Serious Games and (the) Fate of the World - Lernen und Scheitern im Videospiel

15. Oktober 2011

Why so Serious? - Serious Games

Meist durch staatliche Behörden oder Stiftungen in Auftrag gegebene Climate Change Games  1 wie LogiCity (2006), Climate Challenge (2006), V Gas (2007) und Energetika (2010) konfrontieren ihre Benutzer spielerisch mit den möglichen Auswirkungen des Klima- und Energiewandels und demonstrieren mögliche Lösungsvorschläge auf persönlicher wie auch auf staatlicher Ebene – von der Förderung von Biogasanlagen bis zur Nutzung von Energiesparlampen. Serious Games dieser Art bieten eine breite Angriffs­fläche für Kritik. Auf der thematischen Ebene werden sie in vielen Fällen vom Vorwurf der Simplifizierung komplexer Sachverhalte bis hin zur Propagierung einer (meist klimafreundlichen) Agenda geplagt – angesichts der im Scheitern der Kopenhagener Beschlüsse klar gewordenen Uneinigkeit selbst der westlichen Demokratien ist dies nicht verwunderlich. Der zweite Ansatz für Kritik – aus der Position der Game Studies- sollte sich vielmehr auf ihren Medienstatus konzentrieren: Viele der 'ernsten' Spiele sind es kaum wert, Spiele genannt zu werden: In ihrer didaktischen Funktion schränken sie neben anderen Möglichkeiten, die Spiele sonst zur Immersion und zur tieferen Beschäftigung mit einem Spiel anregen, besonders eine ein: Die Freiheit zu Scheitern. Diese ist, so mein Argument, essentiell für eine erfolgreiche Lernerfahrung; sie dem Spieler zu verweigern, heißt auch die didaktische Wirkung eines Spieles abzuschwächen.

Lasst uns Strom sparen!

Bis auf Climate Challenge – den Vorläufer von Fate of the World (2011) – bieten die climate change games nur wenig Interaktivität. Es gibt nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten, die wenig Freiraum für einen kreativen Umgang mit den gestellten Problemen lassen. Längerfristige Strategien, die Spieler auf ihre Art Erfolg oder Misserfolg erfahren lassen, existieren nicht, versuchen Energetika, LogiCity und ihre Genrekollegen doch im Sinne ihrer päda­go­gischen Ziele gerade möglichst explizit auf den direkten, unmiss­ver­ständ­lichen kausalen Zusammenhang zwischen einzelnen Aktionen und ihren Folgen hinzuweisen. Scheitern ist schwierig und gründet meist nicht aus dem ungenügenden Fähigkeiten des Spielers, mit der Spiele­mechanik (psychomotorisch im Sinne v. Jochen Venus) zu interagieren oder den ungewollten Resultaten von Entscheidungen, sondern aus Fehlern, den klar (in Textform) ausformulierten Klimaratschlägen und damit dem einzig möglichen Weg zur Lösung des Spieles zu folgen.

Fate of the World

 

Nur einige der Möglichkeiten, eine Region zu beeinflussen

Fate of the World bietet hingegen einen breiten Raum für eigene Strategien: Die Entscheidung beispielsweise frühzeitig im Jahre 2020 den Ausbau von Biotreibstoffen in den Vereinigten Staaten zu fördern, ist eine von dutzenden Möglichkeiten die Region zu entwickeln und kann später zu überraschenden Konsequenzen für den Spieler führen. Im Falle der Biotreibstoffe kommt es 6 Runden später - im Jahre 2080 - zu Hungersnöten, Bürgerkriegen und damit dem Tod von Millionen virtueller Amerikaner. Warum? Die in Zusammen­arbeit mit einem Forschungsteam der Universität von Cambridge erstellte Simulationsengine bezieht die Entscheidungen des Spielers in ein (im Verglichen zu den auf Supercomputern laufenden Vorbildern sim­pli­fi­zier­tes) Modell globaler Rohstoffreservoirs und Klimaveränderungen ein, in dem Faktoren wie Meerestemperatur, ozeanische Methanausbrüche, sinkende Öl- und Süßwasserreservoirs mit Populationsentwicklung, Bildung, Energieproduktion, Transport und gesellschaftlicher Akzeptanz für öko­lo­gi­sche Politik verarbeitet werden. Diese Faktoren sind dynamisch und werden nicht nur von Spielerentscheidungen und gescripteten (also vorbestimmten) Ereignissen, sondern auch voneinander beeinflusst. Die Logik hinter der Hungersnot ist folgende: Während durch die Spieler­entscheidung der Anteil an Biotreibstoffen an der Energieproduktion und dem Energieverbrauch Nordamerikas wächst (ein positives Resultat), werden gleichzeitig für die Nahrungsmittelproduktion benötigte Flächen konvertiert. Diese Flächen, teilweise aufgrund der problematischen Grundwasserversorgung weiter Teile des mittleren Westens eh schon in Gefahr 2 werden durch die erhöhte Temperatur und Wasserverdunstung im Lauf der nächsten Jahrzehnte (Runden) ohne weitere Aktionen des Spielers unfruchtbare Wüsten – die auf Energiepflanzenanbau konzentrierte Landwirtschaft kann nicht mehr schnell genug kompensieren, um die Katastrophe zu verhindern.

