechanik überhaupt erst ermöglicht wird. Am Beispiel von Risen soll nun noch gezeigt werden, wie innerhalb des Inventars ludische durch narrative Elemente überschrieben werden können. Denn ein angeeignetes Ding muss nicht zur vollends freien Verfügung stehen, was sich besonders an Ursegors Rüstung in Risen zeigen lässt.
Im vierten Akt des Spiels ist der Held aufgefordert, die Rüstungsteile des Titanenlords Ursegor zusammenzusuchen, um damit dem Endgegner entgegenzutreten. Hat der Held eines der Rüstungsteile eingesammelt, kann er dies jedoch nicht nutzen, solange die Rüstung nicht vollständig ist. Auch hier wird die Materialität, beziehungsweise die freie Funktionalität der Rüstung überschrieben – als besonders gutes Item könnte ein einzelnes Teil dem Helden ansonsten auch vorher schon helfen. 41 Betrachtet der/die SpielerIn die Gegenstände im persönlichen Inventar, so tragen sie zwar die exzeptionellen Namen, durch die sie individualisiert werden, andererseits ist ihnen eine vollkommen neutrale Beschreibung beigegeben, die über Schutz-, Schadens- und Goldwert informiert. Letzterer ist aber noch kein Indiz für die tatsächliche Verkäuflichkeit. Die Bestandteile von Ursegors Rüstung haben zwar einen Goldwert, alle anderen Gegenstände tragen jedoch zusätzlich zu diesem einen (niedrigeren) Verkaufswert. 42 Ursegors Rüstung fehlt dieser Verkaufspreis, an derselben Stelle ist nur der Hinweis „unverkäuflich“ eingeblendet (Abb. 5a, b).
Alternative Mechanismen finden sich auch in anderen Spielen: Gothic 3 integriert unverkäufliche Gegenstände ins Inventar, nicht aber in die Interaktion mit Händlern, Two Worlds II 43 zeigt keinen Preis an und bei den Spielen der Assassin’s Creed-Reihe werden Quest-Items gar nicht in das Inventar der Gebrauchsgegenstände integriert. Überhaupt einen ‚Preis‘ anzunehmen, der nicht als reiner Kaufpreis gedacht ist, entspricht nicht dem modernen ökonomischen Denken. 44 Die Anzeige des Goldwertes postuliert eine gewisse Homomorphie mit verkäuflichen Gegenständen, dass beide Gruppen also potentiell der Kategorie des Bewertbaren zufallen. In der praktischen Einbettung in die Spielwelt besteht der Unterschied zwischen Quest-Items und ‚normalen‘ Gegenständen aber weiterhin. Die Annahme eines Preises, der nicht an der Tauschbarkeit orientiert ist, sondern dem Gegenstand inhärent ist, findet sich bei Marx, 45 aber auch in scholastischen, mittelalterlichen Diskussionen zum ‚iustum pretium‘, dem gerechten Preis, der für einen Gegenstand gefordert werden könnte. 46 Der Versuch der Überbrückung des Unterschieds zwischen unikalen Quest-Items und austauschbaren Gegenständen basiert somit auf einem ökonomischen Wertverständnis, das mit mittelalterlichen (zumindest scholastischen) Wertvorstellungen kompatibel ist, moderne Mechanismen der Wertkonstruktion aber gerade konterkariert.
Manche Spiele stellen den Unterschied zwischen ökonomisch oder narrativ einsetzbaren Gegenständen aber auch gerade heraus. Einen besonderen Weg wählt The Witcher. Neben dem räumlich begrenzten Inventar der nicht-questgebundenen Gegenstände, verfügt der/die SpielerIn über eine beliebig große Inventar-Einheit mit der Beschriftung „Quest-Gegenstände“ (Abb. 4b). Die narrative Übercodierung wird beispielhaft deutlich am Trank zur Heilung Triss Merigolds, dem ersten Quest-Gegenstand, den der Held Geralt im Inventar hat. Beschrieben wird dieser Trank jedoch nicht wie andere Tränke damit, dass er Vitalität oder Gesundheit wiederherstellen könnte, sondern mit seiner questgebundenen Übercodierung: „Effekte: Der Trank ist für Triss bestimmt und hat keine andere Verwendungsmöglichkeit.“ 47 Dass diese Art von Gegenstand im einzigen gänzlich unbeschränkten Teil des Inventars angezeigt wird, verdeutlicht, dass die narrative Einbindung, die einer mythischen Übercodierung im semiotischen Sinne entspricht, die Gegenstände auf ihre zeichenhafte Bedeutung reduziert und die Materialität somit gänzlich überschrieben wird.
Die Rüstung Ursegors in Risen unterscheidet sich folglich dadurch von allen anderen Rüstungen, dass sie neben ihrer einfachen Zeichenfunktion auch Bedeutung hat und somit mythisch ist. Die Verwendungsmöglichkeiten sind zugleich stark eingeschränkt, weil der Gegenstand nicht nur entsprechend seiner Zeichenhaftigkeit (primäres semiotisches System), sondern nur innerhalb des sehr viel engeren Rahmens seiner Bedeutung gebraucht werden kann (sekundäres semiotisches System). Entsprechend sind die Beschreibungen der Rüstungsteile im Inventar auf die Identität des Gegenstandes gerichtet: „Der Schild des Titanenlords“ usf., da der zwingende Verwendungszweck nicht diskursiviert werden muss. 48 Dinge, die nicht an den Hauptquest gebunden sind, können hingegen zum einen verkauft werden, zum anderen ist ein Gebrauchshinweis oft Teil ihrer Beschreibung. So tragen Edelsteine den Vermerk, bei „Goldschmieden gefragt“ zu sein, während Pokale, Kerzenständer oder Teller mit dem allgemeinen Verweis beschrieben sind, Händler gäben „gutes Gold dafür“. Die mögliche Veräußerung aus ökonomischen Gründen ist diesen Gegenständen also bereits eingeschrieben. Dadurch werden sie austauschbar, beziehungsweise ‚un-bedeutend‘. Zudem ordnen sich dieserart ‚unbedeutende‘ Gegenstände der ludischen Identitätskonstruktion des Avatars unter, anstatt diesem ihre eigene narrative Logik aufzuzwingen. Der namenlose Held in Risen erlangt beispielsweise im Laufe des Spiels mehrere Ringe, die ihm die im skill grid einsehbare Fähigkeit „Akrobatik“ verleihen. Die Verwendung des Ringes wird durch die Bedürfnisse des Spielers/der Spielerin motiviert, nicht durch die narrative Notwendigkeit des Rings entsprechend einer mythischen Bedeutung. Nicht-narrative Gegenstände dienen der freien Gestaltung des Avatars, also seiner Identitätskonstruktion durch den/die SpielerIn, sind aber nicht notwendig, sondern reversibel und der Ersetzbarkeit durch andere Gegenstände ausgesetzt.
Anhand der unterschiedlichen Einbettungen der Gegenstände im Inventar – in narrative Prädetermination oder ludische Entscheidungsfreiheit – lässt sich die Trennung zwischen einfach Zeichenhaftem und mythisch Bedeutendem nachvollziehen. Dies unterstützt den Befund, dass dem Spieler/der Spielerin durch die Struktur des Spiels eine spielregelbezogene und semiotische Immersion eher nahegelegt wird als die räumliche. Die semiotische Konsistenz der Dinge als Zeichen überschreibt die in ihrer Entmaterialisierung wahrnehmbare räumliche Inkonsistenz durch narrativ-bedeutende Einbettung.
Abschließend soll noch eine Verwendungsmöglichkeit narrativ unbedeutender Gegenstände aufgezeigt werden, die in Risen nicht derart ausgestaltet wird. Wie bereits beschrieben, kann das Füllen des Inventars eine für sich stehende Handlungsmotivation darstellen – „for the sake of having it“. Spiele wie Assassin’s Creed II oder The Witcher III 49 führen eine besonders starke Ausprägung dieser Motivation vor. In beiden Spielen verfügt der Avatar über ein Haus, das zum Ort der Rematerialisierung der gesammelten Dinge werden kann. Die Vitrinen, Regale und Rüstungsständer dienen ausschließlich zur Ausstellung gesammelter Dinge, besonders prominent gesammelter Rüstungen und Waffen (Abb. 6, 7). Hier ausgestellte Dinge werden nicht einfach in die Spielwelt reintegriert, sondern haben durch den Aneignungsprozess eine Transformation durchlaufen, ihre „Objektbiographie“ ist an einem neuen Punkt angelangt. Dinge in diesen Häusern gehören weiterhin so zum Helden wie Dinge im Inventar. 50
Wie das Ausstellen in einer Vitrine die Biographie eines Objektes beenden kann, 51 so haben auch diese rematerialisierten Ausrüstungsgegenstände in beiden Spielen zu einer endgültigen Verwendung gefunden, wodurch sie nicht mehr beliebig gegen andere Dinge ausgetauscht werden können. Die Gesamtheit der bloß zeichenhaften Objekte ist zu einer mythisch-bedeutenden geworden. Das ökonomisch-akkumulierende Modell des Sammelns – „for the sake of having it“ – ist in eine ästhetische Sammlung von Unikaten überführt worden. 52 Zusammen bedeuten die unikalisierten, da zur Rematerialisierung ausgewählten Gegenstände nun die Gesamtheit der ludischen Entscheidungen, die zu diesen ursprünglich austauschbaren Gegenständen geführt haben. Was jedoch im Spielverlauf paradigmatisch-ludisch war, wird nun in die Repräsentation des Syntagmas der Avatarbiographie überführt. Konsistent geht diese Überführung des Austauschbaren ins Mythische 53 mit der Ersetzung der ludischen Freiheit durch die retrospektiv narrative Bündigkeit der Avatarbiographie einher.