Die Würde des Scheiterns

Für den Spieler kommt dies unerwartet (wenn auch mit genügend Erfahrung und Überwachung der Statistiken nicht überraschend). Die komplexe Simulation von Fate of the World gibt dem Spieler unzählige Möglichkeiten, die Welt zu beeinflussen - und unzählige Möglichkeiten zu scheitern. Erfolg ist ein Resultat aus dem Meistern der Spielemechanik; da das Thema des Klimawandels hier jedoch in jedem seiner Aspekte in die Spielemechanik eingeflochten wird, wird jeder eigene Lösungsversuch im dynamischen Systems des Spieles – ob Erfolg oder Scheitern – eine Möglichkeit, ein so abstraktes Phänomen wie den Klimawandel verständlich zu machen. Serious games, die den Klimawandel als rein narrativ vermitteltes Motiv auf der Erzählebene verstehen, beispielsweise als Teil eines anleitenden Fensters während es im 'Spielteil' um den Bau von Kraftwerken auf einer hypo­thetischen Inselnation geht, kann es so niemals gelingen, den Spieler so stark zur Auseinandersetzung mit ihren Themen zu bringen. Manche versuchen, dieses Manko durch Gewinnspiele für fleissige 'Schüler' auszugleichen; Fate of the World ist Spiel genug, um Menschen für die Erfahrung bezahlen wollen zu lassen.

Verzeichnis der verwendeten Texte und Medien:

Spiele

Gesellschaft für Kommunikations- und Kooperationsforschung Dialogik Universität Stuttgart. Energetika. Bundesministerium für Bildung und Forschung. 2010.
JRC. V Gas. o.A. 2007
Red Redemption. Climate Challenge. BBC. 2006.
Red Redemption. Fate of the  World. Red Redemption. 2011.
Skills2Learn. LogiCity. The National Energy Foundation, Logicom, and British Gas. 2006.

Bilder

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  1. Computerspiele sind im Ausbau ihres Genreinventars ähnlich inflationär wie zeitgenössische Musik, siehe die ständig expandierende Metalfamilie mit Untergenres wie GrindcoreNintendocore, Groove MetalTechnical Death Metal und Post-Metal[]
  2. Manjula V. Guru, James E. Horne: The Ogallala Aquifer http://www.kerrcenter.com/publications/ogallala_aquifer.pdf[]

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So zitieren Sie diesen Artikel:

Baumgartner, Robert: "Serious Games and (the) Fate of the World - Lernen und Scheitern im Videospiel". In: PAIDIA – Zeitschrift für Computerspielforschung. 15.10.2011, https://paidia.de/klimawandel-in-serious-games/. [21.12.2024 - 14:32]

Autor*innen:

Robert Baumgartner

Promotion zum Thema "Sinn(es)-Welten. Die Wirkungsästhetik von Computerspielwelten." (Veröffentlichung im Sommer 2021). Seine besonderen Forschungsinteressen umschließen Fantastik (in Theorie und Texten) und Computerspielforschung. Er ist Redakteur von Paidia. Zeitschrift für Computerspielforschung und Mitherausgeber des Sammelbandes I’ll remember this – Funktion, Inszenierung und Wandel von Entscheidung im Computerspiel. (Hülsbusch 2016).