Die Analysen der ausgewählten Spiele legen nahe, dass narrative Einbettung und mythische Bedeutsamkeit der Gegenstände nach Barthes immer kongruent bleiben. Diese Aufteilung der Objekte in zwei Klassen (bedeutend und un-bedeutend), 54 die das räumliche Immersionspotential aus Sicht eines modernen Rezipienten erschweren würde, wird durch die Entmaterialisierung und damit einhergehende ikonische Zeichenhaftigkeit der Dinge überschrieben. Dabei unterscheiden sich die Spiele in der Art, wie die Probleme der Gegenstandskonstruktion angegangen werden; besonders Gegenstandswert, Gebrauchsmöglichkeiten und die ‚materielle Flexibilität‘ bewegen sich dabei in einem gegenüber der Rezipientenrealität inkonsistenten Möglichkeitsraum und erscheinen somit in einem gegenständlichen „Heteronomie-Status“. 55
Gegenstände in der Literatur
Ding und Held I – Das Erlangen
Mittelalterliche Helden können dem/der RezipientIn ebenfalls als Hybride von Eigenschaften und zugehörigen Dingen begegnen.
Auch hier zeichnet sich das Ding eher durch Bedeutung (dazu zählt auch Funktionalität) für den Träger, als durch ökonomischen Wert aus. 56 Wie im Computerspiel verfügt der Protagonist über Dinge, die entweder in ihrem Gebrauch prädeterminiert sind, oder über solche, deren Gebrauch im Verlauf des Textes noch eruiert werden müssen.
Grundsätzlich gibt es in den drei untersuchten Texten (Otnit, Eckenlied 57 und Wigalois) drei unterschiedliche Wege, auf denen der jeweilige Held an Dinge gelangt:
- Der Held wird mit Hilfsmitteln ausgerüstet, um danach auf Aventiure zu gehen und sich im Kampf zu beweisen. Eine Ausrüstung kann dabei in ein Ritual, z.B. die Schwertleite, eingebettet werden und zum allgemeinen Schutz dienen, wie im Wigalois, dessen gleichnamiger Protagonist den Zaubergürtel seines Vaters erbt, um sicher vor aller nôt (Wig 1366) 58 zu sein. Sie kann aber auch zielgerichtet für einen bestimmten Kampf mit einem bereits feststehenden Gegner erfolgen: Wigalois erhält Wunderblume und Lanze, die gezielt im Kampf mit dem Drachen Pfetan, also in der Funktion eines Quest-Items, nützlich sein werden (vgl. Wig 4736-4774). 59 Auch Otnit erhält die unzerstörbare Rüstung sowie die Hilfe seines Zwergenvaters Alberich für das Vorhaben der gefährlichen Brautwerbung genau rechtzeitig (vgl. Ot 111,1-120,4) 60. Dabei muss die Ausrüstung nicht nur zum Schutz des Helden erfolgen, sondern kann gleichzeitig auch als Lohn für die bevorstehenden Dienste fungieren. So erhält Ecke die beste Rüstung von Seburg, damit er ihren Auftrag erfüllen und Dietrich zu ihr bringen kann (vgl. E2 19,6-24,13) 61. Der Gegenstand ist somit zum einen Garant für den Erfolg ihres Boten und damit ebenfalls ‚Quest-Item‘, zum anderen kontingent einsetzbarer Lohn für die bevorstehende Aufgabe. 62
- Dinge können als Gaben eingesetzt werden. Wigalois erhält von Larie, bevor er sich auf den Weg macht, Korntin zu befreien, eine seidene Tasche, in der sich ein Wunderbrot befindet, das mit einem kleinen Bissen eine Woche sättigt. Das Brot hat zunächst einmal eine ganz praktische Überlebensfunktion, die nicht an eine bestimmte Aufgabe gebunden ist, wird aber jenseits davon (wie noch zu zeigen sein wird) im Moment der Not des Helden zur Quelle des Trostes und der Rettung. 63
- Dinge können durch Kampf oder Wettstreit erobert werden. Wigalois erlangt verschiedene Dinge in einer Reihe paradigmatischer Bewährungsaventiuren, mit denen er die Botin Neraja von seiner ritterlichen Tauglichkeit überzeugt. Die eroberten Dinge, Papagei und Pferd, werden bei seiner Ankunft in Roimunt zum Beweis seiner Erfahrenheit als Ritter (Wig 3958-3962). 64 Ebenso wie in den besprochenen Computerspielen geht mit der Akkumulation von Dingen eine Progression der Heldenentwicklung einher; wobei ein Ansammeln von Dingen nur um des Sammelns Willen allein schon medial bedingt nicht erfolgt. Die genannten Dinge haben dabei oft eine herausragende Attribuierung. Ihnen wohnen besondere Fähigkeiten inne und/oder entstammen einer Anderwelt, so wie Otnits Rüstung, die Alberich aus der stainwant hervorholt. 65 Die Blüte vom Wunderbaum im Wigalois entstammt dem paradiesischen Anger inmitten eines Fegefeuers, 66 seine Lanze wurde von einem Engel ebenfalls dort zurückgelassen. Der materielle Wert tritt hinter semiotischer Bedeutung, die sich aus magisch Wundersamem und/oder christlicher Konnotation generiert, zurück und wird von der Objektbiographie überlagert. 67
Wie die Beispiele verschiedener Aneignungswege zeigen, determiniert die Art und Weise des Erlangens bereits narrative Entfaltungsmöglichkeiten. Das Wissen um die Besonderheit eines Gegenstandes wird auf unterschiedlichen Ebenen der Narration präsentiert: Alberichs Beschreibung der unzerstörbaren Rüstung lässt keine Zweifel daran, dass es niemals eine bessere gegeben habe (vgl. Ot 111,3-117,4 und 177,1-182,1). 68 Als Seburg dieselbe Rüstung später an Ecke vergibt, findet sie in ihm bereits ihren dritten Träger. Seburg lobt die hervorragende Qualität der Rüstung, referiert ihre dingliche Biographie und erinnert somit an die berühmten vorherigen Besitzer Otnit und Wolf Dietrich (vgl. E2 21,1-23,13). Damit ruft sie gleichzeitig aber auch „signifikante Stationen ihres Versagens“ 69 ins Gedächtnis, wodurch die Handlung bereits präfiguriert wird. Eine unzerstörbare Rüstung ist offenkundig noch lange kein Erfolgsgarant. Eckes Rüstung suggeriert zunächst einmal Schutz vor Gefahren der Außenwelt, doch mit dem Aufzeigen ihres Scheiterns bedeutet sie auch Gefahr und Tod. Ein Spannungsmoment der Erzählung liegt somit in der Überdetermination dieser Rüstung, die als mythischer Gegenstand im Sinne Barthes‘ überschüssige Bedeutung durch die objektbiographischen Konnotationen trägt und damit die Heldenbiographie determiniert.
Der eigentliche Wert dieser Rüstung, sowohl für den Helden als auch in ihrer präfigurativen Funktion für die Narration, liegt dabei eben in dieser Objektbiographie begründet. Obwohl der Betrag, den die Königin Seburg für den Erwerb zahlen musste (fünfzigtausend Mark, vgl. E2 22,12f.), von dieser explizit genannt wird, macht die Fixierung eines Preises die Rüstung nicht verkäuflicher. 70 Dass ein Held seine Rüstung kauft oder gar verkauft, scheint geradezu undenkbar. Der käufliche Erwerb der Rüstung wird zum einen durch Seburgs Position als Nicht-Trägerin der Rüstung und zum anderen durch das Moniage-Ende Wolf Dietrichs ermöglicht (und überhaupt erst notwendig). 71 Die Objektbiographie drohte zum Stillstand zu gelangen, der Rüstungsgegenstand wird durch sein Brachliegen im Kloster aus dem heldischen ideellen Wertverständnis herausgehebelt und tritt stattdessen kurzeitig in ein profanes ökonomisches Wertesystem ein. Mit dem Weitergeben an Ecke bindet Seburg den Gegenstand dann als Lohn für die zu vollbringende Heldentat zurück in das heldische Wertesystem ein. Der Kauf ist daher nicht von zeitgenössischem ökonomischen Denken geprägt, vielmehr dient er dazu, die Rüstung wieder in die heldische Handlung einzubinden, ohne dass für die Rezipienten eine blinde Stelle der Narration entstehen muss. Der hohe Preis markiert zwar ihre Besonderheit, ist für den Fortlauf der Handlung allerdings nicht von Relevanz, da die Unverkäuflichkeit für ihre Träger außer Frage steht. Bedenkt man die zumindest teilweise objektinhärente Art der Wertbestimmung im Sinne des ‚iustum pretium‘, zeigt sich auch hier entsprechend dem kulturellen Horizont des Mittelalters ein Wertbegriff, der nicht auf reziprokes Verlangen, also die Grundvoraussetzung für ökonomischen Tausch angewiesen ist. 72
Mit den Beschreibungen des Materiellen geht meist auch die Auskunft über die Wirkweise der Dinge einher. Joram bietet seinen Zaubergürtel, den später Wigalois erhalten soll, zunächst Ginover an. Er übereicht ihn, ohne näher zu erläutern, auf welche Weise der wundersame Gegenstand wirkt. Nachdem Joram wieder fortgeritten ist, fällt der Blick des Erzählers gemeinsam mit dem Ginovers auf den Gürtel: 73
der rieme was alsô getân
daz ich iu niht gesagen kann
welher hande er waere;
er was ninder laere
von gesteine noch von golde,
swer einen wünschen solde,
der würde nimmer alsô guot. 74
Der Gürtel ist zunächst einmal schön und kostbar, seine Materialität steht klar im Fokus. Gemeinsam mit Ginover, ‚betrachtet‘ auch der Rezipient den Gürtel. Als sich Ginover den Gürtel umbindet, ist sie sofort erfüllt von vreude unde wîsheit (Wig 332) 75, sie ist jeder Sprache mächtig und alle Künste sind ihr vertraut, wie der Erzähler berichtet (vgl. Wig 333-338). 76 Die Wirkung des Gürtels wird also gleichzeitig über die Erfahrung Ginovers auch für den Rezipienten offenbart. 77 Gawein und Ginover sind sich einig: Das Geschenk kann nicht angenommen werden. 78 Nachdem Joram – wie angekündigt, sollte sein Geschenk abgelehnt werden – gegen alle Artusritter siegreich gekämpft hat, 79 entführt er Gawein in sein Reich. Unterwegs schenkt er Gawein den Gürtel, der diesen nun mit Freuden annimmt. Auf männliche Träger scheint der Gürtel jedoch anders zu wirken, zumindest werden andere Schlagworte genannt: sterke und manheit (Wig 633) 80 erzeugt er bei Gawein. 81 Schreibt ein Gegenstand im Computerspiel dem/der SpielerIn vor, in welcher Weise er auf den Avatar wirkt, scheint der Gürtel des Wigalois weniger dingliche Autonomie zu besitzen: Seine Wirkung ergibt sich aus der Amplifikation idealtypischer Primärattribute, die den Figuren ohnehin zu eigen sind.
Ding und Held II – Im Besitz von Dingen
Das Erlangen von Dingen lässt sich über die oben genannten Wege narrativ recht leicht umsetzen. Zu beschreiben, wie Dinge sich im Besitz einer Figur befinden, erscheint schon schwieriger, denn Dinge in der Literatur stellen den Rezipienten vor eine besondere Herausforderung. Können Dinge im Computerspiel, der bildenden Kunst, dem Comic und anderen visuellen Medien, „im weitesten Sinne ‚materiell‘ erscheinen, so kann ein Text den Dingen keinerlei Körperlichkeit verleihen“. 82 Erst durch die Imagination der Narration durch die Rezipienten wird der Gegenstand ‚greifbar‘. Im Sinne einer konsistenten Imagination – wie Christ bemerkte, sind die medial vermittelten Dinge ja als real anzunehmen – muss der Rezipient auch die Permanenz der Dinge imaginieren: Einmal in die Erzählung eingeführt, verbleibt ein Objekt auch im Zustand der diegetischen Existenz. Ein Inventar, das abgerufen werden kann, wie etwa im Computerspiel, kann es in der mittelalterlichen Literatur mediumsbedingt nicht geben. Die Dinge, die dem Held zu eigen sind, werden daher nicht gelagert oder gar verkauft.
Über den konkreten zweckgerichteten Einsatz durch den Helden hinaus (Wigalois ersticht Pfetan mit der dafür vorgesehenen Lanze, Ecke fordert Dietrich zum Kampf heraus und ködert ihn dabei mit seiner Rüstung), werden Dinge auch auf andere Weise eingesetzt: Sie formen das Gesamtbild der Figuren. Erhält beispielsweise ein Ritter eine Rüstung, wird der Rezipient ihn idealerweise fortan mit dieser Rüstung am Körper imaginieren, ohne dass der Erzähler diese repetitiv erwähnen müsste. Qualität und Quantität der dichterischen Ausgestaltung dienen dabei zunächst – genau wie bei Figuren und Räumen auch – der genaueren Vorstellung des Beschriebenen.
Dabei ist der Gegenstand in der Vorstellung des Rezipienten permanent präsent oder kann bei akuter Relevanz für das Geschehen leicht wieder ins Gedächtnis gerufen werden. So beschreibt der Erzähler des Eckenliedes, wie der Riese Ecke, am Anfang der Erzählung von Seburg mit einer prächtigen Rüstung ausgestattet wird. 83 Ein Pferd lehnt er ab, da er zum Reiten zu ungefüege (E2 34,6) 84 sei. Scheppernd und klappernd, jedoch zugleich alsam ain lebart (E2 36,7) 85 läuft der Gerüstete zu Fuß durch den Wald, sodass jedes Tier im Umkreis aufschreckt. Das Bild eines exorbitanten Ritters, der ohne Pferd unterwegs ist, wird aufgerufen und erzeugt unweigerlich Komik. 86 Der vermeintliche Ritter ist mit seiner unzerstörbaren Rüstung bestmöglich ausgestattet, kann sich jedoch – entgegen der Grundvoraussetzung eines Ritters – nur zu Fuß fortbewegen. Die Rüstung dient in diesem Moment nicht ihrem eigentlichen Zweck, dem Schutz im Kampf gegen Feinde, sondern markiert vor allem das, was an dem Bild nicht stimmt, bzw. fehlt: ein Pferd. Die erzeugte Komik wird an dieser Stelle nicht etwa willkürlich generiert, sondern präfiguriert das, was kommen muss: Der Riese Ecke ist als Ritter nicht ernst zu nehmen. Dieser Eindruck wird in den darauffolgenden Begegnungen mit Dietrichs Gefolgsmännern bestätigt und kulminiert in der Kampfesverweigerung Dietrichs, der Ecke nicht als ebenbürtigen Gegner anerkennen will. 87 Die in der Szene entfaltete Komik kann jedoch nur entstehen, wenn auch die Imagination Eckes mit Rüstung sichergestellt ist. Über die Beschreibungen auditiver Wahrnehmungen – den Klang, den die Rüstung erzeugt – kann also garantiert werden, dass die Rüstung dem Rezipienten wieder ins Gedächtnis gerufen wurde. Die Erwähnung des Objekts ist deswegen an dieser Stelle von besonderer Bedeutung, weil sie auf das verweist, was Ecke eben nicht ist – ein Ritter. Sie steht im Gegensatz zu dem, was seinem eigentlichen Dasein als Riese entspricht. Dinge vermögen also nicht nur in ihrer konkreten Verwendung einen Zweck zu erfüllen, sondern dienen auch der Imagination und Identitätsbildung einer Figur und ihrer Eigenschaften.
Die Rüstung wird also handlungspräfigurierend eingesetzt; es kommt, wie es kommen muss: Ecke stirbt im Kampf gegen Dietrich – trotz der unzerstörbaren Rüstung. Dietrich nimmt die Rüstung als Beute an sich und bedauert, noch während er sie begeht, seine Leichenfledderei (rerop, vgl. E2 146). Das eigene Handeln reflektierend, klagt er die Königin, die Ecke ausgesandt hat, dafür an, ihn zum Mord gezwungen zu haben. Die Rüstung nimmt er als äußerliches Zeichen der Schande an sich. Ihre Bedeutung geht nun über Schutz im Kampf sowie Heldenbiographie hinaus und wird auch zum Zeichen der Schande Dietrichs und auf diese Weise mythisch überformt. 88
Nicht nur Rüstgegenstände können zeichenhaften Wert erhalten. Auch das Wunderbrot, das Wigalois von Larie erhält, geht über die praktische Funktion, die übermäßige Sättigung, hinaus. Von einem Fischerpaar ausgeraubt, bleibt Wigalois beschämt zurück und kann sich aufgrund seiner Nacktheit kaum noch an sein ritterliches Leben erinnern. Lediglich die Seidentasche mit Wunderbrot und Blume ist ihm geblieben. Doch anstatt – wie zu erwarten wäre – vom Brot zu essen, um die kräftigende und Mut machende Wirkung zu erfahren, fühlt er sich bereits durch die bloße Erinnerung an seine geliebte Larie gestärkt. Das Brot entfaltet seine Wirkung also nicht über Inkorporation, sondern bringt Heilung über die visuelle Wahrnehmung und die dadurch erzeugte Erinnerung. Die Wirkweise des Brotes ändert sich nicht, doch erhält es zusätzliche Bedeutung, über ‚Heilung und Kraft‘ hinaus und wird für Wigalois zum „Minnebrot“ 89– auch hier zeigt sich eine Verschiebung in ein sekundäres semiotisches System. Mit der Fokussierung auf den weiteren Einsatz in der Funktion des Minnebrotes, geht simultan die Veränderung der Kategorie des Gegenstandes einher. War das Brot zunächst Gegenstand mit allgemein nützlichen Attributen, so erhält es mit der konkreten Aufgabe des Drachenkampfes den Charakter eines Quest-Items. Nach diesem Einsatz und dem mitunter daraus resultierenden Sieg über Pfetan kann es wieder den allgemein nützlichen Gebrauchsgegenständen zugeordnet werden, erhält allerdings darüber hinaus im Moment der Not die Funktion des Memorialgegenstandes und stellt auf diese Weise Wigalois' Bewusstsein über seine ritterliche Identität wieder her. Die schmerzhafte Erinnerung löst bei Wigalois Wehklagen aus, das wiederum eine bereitwillige Helferin an seinen Standort führt, somit die Rettung ermöglicht und auf diese Weise den Fortlauf der Handlung garantiert (vgl. Wig 5837-5866).
Einen besonderen Fall stellt Wigalois' Gürtel dar, da er besonders durch ‚Nicht-erzählen‘ auffällt. 90 Obwohl der Gürtel die Handlung grundlegend mitgestaltet bis zu dem Moment, in dem Wigalois ihn erlangt, verschwindet er fast für die gesamte Dauer der restlichen Erzählung. Mit dem Gürtel erhält der junge Ritter den guten Rat der Mutter, er solle ihn immer im Verborgenen tragen und niemandem zeigen (Wig 1376f.). Diesen Rat beherzigt Wigalois; das Wunderding verschwindet unter seiner Rüstung und findet fortan keine Erwähnung mehr. Erst als der Gürtel dem ohnmächtigen Wigalois von der Fischersfrau geraubt wird, kommentiert der Held trauernd den Verlust und offenbart gleichzeitig erstmalig auch die Funktion, die der Gürtel für den jungen Ritter hat: wâ mit sol ich mich bewarn / sît ich den gürtel hân verlorn / den ich ze trôste hêt erkorn / zallen mînen dingen? (Wig 5997-6000). 91 Die Figurengestaltung Wigalois' als idealer Held bedingt nicht die Notwendigkeit des Hineintretens des Gürtels in die Handlung, wohl aber das Zurücktreten aus dieser. Bereits früher ist in der Forschung diskutiert worden, ob Wigalois ein idealer Held ist, oder ob die magischen Gegenstände „jeden, der sie besitzt oder benutzt […] zu einer wundertätigen Person“ machen. 92 Sandra Linden findet einen Lösungsansatz für diese Problematik, sieht den „narrativ stillgestellt[en]“ Gürtel darin begründet, dass die Wunderdinge Wigalois ihrerseits nicht in den Hintergrund drängen sollen, da sie sonst an „der glänzenden Fassade des idealen Helden […] kratzen“ würden. 93 Somit wird die Idealität des Helden durch den Besitz zwar ausgezeichnet, betont durch sein ‚nicht-erwähnt-werden‘ aber gleichzeitig auch, dass Wigalois ohne den Gürtel ein genauso guter Held wäre. 94 Begreift man Wigalois' Utensilien nicht als Grund, sondern als Zeichen seines Erfolges, nähert sich der Artusritter stark der Konzeption eines Avatars an: Ausrüstung mag entscheidende Funktionen besitzen, doch ist sie auch immer eine Form von Ekphrasis der Heldenbiographie und damit nicht-autonomes Zeichen seiner Exorbitanz.
Fazit
Im Zuge einer Zusammenführung der Ergebnisse muss vorab konstatiert werden, dass es bezüglich der Dinge in beiden Medien einen auf die ludischen Elemente der Spiele zurückzuführenden Unterschied gibt: Die Teilung in Quest-Items und solche Gegenstände, die es nicht sind, ist im Spiel leichter realisierbar. Dass Gegenstände in der betrachteten Literatur nicht einer ihnen beigegebenen Determination entsprechend genutzt werden oder überhaupt keine solche aufweisen, ist äußerst selten. Das doppelt genutzte Wunderbrot des Wigalois könnte hier als Beispiel für etwas stehen, das auch nach seiner vorgegebenen Nutzung im ‚Inventar des Helden‘ verleibt. Mittels eines semiotischen Ansatzes konnten die Gegenstände in beiden Medien allerdings in ein hinreichend abstraktes Ordnungssystem integriert werden. Aus semiotischer Sicht entscheidend ist, dass strukturelle Unterschiede die Bandbreite diegetischer Dinge organisieren: Quest-Items ‚bedeuten‘ im semiotischen Sinn mehr als andere. Dies ist natürlich kein alleiniges Kriterium bei Computerspielen, auch anhand von mittelalterlicher Erzählliteratur konnte gezeigt werden, dass der Protagonist mit einem Spektrum von Gegenständen in Berührung kommt, das von funktionaler Ausrüstung bis hin zur mythischen Überschreibung primärer Verwendungsmöglichkeiten reicht. Wie mit einem Gegenstand umzugehen ist, wirft auch die Frage auf, wie sich die Identität des Gegenstandes – beispielsweise die Biographie einer Rüstung – und die Identität von Figur/Avatar zueinander verhalten. Auf einer dritten analytischen Ebene korrelieren Identität und Verwendungsmöglichkeiten mit der Materialität eines Gegenstandes, die bei stärkerer Identität des Gegenstandes durch die Zeichenhaftigkeit desselben zunehmend überschrieben wird.
Die historischen, narrativen, medialen und pragmatischen Unterschiede zwischen mittelalterlichen Texten und Computerspielen sind grundsätzlich nicht zu negieren und auch die Bandbreite von Integrationspotentialen der Gegenstände in die präsentierte Diegese ist im Computerspiel ungleich höher. Beispielsweise erscheint das Konzept der Akkumulation in Computerspielen durch die stets aufrufbare Verfügbarkeit der gesammelten Dinge natürlicher eingebunden zu sein und auch größere Bedeutung für das Verhältnis von Umwelt und Avatar zu haben, als es in einem Erzähltext medial bedingt überhaupt umgesetzt werden könnte. Dass diese Unterschiede jedoch die Genres nicht kategorial voneinander trennen, sondern eher graduelle Ausformungen eines ähnlichen Gegenstandsbewusstseins, beziehungsweise einer ähnlichen ‚Narratologie der Dinge‘ darstellen, sollte mithilfe der Analysen gezeigt werden. Eine häufig ausschließlich im Medium der Literatur entwickelte Narratologie der Dinge kann auch dabei helfen, jenseits klassischer Genregrenzen Kontinuitäten aufzuzeigen, wobei auch die Rückübertragung von vermeintlichen Computerspielkategorien den Blick auf die Texte schärfen kann. Die jeweiligen Spiele und Texte teilen nicht nur die Ähnlichkeit, Schwerter oder Rüstungen zu repräsentieren, sondern auch das Spektrum der Repräsentationslogik dieser Gegenstände. Die Logik, die Marktwert und Preis nicht gleichsetzt, sondern, wie sowohl anhand des Eckenliedes als auch an Risen deutlich wird, gerade scharf auseinanderhält, ist vom Medium unabhängig: Ein Gegenstand kann zwar mit einem Preis versehen werden, dieser orientiert sich jedoch am inhärenten Wert der Sache und nicht an einer marktorientierten Situation von Angebot und Nachfrage. Als Bestandteile des gleichen Architexts müssen die hier vorgestellten Texte und Spiele diese marktökonomische Inkonsequenz allerdings nicht verbergen, sondern können sie als Teil ihres Gegenstandsbegriffes plausibilisieren. Da Gattungs- oder Genregrenzen diese Kontinuität nicht sinnvoll abbilden können, schlagen wir als Ergebnis der Analysen also vor, aus der Sicht eines modernen Rezipienten die Textgruppe der mittelalterlich höfischen Erzählliteratur 95 und pseudomittelalterliche Third-Person-Computerrollenspiele als Elemente einer gemeinsamen ‚Architextualität‘ zu begreifen.
Die hier eingebrachte Bedingung, dass es sich um ein und denselben Architext aus Sicht eines modernen Rezipienten handelt, ist aufgrund der weitgespannten Diachronie der Untersuchung zwingend. Ziel war es, ein Verständnis des Gegenstandsbewusstseins in den besprochenen Computerspielen zu entwickeln, das sich aus der mittelalterlichen Erzähltradition gleichartiger Objekte erklärt. Der Erkenntnisgewinn liegt also in der Herausstellung eines Objektbegriffes mittelalterlicher Narrationen, der die Logik einer im Computerspiel dargestellten Diegese mit konstituiert.
Andererseits soll der mythischen Teleologie, wie erzählte Gegenstände sie tragen, auf der Ebene wissenschaftstheoretischer Reflexion gerade eine Absage erteilt werden: Anhand von Computerspielen, die mittelalterliches Erzählen im Bereich der ‚Dingnarratologie‘ aktualisieren, kann nicht abgelesen werden, was in mittelalterlichen Texten im Sinne einer Teleologie nur noch nicht an die Oberfläche getreten wäre. Was ein derartiger Vergleich jedoch für die mediävistische Forschung leisten kann, ist ein Ausloten, wie tragfähig die von der Forschung an die Texte angelegten Kategorien sind. Der hier verwendete Begriff der Architextualität ermöglicht es, Spiele und Texte nicht als ein Genre zu begreifen, sondern als verschiedene Vertreter der gleichen narratologischen Oberkategorie, als unterschiedliche Zweige der gleichen Taxonomie. Ein genauerer und mehr Material mit einbeziehender Vergleich könnte zeigen, welche Konzepte des ‚Überbaus‘ der erzählten Objekte transhistorisch, und welche nur innerhalb eines spezifischen kulturellen Horizontes funktionieren.
Als mögliche Merkmale der in zwei Unterkategorien identifizierten Architextur kämen vorerst die großen Gemeinsamkeiten der disparaten Medien in Frage: mythische Übercodierung, Wertinhärenz oder Teleologie der Verwendung bilden aus Sicht der Mediävistik ein formendes Ordnungsprinzip, das den multimedialen Architext prägt und in Konkurrenz zu einem modernen Gegenstandsbegriff steht. Computerspiele binden dieses Gegenstandsbewusstsein neben kausaler Funktionalität in die fiktionale Welt mit ein. Dass dies den Rezipienten im Rezeptionsprozess nicht zu stören scheint, hängt mit einer gleichzeitigen Migration von ähnlichen erzählten Dingen und den dazugehörigen Dinglogiken mittelalterlicher Erzählliteratur in die Spielwelt zusammen. Jenseits einer spekulativen Rekonstruktion des mittelalterlichen Rezeptionshorizontes kann doch festgehalten werden, dass aus moderner Sicht die repräsentierten Dinge in den Texten und Spielen den gleichen ‚Heteronomie-Status‘ im Sinne Gumbrechts teilen. 96 Die besprochenen Texte und Spiele weisen ein Objektverständnis auf, dessen konsistente Strukturen nicht auf einer dinglich-räumlichen Ebene liegen. Vielmehr wird die Konsistenz der Dinge auf die Ebene eines semiotischen Immersionspotentials gehoben oder um dieses erweitert.
Medienverzeichnis
Spiele
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Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls IV: Oblivion (PC). Novato: 2K Games/Paris: Ubisoft/Rockville: Bethesda Softworks 2006.
Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls V: Skyrim (PC). Rockville: Bethesda Softworks 2011.
CD Projekt RED: The Witcher: Enhanced Edition (PC). Wahrschau: CD Projekt RED 2009.
CD Projekt RED: The Witcher III: Wild Hunt (PC). Tokio: Namco Bandai Games 2015
Piranha Bytes: Gothic (PC). Hamburg: Shoebox 2001.
Piranha Bytes: Gothic 3 (PC). Rottenmann: Jowood/Planegg: Deep Silver 2006.
Piranha Bytes: Risen (PC). Planegg: Deep Silver 2009.
Reality Pump: Two Worlds II (PC). Karlsruhe: TopWare Interactive 2010.
Ubisoft Montreal: Assassin’s Creed II (PC). Paris: Ubisoft 2009.
Warhorse Studios: Kingdom Come: Deliverance (PC). Planegg: Deep Silver 2018.
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Mittelhochdeutsche Texte
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o.A.: Otnit. Wolf Dietrich. Frühneuhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg. von Fuchs-Jolie, Stephan; Millet, Victor; Peschel, Dietmar. Übersetzung von Fuchs-Jolie, Stephan; Millet, Victor; Peschel, Dietmar. Stuttgart 2013 (RUB 19139).
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Filme
Stevenson, Robert: Mary Poppins. Walt Disney, Bill Walsh. 1964.
Artikelbild
Szene aus Stevenson, Robert: Mary Poppins. Walt Disney, Bill Walsh. 1964.
- Stevenson: Mary Poppins. 1964, Min. 28-30.[↩]
- Katsaridou; Thibault: Architextuality and Video Games: A Semiotic Approach. 2016, S. 254 f..[↩]
- Christ: Bausteine zu einer Narratologie der Dinge. 2015, S. 14.[↩]
- Dazu zählen insgesamt nach Chatman: „Representations of objects & actions in real & imagined worlds that can be imitated in a narrative medium, as filtered through the codes of the author’s society.” (Chatman: Story and Discourse. 1980, S. 24) [↩]
- Chatman: Story and Discourse. 1980. Computerspiele fallen dadurch nicht heraus. Zwar soll der Anteil ludischer Elemente nicht unterschlagen werden, dass Computerspiele aber Narration überhaupt darstellen können, kann nicht bezweifelt werden.[↩]
- Soentgen: Materialität. 2014, S. 226.[↩]
- Zur Diskussion, inwieweit auch Ikone ausschließlich konventionell gesetzte Abbilder sind, vgl. Kienlin/Widura: Dinge als Zeichen. 2014, besonders S. 33.[↩]
- Die Darstellung folgt Barthes: Mythen des Alltags. 2016, S. 251-288.[↩]
- Barthes: Mythen des Alltags. 2016, S. 258.[↩]
- Die gleichzeitige Anwesenheit eines Gegenstandes als er selbst und als das Abstraktum, für das er steht, findet sich ähnlich bei Cassirer als die mythische Eigenschaft der ‚Konkreszenz‘. Vgl. Cassirer: Das mythische Denken. 2010, S. 78 f..[↩]
- Die Debatte um Narratologie oder Ludologie als Beschreibungssysteme von Computerspielen soll hier nicht referiert werden. Beiträge wie Thon: Schauplätze und Ereignisse. 2007 oder Engelns: Spielen und Erzählen. 2014 zeigen, dass sich beide Konzepte sinnvoll vereinen lassen. Diesem Ansatz soll auch hier gefolgt werden.[↩]
- Die Begrifflichkeiten von kausaler und finaler Motivation schließen an Lugowski: Form der Individualität. 1976. an.[↩]
- Eine empirische Studie zur Charaktergestaltung durch SpielerInnen bietet Hart: Getting into the game. 2017. <http://gamestudies.org/1702/articles/hart> [22.05.018].[↩]
- Piranha Bytes: Risen. 2009.[↩]
- Sarah Schmidt beschreibt im Rekurs auf Walter Benjamin das Gesammelte eines Individuums passend als „Quasi-Organ des eigenen Körpers“. Schmidt: Sammeln – Sammlungen. 2018, S. 86.[↩]
- Natürlich werden solche Ausgangsszenarien in Spielen variiert, zwei besondere Ausnahmen zu der beschriebenen Idealsituation sollen kurz genannt werden, um mögliche Variationen deutlich zu machen: Gothic (Piranha Bytes: Gothic. 2001) beginnt damit, dass der namen- und scheinbar gedächtnislose Held nicht aus einem Gefängnis gelangt, sondern hineingeworfen wird. Hier hat der Held einen Brief an die Feuermagier im Inventar, der zumindest einen Teil des narrativen Gefüges bereits vorzeichnet. Gothic 3 (Piranha Bytes: Gothic 3. 2006) hingegen beginnt mit einer geglückten Schiffsfahrt, ein Anfang ohne jegliche Vorkenntnisse im direkten Anschluss an Gothic 2 wäre nicht erklärbar. Entsprechend hat der Held auch eine minimale Grundausstattung im Gepäck, die den Kampf gegen die Orks zu Beginn des Spiels ermöglicht. Eine Form von Identität ist damit aber noch nicht gegeben.[↩]
- Zur Akkumulation als Grundidee des Sammelns Sommer: Sammeln. 2014.[↩]
- Peter Berger geht bei der Erkundung der Spielwelt von einem ähnlichen Trieb zur Vollständigkeit aus, nennt diesen allerdings „unconscious“. Berger: There and Back Again. 2008, S. 51.[↩]
- Conslavo; Dutton: Game analysis. 2006. <http://gamestudies.org/0601/articles/consalvo_dutton> [22.05.2018].[↩]
- Conslavo; Dutton: Game analysis. 2006. <http://gamestudies.org/0601/articles/consalvo_dutton> [22.05.2018].[↩]
- Diese beiden Fälle würde Thon als Teile räumlicher und sozialer Immersion klassifizieren. Thon: Immersion Revisited. 2008, S. 35 f. und 38 f..[↩]
- Piranha Bytes: Gothic. 2001.[↩]
- CD Projekt RED: The Witcher. 2007.[↩]
- Conslavo; Dutton: Game analysis. 2006. <http://gamestudies.org/0601/articles/consalvo_dutton> [22.05.2018].[↩]
- Dass dies nicht nur dem Alter der Gothic-Spiele geschuldet ist, sondern auch in neueren Spielen weiterhin so gehandhabt wird, zeigen Spielreihen wie The Elder Scrolls (Bethesda Softworks: Morrowind. 2002, Oblivion. 2006 sowie Skyrim. 2011.), Risen, Assassin’s Creed oder The Witcher. Risen ist den Gothic-Spielen natürlich nicht ganz neutral gegenüberzustellen, da es vom selben Entwicklerstudio produziert wurde und dieses nur nach Gothic 3 die Rechte an den Namen der Gothic-Serie verloren hat. Die mittlerweile immens umfangreiche Hauptreihe von Assassin’s Creed plus Add-ons sowie Online-Versionen kann hier nicht als Ganzes betrachtet werden. Der Hauptaspekt liegt beispielhaft auf Ubisoft Montreal: Assassin’s Creed II. 2009.[↩]
- Im Sinne Thons (Thon: Immersion Revisited. 2008).[↩]
- So bei Bethesda Softworks: The Elder Scrolls III: Morrowind. 2002, Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls IV: Oblivion. 2006, Bethesda Game Studios: The Elder Scrolls V: Skyrim. 2011.[↩]
- Einen Sonderfall stellt wie in vielen Bereichen die Assassin’s Creed-Reihe dar. Durch die Doppelung der diegetischen Ebene ist es möglich, innerhalb der Animus-Diegese mit Gegenständen konfrontiert zu sein, die mit der Immersion in diese Spielebene nicht vereinbar wären. Dadurch werden leuchtende Federn oder Animusfragmente, die man bis zu einer vorgegebenen Vollständigkeit einsammeln kann, zu Markern der Fiktionalität, die dieser Spielebene ohnehin eingeschrieben ist.[↩]
- Durch den Begriff des Immersionspotentials soll hier darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einen rezeptionsästhetischen, bzw. kognitionspsychologischen Ansatz handelt, wie er besser zu einer empirischen Studie passen würde. Auf diese Zuordnung macht auch Thon: Immersion. 2008, aufmerksam. Wir schließen uns Thons theoretischem Ansatz an und versuchen daher, Immersion als Kategorie zu denken, der Strukturen des rezipierten Spiels und nicht das kognitiv-psychologische Erleben zugesprochen werden können: „The structural properties of a game are not entirely irrelevant for the player’s experience of immersion“. Thon: Immersion. 2008, S. 33. Im Bereich der Dramentheorie könnte der produktionsästhetische Begriff des Immersionspotentials mit den Ansprüchen der Illusionskunst in Verbindung gebracht werden, demnach metaleptische „V-Effekte“ zu vermeiden sind. Vgl. zum Begriff der Illusion Jehle: Illusion/Illusionskunst. 2006. „Immersionspotential[…]“ wird auch als Konzept genutzt in Klimek: Illusion, Immersion und Identifikation. 2012, S. 263, hier allerdings im Zusammenhang mit pen and paper-Rollenspielen angeführt. Zudem ist Klimek, anders als Thon, Immersion. 2008, am psychologischen Vorgang und nicht an den Immersion ermöglichenden Strukturen der Spiele interessiert.[↩]
- Was sie auch tun, bedenkt man den materiallosen Austausch von Gegenständen zwischen Avatar und NPCs in Risen, Gothic, oder The Witcher.[↩]
- Zur Metalepse als Kategorie der Erzähltheorie Pier: Metalepsis. 2016. <http://www.lhn.uni-hamburg.de/article/metalepsis-revised-version-uploaded-13-july-2016> [22.05.2018].[↩]
- Im Fall von Assassin’s Creed werden sogar Entscheidungen getroffen, die sich auf Gegenstände beziehen, die aus Sicht der eingebetteten Diegese gar nicht existieren, wodurch der Simulationscharakter der Spielwelt unterstrichen wird. Interessanterweise gehen aktuellere Spiele genau auf diese Form der Metalepse ein, wie an den Witcher Senses in CD Projekt RED: The Witcher III: Wild Hunt. 2015, zu erkennen ist. Das Highlighten wird somit an die physiologische Exorbitanz der Hauptfigur gekoppelt, wie auch die Spiele der Assassin’s Creed-Reihe dies schon in Form des „Adlerauges“ umgesetzt haben. Dass manche Spiele neueren Datums also gerade an dem Problem des metaleptischen Highlightens arbeiten, sehen wir als Argument für unsere Beobachtung an, dass es sich bei dieser Schnittstelle um ein Strukturelement handelt, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf.[↩]
- Conslavo; Dutton: Game analysis. 2006. <http://gamestudies.org/0601/articles/consalvo_dutton> [22.05.2018].[↩]
- In The Witcher ist das Inventar sogar mit der Bezeichnung „Rucksack“ überschrieben.[↩]
- Nicht anders verhält es sich bei Spielen, die eine physikalisch sinnvolle Beschränkung des Inventars durch Gewicht oder Ausdehnung suggerieren. Auch hier scheint aber zu gelten, dass Gewicht und Größe Qualitäten sind, die nicht der Logik der Spielwelt als kohärenter Diegese entsprechen, sondern eine Eigenschaft des Ikons auf der Ebene des Interface darstellen, da derartige Restriktionen zwar unbegrenztes Ansammeln ausschließen, die Unmöglichkeit von beispielsweise mehreren Waffen und Rüstungen im Inventar aber nicht beheben.[↩]
- Mimesis ist natürlich keine generische Kategorie des Computerspiels, sondern aus der Literatur-, beziehungsweise aus der Dramentheorie übernommener Terminus. Gelingende Mimesis soll hier vor allem verstanden werden als Voraussetzung für Prozesse der Immersion durch den Rezipienten. Zur Mimesis vgl. Wolf: Illusion. 2014, besonders Unterpunkt 3.2.. <http://www.lhn.uni-hamburg.de/article/illusion-aesthetic> [10.08.2018][↩]
- Vgl. zum Konzept der Alterität Becker, Mohr: Alterität. 2012. Natürlich sind Computerspiele nicht rein narrativ, wir gehen jedoch davon aus, dass Alterität auch auf nicht-narrative mediale Ausdrucksformen übertragbar ist.[↩]
- Thon: Immersion. 2008, S. 34.[↩]
- Thon: Immersion. 2008, S. 34.[↩]
- Unterstützt wird diese Erweiterung dadurch, dass eigentlich alle Spiele die Interface-Ebene grafisch in die Spielwelt integrieren. So auch noch in Warhorse Studios: Kingdom Come: Deliverance. 2018, das skill grid, Inventar und andere Interfaces entsprechend der Spielwelt in spätgotisches Design fasst.[↩]
- Auch andere Spiele kennen narrativ zentrale Ausrüstungsgegenstände, so beispielsweise das Set des Adanos‘ in Gothic 3. Dieses kann jedoch in Einzelteilen während des Spielverlaufs getragen werden. Piranha Bytes: Gothic 3. 2006.[↩]
- Dadurch erhalten diese Gegenstände Warencharakter: „To use an appropriately loaded even if archaic term, to be saleable or widely exchangeable is to be ‚common‘ – the opposite of being uncommon, incomparable, unique, singular, and therefore not exchangeable for anything else. The perfect commodity would be one that is exchangeable with anything and everything else […].” (Kopytoff: Cultural biography of things. 1986, S. 69) [↩]
- Reality Pump: Two Worlds II. 2010.[↩]
- So zumindest der Weg nach Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. 102014, der nach Arjun Appadurai den „most useful (though not quite standard)“ Ansatz zur Analyse von Wertkonstruktion bietet. (Appadurai: Introduction. 1986, S. 3). Simmels Methodik bietet beispielsweise gegenüber Marx' Ansatz im Kapital den Vorteil, dass die Konstruktion des Wertes ohne ontologischen Rückhalt auskommt und eher daran interessiert ist, philosophisch einen Ist-Zustand zu fassen, als einen sozialen Soll-Zustand durch die Analyse des Wertbegriffes herbeiführen zu wollen. Natürlich muss hinzugefügt werden, dass, nur, weil Simmels Ansatz nach heutiger Sicht valide zu sein scheint, die Rezipienten eines Spiels oder Textes nicht trotzdem ein gewisses Maß metaphysischen Gegenstandsbewusstseins mitbringen. Dies mag auch eine Grundvoraussetzung dafür sein, dass der im Folgenden noch auszuführende ‚Heteronomie-Status‘ der Dinge in Texten und Spielen akzeptiert wird. [↩]
- Der der Ware inhärente Wert resultiert für Marx aus dem abstrahierbaren menschlichen Arbeitsprozess, der Wert überhaupt erst herstellt und auch die Austauschbarkeit unterschiedlicher Waren garantiert. Vgl. dazu besonders Marx: Das Kapital. 72011, Kap. 1 und Kap. 4.[↩]
- Zum ‚iustum pretium‘ vgl. Trusen: Äquivalenzprinzip. 1967. Als allgemeines Referenzwerk für mittelalterliche Geldphilosophie: Wittreck: Geld als Instrument der Gerechtigkeit. 2002. Die Vorstellung eines inhärenten Wertes, also eines valor intrinsecus im Gegensatz zum valor impositus soll hier ausdrücklich nicht mit der Marx’schen Vorstellung des Mehrwertes durch Arbeit in eine direkte ideengeschichtliche Beziehung gebracht werden; die Unterschiede sollten nicht ignoriert werden. Thomas von Aquins Auffassung beispielsweise ist nicht von der Vorstellung des pretium iustum als Ausdruck eines valor intrinsecus bestimmt. Dessen Schriften entstehen allerdings auch erst im Zuge der Aristoteles-Tradition Mitte des 13. Jahrhunderts, die unten zu analysierenden Texte müssen oder können gar nicht in direkte Abhängigkeit zu Thomas‘ scholastischer Position gebracht werden. Interessant ist, dass die Rezeptionsgeschichte mittelalterlichen ökonomischen Denkens durchaus eine Nähe zur Position des valor intrinsecus sehen wollte: „Even today, accounts penned by economists credit the Schoolmen, or at least some of them, with objective theories of value based of factors such as the amount of work and expense devoted to the object to be measured.“ Wittreck: Money in Medieval Philosophy. 2016, S. 56 f.. Im hier verhandelten Zusammenhang ist jedoch wichtiger, dass Preisregulierungen, die nicht nur dem Marktwert verpflichtet waren, bei aller Komplexität des philosophischen Diskurses dazu, durchaus integraler Teil der mittelalterlichen Realität waren, wie Trusen: Äquivalenzprinzip. 1967, zeigen kann.[↩]
- Objektbeschreibung aus The Witcher.[↩]
- Franziska Ascher hat anhand von Dark Souls gezeigt, dass „im Fall von einzigartigen Items […] die Beschreibungen oft über die reine Deskription hinaus[gehen].“ Ein Überschuss an Narration kann die Beschreibung eines Gegenstandes dergestalt verformen, dass das Narrativ der Welt erst durch das Aufsammeln von Gegenständen erschlossen werden kann. (Ascher: Die Narration der Dinge. 2014, <https://www.paidia.de/die-narration-der-dinge-teil-i-2/> [28.09.2018]) [↩]
- CD Projekt RED: The Witcher III: Wild Hunt. 2015.[↩]
- In gewissem Sinne werden dem Helden dadurch ausschließlich Dinge vorgestellt, die potentiell „future collectibles“ im Sinne Kopytoffs sind, also Dinge mit Warencharakter, die darauf ausgelegt sind, im Laufe ihrer Objektbiographie singularisiert zu werden. (Kopytoff: Cultural biography of things. 1986, S. 81) Nina Hennig fasst die Musealisierung im Handbuch Materielle Kultur zusammen: „Der mit kleineren Abweichungen relativ schematisch erscheinende Lebenslauf der Objekte kann sich durch die Aufnahme als Sammlungsstücke in ein Museum gravierend verändern […]. Objekte werden durch diesen Akt aus vormaligen Kontexten, auch funktionalen, entfernt.“ (Hennig: Objektbiographien. 2014, S. 236) Entsprechend der Peirce’schen Terminologie ließe sich auch sagen, dass die ikonischen Gegenstände im Inventar nun zu Indices der Avatarbiographie geworden sind.[↩]
- Zur Biographie von Dingen mit besonderer Betonung ihres Endes vgl. Kopytoff: Cultural biography of things. 1986, S. 67.[↩]
- Zu den beiden Sammelformen von ökonomisch und ästhetisch vgl. Sommer: Sammeln. 2014, S. 113-115.[↩]
- „Der Mythos ist weder durch sein Objekt noch durch seine Materie zu definieren, denn man kann jede beliebige Materie willkürlich mit Bedeutung ausstatten […].“ (Barthes: Mythen des Alltags. S. 252) [↩]
- Cassirer würde dies die Dichotomie von heilig und profan nennen. Vgl. Cassirer: Das mythische Denken. 2010, S. 89, zu Cassirers Auffassung des mythischen Gegenstandsbewusstseins S. 35-73.[↩]
- Gumbrecht: Präsenz-Spuren. 2004, S. 1.[↩]
- Ein derartiges Modell ist besonders gut nachvollziehbar bei Behrends: Der ungleiche Tausch zwischen Glaukos und Diomedes. 2004.[↩]
- Die zyklisch miteinander verknüpften Epen Otnit und Wolf Dietrich können aufgrund der Überlieferungssituation und den losen inhaltlichen Zusammenhängen als der aventiurehaften Dietrichepik verwandt betrachtet werden, vgl. dazu Heinzle: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. 1999, S. 41ff., anders Haferland: Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität. 2004, S. 374ff.[↩]
- „beschützt vor jeder Gefahr“. Hier und im Folgenden zitiert nach Wirnt von Grafenberg: Wigalois. 2014, abgekürzt als ‚Wig‘. Der Text wird auf das frühe 13. Jahrhundert datiert. Einführend zum Autor und zur Überlieferung vgl. Fasbender: Der ›Wigalois‹. 2010, S. 1-43.[↩]
- Zum zweckgerichteten Einsatz der Dinge im Wigalois vgl. Schanze: Jorams Gürtel als ‚Ding‘. 2013, S. 538-545.[↩]
- Hier und im Folgenden zitiert nach o.A.: Otnit. Wolf Dietrich. Frühneuhochdeutsch/Neuhochdeutsch. 2013, abgekürzt als ‚Ot‘. Einführend zum Otnit und Wolf Dietrich vgl. Millet: Germanische Heldendichtung im Mittelalter. 2008, S. 382-399.[↩]
- Hier und im Folgenden zitiert nach o.A.: Das Eckenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. 1986, abgekürzt als ‚E2‘. Die Entstehungszeit des Textes lässt sich auf das erste Drittel des 13. Jahrhunderts eingrenzen, vgl. dazu Heinzle: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. 1999, S. 117-127; ders.: Mittelhochdeutsche Dietrichepik. 1978, S. 17-52 und allgemein zur Einführung in die Germanische Heldendichtung vgl. Millet: Germanische Heldendichtung im Mittelalter. 2008, hier S. 327-400.[↩]
- Zur Ausrüstungsszene im Eckenlied ist in der Forschung bereits viel diskutiert worden, wobei die Frage vor allem um die doppelte Handlungsmotivation und – damit einhergehend – die Intention der Ausrüstung kreist. Vgl. dazu Bleumer: Narrative Historizität. 2000, S. 140f., der die Rüstung als „Lohn für die Gewährung eines konkreten Dienstes“ sieht, während Miklautsch: Zuerst die Rüstung, dann der Held. 2009, S. 305, sie als Geschenk wertet, ebenso wie schon Bernreuther: Herausforderungsschema und Frauendienst. 1988, S. 185. Auch, dass die anfängliche Ausrüstung Eckes, der Dietrich die Rüstung später als Anreiz zum Kampf bietet, ironischerweise somit nicht um Eckes, sondern um Dietrichs Willen geschieht, haben sowohl Bleumer: Narrative Historizität. 2000, S. 140f., wie auch Meyer: Verfügbarkeit der Fiktion. 1994, S. 195 erkannt.[↩]
- Vgl. Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 211f.. Eckes Rüstung kann durch die doppelte Motivationsstruktur des Textes ebenfalls als Minnegabe gelesen werden. Da Herausforderungsschema und Minnedienst im Eckenlied jedoch gegeneinander laufen, soll hier das eindeutigere Fall aus dem Wigalois als Beispiel dienen. Zur doppelten Motivationsstruktur im Eckenlied allgemein vgl. Bernreuther: Herausforderungsschema und Frauendienst. 1988.[↩]
- Vgl. dazu Dimpel: Die Zofe im Fokus. 2011, S. 319-348.[↩]
- „Steinwand“. Zum Anderort stainwant und dessen Wirkungsraum vgl. Fuchs-Jolie: stainwant. 2011.[↩]
- Dazu jüngst Pia Selmayr, die in ihrer Dissertation den Fokus auf die Wechselverhältnisse von Figur, Ding und Raum legt und so maßgebliche Befunde für die Dinge im Wigalois herausarbeitet. Selmayr: Der Lauf der Dinge. 2017, S. 83-145.[↩]
- Die drei Formen literarischer Thematisierung des „objektiv Wunderbaren“, die Walter Haug herausgearbeitet hat, werden von Christoph Schanze für eine Analyse von Wigalois‘ Gürtel in Kürze zusammengefasst. Schanze: Jorams Gürtel als ‚Ding‘. 2013, S. 537f.. [↩]
- Allerdings stellt Alberich Otnits Eignung zum Tragen der guten Rüstung mit den Worten ›was sollten dir die ringe? […] ich will die ringe senden einem der ir bas bedarf‹ („Was sollten dir diese Ringe? […] Ich werde die Ringe einem senden, der ihrer mehr bedarf.“) in Frage, Ot 148,1ff..[↩]
- Friedrich: Transformationen mythischer Gehalte. 2004, S. 284.[↩]
- Bereits Alberich hatte den gleichen Goldwert der Brünne genannt, als er sie Otnit übergeben hatte, vgl. Ot 112,1.[↩]
- Zur topischen Erzählung des Schlussmotivs moniage, des Rückzugs des Protagonisten aus der Welt in ein geistlich bestimmtes Leben in Kloster oder Einsiedelei, um sich nach der Regelung seiner weltlichen Angelegenheiten als Krieger und als Büßer auf das ewige Heil vorzubereiten, vgl. Biesterfeldt, Corinna: Moniage - Der Rückzug aus der Welt als Erzählschluß. 2004. [↩]
- Diese ideelle Wertvorstellung scheint Merkmal ritterlicher Gesinnung zu sein; die arme Fischersfrau, die Wigalois dessen Rüstung klaut, ist pragmatischer, da sie offenkundig bereit ist, die wertvolle Rüstung zu verkaufen, um dafür ihre Familie zu versorgen: ‚geselle, […] / hie mit suln unser kindelîn / werden wol berâten.‘ („Liebster, […] hiermit wird für unsere Kinder gut gesorgt sein.“, Wig 5328ff.) Sie erkennt in dem Fund ein Geschenk Gottes: ‚nu sich, lieber man, / got hât wol zuns getân / mit dirre grôzen rîcheit‘ („Sieh, lieber Mann, Gott hat uns mit diesem Vermögen Gutes getan“, Wig 5370) und ist daher sogar bereit, Wigalois kurzerhand für die kostbare Beute umzubringen: ‚nu sî dir daz vür wâr geseit / und lebt er unz an den tac, / daz ez uns wol geschaden mac; / wir suln in baz t(ten.‘ („aber, wahrlich, ich sage dir, wenn er den morgigen Tag erlebt, kann uns dies nur schaden; wir töten ihn besser.“, Wig 5373-5376).[↩]
- Der Gürtel rückt eindeutig in den Vordergrund der Szene, alles andere erscheint unwichtig: nu lâze wir den rîter [Joram, A.S.] sîn. / den gürtel hât diu künigîn („Nun schweigen wir vom Ritter. Den Gürtel nämlich hat die Königin.“ Wig 320f.).[↩]
- „Aus welchem Material das Band gefertigt war, kann ich euch nicht erzählen. Es war nämlich völlig ausgefüllt mit Edelsteinen und Gold. Wer auch immer sich einen wünschen dürfte, der würde niemals die gleiche Güte erzielen.“ Wig 322-328.[↩]
- „Stärke und Weisheit“.[↩]
- Die Informationen über die Wirkweise von Dingen, die im Computerspiel über den Kommentar im Inventar angezeigt werden, können hier medial bedingt nur über den Erzähler erläutert oder durch den Bericht der Figur selbst erfahrbar gemacht werden. [↩]
- Vgl. dazu auch Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 217f..[↩]
- Linden interpretiert Gaweins Ablehnung des Geschenks rein auf die Materialität des Gürtels und nicht auf seine Wirkkraft bezogen: „Ginover sei zu reich, um sich durch die Aufnahme von Geschenken in eine materielle Abhängigkeit zu bringen (V. 376ff.), d.h. hier wird gerade nicht auf die Zauberwirkung, sondern auf den materiellen Wert des Gürtels fokussiert.“ (Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 218) Gaweins Aussage ir sît da zuo ze rîche („dafür seid Ihr selbst zu hoch gestellt“, Wig 379), muss allerdings nicht zwangsläufig den Besitz der Königin meinen, sondern kann sich auch auf ihren adeligen Stand beziehen.[↩]
- Sowohl Erzählerkommentar als auch Joram selbst betonen, dass Joram nur aufgrund der Wirkung des Gürtels siegen konnte (vgl. Wig 566ff. und Wig 620-624).[↩]
- „Stärke“ und „Mut“.[↩]
- Vgl. dazu auch Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 219 und Schanze: Jorams Gürtel als ‚Ding‘. 2013, S. 545-555, der die verschiedenen Wirkweisen des Gürtels detailliert herausarbeitet.[↩]
- Scholz; Vedder: Handbuch Literatur & Materielle Kultur, Einleitung. 2018, S. 1.[↩]
- Für Bleumer: Narrative Historizität. 2000, S. 142, wird Ecke überhaupt erst mit seiner Ausrüstung „zu einer sichtbaren Erscheinung“.[↩]
- „viel zu groß und schwer“.[↩]
- „wie einen Leopard[en]“.[↩]
- Wie genau sich die Komik im Eckenlied „in mehreren Schritten [generiert]“ arbeitet Anica Schumann: Experimentelles Erzählen. 2017, S. 141-182, en detail heraus.[↩]
- Auch Dietrich erwähnt, wie zuvor schon sein Gefolgsmann Hildebrand, dass er nicht mit Ecke kämpfen könne, da dieser kein Pferd hat. Die defizitäre Ausrüstung wird zum Problem für Ecke (vgl. E2 46,1-10).[↩]
- Zu den mythischen Gehalten im Eckenlied vgl. Friedrich: Transformationen mythischer Gehalte. 2004.[↩]
- Fuchs: Hybride Helden. 1997, S. 308.[↩]
- Vgl. Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 220-224.[↩]
- „Wie soll ich mich schützen, da ich den Gürtel, den ich zum Beistand in allen Angelegenheiten erwählt habe, verloren habe?“[↩]
- Störmer-Caysa: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. 2007, S. 201. Vgl. auch Heinzle: Über den Aufbau des ‚Wigalois‘. 1973, S. 269 und Grubmüller: Artusroman und Heilsbringerethos. Zum ‚Wigalois‘ des Wirnt von Gravenberc. 1985, S. 236f.. [↩]
- Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 221.[↩]
- Vgl. Linden: Ritter mit Gepäck. 2016, S. 224-228. „Alle Eigenschaften und Zeichen deuten in der Summe auf die Idealität des Helden.“, hier S. 228.[↩]
- Dass höfische mittelalterliche Erzählliteratur keine homogene Gruppe bildet, ist offensichtlich. Da es hier jedoch um die architextuelle Zuordnung durch den modernen Rezipienten geht, der sich gegenüber der Gruppe mittelalterlicher Erzähltexte – vor allem außerhalb der fachlichen Beschäftigung mit selbigen – zumindest zeitlich in weitaus größerer Distanz befindet als gegenüber modernen Computerspielen, erscheint eine tiefergehende Unterteilung dem rezeptionsästhetischen Forschungsvorhaben nicht angemessen.[↩]
- Gumbrecht: Präsenz-Spuren. 2004, S. 1.[↩]